Protocol of the Session on June 18, 2010

wenn erfolgreiche Investitionen laufen, wenn investiert wird. Trotzdem muss man sich die Frage stellen, wie nachhaltig es an dieser Stelle ist.

Sie haben dazu das Beispiel Telekom angeführt. Diesem Beispiel will ich zwei Sätze voranschicken: Wir hatten vor zwei, drei Jahren die Diskussion im Landtag, als Telekom abgewandert ist und Arbeitsplätze verlorengegangen sind. Damals hat man keine Rücksicht auf die Realitäten im Lande genommen. Nun kommt Telekom wieder und Sie sagen, das geschah dank Ihres guten Verhältnisses zu René Obermann. Zu den Geldern komme ich gleich.

Vor wenigen Tagen hat Herr Röttgen zum Thema Solarindustrie erklärt: Wir halten es für unsozial, dass die Stromverbraucher und Privathaushalte eine zweistellige Kapitalrendite mit ihren Stromrechnungen finanzieren. Angesichts dessen frage ich mich: Warum muss ein Land Sachsen-Anhalt mit zweistelligen Millionenbeträgen eine dreistellige Millioneninvestition eines Konzerns, der weltweit sehr erfolgreich agiert, finanzieren? Das ist für mich die Frage.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Die Frage ist, wo die Arbeitsplätze hingehen!)

- Richtig, das ist die Frage: Wo gehen dann die Arbeitsplätze hin? Welche Unternehmensentscheidung wird an dieser Stelle gefällt? Deswegen sage ich als linker Wirtschaftspolitiker Ihnen noch einmal, dass man eben nicht nur nach den Renditeerwartungen agieren muss, sondern man muss den Komplex der wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen-Anhalt insgesamt im Auge haben.

(Herr Gürth, CDU: Was hätten Sie im konkreten Fall gemacht?)

Ich sage Ihnen: Seit 2002 wird in Sachsen-Anhalt eigentlich eine schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik betrieben,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und zwar konsequent bis heute - das mögen mir die sozialdemokratischen Genossen verzeihen. Aber an manchen Stellen hat es in Ihrer Koalition daran gefehlt, dass viel drängender auf die Probleme aufmerksam gemacht wird. Das haben Sie zum Teil gemacht, aber das hat nicht zu Veränderungen geführt. Denn ansonsten hätten wir nicht die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen, dann hätten wir nicht dieses Lohnniveau in Deutschland. Das will ich Ihnen noch einmal mit auf den Weg geben.

(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Dann hätten wir noch die Arbeitslosigkeit von Ih- rer Regierung!)

Was nützt es uns denn, wenn wir die Arbeitslosenzahlen künstlich nach unten treiben, wenn man Beschäftigungsverhältnisse schafft, und zwar unter dem Eingeständnis der Unternehmer, die sagen, wenn die 4,50 € nicht reichen, dann geht zum Arbeitsamt und holt euch die Aufstockungsbeträge.

(Herr Kosmehl, FDP: Ach, ach, ach!)

Das ist an dieser Stelle die Realität. Gerade Sie, die FDP , schimpft darüber, dass der Staat zu viel Sozialausgaben leisten muss. Aber es wird durch solche Subventionen wesentlich mit dazu beigetragen, die sozialen Sicherungssysteme zu belasten. Damit sollten wir aufhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Satz - ich habe noch 22 Sekunden -: Meine Damen und Herren! Linke Wirtschaftpolitik - -

(Herr Kosmehl, FDP: Ist falsch!)

In den nächsten Tagen, Monaten und Jahren werden wir sicherlich die Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Aber linke Wirtschaftspolitik ist für mich vor allem ein wichtiger Punkt. Wenn ich Wirtschaftspolitik betreibe, dann darf ich nicht betriebswirtschaftlich denken, dann muss ich volkswirtschaftlich denken; das fehlt in dieser Landesregierung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Herr Dr. Thiel. - Damit ist die Debatte beendet. Wir stimmen ab über die Drs. 5/2643. Ich glaube, es gab keinen Widerspruch, dass der Antrag in den Wirtschaftsausschuss überwiesen wird. Dann bitte ich um das Kartenzeichen, wer dafür stimmt, dass der Antrag in den Wirtschaftsausschuss überwiesen wird. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist der Antrag in den Ausschuss überwiesen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 30.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Erste Beratung

Ausgestaltung der Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2644

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dirlich für die Fraktion DIE LINKE. Bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe es gleich zu Beginn zu: Auch dieses Thema diskutieren wir heute nicht zum ersten Mal,

(Zustimmung von Herrn Grünert, DIE LINKE, und von Herrn Kosmehl, FDP)

und nicht einmal die Punkte, die in unserem Antrag stehen, diskutieren wir heute zum ersten Mal. Aber wir diskutieren es aus aktuellem Anlass. Wir diskutieren es, weil das Projekt Bürgerarbeit nun im Bund etabliert werden soll und weil der Streit über die Ausgestaltung dieser Bürgerarbeit schon längst ausgebrochen ist. Ich denke, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt sich hierzu positionieren sollte.

Wir haben die Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt von Anfang an kritisch begleitet und wir haben sie auch mehrfach, wie gesagt, im Landtag diskutiert. Unsere Position war von Anfang an ambivalent. Wir haben von Anfang an gesehen, dass das Projekt einem Ansatz folgt, den auch wir vorschlagen, nämlich die Leistungen von Hartz IV zusammenzufassen und sie statt als eine Sozialleistung als Arbeitsentgelt an die Betroffenen auszuzahlen und sie dabei in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt umzuwandeln.

Wir haben sehr wohl von Anfang an auch die positiven Aspekte dieses Projekts gesehen. Wir haben beispielsweise begriffen, dass es möglich ist, das Ausmaß von vorhandener, aber nicht geleisteter gesellschaftlicher Arbeit sichtbar zu machen. Wenn in einer Stadt wie Bad

Schmiedeberg 130 Personen in überwiegend sinnvolle Tätigkeiten vermittelt werden konnten, dann ist das ein Zeichen dafür, wie viel Arbeit bis dahin dort liegen geblieben ist. weil sie nicht bezahlt werden konnte oder weil die Wirtschaft nicht davon profitiert.

Wir haben zweitens gesehen, dass die Philosophie von Hartz IV aber gründlich über den Haufen geschmissen worden ist, nämlich der Glaube, die Leute besäßen zu wenig Motivation. Das haben wir daran gemerkt, dass unter den vielen - über 400 - Menschen, die dort aktiviert worden sind, gerade drei oder fünf waren, die sich geweigert haben, Arbeit anzunehmen. Für diese fünf Leute - man kann ausrechnen, wie viel das prozentual war, es ist ein Bruchteil - gibt es ein ganzes Gesetz. Großartig!

Wir haben selbstverständlich auch gesehen, dass das Selbstwertgefühl der nun ehemaligen Arbeitslosen dabei sehr wohl gewinnt.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Allerdings haben wir auch von Anfang an auf die Schwachstellen des Projekts aufmerksam gemacht. Wir haben nämlich gesagt, dass die Höhe des Einkommens so einfach nicht geht, weil sie die Betroffenen im System von Hartz IV festhält und weil das auch Absicht ist. Das war unser Kritikpunkt. Die Bürgerarbeit - das war der Grundsatz - darf nicht mehr kosten, als ohnehin ausgegeben werden muss. Interessant ist übrigens, dass dieser Spruch, den am liebsten die FDP zitiert, dass Arbeit mehr einbringen muss als Arbeitslosigkeit, wofür ich absolut bin, immer nur dann herausgekramt wird, wenn es darum geht, die Höhe der Sozialleistungen anzugreifen,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und nicht herausgekramt wird, wenn es darum geht, die Höhe der Einkommen anzugreifen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir haben des Weiteren von Anfang an kritisiert, dass die Beschäftigungsverhältnisse nicht voll sozialversichert sind. Auch das hält Betroffene im System Hartz IV fest, nämlich unter anderem deshalb, weil sie keine neuen Ansprüche auf Arbeitslosengeld I erwerben können. Auch das ist Absicht. Aber es ist auch ungerecht, wenn man bedenkt, dass Bürgerarbeit bis zu drei Jahre dauern kann und dass Menschen normalerweise bereits nach einem Jahr Arbeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I von mindestens einem halben Jahr erwerben.

Wir haben auch kritisiert, dass die Zuweisung in die Bürgerarbeit durch die Ämter geschieht und dass das ohne Wahlmöglichkeiten für die Betroffenen passiert. Da haben wir es mit sehr unterschiedlichen Problemen zu tun gehabt. Es kann immerhin sein, dass Menschen für bestimmte Tätigkeiten unterqualifiziert sind. Ich will jetzt niemandem zu nahe treten. Ich weiß nicht, ob Sie den Film gesehen haben, der über die Bürgerarbeit in Gerbstedt gemacht worden ist.

(Herr Gürth, CDU: Das ist ein Skandal!)

Wenn dort Menschen eine Bibliothek - -

(Herr Gürth, CDU: Noch arroganter aus westdeut- scher Brille kann man das gar nicht darstellen!)

- Entschuldigung, Herr Gürth, dass ich jetzt dran bin.

(Herr Gürth, CDU: Ganz schlimm, der Film! Dass Sie sich dafür hergeben, finde ich schlimm!)

- Ich will das gerade kritisieren, Herr Gürth. Wenn Sie bis zum Ende zugehört hätten, hätten Sie sich den Zwischenruf schenken können.

Wenn Menschen eine Bibliothek aufbauen sollen, die selten Bücher lesen, kann man das durchaus ambivalent sehen. Es war keine begleitende Qualifikation vorgesehen. Es ist aber auch eine Überqualifikation möglich oder es ist möglich, dass Leute gar nicht die soziale Kompetenz haben, zum Beispiel Beratungs- oder Betreuungstätigkeit durchzuführen, weil sie selber Beratung und Betreuung brauchen. Aber auch das ist in dem Projekt nicht berücksichtigt worden. So kommt es zu Frustrationen und so kommt es auch dazu, dass Menschen Arbeit ablehnen, und dann kommt es leider zu Sanktionen. Das ist möglicherweise eines der Ziele des Projekts gewesen und auch das kann man nur kritisieren.

Aus all diesen Problemen resultiert unser Antrag. Sie finden zu den benannten Problemen unsere Vorschläge. Wir halten den Antrag auch deshalb für notwendig, weil schon jetzt sichtbar wird, dass das Bundesprojekt unter den gleichen Bedingungen stattfinden soll wie das Modellprojekt in Sachsen-Anhalt.

(Frau Take, CDU: Und das ist gut so!)

Um einigen Argumenten gleich von Anfang an zu begegnen: Frau Take, Sie haben selbstverständlich vollkommen Recht, wenn Sie sagen, Sie könnten niemandem erklären, warum eine Frisörin mit einem Tarifabschluss und einer 40-Stunden-Woche weniger verdient als ein Bürgerarbeiter mit 30 Wochenstunden in einer Arbeitsmaßnahme.

Genau! Genau das können Sie niemandem erklären. Aber mein Problem ist - ich wiederhole das und werde es noch eine Million Mal tun, wenn es nötig ist -, dass Sie die Höhe des Einkommens des Bürgerarbeiters angreifen und sich nicht um das Einkommen der Frisörin kümmern.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Frau Take, CDU)