Protocol of the Session on June 18, 2010

Ich möchte die Sitzung jetzt für eine einstündige Mittagspause unterbrechen.

(Zurufe: Was? - Eine Stunde? - Unruhe)

- Wenn der allgemeine Wunsch besteht, dass wir nur für 45 Minuten unterbrechen, dann treffen wir uns um 15 Uhr wieder. Die Sitzung wird um 15 Uhr fortgesetzt.

Unterbrechung: 14.16 Uhr.

Wiederbeginn: 15.01 Uhr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir setzen unsere Beratung fort. - Bitte.

Herr Präsident, ich habe kurz mit den PGF der anderen Fraktionen gesprochen. Wir würden gern Tagesordnungspunkt 33, betreffend das Planfeststellungsverfahren Saale-Seitenkanal, von der Tagesordnung nehmen, weil sich gestern Abend und heute Morgen ein anderer Sachverhalt ergeben hat, der den Antrag schlicht obsolet macht. Wir würden ihn gern zurückziehen, weil ich glaube, dass wir uns nicht mit etwas beschäftigen müssen, was erledigt ist.

(Beifall)

Gibt es allgemeine Zustimmung? - Es gibt Beifall. Dann nehmen wir den Punkt 33 von der Tagesordnung.

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Aktuelle Debatte

Besetzungsverfahren Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2664

Es ist eine Redezeit von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Die Fraktionen reden in der Reihenfolge FDP, SPD, DIE LINKE und CDU. Zunächst erteile ich für die Antragsteller dem Abgeordneten Herrn Kosmehl das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 17. Juni 1953 gingen Tausende Menschen in der DDR auf die Straße und brachten ihre Ablehnung gegen zentrale Normvorgaben zum Ausdruck. Viele haben diese freiheitliche und demokratische Meinungsäußerung mit dem Leben oder der Unfreiheit bezahlt.

In der Folge begann das Misstrauen der Staats- und Parteiführung gegenüber seinen Bürgern. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte ein Zitat einführen aus einer Plenardebatte des Deutschen Bundestages. Der FDP-Abgeordnete Deutschmann sagte dort Folgendes:

„Das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS, war das wichtigste Unterdrückungsorgan in den Händen der herrschenden SED. Sie war das so genannte Schild und Schwert der Partei. Rechtsstaatliche und moralische Werte wurden durch die Stasi außer Kraft gesetzt und das Leben der Opfer wurde buchstäblich aus den Angeln gehoben. Die Stasi manipulierte, ruinierte und zerstörte zahlreiche Existenzen. Zehntausende unschuldige Menschen erlitten als Opfer der Stasi in den Gefängnissen körperliche und seelische Gewalt.“

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

„Sie sind noch heute von dem Narben des StasiTreibens gezeichnet. Solche Narben auf der Seele heilen eben schwer.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Amt des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt ist auch heute, 20 Jahre nach der Wende und nach der deutschen Einheit, von großer Bedeutung. In den Jahren 2008 und 2009 gingen 763 bzw. 1 019 Anträge nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ein. Weiterhin war im Jahr 2009 ein starker Anstieg im Bereich der Bürgerberatungen auf ca. 2 800 Fälle zu verzeichnen.

Dazu hat der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse in der Plenardebatte im Januar im Bundestag Folgendes gesagt:

„Das Thema ist nicht erledigt. Das überraschend anhaltende Interesse Betroffener an der Einsicht in die Akten - damit konnte man nicht rechnen, dass auch nach 20 Jahren so viel Interesse an den Akten besteht - erinnert uns daran.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Amtszeit des bisherigen Landesbeauftragten endete am 14. Juni 2010. Diese Tatsache, nämlich das Ende der Dienstzeit, ist und war allen Beteiligten seit Langem bekannt.

Im April dieses Jahres trat der bisherige Landesbeauftragte Herr Ruden zurück. Es folgte der Rücktritt vom Rücktritt am 7. April. Der Fraktionsvorsitzende der FDPLandtagsfraktion Veit Wolpert erklärte hierzu - ich zitiere -:

„Herr Ruden beschädigt mit seinem Rücktritt vom Rücktritt das Amt des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in erheblichem Maße. Sein Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht der Opferverbände in unserem Land.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens seit diesem 7. April 2010 ist die Landesregierung aufgefordert gewesen, für die Nachfolge des Landesbeauftragten Sorge zu tragen. Heute nun, am 18. Juni 2010, also vier Tage nach dem Ende der regulären Dienstzeit, ist immer noch wenig passiert. Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, es hat ein Auswahlverfahren gegeben, bei dem sich mehr als 100 Bewerber für dieses Amt gemeldet haben. Das Ministerium der Justiz hat eine Auswahl vorgenommen.

Wir Liberalen haben mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass es der Landesregierung bisher nicht gelungen ist, sich im Kabinett auf einen Bewerber zu einigen und diesen Bewerber den im Landtag vertretenen Parteien vorzuschlagen, damit die Wahl hier im Hohen Hause rechtzeitig über die Bühne gehen konnte.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Unerhört!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Folge dieser Unfähigkeit, sich zu einigen, wäre, dass der Landesbeauftragte als amtierender Landesbeauftragter so lange bei vollen Bezügen im Amt bleibt, bis der Landtag einen Beschluss über seinen Nachfolger gefasst hat.

Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, - das war auch allen Beteiligten klar - kann eben erst in der nächsten Sitzung geschehen, sofern sich das Kabinett bis dahin geeinigt hat.

Auch die Tatsache, dass der Ministerpräsident in der Zwischenzeit tätig geworden ist und Herrn Ruden entlassen hat, löst das vorhandene Problem nur teilweise. Die Konsequenz ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass es in Sachsen-Anhalt derzeit keinen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gibt. Das ist angesichts des noch immer feststellbaren Beratungsbedarfs und angesichts der gerade in diesem Jahr zahlreich stattfindenden Veranstaltungen und Erinnerungsveranstaltungen einfach nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der derzeitige Umgang mit der Frage der Nachfolge von Herrn Ruden durch die Regierungskoalition von CDU und SPD befremdet uns Liberale. Die Art und Weise der Diskussion in der Öffentlichkeit beschädigt sowohl die Bewerber als auch das Amt.

Wir Liberalen wünschen uns eine schnelle Entscheidung hinsichtlich der Neubesetzung des Amtes des StasiBeauftragten. Für uns muss bei der Bewertung der Eignung für das Amt die Sensibilität des Landesbeauftrag

ten für die Zusammenarbeit mit Opfern und Opferverbänden im Vordergrund stehen. Es muss verhindert werden, dass weiterhin der Eindruck entsteht, dass beim Besetzungsverfahren parteipolitisches Taktieren oder ein Kuhhandel stattfindet, wie es in weiten Phasen der öffentlichen Berichterstattung der Fall war.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erwarte hier mehr Feingefühl in der Regierungskoalition, um die zukünftige Arbeit des Landesbeauftragten und das Ansehen des Amtes nicht weiter zu beschädigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU und der SPD im Landtag von Sachsen-Anhalt haben keine qualifizierte eigene Mehrheit für die Neubesetzung der Position des Landesbeauftragten.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist auch gut so!)

Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen die FDP. Wir sind bereit, uns den von der Landesregierung vorgeschlagenen Kandidaten anzuhören, um dann zu prüfen, ob auch wir diesen von der Landesregierung als geeignet eingestuften Kandidaten unterstützen können.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Böhmer, wir fordern Sie hier und heute auf: Handeln Sie endlich und sorgen Sie so dafür, dass die Neubesetzung des Amtes des Landesbeauftragen endlich auf den Weg kommt, damit die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land endlich wieder einen Ansprechpartner haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kosmehl, für Ihren Redebeitrag. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt dem Herrn Ministerpräsidenten Professor Böhmer das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir können, aber müssen uns nicht an dieser Stelle und in diesem Hohen Haus die Bedeutung des Amtes und die Funktion gegenseitig erklären. Ich unterstelle uns allen, dass wir das wissen. Der Antragsteller, die FDPFraktion, schreibt am Ende der Begründung, dass es ihr wichtig sei, dass weder ein Bewerber noch das Amt beschädigt wird. Genau aus diesem Grunde bin ich heute nicht in der Lage, dem Hohen Haus einen Personalvorschlag zu machen. Dass dies unsere Aufgabe ist, wissen wir auch.

Sie haben den Verlauf auch hinsichtlich der Daten und der einzelnen Probleme, die in diesem Zusammenhang aufgetreten sind, korrekt beschrieben. Es ist richtig, dass sich auf die Ausschreibung etwa 100 Bewerber gemeldet und beworben haben. Das zuständige Justizministerium hat eine Auswahl getroffen und dem Kabinett Vorschläge unterbreitet.

Schon bevor die ganze Problematik virulent wurde und die Ausschreibung erfolgt ist, haben wir in der Koalition vereinbart, dass wir nicht mit einem Personalvorschlag in den Landtag gehen, also zu Ihnen, bevor wir nicht die Zusicherung der Fraktionen haben, dass dieser Bewerber auch mitgetragen wird. Wir haben das getan, weil wir weder das Amt noch eine Person durch ein unabgesichertes Wahlverfahren beschädigen wollten.

Ich werde alle Fraktionen informieren und ansprechen, wenn es so weit ist, weil wir auch zählen können und wissen, dass die beiden Koalitionsfraktionen diese Zweidrittelmehrheit nicht zusammenbekommen. Aber wir haben noch keinen Konsens über eine Person hergestellt, weil unter den 100 Bewerbern mehrere geeignete Kandidaten sind. Der eine ist ein kleines bisschen mehr geeignet als der andere. Die Entscheidung darüber ist nicht ganz einfach und hängt auch mit den unterschiedlichen Entscheidungsprioritäten in den einzelnen Fraktionen zusammen.

Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, dass wir versuchen werden, diesen Entscheidungsprozess so schnell wie möglich herbeizuführen. Aber wir können ihn nicht erzwingen. Das wissen Sie auch. Sobald dieser Entscheidungsprozess abgeschlossen ist, geht die ganze Sache ihren Weg.

Ich hoffe wirklich intensiv, dass dieser Entscheidungsprozess bald abgeschlossen werden kann. Ich kann Ihnen aber nicht zusagen, dass wir Ihnen bereits im Vorfeld der nächsten Landtagssitzung einen Personalvorschlag machen können.

Aber ich habe es abgelehnt und lehne es weiterhin ab, mit einem unsicheren oder vielleicht sogar, was nicht mit dem Gesetz übereinstimmen würde, zwei unterschiedlichen Vorschlägen in den Landtag zu gehen und zu sagen, nun schauen wir mal, was wird. So kann man das Amt und auch Personen beschädigen und keiner der Bewerber hat das verdient. Genau wegen dieses sensiblen Umgangs mit dem Amt und mit den Personen haben wir uns so lange Zeit gelassen, bis wir in Gesprächen mit den Koalitionsfraktionen und mit den beiden Oppositionsfraktionen die Sache geklärt haben.

Aber ich mache mich doch vor Ihnen nicht lächerlich - Sie warten doch bloß auf solche Sachen - und komme zu Ihnen und sage, wir werden uns nicht einig, was sagt Ihr dazu? So geht es nicht. Das ist kein ordentliches Abarbeiten eines solches Problems.