Durch den folgerichtigen Zusammenbruch des RGW verlor die Wirtschaft in Ostdeutschland fast über Nacht ihre angestammten Partner. Die Absatzmärkte fielen abrupt weg. 10 % der Gesamtbeschäftigten der ehemaligen DDR arbeiteten für den Export in das RGW-Gebiet. Der Wegfall dieser Arbeitsplätze ist bis heute eine schwere Hypothek.
Ferner - ich glaube, die meisten in diesem Raum werden das auch für sich zugeben müssen - veränderten wir über Nacht unser Kaufverhalten: Ostprodukte waren out, Westprodukte waren in - nach 40 Mangeljahren ein verständliches Verhalten.
Die Folgen dieser Schocktherapie waren, dass wir in Sachsen-Anhalt bis heute über eine unzureichende Wirtschaftsstruktur verfügen. Uns fehlt die Großindustrie. Wir haben keine großen Player im Lande.
Aber es gelang uns auch, aus dieser Not eine Tugend zu machen. In Sachsen-Anhalt sind viele kleine hochspezialisierte Betriebe entstanden. Obwohl sie häufig Zulieferer sind, sind sie aufgrund ihrer Spezialisierung relativ krisensicher. In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich das zumindest bis jetzt auch so dargestellt.
Eine Erfolgsgeschichte war die Rettung der Chemieindustrie. Sicherlich hat die mühsame Anpassung an die Bedingungen des Weltmarktes viele Arbeitsplätze gekostet. Grundlage dieses Erfolgs war die damals auch nicht ganz unumstrittene Errichtung der Industrieparks.
Es ist nicht übertrieben, wenn wir heute mit einem gewissen Stolz sagen können: Wir in Sachsen-Anhalt haben sie erfunden. Wir wurden damit Vorreiter des Strukturwandels in der Chemieindustrie in Deutschland und in Europa. Es entstanden hochkomplexe und arbeitsteilige Standorte der modernen chemischen Industrie.
Ich erinnere an dieser Stelle sehr gern an unseren leider viel zu früh verstorbenen Wirtschaftsminister Klaus Schucht. Sachsen-Anhalt hat einen guten Teil dieser Entwicklung ihm zu verdanken.
Ohne ihn und seine guten nationalen und internationalen Kontakte wäre manche Strukturentscheidung so nicht gefallen. Sie erinnern sich an die Privatisierung des Buna-Komplexes, an den Bau der Erdölraffinerie Leuna, an die Errichtung der Papierfabrik Arneburg, an die Entstehung der Zitronensäureanlage in Zeitz. Sie erinnern sich an die Bedeutung der Standorte für die Herstellung hochwertigen Glases. Ich denke gern an den Menschen Klaus Schucht. Ich habe viel von ihm gelernt.
Auch die Holzindustrie und die Modernisierung der Nahrungsgüterindustrie sind damals in der Zeit zwischen 1994 und 2002 auf den Weg gebracht worden. Aber es bleibt auch für die Zukunft unsere Aufgabe, Großindustrie anzusiedeln, die mittelständischen Unternehmen zu stärken und die Wachstumskerne in den Regionen zu entwickeln.
Meine Damen und Herren! Wir haben es noch nicht geschafft, allen Menschen in Sachsen-Anhalt eine befriedigende Perspektive zu geben. Trotz des großen Einsatzes von finanziellen Mitteln im Rahmen der Arbeitsmarktprogramme ist die Abfederung dieser enormen Arbeitslosigkeit infolge des Zusammenbruchs der DDR eher schlecht als recht gelungen.
Bei zu vielen Menschen hat der Verlust des Arbeitsplatzes eben auch zum Verlust der sozialen Bindungen und Beziehungen geführt. Wir haben viele Menschen, die bereits so lange nicht mehr gearbeitet haben, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt nur sehr schwer möglich ist. Diese Probleme häufen sich in bestimmten Bevölkerungsgruppen besonders, zum Beispiel bei alleinerziehenden Frauen und älteren Arbeitslosen.
Sie werden sich mit dem Auslaufen des Solidarpakts und des ESF-Programms noch zusätzlich verschärfen. Es muss uns gelingen, diese Instrumente für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik zu erhalten. Die heutigen aktuell besseren Zahlen sind ein Grund zur Freude, aber nur ein begrenzter Grund. Viele Menschen, die Anfang der 90er-Jahre arbeitslos wurden, kommen heute in das Rentenalter und fallen somit aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Viele von ihnen werden jedoch die Zahl der Menschen in Altersarmut vergrößern. Eine große gesellschaftliche Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte kommt damit auf uns zu.
Meine Damen und Herren! Die Altersarmut betrifft das Ende der Lebensspanne. Die Bildungsarmut steht am Anfang. Es darf nicht sein, dass 25 % der Jugendlichen die Schule mit einem Abschluss unter dem Niveau der 10. Klasse verlassen. Sie haben keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Das ist tragisch für sie persönlich. Ihnen fehlt damit die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben.
Das ist auch tragisch für die sozialen Sicherungssysteme. Sie verkraften eine dauerhafte Alimentierung eines Viertels der Bevölkerung nicht. Das ist tragisch für die wirtschaftliche Entwicklung; denn die Wirtschaft, das Handwerk, die Landwirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe sind auf Fachkräfte und auch auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen. Die demografische Entwicklung wird dies in einer für uns vielleicht noch unvorstellbaren Form verschärfen.
Die Bildung war in dem jungen Land Sachsen-Anhalt immer ein heiß umstrittenes Thema. Alle, die in den vergangenen 20 Jahren politische Verantwortung getragen haben, hinterließen dabei ihre Spuren. Es waren nicht nur zielführende.
Der erste und vielleicht größte Fehler war die unkritische Übernahme des gegliederten Schulsystems zu Beginn der 90er-Jahre.
Weil sich solche Fehler nicht wiederholen dürfen, sehe ich den Bildungskonvent sehr positiv. Wir haben uns drei Jahre lang Zeit genommen, haben die Vor- und Nachteile unseres Bildungssystems intensiv diskutiert und sind zu guten Ergebnissen gekommen,
manchmal einmütig, immer mit einer großen Mehrheit. Weil die Ergebnisse von einer so breiten Mehrheit getragen werden, setze ich darauf, dass die Beschlüsse des Bildungskonvents umgesetzt werden.
- Darüber können wir in Bälde eine Aktuelle Debatte führen, lieber Kollege Tullner. Denn dann können wir in 20 Jahren nicht nur sagen, dass die Schüler in SachsenAnhalt gut lernen, sondern auch, dass wir Politiker aus unseren Fehlern gelernt haben.
Meine Damen und Herren! Die vergangenen 20 Jahre unseres Landes Sachsen-Anhalt waren auch eine Geschichte der Haushalte.
Alle politischen Kräfte in diesem Hohen Haus haben mit der Neuverschuldung und dem Vorwurf der Mittelverschwendung kämpfen müssen. Aber eines sage ich sehr bewusst und sehr deutlich: Mit den ausgegebenen Mitteln wurde auch viel für die Gegenwart und Zukunft unseres Landes bewegt und getan.
Wir stellen uns auch den großen finanzpolitischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Ich bin überzeugt davon, dass wir diese auch meistern werden. Der Präsident des Landesrechnungshofes schlug jüngst vor, wir sollten uns ein Beispiel an Schleswig-Holstein nehmen und eine Haushaltsstrukturkommission einrichten. Es bleibt sein Geheimnis, warum wir uns das Schlusslicht in Deutschland zum Vorbild nehmen sollen.
Selbstverständlich gibt es in Sachsen-Anhalt einen enormen Konsolidierungsbedarf. Aber diese Landesregierung hat mit dem dafür zuständigen Finanzminister ihre Hausaufgaben wesentlich besser gemacht als dies zum Beispiel in Schleswig-Holstein gelungen ist. Die ausgeglichenen Haushalte der Jahre 2007, 2008 und 2009 belegen das eindrucksvoll. Das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushaltes haben wir in Sachsen-Anhalt bereits erreicht; das hat uns der Stabilitätsrat ausdrücklich bescheinigt.
- Lesen Sie nicht nur in der Zeitung. Lesen Sie auch diese Papiere. - Zudem haben wir mit der mittelfristigen Finanzplanung, den Vorsorgeelementen Zukunftsstiftung, Pensionsfonds und Steuerschwankungsreserve sowie dem Personalentwicklungskonzept genügend Steuerungselemente und -instrumente, die das auch zukünftig leisten werden. Wir werden heute zusätzlich in der Landeshaushaltsordnung eine stärkere Schuldenregelung verankern, um die Neuverschuldung in den Griff zu bekommen.
Die Haushaltsstrukturkommission in Schleswig-Holstein ist ein Koalitionsausschuss mit Beteiligung des Präsi
denten des Landesrechnungshofes. Dazu sage ich deutlich: Wen es in die Politik drängt, der sollte sich mit offenem Visier um ein politisches Mandat bewerben.
Meine Damen und Herren! 20 erfolgreiche Jahre liegen hinter uns. Vielleicht sind es noch einmal 20 Jahre, die vor uns liegen, um die anstehenden Aufgaben abzuarbeiten; denn die 40 ist nicht nur in der Bibel die Symbolzahl für die vollendete Entwicklung,
im Guten wie - das wissen wir als DDR-Bürger auch - im Schlechten. Meine Fraktion geht davon aus, dass es weiterhin eine erfolgreiche Entwicklung sein wird, und das in einem Raum, den die politische Geografie zu Recht Mitteldeutschland nennt. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Miesterfeldt. - Meine Damen und Herren! Bevor ich der FDP-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich Seniorinnen und Senioren der Industriegewerkschaft BAU Halberstadt auf der Tribüne. Herzlich willkommen!
Meine Damen und Herren! Ich erteile jetzt für die FDPFraktion dem Abgeordneten Herrn Wolpert das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! 20 Jahre Sachsen-Anhalt - das ist so nicht ganz richtig; der Ministerpräsident hat es schon dargelegt. Sachsen-Anhalt gab es schon einmal in einem etwas anderen Gebietszuschnitt und unter anderen Voraussetzungen in den Jahren von 1947 bis 1952. Es sei mir als Liberaler gestattet, dass ich in diesem Zusammenhang darauf hinweise,
dass der Ministerpräsident ein Liberaler war. Es war Erhard Hübener. Ich sage das aber nicht, um die Eitelkeit der FDP zu befriedigen, sondern weil ich einen anderen Ansatz suche.