Protocol of the Session on June 18, 2010

Aber ich mache mich doch vor Ihnen nicht lächerlich - Sie warten doch bloß auf solche Sachen - und komme zu Ihnen und sage, wir werden uns nicht einig, was sagt Ihr dazu? So geht es nicht. Das ist kein ordentliches Abarbeiten eines solches Problems.

Deswegen wird das schrittweise gemacht. Zunächst muss die Koalition sich für eine Person entscheiden. Dann werden wir für diese Person werben gehen. Ich denke, dass die Entscheidung des Landtages eine Selbstverständlichkeit sein wird, wenn die Mehrheiten sicher sind. Ich bin sehr daran interessiert, dass wir diesen Personalentscheidungsvorgang ohne Verletzungen von Personen oder des Amtes abschließen können. Ich rechne dabei mit der Hilfe aller Fraktionen in diesem Hohen Haus. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Wir kommen zu den Debattenbeiträgen. Zunächst spricht Herr Miesterfeldt für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sein Wissen über das verbrecherische Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit auffrischen möchte, dem empfehle ich, sich das 16. Forschungsheft des Bürgerkomitees über die Stasi-Spitzel im Gesundheitswesen vorzunehmen, das heute in der „Volksstimme“ vorgestellt wird.

Landesregierung und Landtag haben gemeinsam die Aufgabe, diese Funktion, nämlich die des Landesbeauf

tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, und potenzielle Bewerber für diese Funktion nicht weiter zu schädigen. Wir erinnern uns vermutlich alle gern an die ruhige, aber sehr effiziente Amtsführung von Frau Edda Ahrberg. Wir sind uns vermutlich auch darin einig, dass Herr Ruden dem Amt ohne Zweifel sehr geschadet hat. Die Neubesetzung dieses Amtes darf dem nicht noch einen draufsetzen.

Wir alle wissen - so ist es im Ausführungsgesetz beschrieben -, wie der Landtag nach Vorschlag der Landesregierung zu einer Neubesetzung dieser Funktion kommt. Das ist die Pflicht, der wir uns stellen müssen. Dabei hat die Koalition sicherlich auch eine Vorlagepflicht. Aber - Herr Kosmehl hat es richtig ausgeführt - es geht auch darüber hinaus und wir müssen uns dann auf einen Kandidaten einigen.

Dass zu solchen Einigungsprozessen Absprachen gehören, wissen wir alle, die wir lange genug in der Politik tätig sind. Ich glaube, wir sollten auch nicht immer dann, wenn es der andere macht, von „Kuhhandel“ sprechen, und wenn man es selbst macht, von „Absprachen“. Es geht um Absprachen.

(Zustimmung von Frau Grimm-Benne, SPD)

Es gibt - das ist, so glaube ich, auch klar - respektable Bewerber auf dieses Amt, das - das muss man deutlich sagen - auch politisch ist. Es gibt respektable Bewerber auf dieses politische Amt, die den beamtenrechtlichen Anforderungen entsprechen, sodass ein Beamter oder eine Beamtin auf Zeit eingesetzt werden kann. Wir sollten uns auch nicht an der Diskussion beteiligen, die derzeit in der Öffentlichkeit geführt wird, wonach es hierbei um Versorgungen geht. Soweit ich den größten Teil der Bewerber kenne, sind sie alle versorgt.

Die SPD hat Herrn Stockmann angehört. Die SPD wird auch Herrn Sielaff anhören. Die SPD hat sich mit großer Mehrheit einstimmig für Herrn Stockmann ausgesprochen.

(Herr Kosmehl, FDP: Ohne Herrn Sielaff gehört zu haben!)

Wir sind persönlich bzw. über die Öffentlichkeit und über die Medien oft gefragt worden, wie wir dazu kommen, einen ausgewiesenen Verkehrs- und Europaexperten für diese Funktion ins Kalkül zu ziehen. Darauf gibt es eine ganz klare Antwort: Herr Stockmann war 15 Jahre lang in der DDR-Opposition. Er hat eine Stasi-Opfer-Akte, die 2 400 Seiten umfasst. Die Stasi hat sein Leben und Wirken als politische Untergrundtätigkeit eingestuft. 20 IM waren auf ihn angesetzt.

Er hat eine Karriere bei der Bauakademie beendet, um sich in den poltisch-philosophisch-theologischen Bereich zu begeben. Er hat illegale internationale Konferenzen organisiert. Er war Mitbegründet der Bewegung „Solidarische Kirche“, die sich an die Solidarność aus Polen anlehnte. Er hat die friedliche Revolution im Jahr 1989 ganz wesentlich mitgestaltet.

Viele Menschen, die in der DDR Opfer gewesen sind, haben es schwer, zu dieser Zeit und zu ihrer eigenen Geschichte einen Abstand zu gewinnen, und es würde ihnen dann auch schwerfallen, eine solche Funktion auszufüllen. An Uli Stockmann habe ich es immer geschätzt, dass er sein Leben vor 1989 bzw. bis 1989 nicht als Türöffner für die Funktion genutzt hat, die er danach eingenommen hat, und dass er die Tatsache, dass er

Opfer war, nicht als Monstranz vor sich hergetragen hat, sondern dies mit einer richtigen Distanz gesehen hat, die ihn in die Lage versetzt, sowohl mit Tätern als auch mit Opfern umgehen zu können.

Ich möchte dem Ministerpräsidenten ausdrücklich zustimmen, dass wir uns gemeinsam der Aufgabe stellen wollen, eine zügige Entscheidung herbeizuführen, die möglichst bei der nächsten Sitzung des Landtages getroffen werden sollte. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank für Ihren Debattenbeitrag, Herr Miesterfeldt. Es gibt eine Nachfrage. - Herr Kosmehl, bitte.

Herr Präsident, ich habe keine Nachfrage, sondern eine kurze Intervention.

Dann intervenieren Sie bitte.

Sehr geehrter Herr Miesterfeldt, der Ministerpräsident und ich haben es in unseren Redebeiträgen ausdrücklich vermieden, die in der Öffentlichkeit in Rede stehenden Bewerber zu benennen und zu gewichten. Ich finde es schade, dass Sie dieser Versuchung nicht widerstanden haben.

(Zustimmung bei der FDP und von Frau Feußner, CDU)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Debattenbeitrag der Fraktion DIE LINKE. Der Abgeordnete Herr Gallert hat das Wort. Bitte schön.

Die FDP hat eine Aktuelle Debatte beantragt, die sie im Wesentlichen damit begründet hat, dass das bisherige Verfahren der Besetzung dieses wichtigen Amtes des Landesbeauftragten dazu geeignet war, das Amt und möglicherweise auch Bewerber in Misskredit zu bringen.

Ich sage es von vornherein: Ja, Herr Kosmehl, diese Einschätzung teilen wir weitestgehend. Allerdings liegen wir an einer anderen Stelle auseinander. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie mit einer Aktuellen Debatte in diesem Hohen Haus diese Situation wirklich verbessern?

(Beifall bei der LINKEN)

Diesbezüglich besteht Skepsis. Ich will trotzdem versuchen, inhaltlich auf einige Aspekte einzugehen. Zunächst will ich sagen: Ja, wir brauchen auch in diesem Land Sachsen-Anhalt diese Landesstelle. Wir brauchen Sie deshalb - das ist von meinen Vorrednern mehrfach betont worden -, weil es leider immer noch viel zu viele Menschen gibt, die schwer an ihrem Opferschicksal in der DDR tragen, die bleibende Wunden erlitten haben und die mit diesen Wunden auch heute schwer zu kämpfen haben.

Sie brauchen eine Beratungsstelle, die sich explizit um sie kümmert; sie brauchen Anlaufstellen. Dafür ist diese

Stelle auch weiterhin wichtig und es wird nicht eine Frage von wenigen Jahren sein, dass man eine solche Stelle nicht mehr braucht. Wahrscheinlich wird es noch Jahrzehnte dauern.

Diese Stelle soll auch - das sage ich hier ganz deutlich - zumindest eine Anlaufstelle für diejenigen sein, die sich aufgrund einer anderen Situation in der DDR durchaus selbstkritisch vielleicht einmal mit ihrer eigenen Biografie auseinandersetzen wollen, also diejenigen, die manchmal sehr schnell als Täter bezeichnet werden.

Ich würde das aber erweitern, da gerade dieses politische System in der DDR sehr viel differenzierter gewesen ist und eine einfache Täter-Opfer-Definition manchmal gar nicht funktionieren kann. Dafür war Herr Ruden ein hervorragendes Beispiel. Daher würde ich sagen, diese Stelle soll auch versuchen, mit den Verantwortlichen für das politische System der DDR und auch mit seinem Repressionsapparat zu arbeiten, um eine wirkliche Aufarbeitung zu realisieren und um auch hier und da zu helfen, eine selbstkritische Reflexion einzunehmen.

Ich weiß, das ist schwer; denn dann müsste der erste Schritt von den Betroffenen selbst ausgehen, und das passiert sehr selten. Aber es gibt Fälle, in denen das der Fall ist. Gerade dies könnte in der Perspektive mit einem größer gewordenen Abstand zur Geschichte an Bedeutung gewinnen. Deswegen brauchen wir auch weiterhin diese Behörde und deswegen braucht diese Behörde einen Leiter. Damit kommen wir zu dem Problem.

Die Ursache für die Situation, die wir beklagen, ist nicht zuallererst der bisherige Gang des Besetzungsverfahrens. Die Ursache dieser sehr angespannten und emotionalen Debatte, die heute bei Weitem nicht so emotional geführt worden ist, wie sie an anderen Stellen geführt worden ist, ist das Verhalten des letzten Leiters dieser Behörde, ist das Verhalten des letzten vorgeschlagenen Bewerbers der Koalition von CDU und FDP, ist das Verhalten des Herrn Ruden. Wer damals in diesen Entscheidungsprozess involviert gewesen ist, der wusste, dass bereits zu diesem Zeitpunkt erhebliche Bedenken gegen den Bewerber existiert haben. Wir haben uns mehrheitlich darüber hinweggesetzt, zum Teil auch meine Fraktion. Auch ich habe ihn gewählt.

Es war ein ausdrücklicher Fehler; man hätte es nicht tun dürfen. Aber auch wir - das sage ich Ihnen mit aller Deutlichkeit - lernen aus Fehlern, auch dann, wenn sie von einer Koalition als Personalvorschlag aufgenommen worden sind. Das wird auch für die Zukunft gelten. Deswegen sage ich ausdrücklich: Ein Vorschlag, der allein in der Koalition ausgedacht wurde, hat noch lange nicht die Garantie unserer Zustimmung in der Perspektive.

Deswegen will ich etwas zum Kollegen Ruden sagen; denn die Empörung über sein Verhalten, spätestens im Interview der „Volksstimme“, war zwar einhellig, aber eine echte Diskussion, eine echte Bewertung dessen, was wirklich passiert ist, gab es zumindest nicht in diesem Haus.

Ich will auf ein Problem aufmerksam machen, dass in dem Verhalten des Herrn Ruden sehr deutlich geworden ist. Ich mache das deswegen, weil es eben nicht nur die Person des Herrn Ruden betrifft. Bei Herrn Ruden ist Folgendes klar geworden:

Auf der einen Seite gab es eine sehr radikale und eine sehr eindeutige Verurteilung des politischen Systems

der DDR und all derjenigen, die dafür verantwortlich waren. Das war an vielen Stellen eine sehr selbstgerechte Verurteilung; das sage ich mit aller Deutlichkeit. Gleichzeitig fehlte ihm jedes, aber auch wirklich jedes Unrechtsbewusstsein, was seine eigene Biografie anbelangt hat. Das ist der Widerspruch, der bei Herrn Ruden deutlich zutage getreten ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Aber ich sage mit aller Deutlichkeit: Das ist bei der Aufarbeitung von DDR-Vergangenheit nicht nur das Problem des Herrn Ruden. Das ist ein Problem, das weit über die Person des Herrn Ruden hinausreicht. Das ist ein Problem, das nicht nur Personen, sondern manchmal auch Institutionen und Parteien haben.

Ich habe nicht wenige Debatten in diesem Landtag erlebt, bei denen ich mir die Frage gestellt habe, ob derjenige, der vorn steht und so radikal über die DDR und die Verantwortlichen in diesem Staat geurteilt hat, die moralischen Grundsätze, die er einklagt, wirklich auch in seinem eigenen Leben, in seiner eigenen Biografie durchgehalten hat und ob er dem vor 1989 und nach 1989 immer gerecht geworden ist. Ich habe sehr oft Zweifel daran gehabt in diesem Hohen Haus.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen ist es vielleicht nicht nur wichtig, wie Sie es gestern gesagt haben, Herr Scharf, dass wir uns gegenseitig die Frage nach der Biographie und nach unserem Wirken in der Vergangenheit stellen. Nein, das tun wir seit 20 Jahren. Wir sollten vielmehr darauf orientieren, uns selbst nach unserer eigenen Biografie, unserer eigenen Verantwortung

(Frau Feußner, CDU: Warum lassen Sie sich denn nicht überprüfen?)

und nach unserem eigenen Tun in dieser DDR zu fragen und selbstkritisch zu hinterfragen. Nicht immer nur den anderen; nein, manchmal auch sich selbst, Frau Feußner.

(Beifall bei der LINKEN - Frau Feußner, CDU: Hohn! Hohn! Hohn! - Weitere Zurufe von der CDU)

Das ist das Problem, das bei dem Verhalten von Herrn Ruden besonders deutlich geworden ist uns das wir möglicherweise in dieser Gesellschaft nicht nur bei Herrn Ruden hatten.

Dabei geht es bei Weitem nicht nur um die Frage einer IM-Tätigkeit. Dabei geht es bei vielen um sehr viel mehr in ihrer eigenen Biografie und ihrer eigenen Tätigkeit; denn dieses System hat man nicht nur über die IM-Tätigkeiten stabilisiert. Das konnte man auch an ganz anderen Stellen, in ganz anderen Funktionen und mit ganz anderen Tätigkeiten stabilisieren.

Nun stellt sich die Frage: Wie weiter? Wie weiter auch mit dieser Funktion und mit dieser Landesstelle? - Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein Problem bei dem Herangehen an die Besetzung dieser Stelle aufmerksam machen. Das kommt in Folgenden zum Ausdruck: Für die Besetzung dieser Stelle braucht es im Landtag eine Zweidrittelmehrheit.