Protocol of the Session on December 11, 2009

Danke, Herr Abgeordneter Daldrup. - Herr Krause, möchten Sie noch einmal erwidern?

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier nicht erwidern, nur anmerken, dass ich doch zur Kenntnis nehmen muss, dass überhört wurde - obwohl ich es gesagt habe -, dass es 1990 unter der Regierung Kohl eine breite parteipolitische Übereinstimmung zum Bestand der Ergebnisse der Bodenreform gab, die Akzeptanz der damaligen besatzungshoheitsrechtlichen Entscheidungen, dass Karlsruhe auf Anträge der Alteigentümer ganz klar Recht gesprochen hat, dass es nicht angetastet wird.

Am Europäischen Gerichtshof haben die Alteigentümer bezüglich des § 230, der Enteignung der Bodenreformlandbesitzer, auch noch einmal einen Versuch gestartet. Dieser Antrag ist zurückgewiesen worden. Auf Bundesebene, auch auf europäischer Ebene ist juristisch eine Entscheidung getroffen worden.

Was mich sehr verwundert, ist, wie Sie nach 20 Jahren trotz all dieser Entscheidungen und der damaligen historischen Akteure den Mut haben, hier mit einer geschichtsbetrachtenden Revision aufzutreten. Das ist der erste Punkt.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Zweitens. Sie sollten bedenken, dass ich gesagt habe, dass auch in Umsetzung der Bodenreform Unrecht geschehen ist, und ich bleibe dabei - ich spreche von vor mehreren Jahrzehnten agierenden Menschen -, dass auch die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden sollten. Ich hatte vorhin gesagt: Es gab Unrecht. Dazu stehe ich. Es gab in Einzelfällen Unrecht. Die geschichtliche Betrachtung war damals so, und das nicht von wenigen Menschen.

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Es gab die historisch große Entscheidung, diese Bodenreform durchzuführen, und Sie sollten wissen: Durch neues Unrecht wird altes einzelnes Unrecht nicht revidiert.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 5/2302 ein.

Es ist eine Überweisung in den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantragt worden. Wer stimmt dieser Überweisung zu? - Das sind die Antrag

stellerin und die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist der Antrag in den Ausschuss überwiesen worden und wir verlassen Tagesordnungspunkt 17.

Ich schlage Ihnen vor, dass wir jetzt bis 13.15 Uhr in die Mittagspause gehen.

Unterbrechung: 12.32 Uhr.

Wiederbeginn: 13.14 Uhr.

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Sitzung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Handlungskonzepte zu Amoklagen

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2318

Der Einbringer ist der Abgeordnete Herr Kosmehl für die FDP-Fraktion. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere es außerordentlich, dass die Teilnahme vieler Mitglieder des Hohen Hauses an diesem Tagesordnungspunkt nach der Mittagspause nicht gegeben ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich hoffe, dass sich die Reihen während der Debatte noch etwas mehr füllen werden. Dieses Thema, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eines der ernsthaftesten Themen, die man im Bereich der Polizei diskutieren darf, muss und soll.

Ich möchte meinen Beitrag mit einem Zitat aus der „Volksstimme“ starten:

„Die Waffe sah so echt aus, dass wir bei einer Bedrohung abgedrückt hätten.“

So wird ein Ermittler im Nachgang zu den Ereignissen im Hegel-Gymnasium in Magdeburg zitiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Magdeburg hat es in kürzester Zeit eine Amoklage gegeben, die auch einen hohen Polizeikräfteeinsatz notwendig gemacht hat. Im Nachgang hat es noch eine weitere Situation gegeben, in der zumindest eine Amoklage hätte eintreten können.

Wir können feststellen, dass diese beiden Ereignisse Gott sei Dank nicht so ausgegangen sind, wie wir es leider im Jahr 2002 in Erfurt und im März 2009 in Winnenden haben zur Kenntnis nehmen müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erfurt und Winnenden waren tragische Ereignisse. Es ist unfassbar, unbegreiflich, dass ein Mensch, ein Mitschüler zu einer solchen Tat fähig ist. Solche Amoktaten, aber auch Amoklagen sind bedrohliche Situationen für alle Beteiligten, in erster Linie für die Bedrohten, nämlich die betroffenen Schüler und Lehrer, aber auch für deren Angehörige, die sich Sorgen über das machen, was in der Schule passiert.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf den zweiten Blick sind es auch bedrohliche und ernste Situationen für die im Einsatz befindlichen Beamten. Diese entscheiden mit ihrem konsequenten Einsatz und mit ihrem Auftreten auch darüber, ob Amoklagen schnell beendet werden können, vor allen Dingen so, dass sie - das ist im Interesse aller - so wenig Verletzte bzw. Tote hinterlassen, wie es nur irgend geht. Auf diese schwierige berufliche Situation sind die Beamten natürlich auch vorbereitet. Aber dass sie sie immer wieder vor neue Herausforderungen stellen, dürfen wir bei diesem Thema nicht vergessen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat den Antrag in den Landtag eingebracht, damit wir uns durch die Landesregierung sowohl im zuständigen Innenausschuss als auch im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur über die bereits bestehenden Handlungskonzepte berichten lassen können. Wir haben den Antrag aber auch eingebracht, um die Fragen aufwerfen zu können, wo wir noch weitergehen müssen und was noch geschehen muss. Was haben wir, die Politik wie auch die Landesregierung, seit den Ereignissen in Erfurt - die liegen nun mittlerweile mehr als sieben Jahre zurück - oder in Winnenden lernen müssen, aber noch nicht vollständig umgesetzt?

Wir haben dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, einige Fragen aufgeworfen. Die sind nicht abschließend. Ich erhoffe mir von der heutigen Debatte und von den Beratungen im Ausschuss einen Einstieg in eine breit angelegte Diskussion darüber, wie wir mit den Einsatzkräften der Polizei, den Rettungskräften und den Feuerwehren, aber auch mit den ehrenamtlich tätigen Vereinen, die es auch in Sachsen-Anhalt gibt und die die Betreuung und Nachsorge bei den Schülerinnen und Schülern, Lehrern und Eltern im besonderen Blick haben, ins Gespräch kommen können. Wo kann man eine bessere Vernetzung herstellen, ohne dass man die Aufgaben, die jede dieser beteiligten Gruppen hat, wegdiskutiert oder ihnen wegnehmen will?

Klar ist, dass bei einer Amoklage in erster Linie die Polizei gefragt ist. Sie muss mit ihrem mobilen Einsatzkommando, den Sondereinsatzkommandos und auch mit den Polizeivollzugsbeamten vor Ort zunächst einmal die Lage unter Kontrolle bekommen und sichern und vor allen Dingen den Täter möglichst unschädlich machen. Im besten Falle nimmt sie ihn in Gewahrsam.

Parallel dazu bzw. im Nachgang müssen wir uns um die kümmern, die durch den Amoklauf in eine außergewöhnliche Situation gekommen sind, nämlich Schülerinnen und Schüler und deren Eltern sowie die Lehrer, die überhaupt nicht wissen, wie sie in so einer Situation handeln sollen. Zum Beispiel wissen Eltern nicht, wie sie auf ihre Kinder eingehen sollen. Wie sollen sie das verarbeiten? Soll man darüber nur diskutieren? Muss man mit ihnen neue Handlungsabläufe absprechen, damit sie wissen, wie sie sich verhalten sollen?

Man muss vielleicht - das ist mir im Nachgang zum Einsatz in Magdeburg zugetragen worden - auch erklären, dass Polizeibeamte, die im Einsatz sind und die in eine Schule vorrücken, natürlich nicht lächelnd und unaufgerüstet hineinspazieren können als der nette Polizeibeamte von nebenan, sondern dass sie zum Eigenschutz und natürlich auch in Kenntnis des Ernstes der Lage angespannt sind und dass das keine Bedrohung für die Schüler ist, sondern für den Ablauf und vor allen Dingen für die Beendigung dieser Amoklage notwendig ist. Aber

auch das müssen wir natürlich Lehrern, Schülern und Eltern erklären.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dafür gibt es auch in Sachsen-Anhalt Ansätze. Da bin ich mir auch vor dem Beitrag des Innenministers und vor der Diskussion sicher. Aber keine Handlungskonzepte sind so abschließend, dass man sie nicht zum einen immer wieder hinterfragen muss und zum anderen natürlich auch erweitern kann.

Eine Frage, die mich seit dem Amoklauf in Erfurt im Jahr 2002 immer wieder umtreibt - wir haben in der Fraktion über das Thema schon häufig gesprochen und uns überlegt, wann man einen solchen Antrag stellen kann - ist, ob es bei der Polizei in Sachsen-Anhalt mittlerweile flächendeckend oder zumindest zum großen Teil Lagepläne gibt, also Gebäudeskizzen von den Schulen. Weiß man also, auf welches Gelände man kommt? - Ich weiß, dass es bei der Feuerwehr immer Brandschutzbegehungen gibt. Die haben meistens Kenntnis von den Gebäuden. Aber kennt man auch bei der Polizei die Gebäude?

Wissen Schulleitung und verantwortliche Lehrer, was sie in einer solchen Situation machen müssen? Gibt es vielleicht Code-Wörter oder Ähnliches? - Ich habe gehört, dass man an einigen Schulen in Magdeburg vereinbart hat, dass man bei einem bestimmten Zeichen oder Wort nicht auf den Schulhof rennt, sondern im Klassenzimmer bleibt oder sich in einen sicheren Teil des Gebäudes zurückzieht.

All das sind doch gute Ansätze, die wir in ganz SachsenAnhalt etablieren können und die wir vor allen Dingen auch dahin gehend publik machen können, dass es auch Möglichkeiten gibt, um in einer solchen bedrohlichen Situation mit einem klaren Kopf - den kann man in so einer Situation nur haben, wenn man sich vorher schon einmal gedanklich damit beschäftigt hat - eine Verschlimmerung der Lage zu verhindern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Expertenkreis Amok in Baden-Württemberg hat - er wurde durch einen Beschluss der Landesregierung wenige Tage nach dem Ereignis in Winnenden eingesetzt - vor einigen Wochen seinen Abschlussbericht vorgelegt. Ich empfehle allen, die an diesem Thema Interesse haben, sich diesen Abschlussbericht zu Gemüte zu führen, weil darin nicht nur eine Aufarbeitung stattfindet und ein Problemaufriss hinsichtlich der geforderten Bereiche enthalten ist. Vielmehr enthält der Bericht auch konkrete Handlungsempfehlungen für bestimmte Bereiche. Das reicht vom Umgang in der Schule damit über die Kenntnis von Lageplänen und Ähnlichem bis hin zur Berichterstattung der Medien über solche Amoktaten.

Gerade nach Winnenden - ich glaube, viele können sich auch noch an Erfurt erinnern - ist über Tage hinweg über diese Tat berichtet worden. Oftmals hat man versucht, bis es vom Schulleiter unterbunden worden ist, einzelne Schüler zu fragen: Wie habt ihr diese Situation empfunden? War es bedrohlich? Hast du Angst gehabt? - Man befragt Schüler, die eigentlich etwas anderes zu tun haben, nämlich das Ereignis zu verarbeiten. Man hat seitens der Medien immer wieder versucht, die Schüler zu bedrängen.

Auf der Seite 59 der Handlungsempfehlung ist zu lesen:

„Opfer schützen - verantwortlich berichten - Nachahmung verhindern - keine Täterzentrierung“

Diese vier Stichpunkte - sie werden dann noch näher erläutert - sind von dem Expertenkreis genannt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch das gehört eben dazu. Dies ist von der Politik nicht beeinflussbar. Aber gerade mit einer solchen Debatte und der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist, so glaube ich, auch gegenüber den Medien klar zu machen: Die Berichterstattung in den Medien ist notwendig. Es ist eine Tat, über die berichtet werden muss; aber die Berichterstattung muss immer die Opfer im Blick haben und sie muss vor allen Dingen auch deutlich machen können - das ist in der Vergangenheit in manchen Bereichen nicht gelungen -, dass das keine - in Anführungszeichen - coole Aktion ist, sondern eine abscheuliche Tat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber reden wir, wenn Amoklagen entstehen? - Wir reden über die Einsatzplanung der Polizei. Gibt es dafür Pläne? Wer rückt an? Wie rückt man an? Wie schnell rückt man an? - Wir reden darüber, wie viel Personal eingesetzt werden muss.

In Magdeburg hatte man im Vergleich zu dem konkreten Ergebnis auf den ersten Blick ein massives Polizeiaufgebot. Nun stellt sich ganz nüchtern betrachtet die Frage: War das alles notwendig oder kann man vielleicht zukünftig in mehreren Etappen mit Personal aufrücken? Die Neugier der Öffentlichkeit und der Medien wird umso mehr geweckt, je mehr Polizeibeamte vor Ort sind.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt nicht - das will ich ausdrücklich sagen -, dass ich diesen Polizeieinsatz kritisiere. Ich sage nur: Solche Einsätze sind dazu da, ausgewertet zu werden und zu schauen, wo man zukünftig an der einen oder anderen Stelle, beispielsweise beim Aufrücken oder beim Ablauf einer solchen Amoklage, besser werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der zweite Punkt - er ist mir besonders wichtig - betrifft die Frage, wie wir uns um die Schülerinnen und Schüler, um die Lehrerinnen und Lehrer und deren Angehörige kümmern. Wie erfolgt die Betreuung? Kann sie beispielsweise parallel zur Schule erfolgen?