Protocol of the Session on March 18, 2010

Wenn Sie sich die Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs in den letzten 14 Jahren ansehen, dann werden Sie feststellen, dass durch die Wirkung der Regionalisierung zuerst Teile der Ländergrenzen überschreitenden Schienenpersonenverkehre gekappt wurden. Das Land Sachsen-Anhalt ist heute nur noch auf wenigen Hauptachsen, welche entweder hauptsächlich den Interessen des Schienengüterverkehrs oder denen des Schienenpersonenfernverkehrs dienen, mit den angrenzenden Bundesländern per Schiene verbunden.

Aber auch innerhalb des Landes gab es ein großes Streckensterben. Gleiches ist im Straßenverkehr unvorstellbar. Die Forderung hiernach ist geradezu tödlich für jeden Amtsträger. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gibt als Empfehlung für den Betrieb von Strecken im SPNV mindestens 500 Reisende pro Tag und Richtung vor. Belastbare Fakten für diese Empfehlung suchen Sie vergebens. Alle Strecken, welche dieses Kriterium nicht erfüllen, sollen abbestellt werden. Der Verkehr wird somit faktisch eingestellt, und zwar völlig unabhängig von weiteren Kriterien.

Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, dass in diesem Plenum niemand das Kriterium von 500 Reisenden je Tag und Richtung für den Erhalt oder den Rückbau einer Straße im Land Sachsen-Anhalt anlegt. Wenn Sie diesen Maßstab jedoch an die Straßeninfrastruktur des Landes anlegen würden, dann müssten sofort Dutzende Straßen in diesem Land zurückgebaut werden, weil es für diese angeblich keinen Bedarf gibt.

Genau dies geschieht jedoch nicht. Nicht etwa, weil die Straße hervorragend ins Landschaftsbild passt oder weil jede Straße einen bestimmten Spaßfaktor hat, sondern weil jede Straße darüber hinaus eine Erschließungs- und Verknüpfungsfunktion innehat.

Dies wird dem Schienenverkehr versagt. Weshalb gelten diese Kriterien nicht für die Entscheidung darüber, ob Strecken im SPNV erhalten bleiben oder nicht? - Wer ehrlich ist und auch in der Öffentlichkeit für den Schienenpersonennahverkehr wirbt, muss diese Kriterien in seine Entscheidung einbeziehen.

Meine Damen und Herren! Natürlich verkennen wir nicht die demografische Entwicklung im Land. Gerade diese sollte aber zum Nachdenken über die Sicherung einer angemessenen Mobilität für jeden Bürger dieses Landes und für dessen Besucher anregen.

Das Land Sachsen-Anhalt hat einen Plan für den öffentlichen Personennahverkehr verabschiedet. In diesem werden unter anderem folgende Ziele genannt - ich zitiere -:

„Die Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs orientiert sich an den raumordnerischen Leitsätzen zur Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung, Verkehrsverknüpfung und umweltverträglichen Gestaltung des motorisierten Verkehrs. Handlungsfelder des öffentlichen Personennahverkehrs sind dabei die Raumerschließung und -entwicklung, für die der öffentliche Personennahverkehr eine unterstützende Funktion übernimmt.“

Die Absicht der Landesregierung, verkündet Anfang März dieses Jahres, den Schienenpersonennahverkehr auf dem Abschnitt Naumburg - Teuchern zum Jahresende 2010 einzustellen, widerspricht vollständig den im ÖPNV-Plan des Landes gesetzten Zielen. Darüber hinaus wird mit dieser Entscheidung eine nicht zu ersetzende Lücke in das noch bestehende Teilnetz gerissen. Aus dem Netz werden so sukzessive einzelne Strecken, welche an den zu erschließenden ländlichen Räumen vorbeiführen und letztlich sogar eine trennende Wirkung in der Region entfalten.

Selbstverständlich muss auch für den Erhalt des Schienenpersonennahverkehrs etwas getan werden,

(Minister Herr Dr. Daehre: Ja!)

damit das gegebene Angebot auch genutzt wird. Es genügt nicht, meine Damen und Herren und Herr Minister, regelmäßig Reisendendaten zu erheben, nur um festzustellen, dass eigentlich doch ziemlich wenige Fahrgäste in diesem Abschnitt die Bahn nutzen. Die einzige Schlussfolgerung, welche dann standardmäßig immer wieder gezogen wird - so auch Anfang dieses Monats in einer Pressekonferenz im Burgenlandkreis -, ist: Die Strecke wird abbestellt.

In Ausnahmefällen gibt es Ersatz durch Busverkehre. Diese bringen bei genauer Betrachtung lediglich eine erträgliche Situation im öffentlichen Verkehr für die lokal ansässige Bevölkerung. Eine regionale oder gar überregionale Wirkung entfalten diese den Schienenpersonenverkehr ersetzenden Busverkehre jedoch nicht. Allein schon durch die sich daraus ergebenden und von den Fahrgästen unerwünschten häufigeren und auch langwierigeren Umsteigebeziehungen wird die Attraktivität öffentlicher Verkehre erheblich geschmälert.

Wenn Streckenabbestellungen die einzige Problemlösung sind, dann sei die Frage gestattet, wofür Sie, Herr Minister Dr. Daehre, im Januar dieses Jahres die Goldene Ehrennadel um besondere Verdienste im Schienenverkehr von der Gewerkschaft der Lokführer verliehen bekommen haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Zeigen Sie sich dieser Ehre würdig und lassen Sie auch Taten im Interesse des Schienenpersonennahverkehrs folgen. Dazu genügt es nicht, Herr Dr. Daehre, der DB Station & Service AG in den nächsten Jahren 40 Millionen € für die Bahnhofinstandsetzung aus den dem Land zur Verfügung stehenden Regionalisierungsmitteln zu übergeben.

(Herr Scheurell, CDU: Das ist auch gut!)

- Die Ursachen für den Bedarf an diesen Mitteln, Herr Scheurell, liegen in den unterlassenen Instandhaltungsleistungen der Deutschen Bahn AG an ihrem Eigentum. Das ist dasselbe, als würden Sie Ihr Fahrzeug, Ihren privaten Pkw vom Staat reparieren lassen.

Ich komme zurück auf die Attraktivität öffentlicher Verkehrsmittel. Diese ergibt sich unter anderem auch durch möglichst ungebrochene, durchgängige Reiseketten, wie sie jeder auch im Individualverkehr als selbstverständlich erwartet und in Anspruch nimmt.

Meine Damen und Herren! In diesem Saal ist sicherlich niemand anwesend, der auf Reisen alle 20 oder 30 km einen Parkplatz anfährt, um den Pkw zu wechseln, selbstverständlich mit einer Wartezeit von fünf Minuten und mehr. Den Fahrgästen im öffentlichen Schienenver

kehr im Süden Sachsen-Anhalts - und nicht nur dort - wird aber genau dieses zugemutet. Dies wird auch noch als Verbesserung der Reisebedingungen gepriesen. Die Region und der Schienenpersonennahverkehr als Ganzes verlieren damit erheblich an Attraktivität.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Im Plan für den öffentlichen Personennahverkehr des Landes wird darüber hinaus sogar die Entwicklung des ÖPNV-Gesamtsystems als Alternative zum MIV, zum motorisierten Individualverkehr, insbesondere im Bereich des Wachstumsmarktes Freizeit und Tourismus, als qualitatives Ziel formuliert. Nicht nur dort, sondern auch im vorliegenden zweiten Entwurf des Landesentwicklungsplanes wird der vorrangige Erhalt des öffentlichen Personennahverkehrs und dessen Ausbau zu einer leistungsfähigen Alternative zur Nutzung individueller Kraftfahrzeuge als Ziel vorgegeben.

Infolgedessen, meine Damen und Herren, wird über kurz oder lang auch der restliche Abschnitt Naumburg mit der Begründung „mangelnde Fahrgäste“ abbestellt werden. Warum leistet sich das Land - diese Frage sei gestattet - dann noch das Netz südliches Sachsen-Anhalt, welches praktisch keines mehr wäre, da es im Wesentlichen nur noch aus dem Streckenabschnitt Halle - Naumburg besteht?

Wir schlagen stattdessen vor, das Netz südliches Sachsen-Anhalt zu stärken, es Ländergrenzen überschreitend auszubauen und in das Ostthüringennetz, an dem das Land partizipiert und zu dem aktuell eine Ausschreibung läuft, zu integrieren. Dies trägt insbesondere dazu bei, das Ziel, das ÖPNV-Gesamtsystem so attraktiv zu entwickeln, dass der ÖPNV als Alternative zum Individualverkehr wahrgenommen wird, zu erfüllen.

Wenn dies im Sinne des von der Landesregierung selbst erkannten starken Wachstumsmarktes Freizeit- und Tourismusverkehr gelingt, haben wir schon etwas erreicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt sollte die Landesregierung - ich betone: ressortübergreifend; dabei schaue ich die beiden Minister an - die Landesbedeutsamkeit dieser Strecke prüfen und die Entscheidung nicht einem Ressort allein überlassen.

Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang müssen auch - das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich an die Öffentlichkeit - die Individualinteressen von Lokalpolitikern zurückstehen. Dabei gibt es auch keine Konkurrenz zum Busverkehr. Dieser sollte bei seiner lokalen Erschließungsfunktion bleiben und als Zubringer für die Bahn seine Funktion vollständig ausfüllen.

Ich komme noch einmal auf den Plan für den öffentlichen Personennahverkehr des Landes Sachsen-Anhalt zurück. Darin werden aus den entsprechenden Leitsätzen folgerichtig Handlungsgrundsätze abgeleitet. Ich zitiere:

„Im ÖPNV-Gesamtsystem sind die Potenziale des Freizeit- und Tourismusverkehrs verstärkt zu nutzen und damit die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Hierfür sind eine Sicherstellung bzw. Verbesserung der Anbindung der touristischen Zielregionen des Landes einschließlich ihrer Zentren, ein Angebot von Spät- und Nachtverkehren in den Ordnungsräumen und die flächendeckende Verfügbarkeit von ÖPNV-Angeboten für den allgemeinen Freizeitverkehr erforderlich.“

Völlig korrekt ist der Grundsatz „flächendeckend“. Mit der Abnabelung von Zeitz von den touristischen Zielen im Süden Sachsen-Anhalts kann dieser Handlungsgrundsatz jedoch nicht umgesetzt werden. Auch die Berücksichtigung der Ballungsräume in diesen formulierten Zielen ist völlig korrekt.

Allerdings greift es etwas zu kurz, wenn man immer nach Halle oder Leipzig schaut. Aus unserer Sicht gehört auch das thüringische Gera zu diesen Räumen. Der Umweg aus dem ostthüringer Raum oder sogar aus Mittelsachsen von Zeitz über Weißenfels in die touristisch attraktiven Regionen Sachsen-Anhalts ist aus unserer Sicht kontraproduktiv, zumal in dem genannten Plan für den öffentlichen Personennahverkehr des Landes Sachsen-Anhalt der Abschnitt Teuchern - Naumburg einen entsprechenden Ausbauvermerk trägt und im Zielzustand des Jahres 2015 für eine Fahrgeschwindigkeit von mindestens 80 km/h ausgebaut werden soll.

Es sind also die technischen und aus unserer Sicht auch die politischen Voraussetzungen dafür gegeben, den zur Debatte stehenden Abschnitt zu erhalten.

Werte Kollegen! Es gibt aus unserer Sicht keine plausiblen Gründe, zum Jahresende 2010 die Strecke Teuchern - Naumburg aus dem SPNV-Netz herauszunehmen. Wenn Sie unserem Antrag folgen, meine Damen und Herren, dann eröffnen sich tatsächlich neue Wege in der Verkehrspolitik des Landes Sachsen-Anhalt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Heft. - Bevor wir die Beiträge der Fraktionen hören, erteile ich Herrn Minister Daehre das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Heft, ich versuche es sachlich rüberzubringen,

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

kann mir aber eine Anmerkung nicht verkneifen: Wenn Sie so reden, dann muss ich eigentlich fragen, warum ich die Goldene Ehrennadel bekommen habe und nicht Sie.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU - Herr Miesterfeldt, SPD, lacht)

Diese Frage muss ich einmal stellen.

Denn, meine Damen und Herren, von einer Gewerkschaft - ich habe das bisher weder in einer Pressemitteilung noch irgendwo anders erklärt - als CDU-Politiker, der auch für den Verkehr zuständig ist, ausgezeichnet zu werden, spricht mit Sicherheit nicht dafür, dass wir in der Verkehrspolitik im Bereich Schiene große Fehler machen, und auch keine kleinen. - Das wollte ich voranstellen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Zu dem eigentlichen Thema. Wir waren uns vor mehreren Jahren darüber einig, dass es bestimmte Strecken in Sachsen-Anhalt gibt, denen wir - ich habe das immer so

formuliert - die gelbe Karte gezeigt haben, indem wir gesagt haben: Hier ist ein Problem, wir haben zu geringe Fahrgastzahlen. Also kümmert euch darum, versucht, in der Region die Fahrgastzahlen zu erhöhen. Wenn die Fahrgastzahlen erhöht werden, dann haben wir auch nicht das Problem, dass wir abbestellen müssen.

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

Ich habe damals, im Jahr 2002, Unterschriftensammlungen von Zehntausenden aus der Altmark bekommen. Ich kenne das alles noch. Ich habe denen damals gesagt: Wenn von den 10 000 Bürgern 2 000 mit dem Zug fahren würden, dann hätten wir das Problem nicht, meine Damen und Herren. Ich unterschreibe das nicht gern, aber so muss man das sehen.

(Beifall bei der CDU)

Wissen Sie, Herr Heft, ich verstehe, dass Sie sich für die ganze Sache einsetzen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir unser Land nicht immer schlechtreden, meine Damen und Herren. Wer das heute hier hört, der könnte denken, der Untergang des Schienenpersonennahverkehrs drohe. Wir bestellen zwischen Naumburg und Teuchern eine Strecke ab, die eine Zahl an Passagieren aufweist, bei der jeder, der ein bisschen rechnet, sagt, das ist volkswirtschaftlich nicht zu verantworten, meine Damen und Herren, zumal auf dieser Strecke auch kein Güterverkehr in irgendeiner Form abgewickelt wird.

Wir müssen daran denken - das kann ich allen Parlamentariern sagen, die auch in einigen Jahren noch hier sitzen -, dass mit der Novellierung des Regionalisierungsgesetzes eine Reduzierung auf uns zukommt. Im Moment bekommt das Land Sachsen-Anhalt noch 5,41 % des gesamten Bundesansatzes, obwohl wir nach der Anzahl der Bewohner natürlich einen völlig anderen Schlüssel haben müssten. Wir kämpfen dafür, dass wir diese Reduzierung nicht bekommen. Aber wir müssen gegenüber dem Bund natürlich den Nachweis erbringen, dass wir nur Strecken bedienen, die wirtschaftlich vertretbar sind.

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zumindest gesagt hätten, dass fünf Strecken zur Disposition standen. Es sind fünf Strecken, die alle so geringe Fahrgastzahlen haben, dass ein Weiterbetrieb eigentlich nicht vertretbar ist. Wir haben uns jetzt entschlossen, die Strecke NaumburgOst - Teuchern zum Ende des Jahres abzubestellen.

Hinsichtlich der anderen vier Strecken - das möchte ich auch sagen; der Ausschuss wird sich dann auf der Grundlage des Antrages der Koalitionsfraktionen mit den anderen Strecken beschäftigen - haben wir von Fachleuten Machbarkeitsstudien anfertigen lassen. Ich sage eines: Strecken, auf denen auch in Zukunft Güterverkehr betrieben wird, werden wir selbst bei niedrigen Fahrgastzahlen nicht abbestellen; denn jede Tonne, die wir auf die Schiene bringen, ist noch eine Tonne zu wenig. Da müssen noch mehr Tonnen auf die Schiene. Deshalb werden wir diese Strecken nicht abbestellen.