Protocol of the Session on March 18, 2010

Denn erstens könnte es bei einer freiwilligen Übernahme der 100 € durch die Kreise und kreisfreien Städte nicht überraschen, wenn dies nicht alle machten. Das wäre eine neue Ungerechtigkeit. Die einen können es, die anderen können es nicht. Dann käme es nur zu einer anderen Form der Besser- oder Schlechterstellung, je nach dem Kreisgebiet, in dem man wohnt. Sozial gerecht kann das auch nicht sein.

Zweitens stünde man dann vor einem neuerlichen Abgrenzungsproblem zwischen denen, die die Eigenbeteiligung nicht mehr leisten müssen, und denjenigen, die sie doch leisten müssen.

Drittens und vor allem wäre dann noch zu präzisieren, von wem man eigentlich genau spricht. Die beschlossene Höhe der Eigenbeteiligung von 100 € pro Jahr ist ja nicht zufällig erfolgt. Denn wie uns das Sozialministerium

mitteilte, sind in den Regelsätzen nach dem SGB, also Sozialhilfe, unter anderem für Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs Leistungen für die Nutzung des ÖPNV in Höhe von monatlich 8,98 € vorgesehen. Das sind im Jahr übrigens 107,67 €, also genau die Summe, die wir als Eigenbeteiligung in Anspruch nehmen.

Deswegen sehe ich derzeit keine Notwendigkeit zur Änderung des Schulgesetzes, jedenfalls nicht, um - wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt - der Intention des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes zu entsprechen. Der Intention werden der Gesetzestext sowie die heutige Anwendungspraxis durchaus gerecht.

Selbstverständlich ist es Ihnen unbenommen, die Diskussion im Ausschuss weiter zu führen. Daran werde ich mich selbstverständlich gern beteiligen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Nun beginnen wir mit der Debatte. Für die Fraktion der SPD spricht nun Frau Mittendorf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass wir mit dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes im vergangenen Sommer ein wesentliches und bildungspolitisch wichtiges Vorhaben der Koalition umgesetzt haben. Das führte dazu, dass seit Beginn des Schuljahres 2009/2010 Schülerinnen und Schüler bzw. deren Erziehungsberechtigte von den Kosten der Schülerbeförderung im Sekundarbereich II entlastet werden.

Damit wurde in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise ein klares Zeichen für mehr Chancengleichheit beim Bildungszugang gesetzt, auch wenn dies von einigen massiv kritisiert worden ist. Das Gesetz sorgt aus unserer Sicht in erheblichem Ausmaß für eine Entlastung. Das Gesetz ist mehr als eine Erleichterung oder gar nur eine Geste.

Ich nenne ein Beispiel. Bis zum Schuljahr 2008/2009 kostete eine Schülerjahreskarte in Salzwedel ca. 1 040 €. Jetzt sind hierfür nur noch 100 € im Jahr zu bezahlen. Die Finanzierung dieser Maßnahme wurde durch den Haushalt gesichert.

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zielt auf die Schaffung von notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, um den Trägern der Schülerbeförderung die Möglichkeit einzuräumen, Schüler und Eltern nun auch noch von der Eigenbeteiligung von 100 € jährlich zu befreien. Ich will an dieser Stelle nicht darüber philosophieren, ob 100 € im Jahr und somit weniger als 10 € im Monat in Einzelfällen eine zu hohe Belastung darstellen. Der Herr Minister hat auf das Sozialgesetzbuch verwiesen. Ich möchte aber betonen, dass es wahrscheinlich kein Gesetz schafft, in jedem Einzelfall eine absolute Gerechtigkeit zu erreichen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, die von Ihnen vorgeschlagene Formulierung wird diesem

Anspruch auch nicht gerecht. Folgte man Ihrem Vorschlag, entstünde im Land ein Flickenteppich unterschiedlichster Kreisentscheidungen bzw. Entscheidungen in den kreisfreien Städten. Die Entlastung von der Eigenbeteiligung würde in dem einem Kreis vielleicht erfolgen, in dem anderen aber nicht. Entscheidend hierfür sind die konkrete finanzielle Situation sowie die Zusammensetzung der Kreis- und Stadtparlamente. Die politischen Mehrheiten würden dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Sie haben wahrscheinlich aus gutem Grund keine Kriterien für eine Entlastung festgelegt und sprechen nur von begründeten Fällen. Genau aber an diesem Punkt beginnen die Probleme. Liest man Ihre Begründung, so kann jeder Schulträger andere Kriterien für die Entlastung von der Eigenbeteiligung zugrunde legen. Das fördert nicht nur den Flickenteppich, sondern kann auch zur Unzufriedenheit bei den möglicherweise Begünstigten führen.

Ebenso muss man wissen, dass durch die von der LINKEN vorgeschlagene Öffnung des Schulgesetzes möglicherweise aus Einzelfällen Größenordnungen entstehen könnten. Das wissen wir natürlich aber alle nicht. Spätestens dann jedoch würden uns die kommunalen Spitzenverbände zu einer Gegenfinanzierung auffordern.

Meine Damen und Herren! Das Anliegen ist vermutlich gut gemeint. Auf den ersten Blick erscheint es nachvollziehbar, die Angelegenheit den Schulträgern zu überlassen. Mehr Geld vom Land soll es nicht geben, und das kann auch nicht der Fall sein. Schaut man aber genauer hin, so stellt man fest, dass man durch diese Regelung eine Fülle neuer Probleme schafft. Ob diejenigen, denen die neue Regelung helfen soll, dann zufrieden sind, dürfte man bezweifeln.

All das hatten wir bei den Gesetzesberatungen im Ausschuss im Jahr 2009 schon im Blickpunkt. Aus den Protokollen geht klar hervor, dass der Eigenanteil vollständig von den Begünstigten zu erbringen sei. Das war in den damaligen Debatten auch nicht anders gewollt. Es gab Vorstufen zur Debatte, aber zum Abschluss war das so.

Meine Damen und Herren! Die gegenwärtige Regelung führt zu einer gewaltigen Entlastung von Schülerbeförderungskosten im Sekundarbereich II. Das sollte nicht kleingeredet werden, auch nicht im Hinblick auf mögliche Einzelfälle. Das Ganze sollte nicht zerredet werden.

Wir werden einer Überweisung an die Ausschüsse natürlich nicht widersprechen. Wir sollten debattieren und erfassen lassen, wie viele Fälle konkret betroffen sind. Wir schlagen vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Finanzen, an den Ausschuss für Inneres sowie an den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr zu überweisen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. Möchten Sie eine Frage von Herrn Lange beantworten?

Aber gerne, wenn er keine Fangfragen stellt.

Bitte, Herr Lange, fragen Sie.

Frau Mittendorf, niemals.

Sie haben Recht. Für die meisten Leute gab es eine Entlastung. Aber sowohl bei Ihrer Rede als auch bei der Rede des Herrn Ministers hat es mich sehr gewurmt, dass Sie auf der einen Seite das Positivwort der Entlastung benutzen, bei einigen Leuten aber eine reale Belastung ankommt, weil wir vorher eine reale Befreiung hatten. Wenn Sie sagen, dass jetzt 8 € pro Monat bezahlt werden sollen, dann ist das eine reale Belastung. Das kann bei den Leuten sehr zynisch ankommen. Das soll aber nur ein Hinweis sein.

Wir haben heute mehrfach das Hohelied der kommunalen Selbstverwaltung gehört. Wir haben mehrfach gehört, wie wichtig uns das ist. Ich sage Ihnen, wir nehmen das ernst.

(Zuruf von der CDU: Frage!)

Das kann dazu führen, dass es in unterschiedlichen Gebietskörperschaften unterschiedliche Regelungen gibt. Aus diesem Grunde gibt es schließlich die kommunale Selbstverwaltung. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass eine Kommune frei entscheiden kann, ob sie eine Komplettentlastung für eine bestimmte Klientel vornehmen möchte? Was spricht dagegen?

Ich beginne mit der zweiten Frage. Wenn jede Kommune eigene Regelungen findet - dies kann man im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung fordern -, dann möchte ich erleben, was passiert, wenn im Land bekannt wird, dass in einer Kommune 5 € bezahlt werden, in einer anderen 20 €, während eine andere Kommune alles übernimmt. Dann ist die nächste Änderung des Schulgesetzes vorprogrammiert, weil wir dann die gemeinsamen Kriterien festlegen. Das geht aus meiner Sicht also schlecht.

(Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Bevor ich mich aufmache und das Schulgesetz verändere, das wir mühsam in einem großen Schritt in eine positive Richtung verändert haben, würde ich zunächst einmal einen Zwischenschritt machen und zum Beispiel über einen Selbstbefassungsantrag im Ausschuss beantragen, dass das Landesverwaltungsamt oder wer auch immer erfasst, welche Leute in welchen Fällen in welchem Umfang davon betroffen sind. Sollte sich dabei herausstellen, dass das eine Massenerscheinung ist, dann müssen wir in der Tat darüber reden, ob wir etwas machen können. Bevor wir das aber nicht wissen, sollten wir uns damit etwas zurückhalten.

Ich finde das nicht zynisch. Man muss schon einmal sagen, dass wir etwas Vernünftiges in schweren Zeiten vollbracht haben. Es kann Einzelfälle geben, die man überprüfen muss. Wenn man die kommunale Selbstverwaltung stärken will, kann man theoretisch sagen: Jede Kommune kann irgendjemandem so viel geben, wie sie will. Aber für die Betroffenen stellt das keine Gleichbehandlung dar, die wir eigentlich erreichen wollten.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Nun erteile ich Herrn Kley das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, es mag sein, dass das Thema, das Sie heute aufgegriffen haben, Ihnen frisch in den Fokus geraten ist. Wer aber die Protokolle der Ausschussberatungen liest, der stellt fest, dass das alles bereits damals eine Rolle gespielt hat.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich habe damals in nichtöffentlicher Sitzung gefragt, ob es eventuell eine Schlechterstellung geben könnte. Eine Abgeordnete einer Regierungspartei hat dies klar bejaht. Das ist also kein neuer Sachverhalt. Das ist bekannt.

Auch eine Diskussion über damals vorhandene kommunale Regelungen, die dadurch ausgehebelt werden können, fand sowohl in nichtöffentlicher als auch in öffentlicher Sitzung in der Anhörung statt.

Diesbezüglich kann man natürlich sagen: Es ist immer wieder gut, wenn hier an dieser Stelle auch der kommunalen Selbstverwaltung das Wort geredet wird. Ich hätte mich auch gefreut, wenn es zum damaligen Antrag der FDP-Fraktion zur zwölfen Änderung des Schulgesetzes ein wenig mehr positive Resonanz gegeben hätte, denn genau das war die Intention unseres Antrages.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, wenn wir hier über Gemeindegebietsreformen sprechen, größere Einheiten schaffen und danach diesen Einheiten jegliche Kompetenz absprechen, stärken wir damit nicht die Zustimmung zu derartigen Reformen, sondern rufen Ablehnung hervor und umso mehr wird gezweifelt, ob das, was hier geschehen ist, noch sinnvoll war.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab damals in der Anhörung zum Schulgesetz eine Frage der Abgeordneten Reinecke - es war eine öffentliche Anhörung, deswegen ist es möglich, aus dem Protokoll zu zitieren -:

„ … bestünde aus meiner Sicht die Gefahr, dass man in Sachsen-Anhalt einen Flickenteppich hätte, da es jeder Landkreis anders gestalten könnte. Unterstreichen Sie diese Befürchtung?“

Herr Ziche, Landrat des Altmarkkreises Salzwedel, sagte:

„Die kommunale Selbstverwaltung befürwortet ausdrücklich einen solchen Flickenteppich. Von daher muss man auch den Landkreisen, Städten und Gemeinden zugestehen, eigenverantwortlich zu handeln. Ich denke, auf der kommunalen Ebene kann man besser auf regional bedingte spezifische Probleme abstellen. In einem Raum, in dem viel mehr Einwohner wohnen, wie im Süden des Landes Sachsen-Anhalt, herrschen ganz andere Probleme als in einem dünn besiedelten Raum wie dem unseren… Von daher könne man darauf sicherlich individueller reagieren.“

So weit zu dem Zitat eines Vertreters der kommunalen Gebietskörperschaften.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gemeinderäte und die Kreistage sind diejenigen, die näher an den Bürgerinnen und Bürgern dran sind und deren Probleme kennen. Deshalb wäre es sinnvoll gewesen, diese Regelung in das Finanzausgleichsgesetz aufzunehmen und die Schülerbeförderung in Sachsen-Anhalt einheitlich zu regeln.

(Beifall bei der FDP)