Protocol of the Session on June 18, 2010

Aber nichtsdestotrotz ist diese Regierung im Amt. Deshalb wollen wir sie an ihren Taten messen. An ihren Versprechen messen wir sie schon lange nicht mehr; denn dann müsste sie schon längst zurückgetreten sein.

(Herr Gürth, CDU: Oh!)

Trotzdem haben die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister in der letzten Woche ein angeblich historisches Sparpaket vorgelegt. Als besorgte Bürgerin frage ich mich: Warum erst jetzt? Sind der Bundesregierung die Defizite der öffentlichen Haushalte erst seit der letzten Woche bekannt? Oder haben CDU/CSU und FDP den Koalitionsvertrag im luftleeren Raum verhandelt und dabei die Finanzplanung des Bundes im Kanzleramt vergessen? Oder konnte nicht sein, was nicht sein darf?

Sie haben sich für mehr Netto vom Brutto wählen lassen, als schon jeder klar denkende Mensch wusste, dass das nicht geht. Jetzt stehen sie vor ihrem Koalitionsvertrag, auf dem in großen Lettern prangt: Wachstum, Bildung, Zusammenhalt. Dabei müsste er „Das Schwarzbuch der Steuerutopien“ heißen. Was den Zusammenhalt betrifft, ist diese Bundesregierung vieles, aber mit Sicherheit kein Hort des Zusammenhalts.

Sie können das für sich halten, wie sie wollen, aber wenn sie auch noch den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft aufs Spiel setzen, dann sage ich: So geht das nicht. Reißen Sie sich zusammen oder lassen Sie Leute ran, die es besser können!

(Lachen bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Wen denn? Ich bin für Manfred Püchel, aber den ha- ben Sie nicht im Programm! - Weitere Zurufe)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Hüskens, wenn ich mir anschaue, was in diesem so genannten Sparpaket enthalten ist, dann frage ich mich Folgendes: Ist das die angemessene Antwort auf die Probleme unserer Zeit? Ist das die Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise? Ist das die Antwort auf die soziale Schere in unserem Land?

(Herr Frank, FDP: Herr Schröder hat die richtigen Maßstäbe gesetzt! Herr Schröder hat uns den Weg gezeigt!)

- Herr Franke, vor allem stelle ich mir die Frage: Ist mit all dem Stückwerk ein Bundeshaushalt überhaupt zu sanieren? Sie sollten schon beim Sparpaket bleiben und nicht woanders herumtönen.

Die Antwort auf all diese Fragen lautet aus meiner Sicht ganz klar: Nein. Denn die bitteren Wahrheiten über dieses Sparpaket sind: Familien, Kinder und Arbeitslose

sollen für die Krise zahlen; Banken, Finanzmärkte und Vermögende werden geschont.

(Herr Gürth, CDU: Wer hat Ihnen das denn auf- geschrieben? - Frau Dr. Hüskens, FDP: Ach, Frau Fischer, das können Sie besser!)

- Das Paket enthält so viele Luftbuchungen, dass es von selbst davonfliegt, Herr Gürth.

Wenn man die richtigen Antworten auf die Krise und für die Lage der öffentlichen Haushalte finden will, muss man sich die Frage stellen: Wer hat denn eigentlich dafür gesorgt, dass wir ein so hohes Defizit haben?

(Zuruf: Sie! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Das war Gerhard Schröder!)

Und wer zahlt am Ende die Zeche?

(Zuruf: Sie! - Heiterkeit)

- Das könnte Ihnen so passen. - Wenn man sich die Vorlage der Bundesregierung ansieht, dann stellt man fest, dass eben nicht diejenigen belastet werden, die die Krise verursacht haben. Es waren nicht die Arbeitslosen, die spekuliert haben. Es waren nicht die jungen Eltern, die weiterhin Elterngeld bekommen sollten, die dafür gesorgt haben, dass wir eine Wirtschafts- und Finanzkrise haben. Im Gegenteil: Es waren die Spekulanten; das wissen wir alle.

(Herr Franke, FDP: Das stimmt doch nicht! - Wei- tere Zurufe)

Es gibt keine Antwort der Bundesregierung auf die Frage, wie die Verursacher und diejenigen, die viel Geld haben, die Reichen und die Wohlhabenden in diesem Land, etwas zu diesem Paket beitragen können.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Es ist doch unumstritten, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht von den einfachen Leuten ausgegangen ist. Es waren wenige am Werk, die das Elend verursacht haben.

(Zustimmung von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE, und von Herrn Rothe, SPD)

Natürlich muss man immer überlegen, ob es ökonomisch sinnvoll ist, in der jetzigen Situation zu sparen. Wir hatten nicht umsonst Konjunkturpakete aufgelegt, um einen Absturz unserer Wirtschaft zu verhindern. Darum: Sparen ist richtig. Das ist meine feste Überzeugung. Es wurde ein Wachstum von 2 % prognostiziert. Es ist also auch der richtige Zeitpunkt.

Aber die Frage ist doch: Darf man nur die Ausgabenseite heranziehen? Das trifft natürlich immer den Sozialhaushalt, da mehr als 50 % der Ausgaben des Bundes nun einmal Sozialausgaben sind. An dieser Stelle arbeiten CDU/CSU und FDP eben nicht mit der Nagelschere, wie Herr Westerwelle euphemistisch sagte, sondern sie arbeiten mit dem Fallbeil; denn die Kürzungen betreffen fast nur den Sozialbereich: Arbeitslose, zukünftige Rentner, junge Familie. Das ist das wahre Gesicht von Schwarz-Gelb.

Ich kann Ihnen, Herr Haseloff - er ist jetzt leider nicht da -, an dieser Stelle nur zustimmen: Ja, die Sparpläne gefährden die soziale Ausgewogenheit in Deutschland. Ich würde mir wünschen, dass Sie das nicht nur in Sachsen-Anhalt sagen, sondern es bis nach Berlin schreien.

(Minister Herr Dr. Haseloff: Hab’ ich schon!)

- Das ist gut; das freut mich. - Ein Beispiel dafür: Die Bundesregierung will den Rentenanspruch, den Langzeitarbeitslose erwerben und den bisher der Bund zahlt, streichen. Das hat drei Auswirkungen.

Erstens. Die Bundesregierung plündert die Rentenkasse; es werden etwa 2 Milliarden € fehlen.

Zweitens. Den Langzeitarbeitslosen, die bisher durch die Rentenbeitragszahlungen des Bundes einen Rentenanspruch hatten, wird dieser Anspruch völlig gestrichen; er ist komplett weg.

Drittens. Was passiert dann mit diesen Menschen? - Sie rutschen gnadenlos in die Grundsicherung. Das heißt - das haben wir vorhin gehört -, die Kommunen werden letztlich dafür bluten, dass sich der Bund saniert und die Rentenkasse plündert. - Das ist es, was die Bundesregierung mit dem vorgelegten Entwurf bewirkt.

Auch in anderer Hinsicht ist dieses Paket unausgewogen. Es belastet in keiner Art und Weise die Besserverdienenden. Die Bevölkerung ist durchaus bereit zu sparen, aber es muss gerecht zugehen. An keiner Stelle werden diejenigen belastet, die sehr gut verdienen. Nichts, aber auch gar nichts; keine Belastung, keine höhere Steuer, kein Verzicht - null. Das ist einfach nicht akzeptabel; das ist sozial ungerecht.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Das ist im Übrigen auch dumm. Denn es mehren sich auch die Stimmen der Vermögenden und der Besserverdienenden, darunter der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates Kurt Lauk, die bereit sind, ihr Scherflein beizutragen.

Warum man diese nicht beim Wort nimmt, ist mir schlicht ein Rätsel. Damit wird fahrlässig die Chance auf einen gesellschaftlichen Konsens zur Sanierung der öffentlichen Haushalte in den Wind geschlagen.

Herr Professor Böhmer, ich nehme Sie beim Wort. Sie sagten vorhin, das müsse erst noch ausgehandelt werden, man müsse noch über viele Dinge reden. Ich möchte hoffen, dass an dieser Stelle nachjustiert wird.

Hinzu kommt, dass in diesem Paket sehr viele Luftbuchungen enthalten sind. Haushalterisch wird die Bundesregierung dem Ganzen aus meiner Sicht nicht gerecht. Im Haushaltsjahr 2011 geht es gerade noch. Aber wie sieht es in den Jahren 2013 und 2014 aus? - Für diese Jahre besteht der Plan zur Hälfte, zu 50 % aus Luftbuchungen. Ich nenne nur die Stichworte: globale Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden €, Finanztransaktionssteuer, für die es noch kein Konzept gibt, die aber gut wäre; die Streitkräftereform soll 4 Milliarden € einsparen, aber auch dieser Idee liegt kein Konzept zugrunde. All diese Luftbuchungen summieren sich auf rund 40 Milliarden €.

Nun werden Sie zu Recht fragen: Was ist denn die Alternative? - Um angesichts der großen Herausforderungen in unserem Land das Gemeinwohl zu sichern, brauchen wir einen fairen Lastenausgleich und damit einen echten Beitrag der Finanzbranche und der Vermögenden zur Bewältigung der Lasten der Krise.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Vorschläge der SPD dafür liegen auf dem Tisch und sie sind berechnet.

(Frau Weiß, CDU: Was sind die, berechnet? Ich habe die Rechnung noch nicht gesehen!)

- Sie sind berechnet, nicht berechnend.

(Frau Weiß, CDU: Ich habe es verstanden!)

Erstens. Eine Finanztransaktionssteuer, mit der vor allem spekulative Börsengeschäfte besteuert werden und die auch die Koalition in Sachsen-Anhalt trägt, Herr Scharf, erbringt je nach Ausgestaltung Einnahmen in Höhe von 14 Milliarden bis 30 Milliarden €. Unser Antrag liegt Ihnen vor und ich bitte an dieser Stelle schon einmal um Zustimmung.

Zweitens. Die Rücknahme der Steuersenkungen für Hoteliers und Gutbetuchte erbringt Einnahmen in Höhe von 3,5 Milliarden €. Diese stecken im Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Eine gerechtere Besteuerung großer Vermögen erbringt Einnahmen von mindestens 10 Milliarden €, ein höherer Spitzensteuersatz bis zu 7 Milliarden €.

(Frau Weiß, CDU: Den haben Sie doch gerade heruntergesetzt! - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Schon ein flächendeckender Mindestlohn von 7,50 € würde den Staatshaushalt um 1,5 Milliarden € entlasten, weil Dumpinglöhne nicht mehr aus Steuermitteln aufgestockt werden müssten. Die Sozialversicherungen würden außerdem Mehreinnahmen von mehr als 4 Milliarden € verbuchen. - Das ist nur ein kleiner Auszug der Alternativen, die es zu diesem Sparpaket gibt.

Es gibt einen sozial gerechten und wirtschaftlich vernünftigen Weg, den Haushalt zu konsolidieren. Es braucht politischen Mut, Willen und Führung,

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

diesen Weg der sozialen Gerechtigkeit zu gehen. Ich kann uns nur wünschen, dass auch die Bundesregierung dies endlich begreift. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)