Protocol of the Session on March 18, 2010

Nun habe ich in Vorbereitung auf diese Debatte einen Blick auf den Strukturkompass des Statistischen Landesamtes gewagt. Dieser zeigt ja schon seit ein paar Monaten die Himmelsrichtungen hier im Lande an, und er wurde auch durch den Finanzminister im Rahmen des finanzpolitischen Dialogs mit großen Worten angekündigt.

Es ist kaum zu glauben: Frau findet in diesem Strukturkompass überhaupt nicht statt. Im Umkehrschluss auch Sie nicht, meine Herren, nicht einmal bei der verheißungsvollen Überschrift „Berufstätige Ärztinnen und Ärzte“. Ich denke, das ist insbesondere bedenklich, wenn man sich daran erinnert, dass bereits im Jahr 2000 ein Kabinettsbeschluss zur Umsetzung des GenderMainstreamings hier im Land gefasst worden ist. Sie sehen also, unser Antrag mit genau diesem politischen Schwerpunkt tut not.

Nun ahne ich, dass in allen Fraktionen bei der Lektüre unseres Antrages so einige Fragen aufgekommen sind, und ich hoffe, dass zumindest bei einigen die leuchtende Erkenntnis eingetreten ist. Ich möchte natürlich gern auf die Fragen eingehen; denn es ist zwar bedauerlich, aber noch lange kein Armutszeugnis, wenn ein Wissensdefizit bzw. ein Defizit im politischen Handeln erkannt wird.

Also: Was sind Gleichstellungsindikatoren? Was ist Gender-Budgeting? Was ist Gender-Mainstreaming?

Gender-Mainstreaming - einfach erklärt - ist eine Methode, um Auswirkungen politischen Handelns auf Frauen und Männer vorausschauend zu gestalten. Gender-Budgeting wiederum ist ein durch diese Methode entstandenes konkretes Verfahren für die haushaltsmäßige Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes.

Einfach erklärt: Es ist zu fragen, wie verteilen sich öffentliche Mittel unter dem Aspekt der Geschlechterdifferenzierung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Sprich: Wie viel öffentliches Geld kommt bei Frau und wie viel öffentliches Geld kommt bei Mann mit welcher Wirkung an?

(Herr Tullner, CDU: Aber sonst für Entbürokrati- sierung sein!)

- Na, warten Sie es doch erst einmal ab, Herr Tullner.

Ich denke, dass dies im Umkehrschluss nicht zwangsläufig heißen muss, dass wir in Sachsen-Anhalt in Zukunft mehr Geld für Frauen werden ausgeben müssen. Es kann auch festgestellt werden, meine Herren, dass Sie unterprivilegiert sind und dass wir für Sie mehr Geld ausgeben müssen.

(Herr Tullner, CDU: Ha, ha, ha!)

Es geht vor allem um einen Ausgleich von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, es geht um einen Ausgleich von ungleichen Chancen, hier hinsichtlich des Zugangs zu Macht, zu Ressourcen, eben auch zwischen den Geschlechtern. Dies kann aber nur durch eine konkrete Analyse herausgefunden und gegebenenfalls korrigiert werden.

Um dies tatsächlich klären bzw. beantworten zu können, ist die Datenbasis eine ganz entscheidende Grundlage. Ich möchte Ihnen zur Veranschaulichung dieser Probleme Beispiele aus dem Bereich Bildung und Soziales nennen,

(Herr Tullner, CDU: Aber nur kurz!)

ganz einfach: Wie viele Jungen, wie viele Mädchen gehen bei uns in welche Schulform? Wie viele Jungen, wie viele Mädchen gehen in einen Jugendklub oder nehmen an einer Ferienfreizeit teil oder trainieren beispielsweise im Sportverein?

Ich lasse einmal die Schule außen vor. Bei all den anderen Dingen ist das schon jetzt zu beantworten, weil wir sehr engagierte Jugendverbände mit einem hohen Verwaltungsaufwand haben und im Rahmen des Berichtswesens genau diese Fragen bereits beantwortet werden können. Aber das ist eben noch nicht flächendeckend so positiv für Sachsen-Anhalt festzustellen. Ich sagte es schon und verwies auf den Strukturkompass.

Sicherlich ist das nicht von jetzt auf gleich umsetzbar bzw. erhebbar; aber wir sprechen über das Thema der geschlechterbezogenen Statistiken auch nicht zum ersten Mal und der Wille in den verschiedenen Ressorts ist eben auch sehr verschieden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, wir haben diesbezüglich einen Nachholbedarf. Wir brauchen für Sachsen-Anhalt repräsentative Daten, die nach Geschlecht getrennt erhoben und dann auch entsprechend ausgewertet werden können.

(Herr Tullner, CDU: Von wem denn?)

Bei der Auswertung der Daten sollte im Mittelpunkt stehen, ob die Ausgaben den Bedürfnissen von Frauen und von Männern entsprechen und welche Ausgaben die Geschlechterrollen, das Geschlechterbild wie beeinflussen.

Eine geschlechtergerechte Betrachtung ist keine Nebensächlichkeit, meine Damen und Herren, und schon gar nicht entbehrlich, weil dieser Landtag für die Interessen aller in Sachsen-Anhalt lebenden Menschen da ist. In Sachsen-Anhalt leben immerhin 51,1 % Frauen.

Es ist auch nicht neu, dass gerade die jungen, gut ausgebildeten Frauen das Land verlassen. Das heißt, wichtige Fachkräfte verlassen dieses Land. Das heißt auch, dass gerade Frauen, die wir für Familiengründungen so bitter nötig haben, das Land verlassen. Das heißt, es besteht Handlungsbedarf. Das haben wir uns hier alle auch schon eingestanden.

Natürlich ist eine geschlechtergerechte Haushaltsaufstellung auch ein wichtiger Beitrag zur allgemeinen Sensibilisierung für Fragen der Geschlechterperspektive. Ein nicht seltenes Gegenargument - jetzt kommen Sie, Herr Tullner - ist in diesem Zusammenhang der zu hohe verwaltungstechnische, aber auch politische Aufwand für zu wenig Vorteile.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich denke jedoch, dass wir das heute tatsächlich so noch nicht einschätzen können,

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

und deshalb sollten wir das auch nicht tun. Ich denke aber, dass wir grundsätzlich auf offene Ohren und Türen bei der Koalition rechnen können; denn nicht ohne Grund haben Sie ja dem Finanzminister 2,2 Millionen € für neue Steuerungsmethoden an die Hand gegeben.

(Frau Fischer, SPD: Dem haben Sie zugestimmt!)

- Wir haben nicht zugestimmt.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Blick über den Tellerrand hinaus. Schon im Jahr 1999 verpflichteten

sich die EU-Mitgliedstaaten im Vertrag von Amsterdam, Gender-Mainstreaming als Querschnittsaufgabe in allen relevanten Politikbereichen umzusetzen. Die EU überwacht seitdem diesen Prozess in allen Staaten und soll zugleich die Einführung des Gender-Budgeting unterstützend begleiten.

In Österreich besteht bereits seit dem Jahr 2007 eine entsprechende Normierung in der Bundesverfassung. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist das vierte Prinzip des traditionellen Verwaltungshandelns neben Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Diese Regelung gilt sowohl für den Bund als auch für die Länder als auch für die Gemeinden. Das ist also bis ins kleinste Detail heruntergebrochen worden.

Noch konkreter gestaltet sich die Umsetzung in der Schweiz. Im Kanton Basel wurde interessanterweise festgestellt, dass jährlich pro Frau umgerechnet 6 392 € ausgegeben werden. Pro Mann hingegen werden umgerechnet 7 480 € ausgegeben. Das ist ein Unterschied von etwa 1 100 € pro Jahr.

Ich kann auch Gesamtsummen dazu benennen. Für Bildung werden im Zeitraum bis zum 25. Lebensjahr für Frauen 171 Millionen € und für Männer 188 Millionen € ausgegeben.

(Herr Tullner, CDU: Und was folgern wir daraus?)

Noch zugespitzter zeigt sich die Situation im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Hierzu zählen die Bereiche der Politik, der Justiz und der Justizvollzugsanstalten. An die Frauen gehen 28 Millionen €, an die Männer 87 Millionen €. In diesem Bereich müssen die Frauen aber vielleicht nicht unbedingt nachziehen.

Im Ergebnis wurde jedoch in Basel festgestellt - und das ist das Entscheidende -, dass Frauen in den für das Fortbestehen einer Gesellschaft entscheidenden Jahren - sprich in der Zeit der Familiengründung - weniger öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, als dies bei Männern der Fall ist. Momentan kann ich noch nicht sagen, wie sich das in Sachsen-Anhalt darstellt. Wenn wir aber zu diesem Ergebnis kämen, hätte dies auch politische Folgen, denke ich.

Der Ehrlichkeit halber ist hinzuzufügen, dass im Berichtswesen festgestellt worden ist, dass über die gesamte Lebenszeit ein finanzieller Ausgleich zwischen Männern und Frauen festzustellen ist. Das rührt aber vor allen Dingen daher, dass Frauen länger leben als Männer. Außerdem ist das darauf zurückzuführen - und das ist natürlich prekär -, dass Frauen in höherem Alter mehr soziale Transfers benötigen. Das ist also kein so tolles Ergebnis.

In Deutschland ist Berlin das erste Bundesland, das Gender-Budgeting in einem Landeshaushalt eingeführt hat. Bereits im Juni 2002 wurde der Beschluss über finanzpolitische Instrumente des Gender-Mainstreamings bzw. Gender-Budgetings gefasst. Seitdem sind alle Senate gehalten, eine gendersensible Analyse bzw. Berichterstattung zum Haushaltsplan vorzulegen. Seit August 2004 besteht in Berlin die Verpflichtung, dass in ausgewählten Titeln in den Hauptgruppen 6 und 8 des Haushaltsplans bzw. bei bestimmten Projekten in den einzelnen Bezirken von Berlin das Gender-Budgeting eingeführt wird. Ganz konkret bedeutet das in Berlin,

dass 56 von 400 Produkten des Produkthaushalts nach Gender-Gesichtspunkten bewertet werden können.

Erlauben Sie mir nun einen Blick auf Sachsen-Anhalt. In Sachsen-Anhalt gilt eine haushaltstechnische Richtlinie. Darin ist zu lesen, dass in haushaltsbegründenden Unterlagen die unterschiedlichen Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Lebenssituationen von Frauen und Männern darzustellen und jeweils zu bewerten sind.

Genau dazu habe ich bereits im Jahr 2009 eine auch sehr titelgenaue Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort stellt sich typisch ausweichend für eine Frage der Opposition dar. Es kann aber auch sein, dass es an der Unkenntnis der Ressorts liegt, dass die Antworten so ausgefallen sind, wie sie ausgefallen sind.

(Herr Tullner, CDU: Vielleicht waren die Fragen falsch gestellt!)

- Nein, die Fragen waren sehr gut gestellt, Herr Tullner.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass sich die haushaltstechnische Richtlinie noch nicht zur Kontrolle eignet. Es besteht also noch Handlungsbedarf.

Des Weiteren läuft bereits seit mehreren Jahren ein Projekt des Sozialministeriums zum Gender-Budgeting im Jugendbereich. An dieser Stelle möchte ich das von einer Kollegin meiner Fraktion verwendete Bild benutzen: Auf einem toten Gaul kann man nicht reiten. - Frauen können das übrigens auch nicht. Das ist das Problem dieses Projekts.

(Beifall bei der LINKEN)

Der schon in der vergangenen Legislaturperiode angekündigte Leitfaden für eine gendergerechte Aufstellung und Ausführung des Landeshaushalts liegt bis zum heutigen Zeitpunkt nur im Entwurfsstadium vor. Diese Information lieferte eine Kleine Anfrage, die ich im Jahr 2009 stellte. In welchem Stadium sich der Entwurf befindet, kann ich Ihnen allerdings auch nicht sagen.

Des Weiteren gibt es noch einen Antrag meiner Fraktion zur Bildungsgerechtigkeit in Schulen, der sich allerdings bereits seit dem Jahr 2008 im Bildungsausschuss befindet und dort sein Dasein fristet. Ich hoffe, dass er noch in dieser Legislaturperiode das Licht des Plenums erblickt.

(Zustimmung bei der LINKEN)