führt, die so schnell nicht abgebaut werden konnten, auf keiner Seite der Front. Deswegen hat es der Zeit bedurft, bevor diese Wunden, die wir uns gegenseitig zugefügt haben, ausheilen konnten und es wieder zu einem menschenwürdigen Zusammenleben kommen konnte.
Ich sage das deswegen, weil ich ziemlich überzeugt davon bin, dass wir uns gegenseitig nicht nützen, wenn wir diese Geschichte immer nur einseitig und aus einer Perspektive darstellen.
Ich verstehe nicht - ich nehme es aber zur Kenntnis -, dass heute, wenn wir daran denken, dass Dresden, Magdeburg und Dessau bombardiert wurden, und wir uns an diese schrecklichen Ereignisse erinnern, junge Leute, die das alles nicht miterlebt haben, aufmarschieren und so tun, als müssten sie deutsche Interessen vertreten, indem sie sagen: Das waren Kriegsverbrechen gegen uns; das waren doch keine kriegsentscheidenden Maßnahmen mehr; das waren Verbrechen gegen Deutschland.
Wer weiß, wie viele Verbrechen wir anderen zugemutet haben, der darf nicht erwarten, dass die jeweiligen Kriegsgegner uns anders behandeln. Ich erlebe es - und da mache ich mir nichts vor -, dass es auch unter uns noch Leute gibt, die zwar nicht bereit wären, mit diesen jungen Chaoten mitzumarschieren, die aber vielleicht zu Hause hinter der Gardine stehen und sagen: Die denken an uns Deutsche.
Deshalb halte ich es für ganz wichtig, dass wir uns selbst einer einseitigen Geschichtserinnerung und Geschichtsdarstellung erwehren, dass wir offen über diese Dinge sprechen und dass wir uns immer wieder daran erinnern, was von Weizsäcker - Sie haben ihn eben zitiert - gesagt hat: Die Ursache haben wir in Deutschland gelegt, auch diejenigen, die mit Mehrheit einmal diese nationalsozialistische Partei gewählt haben. Denn wer lesen konnte, konnte schon Ende der 20er-Jahre lesen, was Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ geschrieben hat. Das kann nicht allen unbekannt gewesen sein. Aber er ist einmal mit Mehrheit gewählt worden.
Und als diese Partei gewählt war, hat sie zuerst diese ganze „Schwatzbudendemokratie“ mit den Parlamenten abgeschafft. Und einer hat sich hingestellt und gesagt: Die Vorsehung hat mich zur Führung des deutschen Volkes berufen. - Sie kennen den Sachverhalt. Ich muss das nicht im Einzelnen ausführen. Das sind die historischen Zusammenhänge, auf die wir hinweisen müssen.
Der Schmerz und das Leid, die wir anderen Völkern zugefügt haben, sind keine Begründung und keine Erklärung für weiteres Leid. Aber nur unter dem eigenen zu leiden, und das, was von uns ausgegangen ist, möglichst niedrig zu halten und verschweigen zu wollen, das hilft uns nicht bei der Aufarbeitung dieser Zeit. Und das ist noch nicht alles. Dabei reden wir ja nur von den Ereignissen des Krieges.
Für mich persönlich - das will ich vielleicht noch sagen - war es ein Informationsgewinn, als - ich glaube, das war Ende 1946/Anfang 1947 - vom Rundfunk - ich weiß nicht mehr, ob es der Nordwestdeutsche Rundfunk oder der Saarländische Rundfunk war - eine Sendung mit Peter von Zahn ausgestrahlt wurde, einem Journalisten, der aus dem Exil zurückgekehrt war. Diese Sendung hatte den Titel „Wenn wir den Krieg gewonnen hätten“. Da ist zum ersten Mal deutlich gesagt worden, welche Konzeptionen eigentlich die nationalsozialistische Gesellschafts
politik noch mit uns Deutschen vorhatte, was sie mit uns zur Reinhaltung der arischen Rasse vorhatte.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich bei meinen früheren Archivarbeiten eine ganze Reihe von Briefen vom Reichserbgesundheitsgericht aus Torgau gefunden habe. Das waren Briefe an deutsche Bürger mit dem verbindlichen Hinweis, sich zwangssterilisieren zu lassen, weil dieses Gericht festgestellt hatte: Sie haben einen Erbfehler, der zur Reinhaltung der deutschen Rasse nicht weitervererbt werden darf. Auf dem Brief stand draußen der Stempel. Die Postboten wussten dann schon, was es bedeutet.
Der Einzelne ist nichts; dein Volk ist alles - das war diese Mentalität, die in Deutschland einmal mehrheitsfähig war und der sich viele zunächst angeschlossen hatten.
Und was sonst noch an gesellschaftlichen Konzeptionen angedacht war, das ist uns gar nicht klar geworden, weil wir es nicht miterlebt haben. Jeder dieser einzelnen Kommentare endete mit dem Satz: Es war schlimm für uns, den Krieg verloren zu haben - es wäre noch schlimmer geworden, wenn wir ihn gewonnen hätten. Das muss man ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen.
Deswegen halte ich es schon für sachgerecht, wenn wir uns immer wieder daran erinnern. Das war nicht nur die Befreiung von einem nationalsozialistischen, das heißt faschistischen Machtapparat; das war die Befreiung von einer barbarischen, menschenunwürdigen Gesinnung. Und es ist eine Tatsache der Geschichte, dass wir als Deutsche das nicht selbst geschafft haben. - Vielen Dank.
Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten. - Bevor ich Herrn Scharf von der CDU-Fraktion das Wort erteile, begrüße ich die Damen und Herren der Bildungsgesellschaft Magdeburg und Schülerinnen und Schüler der Gorki-Sekundarschule Schönebeck auf der Tribüne. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab 1950 war in der DDR der 8. Mai als Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ein offizieller Feiertag. Als arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag galt er bis 1967 und dann noch einmal zum 40. Jahrestag 1985. Der Folgetag, der 9. Mai, war in der DDR als Tag des Sieges der Völker der UdSSR über den Hitler-Faschismus ebenfalls ein Gedenktag, der jedoch nur im Jahr 1975, zum 30. Jahrestag, arbeitsfrei war.
Auch in der damaligen Bundesrepublik wurde des 40. Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 mit einer Vielzahl von Ansprachen und Erklärungen gedacht. So sprach zum Beispiel der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herr Werner Nachmann, am 21. April 1985 in einer Gedenkstunde im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen ebenso wie Bundeskanzler Helmut Kohl.
Im gleichen Jahr, am 5. Mai 1985, hielt der amerikanische Präsident Ronald Reagan eine Ansprache, der eine Ansprache am 6. Mai an dem ebenfalls geschichtsträchtigen Ort Hambacher Schloss folgte, also an jener Stelle, an der in den Jahren 1832 und 1848 Tausende junge Deutsche gegen Unterdrückung und für Demokratie demonstrierten.
Lebhafte öffentliche Diskussionen entstanden seinerzeit, weil Präsident Reagan zudem den Soldatenfriedhof in Bitburg besuchte, auf dem neben 2 000 Wehrmachtssoldaten auch 48 Angehörige der Waffen-SS bestattet waren.
Aber auch die Staats- und Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, Japans, Kanadas, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie der Vereinigten Staaten von Amerika kamen in Bonn zusammen und gedachten in Trauer all derjenigen, die damals durch Kriegshandlungen oder als Opfer von Unmenschlichkeit, Unterdrückung und Gewaltherrschaft ihr Leben verloren.
Meine Damen und Herren! 40 Jahre nach dem Kriegsende sprach schließlich Bundespräsident Richard von Weizsäcker - ich vermute, er wird heute noch öfter zitiert werden - am 8. Mai 1985 in einer Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. In dieser Rede vor 25 Jahren richtete er den Blick zurück auf den dunkelsten Abgrund, den Deutschland selbst geschaffen hatte.
In seiner beachtenswerten Rede gedachte Richard von Weizsäcker nicht nur der sechs Millionen ermordeter Juden und des unermesslichen Leids, welches Deutschland über die Welt gebracht hat; in Trauer wurde auch der Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft gedacht.
Der 8. Mai 1945 war ein tiefer historischer Einschnitt, nachdem der von Deutschland ausgehende Krieg viele andere Völker zunächst zu Opfern gemacht hatte, bevor Deutschland selbst zum Opfer des eigenen Krieges wurde. Von Weizsäcker erinnerte auch daran, dass die Befreiung Deutschlands nur einen Teil desselben befreit hat, während vielen Landsleuten die Freiheit versagt blieb.
Richard von Weizsäcker erinnerte nicht zuletzt auch an das Leid der Heimatvertriebenen, das bittere Leid, das diesen Menschen zugefügt wurde.
Meine Damen und Herren! 65 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erinnern wir in einer Aktuellen Debatte erneut an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Es war das Ende einer Gewaltherrschaft, die nicht nur millionenfachen Tod, sondern auch unermessliches Leid über Menschen und Nationen gebracht hat. Deutschland hat sich nicht selbst von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft befreien können, sondern es wurde befreit. Erst nach Ende des Krieges wurde man langsam gewahr, was man hätte sehen können, sehen müssen und wahrscheinlich auch gesehen und verdrängt hat.
Ich kenne Geschichten, wo erst auf Nachfrage im Verwandten- und Bekanntenkreis gesagt wurde, ja, man hat gesehen, wie die Juden abgeholt worden sind. Das ist eine Tatsache, die wir uns wahrscheinlich auch in den Familien immer wieder gegenseitig sagen müssen.
Aber, meine Damen und Herren, es war ohne Zweifel richtig, dass Bundespräsident Richard von Weizsäcker
in seiner damaligen Ansprache den Tag der Kapitulation als Tag der Befreiung bezeichnete. Ich hätte, meine Damen und Herren, es an dieser Stelle nicht noch einmal so deutlich angesprochen, wenn nicht vorgestern und auch heute in seiner Rede Kollege Gallert eher daran gezweifelt hätte, dass es einen politischen Konsens darüber gebe, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist.
Natürlich war der 8. Mai ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Aber er war eben nicht die Freiheit für alle. Er war nicht der Eintritt in das Reich der Freiheit.
Frau Merkel hat in einem Interview mit der „Zeit“ am 14. April 2005 richtig bemerkt, dass eben diese Freiheit nicht für alle eingetreten ist.
Wenn - da muss man auch noch einmal aufpassen - die LINKE in ihrem Antrag konsequent von der Befreiung vom Faschismus spricht, begibt sie sich auf eine gefahrvolle Ebene, weil eben das Wort „Faschismus“ aus ihrem Munde interpretiert werden muss, weil es zu DDRZeiten gleichzeitig als Kampfbegriff interpretiert worden ist. Wenn man Richard von Weizsäcker zitiert, dann muss ich feststellen, dass er nicht vom Faschismus sprach, sondern vom System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Meine Damen und Herren! Man kann nur hoffen, Kollege Gallert - ich habe die Hoffnung auch weiterhin -, dass Sie in der Aktuellen Debatte eben nicht den Faschismusbegriff der DDR gemeint haben; denn dieser Faschismusbegriff war ein beliebig verwendbarer Terminus Technicus, der zur Gegnercharakterisierung benutzt wurde. Jeder, der Gegner war, konnte so zum Faschisten werden, ohne dass er tatsächlich mit dem Nationalsozialismus irgendetwas zu tun hatte.
Ich kann nur davor warnen, die Lehre aus der Rede zur deutschen Geschichte leichtfertig umzuinterpretieren. Auch die Rede von Richard von Weizsäcker sollte immer wieder sorgfältig gelesen werden, bevor man sie zitiert.
Wir bewegen uns auf einem schwierigen Terrain. Kollege Gallert, Sie wissen es selbst aus Ihrer Programmdiskussion, die Sie im Moment untereinander führen. Im Internet kann man eine Rede nachlesen von Professor Dr. Moritz Mebel über den 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus und seine Lehren. Dies ist weitgehend ein Zeitzeugenbericht, weil Professor Mebel damals selbst in der Roten Armee gekämpft hat. Aber er steht insgesamt unter der Überschrift „Frieden in Solidarität statt terroristische Kriege“. Er postuliert, dass Krieg kein Mittel der Politik ist, sodass unter anderem auch ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr gefordert wird.
Kollege Gallert, Sie haben - ja, klopfen Sie ruhig, wir haben keine Gedenkstunde, wir haben eine Aktuelle Debatte angemeldet; ich will deshalb an dieser Stelle auch nicht überziehen - in der Überschrift Ihrer Aktuelle Debatte darauf hingewiesen, dass wir den Blick auf den heutigen Tag werfen sollen.
Deshalb erlauben Sie mir zu sagen, dass es schon eine große Tragik ist, wenn unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan getötet werden oder Schaden an Leib und Seele nehmen. Aber so, meine Damen und Herren, wie
sich die Alliierten nach einer gescheiterten Appeasement-Politik zum Kriegseintritt entschlossen, muss sich Deutschland heute auch entscheiden, ob wir alles hinnehmen, was an Unrecht in der Welt geschieht und ob wir nur in die Zuschauerrolle hineintreten wollen und sagen, unsere besondere historische Verantwortung und unsere besondere Geschichte verbieten es uns, in der Welt aktiv zu werden, oder ob wir hinschauen müssen.
Ich erinnere an die Ereignisse in Bosnien und in Serbien. Ich meine, wir würden noch mehr schuldig geworden sein, wenn wir uns zurückgezogen und gesagt hätten, weil von Deutschland einer der schlimmsten Kriege ausgegangen ist, dürfen wir nie wieder international tätig werden. Ich denke, es ist eine ganz schwierige Interessensabwägung. Deutschland hat dieses nach meiner Kenntnis bisher im Bundestag mit hohem Verantwortungsbewusstsein getan und wird es auch weiterhin tun müssen.
Die globalen Herausforderungen an die internationale Staatengemeinschaft sind mit nationalen Alleingängen nicht mehr zu bewältigen. Erfolgreich lassen sie sich heute nur durch konsequentes gemeinsames Handeln aller Staaten lösen. Hierbei hat Deutschland gerade und auch wegen seiner verhängnisvollen Geschichte einen besonderen Auftrag. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Scharf. - Ich darf nun um den Beitrag der FDP bitten. Der Abgeordnete Herr Wolpert hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Aktuellen Debatte wird auch der Versuch unternommen, ein Gedenken an den Tag der Befreiung zu organisieren, die Befreiung von all den vielen Gräueltaten des Naziregimes, die auf deutschem Boden ihren Ursprung hatten.
Das Nazi-Regime brachte Terror und Leid nach innen und nach außen. Nach innen, weil es sich in seiner Unrechtsmaschinerie gegen das eigene Volk richtete. Die schrittweise Entrechtung einzelner Bevölkerungsgruppen, die Gleichschaltung der Massen endete in Verfolgung und Verhaftungen, in Folter und Tod. Sie steigerte sich in perverser Art bis hin zur industriellen Vernichtung von Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und Behinderten, religiös und politisch Andersdenkenden. Der Terror richtete sich nach außen gegen die Nachbarn und Völker Europas. Die wurden brutal überfallen, unterjocht und mit dem gleichen brutalen Terror gegen die Menschen überzogen.
Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg beendet war - in Deutschland, nicht in Japan, das war später -, blickte die Welt auf eine fürchterliche Bilanz. Die 27 direkt am Krieg beteiligten Nationen hatten mehr als 100 Millionen Männer und Frauen mobilisiert. Insgesamt waren fast 57 Millionen Menschen, davon sechs Millionen Juden, gestorben.
Der 8. Mai ist aber auch ein Tag der Erinnerung und des Gedenkens an das viele menschliche Leid der damaligen Zeit - Erinnerung an das Leid um die Toten, Erinne