Protocol of the Session on December 10, 2009

Meine Damen und Herren! Ich will auch noch darauf hinweisen, dass die Herstellung der Barrierefreiheit von großem Nutzen für die Gesellschaft insgesamt ist. Eine barrierefrei gestaltete Umwelt - wir wissen das - ist sowohl für die Menschen mit Behinderung als auch für Familien mit Kleinkindern, für Seniorinnen und Senioren,

für Schwangere, ja letztlich für alle Menschen nutzbar und leichter zugänglich.

Auch mit dem Blick auf den demografischen Wandel kommt Investitionen in eine barrierefreie Gestaltung der Umwelt eine besondere Bedeutung zu. Aufgrund der Schrumpfung und der Alterung der Bevölkerung kann es in Zukunft nicht mehr in erster Linie um den weiteren Ausbau infrastruktureller Einrichtungen gehen; die Anstrengungen müssen vielmehr der qualitativen Verbesserung und der Nutzbarkeit der vorhandenen Infrastruktur durch die Gesellschaft von morgen gelten. Das ist individuell, aber auch volkswirtschaftlich sinnvoll und muss ermöglicht werden.

Die vorläufige Beschlussempfehlung ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Die hierin genannten Maßnahmenpläne sollen zügig in Angriff genommen werden. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist ein breites Bündnis sowohl der staatlichen als auch der privat und anderweitig zu beteiligenden Akteurinnen und Akteure notwendig. So sind im Vorfeld der Erstellung von konkreten Maßnahmenplänen die Forderungen und die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung und deren Organisationen bzw. Interessenvertretungen unbedingt mit einzubeziehen und dann auch zu berücksichtigen.

Zur Erstellung der Maßnahmenpläne soll aber auch externer Sachverstand, beispielsweise der Universitäten und der Fachhochschulen unseres Landes, aber auch der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften mit eingebunden werden. Ich halte solche mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren gemeinsam zu beschreitende Wege des konzeptionellen Denkens und des daraus abgeleiteten Handelns, die letztlich in konkrete Maßnahmenpläne münden werden, für sinnvoll und für zielführend. Deshalb bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung des Sozialausschusses zuzustimmen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke, Frau Ministerin. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Dr. Eckert.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist, glaube ich, nicht üblich, zu einer Beschlussempfehlung, die das Ende der Beratung eines Themas dokumentieren soll, nochmals einen Änderungsantrag vorzulegen. Wir haben uns dennoch dazu entschlossen, um die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses etwas nachdrücklicher auf das inhaltliche Problem zu lenken.

Die vorliegende Beschlussempfehlung des Sozialausschusses - Herr Schwenke erwähnte es - geht auf einen Antrag unserer Fraktion aus dem Jahr 2007 zurück. Daraus wird ersichtlich, wie lange sich die beteiligten Ausschüsse, insbesondere der Sozialausschuss, mit dem Thema beschäftigt haben. Mehrfach standen Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Ressorts, manche von ihnen sogar mehrmals, in den Beratungen des Sozialausschusses Rede und Antwort.

Die Beschäftigung war nicht nur ausgedehnt, sondern auch sehr gründlich. Einige Ressorts haben gar festgestellt, dass sie sich erstmals - ich betone: erstmals - ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt haben, was für die Notwendigkeit unseres Antrages spricht.

Vielleicht werden Sie sich fragen, warum wir diese Beschlussempfehlung im Sozialausschuss abgelehnt haben. Das liegt nicht daran, dass wir generell gegen die dort aufgeführten Punkte im Einzelnen wären. Das liegt vor allem daran, dass nach unserer Meinung dieser Landtag zu diesem Thema einen Beschluss fassen sollte, der dem, was das Land auf dem Gebiet der Barrierefreiheit bereits tut und was in den Debatten im Ausschuss an Erkenntnissen gewachsen ist und dort zum Teil als Aufgabe formuliert wurde, gerecht wird, das wir also entsprechend vorgehen.

Die vorliegende Beschlussempfehlung tut dies nicht. Über die von uns im Ausschuss vorgelegte Beschlussempfehlung - das möchte ich korrigieren - wurde nicht einmal diskutiert. - Wo liegen unsere Kritikpunkte?

Zum Ersten. Müssen wir tatsächlich zwei Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung begrüßen, dass diese Konvention nun auch in Deutschland in Kraft getreten ist? - Das ist uns zu schlicht, zumal wir bereits im Jahr 2007 einen Begrüßungsbeschluss gefasst hatten.

Zum Zweiten. Ist es ausreichend, die Landesregierung zu bitten, sich aktiv an der Umsetzung zu beteiligen? - Wir halten dies für eine Selbstverständlichkeit. Das gültige Landesbehindertengleichstellungsgesetz verpflichtet die Landesregierung dazu, wenn sie dem Gesetzesziel entsprechen will.

Wir haben schon im Jahr 2007 gefordert, dass die Landesregierung aus der Konvention Schlussfolgerungen für Sachsen-Anhalt zieht und konkrete Maßnahmen konzipiert. Geschehen ist das bisher noch nicht. Die Ressorts arbeiten nach wie vor für sich. Von einer Koordinierung der begrenzten Ressourcen kann keine Rede sein.

Meine Damen und Herren! Derartige Forderungen nach einem Aktions- oder auch Maßnahmenprogramm oder wie auch immer man ein solches Konzept zur Schaffung von Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt nennen will, werden auch von den Verbänden, dem Runden Tisch der Menschen mit Behinderung und dem Landesbehindertenbeirat seit Jahren in regelmäßigen Abständen erhoben, zuletzt auf dem 4. Behindertenpolitischen Forum am 6. Oktober 2009. Nachzulesen sind diese konkreten Forderungen übrigens in der Zeitschrift „Normal“, die seit gestern im Vorraum der Poststelle des Landtages ausliegt.

Ich erinnere auch an das, was Herr Rotter und ich gemeinsam auf dem Forum in Wörlitz gehört haben, bei dem es um die Pflegeversicherung ging und auf dem eine Voraussetzung für selbstbestimmtes Leben in der Barrierefreiheit gesehen worden ist und die Notwendigkeit erkannt worden ist, konkrete Maßnahmen dazu einzuleiten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zum Dritten. Die in der Beschlussempfehlung des Ausschusses als Maßnahmen für ein Aktionsprogramm aufgeführten Punkte sind uns zu allgemein und zu intransparent; vor allem sind sie nicht abrechenbar. Ob und vor allen Dingen wann die Landesregierung einen Maßnahmenplan vorlegt, ist, wenn Sie sich die Beschlussempfehlung ansehen, völlig offen.

Wir wollen, dass diejenigen in der Gesellschaft, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, mit den bewusstseinsbildenden Maßnahmen er

reichen wollen, schon mit dem Beschluss eine Vorstellung davon bekommen, welche Bereiche angesprochen sind und worum es gehen soll.

Sagen Sie jetzt bitte nicht, dass die Mitarbeiter in den Landesbehörden schon wüssten, was zu tun sei. Allein die letzte Diskussion im Ausschuss - ich erinnere an den Bericht zur Erhaltung der biologischen Vielfalt - zeigte, dass es gerade nicht der Fall ist, dass dort Bescheid gewusst wird.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wünschenswert wäre es deshalb auch, wenn in einen solchen Maßnahmenplan Formen einer Zusammenarbeit mit anderen Gremien, die beispielsweise für Versorgungs- und Betreuungsaufgaben für Menschen mit Behinderungen zuständig sind, aufgenommen würden.

Beispielhaft möchte ich auf die Initiative zur ambulanten medizinischen Versorgung der Kassenärztlichen Vereinigung verweisen, die in ihrem Verantwortungsbereich in den letzten Monaten Maßnahmen ergriffen hat, die darauf gerichtet sind, zunächst zu ermitteln, inwiefern die Barrierefreiheit beim Zugang zu Arztpraxen gewährleistet ist, und danach Veränderungen herbeizuführen.

Schließlich wäre es sinnvoll, bei einer so umfassenden und so komplexen Aufgabe wie der barrierefreien Gestaltung eines ganzen Landes, was nicht in einem Jahr oder in zwei Jahren zu realisieren ist, zeitliche Vorgaben zu machen, die es erlauben, den jeweiligen Stand seriös zu bilanzieren.

Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag, weil darin konkrete Vorschläge unterbreitet werden und auch Zeiten genannt werden, bis wann etwas vorzuliegen hat. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Dr. Eckert. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Grimm-Benne.

Zuvor können wir Schülerinnen und Schüler des Markgraf-Albrecht-Gymnasiums Osterburg bei uns begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist richtig, wie es unser Vorsitzender Herr Dr. Eckert gesagt hat, dass uns das Aktionsprogramm „Barrierefreies Sachsen-Anhalt“ über zwei Jahre lang im Sozialausschuss beschäftigt hat.

(Herr Dr. Eckert, DIE LINKE: Das war gut so!)

- Genau. Das wollte ich gerade sagen. Das war gut so. - Es ist auch positiv hervorzuheben, dass wir durch diese ausführliche und über einen langen Zeitraum andauernde Diskussion erreicht haben, dass sich alle Ministerien mit dieser Thematik beschäftigt haben, ja, - ein wenig ketzerisch ausgedrückt - sich damit beschäftigen mussten.

(Herr Dr. Eckert, DIE LINKE, lacht)

Wir haben des Öfteren Ministerien auch zwei- oder dreimal eingeladen, damit wir zu dieser Thematik auch inhaltlich vollumfänglich diskutieren konnten.

Ich kann es nachvollziehen, Herr Dr. Eckert, wenn Sie sagen: Bei diesen zwei Jahren Vorlauf muss jetzt endlich etwas passieren; Sie wollen einen Zeitplan haben, Sie wollen endlich etwas sehen.

Aber ich finde, die Arbeits- und Sozialministerkonferenz Ende November 2009 hat schon gezeigt, dass auch in anderen Bundesländern das Thema Barrierefreiheit gegriffen hat. Entsprechend hat sie einen Beschluss dahin gehend gefasst, dass Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, besonders in den Bereichen Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeit und Wohnen zu ermöglichen ist. Dazu sollen nun gesetzliche Grundlagen verbessert oder neu geschaffen werden.

Mit einem zu erarbeitenden Reformgesetz zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, das nach den Vorstellungen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, wird die Eingliederungshilfe neu ausgerichtet werden. Dazu bedarf es - das ist auch erkannt worden - sozialräumlicher Unterstützungsstrukturen. Als wesentliches Element wird dort wie auch hier die Barrierefreiheit angesehen. Ich hoffe, dass wir schon damit einen zeitlichen Druck haben, um dem Ziel der Schaffung der vollen Barrierefreiheit wesentlich näher zu kommen.

Wir - die Regierungsfraktionen auf jeden Fall - haben im Sozialausschuss schon dargelegt, warum wir den zeitlichen Ablaufplan nicht so konkret haben wollen. Frau Ministerin hat es ebenfalls ausgeführt. Deswegen kann ich für unsere Fraktion sagen: Wir werden den Änderungsantrag der LINKEN ablehnen.

Ich weiß, dass wir noch lange und dicke Bretter bohren müssen. Ich bitte trotzdem um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung des Sozialausschusses, weil wir jetzt die erste Hürde genommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Grimm-Benne. - Für die FDP-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Hüskens.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon sehr viel, auch sehr viel Richtiges zum Thema gesagt worden. Ich möchte das alles nicht wiederholen, weil wir uns, glaube ich, inhaltlich und in der Zielrichtung ausnahmsweise einmal einig sind.

Ich möchte nur auf einen Punkt eingehen, der mich bei der Beschlussempfehlung des Ausschusses doch etwas umtreibt.

Wirklich wichtig gewesen ist, dass wir in den Beratungen des Sozialausschusses alle Ressorts eingeladen und aufgefordert haben, uns Berichte zu erstatten. Es war zum Teil erschreckend, wie viele hochqualifizierte Kolleginnen und Kollegen aus der Ministerialverwaltung kamen und ganz überrascht darüber waren, dass der Begriff „Mobilitätseinschränkungen“ nicht nur bedeutet, dass eine Person zum Beispiel im Rollstuhl sitzt oder gehbehindert ist, sondern dass es eine viel breitere Palette von Mobilitätseinschränkungen gibt, auf die wir ebenfalls Rücksicht nehmen müssen.

Wir haben tatsächlich einen enormen Erkenntnisgewinn bei der Ministerialverwaltung erzeugt. Das ist ein Punkt,

den wir alle auf der Habenseite verbuchen haben können.

Es ist auch gut gewesen, dass wir hartnäckig gewesen sind und zum Beispiel im Kultusministerium zum Schluss den Minister herbeigeholt haben, weil wir den Eindruck hatten, dass wir in diesem Punkt nicht wirklich ernst genommen worden sind. Wir haben hier tatsächlich eine Entwicklung angestoßen. Ich hoffe, dass wir diese Entwicklung in den nächsten Jahren weiterhin begleiten werden.

Was mich an der Beschlussempfehlung, die uns heute vorliegt, ein wenig stört, ist, dass auch wir, nachdem wir den ganzen weiten Weg vorangegangen sind, mit dieser Beschlussempfehlung in den beiden Punkten, mit denen Sie es zum Schluss konkret machen, wie die Kollegen aus den Ministerien wieder in die alte Sichtweise verfallen; denn wenn es speziell oder konkret wird, ist es doch wieder nur die Mobilitätseinschränkung von Menschen mit Gehbehinderung, die im Rollstuhl sitzen. Wir reden dann doch wieder nur von Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden, wir reden doch wieder nur von Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr, und zwar in einem Duktus, der ausschließlich nach Rollstuhlfahrern klingt und nicht auch nach Menschen, die zum Beispiel sinnesbehindert sind, die zum Beispiel schlecht hören oder schlecht sehen können.

Dabei sind diese Personengruppen mit Blick auf die Bedingungen, die wir für sie schaffen müssen, nicht einmal kostenintensiv. Es ist also durchaus etwas, das man zeitnah umsetzen könnte. Es sind außerdem Maßnahmen, die nicht nur dem Personenkreis der Gehbehinderten zugute kommen würden.