Ich werde auch das noch eine Million Mal sagen, bis es endlich hilft: Das Einzige, was wirklich hilft, ist ein gesetzlicher Mindestlohn.
Ja, wir wollen mit solchen Forderungen Druck ausüben. Wir wollen Druck ausüben auf eine Gesellschaft, die es zulässt, dass Menschen trotz einer Vollzeittätigkeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind, denn das kann einfach nicht wahr sein.
(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Je mehr Linke regieren, desto mehr Menschen sind darauf angewiesen!)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Bürgerarbeit will ich jetzt nicht vertieft darstellen, sondern will einfach nur ganz kurz auf das gerade Vorgetragene Bezug nehmen.
Die Diskussion, wie wir das in Sachsen-Anhalt strukturieren können, erübrigt sich, weil es kein Landesprogramm, sondern ein Bundesprogramm ist. Es ist ein Bundesprogramm, das im Bundesanzeiger über ein Interessenbekundungsverfahren entsprechend bekannt gemacht wurde. Da sind klare Kriterien - ich habe sie ausgedruckt, wer sie einsehen will, kann das tun - mehrseitig niedergelegt. Dabei sind wesentliche Erfahrungen aus dem Bürgerarbeitskonzept Sachsen-Anhalts berücksichtigt bzw. entnommen, teilweise im Verhältnis 1 : 1, teilweise modifiziert auf den bundesdeutschen Kontext übertragen worden.
Die bundesweite Resonanz - das ist das Entscheidende - war derart hervorragend, dass selbst Frau von der Leyen in der letzten Sitzung des Ausschusses ihre Überraschung zum Ausdruck bringen musste, wie groß bundesweit, also nicht nur in Sachsen-Anhalt oder in Ostdeutschland, das Interesse für dieses und die Nachfrage nach diesem Modell ist. Über 200 Anträge wurden bundesweit gestellt. Wir gehen davon aus, dass damit ca. 150 000 Langzeitarbeitslose aktiviert und in der Fortfolge dann auch in Bürgerarbeit überführt werden können.
Wenn wir uns die Konditionen anschauen, dann ist das durchaus respektabel. Es sind 30 Stunden pro Woche, bewusst 30 Stunden, damit man sich weiterhin im Sinne des offenen Systems umsehen kann, bewerben kann, qualifizieren kann.
Umgerechnet ist das, was die 900 € für diese 30 Stunden pro Woche anbelangt, ein Stundenlohn, der bei 6,92 €, also rund 7 € liegt. Das ist auch vor dem Hintergrund dessen, was in vielen Branchen in SachsenAnhalt verdient wird, ein Betrag, der sich sehen lassen kann und der auf jeden Fall deutlich macht, dass das Vorurteil bzw. der Vorwurf, hierbei handele es sich um eine Tätigkeit, in der Leute ausgebeutet bzw. im Niedriglohnbereich gehalten werden, nicht stimmen kann. Ansonsten würde man nicht mehrheitlich diese Anträge aus den alten Bundesländern in Konkurrenz zu den anderen Bezahlstrukturen gestellt haben.
Ich bin froh, dass auch aus Sachsen-Anhalt ausreichend Anträge gestellt worden sind. Es sind 15 Anträge. Das heißt, wir haben ein Antragsvolumen, das das, was für das Land Sachsen-Anhalt mathematisch herunterrechenbar wäre, deutlich überschreitet. Das Signal ist aber, dass die Anträge von der Qualität her aufgrund unserer mehrjährigen Erfahrung derart strukturiert sind, dass ihnen der Zuschlag erteilt werden könnte. Die Chancen, dass wir mit fast allen Anträgen, vielleicht sogar mit allen, durchkommen, stehen also sehr gut. Ich bin froh darüber.
Ich sage es noch einmal: Es wird ganz klar ein Modellverfahren, ein Modellprojekt auf Bundesebene administriert und für Sachsen-Anhalt demzufolge auch in der Fläche angeboten. Wir sollten es als Chance sehen im Sinne dessen, dass wir mit den Erfahrungen diese Projekte gut flankieren können, dass viele Arbeitslose in Beschäftigung kommen.
Letztlich könnten es in der vierten Stufe der Bürgerarbeit auf Deutschlandebene 33 000 sein, also 33 000 in Bürgerarbeit und 150 000 in der Aktivierung. Ich gehe davon aus, dass wir mit unseren Anträgen 15 mal 500 in der Bürgerarbeit mal 3, also mehrere tausend Personen - ich denke um viertausend, fünftausend Personen - in dieses System bekommen werden. Ende des Monats wird es dazu eine weitere Befassung im Bundesarbeitsministe
rium geben. Ich kann ganz klar sagen, dass wir uns bemühen, die entsprechenden Zahlen relativ schnell ins Netz zu bekommen und zu aktivieren.
Das, was ich an Anfragen und an entsprechenden Nachfragen aus dem Bereich der SGB-II-Grundsicherungsträger bekomme, ist nicht in irgendeiner Weise Kritik an dem System, sondern die ängstliche Nachfrage: Haben wir eine Chance, mitmachen zu können? - Weil der Bedarf bei uns so groß ist und auch der Druck so groß ist, dort Langzeitarbeitslose einbringen zu können, können wir nur hoffen, dass wir entsprechend der gerade gemachten Prognose gut bedient werden.
Unter dem Strich - das meine ich - ist es gut gewesen, dass wir diesen Versuch in Sachsen-Anhalt vor dreieinhalb Jahren gestartet haben. Die Konditionen, die sich auf Bundesebene ergeben haben, sind, denke ich, akzeptabel. Wir werden sehen, wie wir mit den dann bundesweit zu sammelnden Erfahrungen insgesamt umgehen, um nach den drei Jahren Bundesgesetze grundsätzlich anpassen zu können.
Für uns ist es ein Durchbruch und es ist ein Zeichen dafür, dass selbst in den Regionen, in denen die Arbeitslosenquote unter 5 % liegt, ein Bedarf für Langzeitarbeitslose zur Integration gesehen wird. Das vereinigt uns insgesamt mit den Interessenlagen in Deutschland. Sachsen-Anhalt sollte stolz darauf sein, dafür den Grundstein gelegt zu haben.
Wir kennen uns schon ein bisschen aus mit Bürgerarbeit, wir haben schon einige Erfolge erzielt. Das können wir nachweisen in Barleben, in Hecklingen und in Bad Schmiedeberg. Ich möchte das aufgreifen, was Frau Dirlich vorhin angesprochen hat, die Sanierung einer Bibliothek in Gerbstedt. Ich hatte das Vergnügen, zu einer Veranstaltung in Gerbstedt eingeladen zu sein. Dort wurde ein Film vorgeführt, der mich - das muss ich klar und deutlich sagen - betroffen gemacht hat.
Aber ich bewerte diesen Film jetzt im Nachgang folgendermaßen: Der Film bedient alle Klischees. Er bedient das Klischee, dass im Osten gesagt wird: Wie furchtbar! Der arme Kerl muss den Haufen Steine von der einen Seite auf die andere Seite räumen. Dazu kommen noch die Kommentare von denen, die sich in der Bürgerarbeit befinden.
Der westdeutsche Betrachter sieht den Film folgendermaßen: Siehst du, habe ich es doch gleich gewusst: Die im Osten sind alle faul.
Ich möchte noch eines hinzufügen: Wir haben in diesem Film die Bücherei gesehen, die vorher ein verfallenes Haus gewesen ist und sich in einem ganz schlimmen
Zustand befand und hinterher ein schmuckes Gebäude war, saniert, mit entsprechendem Mobiliar usw. Die Leute, die das gemacht haben, können mit Recht stolz darauf sein, dass sie das geschafft haben.
Ich gebe Frau Dirlich durchaus Recht: Wenn nachher dort Leute eingesetzt werden und arbeiten, die noch nie ein Buch in der Hand gehabt haben oder die zu Hause nicht lesen, dann sind sie vielleicht nicht an der richtigen Stelle oder aber sie lernen es durch ihre Tätigkeit.
Ich möchte ein weiteres Problem dieses Falls in Gerbstedt ansprechen: Nachdem die Veranstaltung fast zu Ende war, kam der Bürgermeister von Gerbstedt und sagte: Eines gehört zur Wahrheit hier in Gerbstedt auch dazu: 30 % der Bürger, denen Bürgerarbeit angeboten wurde, haben die Bürgerarbeit abgelehnt und sind demzufolge aus dem System ausgeschieden. - Das gehört zur Wahrheit dazu. Das dürfen wir nicht vergessen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir sagen: fördern und fordern. Das ist das, was wir uns in diesem Land vorgenommen haben. Ich denke, all diejenigen, die wirklich arbeiten wollen, finden in der Bürgerarbeit auch eine sinnvolle Beschäftigung.
Ich verweise noch einmal auf die Fernsehsendung vom Mittwoch. „Jojo“ hieß die: „Jobjournal“. Darin wurde auch noch einmal über die Bürgerarbeit in Deutschland bzw. hier im Land Sachsen-Anhalt berichtet.
Wenn wir hier so gute Erfahrungen mit der Bürgerarbeit gemacht haben, warum sollen wir das System dann nicht beibehalten und weiter ausfüllen? Warum sollen nicht andere, in anderen Bundesländern, von uns lernen? - Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Jahre nachdem mein werter Kollege KarlHeinz Paqué aus dem Landtag ausgeschieden ist, reden wir heute wieder über Bürgerarbeit. Ich glaube, Sie erinnern sich noch an die lebhaften Diskussionen.
Dabei begann das Modellprojekt in Sachsen-Anhalt recht unspektakulär. Erst im Jahr 2007, als die Medien über den beinahe sensationell anmutenden Rückgang der Arbeitslosenquote von 15 % auf 6 % in Bad Schmiedeberg berichteten, kündigte Arbeitsminister Haseloff, euphorisiert ob dieses Erfolges, eine massive Ausweitung der Bürgerarbeit an.
Ganze Landkreise sollten von der Bürgerarbeit profitieren. Das war sein Ziel. Herr Minister, Sie haben es sehr geschickt geschafft - das muss man Ihnen zugestehen -,
Sehr geehrte Damen und Herren! Nun erwarten Sie sicherlich, dass ich mich aus dieser vermeintlich schwierigen Lage herauswinde. Das muss ich aber nicht. Paqués Kritik richtete sich damals gegen die vierte Stufe der Bürgerarbeit, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wie Sie wissen, erfolgt auf den ersten drei Stufen die intensive Betreuung und Vermittlung der Arbeitslosen. Erst wenn all dies fehlschlägt, wird ihnen auf der vierten Stufe eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich angeboten.
Nun richtete sich die Kritik von Professor Paqué damals gegen die ursprünglich geplante unbefristete Einstellung der Arbeitslosen. Der Test hat gezeigt, dass die Befristung jetzt eingesetzt hat.
Oh, ich sehe, ich bin schon am Ende meine Redezeit. Dabei wollte ich mich zumindest noch einmal mit dem Antrag der LINKEN beschäftigen.
- Ja, ja, ich merke das schon. - Sie fordern in dem Antrag eine Freiwilligkeit der Bürgerarbeit. Dazu muss ich wirklich fragen: Wie naiv sind Sie an dieser Stelle?
Die Zahlen und auch die Erfahrungen mit den Pilotprojekten zeigen eindeutig, dass Zwang und auch Sanktionsmaßnahmen durchaus nützlich sind, um unter Beachtung des Abstandsgebots in Bezug auf den Lohn Beschäftigte in reguläre Bürgerarbeit zu bringen.
Der sozialpolitische Aspekt ist schon richtig: Menschen erhalten durch diese Arbeitspflicht wieder einen strukturieren Tagesablauf und das Gefühl, einer sinnlosen - nein: sinnvollen - Tätigkeit nachzugehen.