Protocol of the Session on February 19, 2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden die Beschlussempfehlung des Ausschusses ablehnen, weil wir der Meinung sind, dass wir eine interkommunale Funktionalreform brauchen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Der Wunsch, den Herrn Innenminister zu hören, wird sogleich erfüllt. Ich erteile Herrn Minister Hövelmann das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte natürlich vor Ihnen sprechen, aber irgendwie bin ich nicht dazu gekommen. Verehrter Herr Kosmehl, das gibt Ihnen aber die Chance, als Einziger zweimal reden zu dürfen, wenn ich die Geschäftsordnung richtig im Kopf habe.

Ich möchte Ihnen ganz offen sagen: Diesen Redebeitrag hätte ich gern gestern von Ihnen gehört.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Herr Stahlknecht, CDU: Den hat er vertauscht!)

Die Regierung und das Parlament aufzufordern, mutig zu sein und kraftvoll Entscheidungen zu treffen, auch wenn man manchmal Gegenwind ausgesetzt ist - eine solche Rede wäre im Zusammenhang mit der Gemeindegebietsreform runtergegangen wie Öl. Eine solche Rede wäre klasse gewesen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stahlknecht hat dargestellt, wie intensiv sich der Innenausschuss mit dieser Thematik befasst hat. Auch die Landesregierung hat in den zurückliegenden Monaten sehr intensiv an dieser Thematik gearbeitet. Sie hat mit den internen Strukturen die entsprechenden Gespräche geführt.

Wir haben uns aber sowohl in Gesprächen mit den Spitzenverbänden als auch in der Lenkungsgruppe Verwaltungs- und Funktionalreform, die erst kurz vor Jahresende zu diesem Thema - und zwar nur zu diesem Thema - getagt hat, eingestehen müssen, dass wir zwei Dinge gegenwärtig nicht erreichen.

Das Erste ist eine einvernehmliche Konsensliste zwischen den beiden kommunalen Spitzenverbänden. Dies betrifft also die beiden Ebenen, zwischen denen Aufgaben verlagert werden sollen. Unser gemeinsames Anliegen muss es sein, dass wir nicht nur eine Seite betrachten und nicht nur die Position eines kommunalen Spitzenverbandes im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. Vielmehr muss es unser Ziel sein, möglichst beide ins Boot zu holen bei der Frage der Aufgabenverteilung zwischen den Landkreisen und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden. Und das ist nicht erfolgt.

Das kann man bedauern, aber man muss es zunächst einmal sachlich und nüchtern feststellen. Daraus ziehen wir die Konsequenz, dass wir weiterhin daran arbeiten müssen, diesen Konsens auch mit den beiden kommunalen Spitzenverbänden herzustellen. Das dauert aber noch eine Weile und deshalb brauchen wir noch Zeit.

Das Zweite hat etwas mit den Veränderungen der Strukturen zu tun. Die Wirkungen der Kreisgebietsreform sind längst noch nicht abgeschlossen. Die Landkreise sind zwar formal gebildet, aber Sie alle wissen - zumindest diejenigen, die sich in ihrem jeweiligen Heimatlandkreis kommunalpolitisch engagieren -, dass dort noch ein erheblicher Bedarf daran besteht, die neuen Strukturen so arbeits- und leistungsfähig zu machen, dass die vom Gesetzgeber erwarteten Effekte erzielt werden. Die Findungsphase ist selbst nach zweieinhalb Jahren noch

nicht abgeschlossen. Dies wird anhand der Protokolle der Beratungen in den jeweiligen Kreistagen deutlich.

Auf der Gemeindeebene ist noch nicht einmal das Gesetzgebungsverfahren zur Gemeindegebietsreform abgeschlossen. Wir haben noch nicht einmal die leistungsfähigen Gemeindestrukturen. Wir sind erst auf dem Weg. Wir sind zwar zugegebenermaßen auf der Zielgeraden, aber noch nicht am Ziel. Deshalb ist es richtig, zunächst das Ziel zu erreichen und die Gemeindestrukturreform zum Abschluss zu bringen, sodass sich die Gemeinden darauf vorbereiten können, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung ist für bürgernahe und bürgerfreundliche Verwaltungsstrukturen in unserem Land. Ich hoffe, dass Sie uns das nicht absprechen. Es geht darum, möglichst viele erstinstanzliche Aufgaben vor Ort wahrnehmen zu lassen.

Wir sind aber - es sei mir gestattet, das hier zu sagen - hinsichtlich unserer Verfassung und hinsichtlich der möglichen technischen Gegebenheiten in unserem Land mittlerweile so weit, dass wir sagen können: Vieles, das vormals nur durch eine persönliche Begegnung mit einem Sachbearbeiter der öffentlichen Verwaltung vor Ort zu erledigen war, ist für die Bürgerinnen und Bürger heute ohne den Gang zum Amt zu erreichen, nämlich durch die Möglichkeiten von E-Government und mit elektronischen Hilfsmitteln.

Diesbezüglich liegt noch einiges vor uns. Das ist auch Gegenstand vieler parlamentarischer Beratungen und Ausschussberatungen in der zurückliegenden Zeit gewesen und wird es mit Sicherheit auch in Zukunft sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die interkommunale Funktionalreform erfolgreich umsetzen wollen, dann ist mein Petitum, zwei Dinge auf dem Weg dorthin zu tun: erstens die Akzeptanz beider kommunaler Spitzenverbände für eine interkommunale Funktionalreform anzustreben und zu erreichen und zweitens den neuen Strukturen eine angemessene Findungsphase zu gewähren, damit sie auch in der Lage sind, zusätzliche Aufgaben zu erfüllen, die sie dann in der entsprechenden Qualität und Wirtschaftlichkeit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande als Dienstleister zu erbringen haben.

Ich darf Sie daher herzlich bitten, der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu folgen und den Antrag der Fraktion DIE LINKE abzulehnen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Nun erteile ich Herrn Rothe von der Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Kosmehl in der ersten Beratung zu diesem Antrag am 22. Januar 2009 zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Gemeindegebietsreform mangels Aufgabenübertragung für verfassungswidrig hält, möchte ich Sie, Herr Kosmehl, darauf aufmerksam machen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was vor zwei Jahren beschlossen worden ist, und dem, was vor fünf Jahren zum Thema Aufgabenübertragung hier im Landtag beschlossen worden ist.

Das vor zwei Jahren in Kraft getretene Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetz zielt auf die „Schaffung zukunftsfähiger gemeindlicher Strukturen, die in der Lage sind, die eigenen und übertragenen Aufgaben dauerhaft sachgerecht, effizient und in hoher Qualität zu erfüllen“. - Ich habe soeben den ersten Paragrafen dieses Gesetzes zitiert.

Im Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz, das Sie, Herr Kosmehl, vor fünf Jahren mitbeschlossen haben, lautet § 5:

„Die Landkreise sollen aus Gründen des öffentlichen Wohls durch Gesetz neu gegliedert werden.

Angesichts der demografischen Entwicklung und künftiger weiterer Aufgabenübertragungen soll die Leistungsfähigkeit der Landkreise gestärkt und langfristig gesichert werden.“

Sie haben also damals eine gesetzliche Verknüpfung der Funktional- mit der Kreisgebietsreform vorgenommen, die wir bei der Gemeindegebietsreform unterlassen haben.

Politisch - damit komme ich zum Antrag der Fraktion DIE LINKE - bitte ich darum, die Beschlussempfehlung des Innenausschusses nicht als endgültig zu verstehen, sondern als einen Appell an die kommunalen Spitzenverbände, sich doch noch auf einen gemeinsamen Vorschlag für die Aufgabenübertragung zu verständigen,

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD, und von Frau Dr. Kuppe, SPD)

also darauf, welche Aufgaben von der Kreis- auf die Gemeindeebene übertragen werden sollen. Ich füge hinzu: Wenn die kommunalen Spitzenverbände sich nicht einigen sollten, dann ist der Gesetzgeber natürlich gefragt, von sich aus eine begrenzte Aufgabenübertragung von den Landkreisen auf die Gemeinden vorzunehmen, und zwar zeitig in der nächsten Legislaturperiode.

Der Städte- und Gemeindebund selbst hat in seinem Schreiben an den Innenausschuss vom 12. Juni 2008 erklärt, dass nach seinen Vorstellungen die interkommunale Funktionalreform nach dem Abschluss der Gemeindegebietsreform zum 1. Januar 2012 in Kraft treten soll. Das halte auch ich für ein geeignetes Datum, zumal dann auch eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes wirksam werden soll, bei der man ein drittes Funktionalreformgesetz berücksichtigen kann.

Den Landtag sehe ich nicht in der Pflicht, in der zu Ende gehenden Wahlperiode alle Verwaltungsstrukturen so zu ordnen, dass dann - Herr Stahlknecht - 20 Jahre Ruhe ist. Vielleicht habe ich Sie damit aber auch missverstanden. Wir befinden uns in einem Transformationsprozess, dessen Ende nicht in Sicht ist.

(Herr Stahlknecht, CDU: Aber nicht bei der Ge- meindegebietsreform!)

- Es geht in der Tat nicht nur um die Gemeindegebietsreform, die dann für sich abgeschlossen ist. Es geht zum Beispiel auch um andere Strukturen, die für mich nicht endgültig geregelt sind.

Bei Aufgabenübertragungen geht es immer um Abgebende und Aufnehmende. Wenn man darüber redet, Aufgaben zu übertragen, dann sollte man nicht nur darüber reden, ob die aufnehmende Körperschaft hinreichend leistungsfähig ist, sondern auch darüber, ob die

abgebende Körperschaft in der Lage ist, etwas abzugeben.

In Sachsen-Anhalt haben mittlerweile zehn der 14 Gebietskörperschaften der Kreisebene weniger als 200 000 Einwohner. Demgegenüber haben in Sachsen alle 13 Gebietskörperschaften dieser Ebene mehr als 200 000 Einwohner. Bei einer Reduzierung auf fünf Landkreise und zwei kreisfreie Städte in Sachsen-Anhalt hätten diese im Durchschnitt eine ähnlich hohe Einwohnerzahl wie in Sachsen. Die Strukturen wären zudem mit Blick auf eine Länderneugliederung kompatibel,

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

und wir hätten die Grundlage für eine substanzielle Funktionalreform vom Land zu den Kreisen, wie sie in Sachsen bereits stattgefunden hat.

(Frau Weiß, CDU: Das ist nichts Neues! - Herr Stahlknecht, CDU: Das ist gut zu wissen!)

Meine Damen und Herren! Der Aufgabenübertragung von den Landkreisen auf die Gemeinden sind Grenzen gesetzt, die sich aus dem Gebot der wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung ergeben. Zugleich sollten wir im Auge behalten, dass die Gemeinden nach dem Grundgesetz die eigentlichen Selbstverwaltungskörperschaften sind. Die Landkreise sind subsidiär zuständig, soweit die Verwaltungskraft der einzelnen Gemeinde nicht ausreicht.

Bei der Aufgabenübertragung auf die Gemeinden - das möchte ich abschließend noch sagen - geht es nicht allein um straßenverkehrsbehördliche Zuständigkeiten und dergleichen mehr.

Ein in meinen Augen besonders erwägenswerter Vorschlag ist die erleichterte Übernahme der Zuständigkeit für weiterführende Schulen durch daran interessierte Gemeinden. Wenn eine Gemeinde die Schulträgerschaft übernimmt, dann kann die Schule zum kulturellen Zentrum der Gemeinde werden. Unter Umständen kann die Schulbibliothek zugleich als Gemeindebibliothek genutzt werden.

Wenn der Schuleinzugsbereich identisch mit dem Gemeindegebiet ist, bildet sich bei den Heranwachsenden eine Gemeindeidentität heraus. Nicht selten wird die Schule zum Lieblingskind des Gemeinderates. Da wir künftig viele Gemeinden haben werden, die mehr als 12 000 Einwohner haben, was von den Bildungspolitikern als Mindestgröße für eine Sekundarschulträgerschaft betrachtet wird

(Frau Mittendorf, SPD, hebt den Finger)

- oder künftig AOS-Trägerschaft, Frau Mittendorf -,

(Heiterkeit bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

dann haben wir, denke ich, gute Grundlagen, um diesen Weg zu gehen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Herr Rothe. Möchten Sie eine Frage von Herrn Stahlknecht beantworten? - Herr Stahlknecht, bitte.