Protocol of the Session on October 9, 2009

(Frau Bull, DIE LINKE, lacht)

Wenn Herr Lafontaine in seiner Vereinigungsrede, als sich WASG und PDS vereinigt haben, „Freiheit durch Sozialismus“ propagiert und Herr Gysi der SPD jetzt aktuell den Rat gibt, sich zu resozialisieren,

(Herr Gallert, DIE LINKE: Sich zu resozialdemo- kratisieren! - Weitere Zurufe von der LINKEN)

damit der linke Block insgesamt wieder stärker wird, dann denke ich automatisch an die Arbeitereinheitsfront und die Vereinigung von KPD und SPD im letzten Jahrhundert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Sie fordern in Ihrem Antrag Dinge, die Sie einst selbst nicht bereit waren zu gewähren.

(Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Frau Kollegin Rogée, Sie sagten in Ihrer Rede: Dann geben Sie ihnen doch Arbeit! - Richtig. Reden wir über die, die die Arbeit geben, nämlich über die Unternehmer.

Herr Franke hat das in seinem Vortrag sehr gut herausgearbeitet. Warum diskutieren Sie nicht einmal über den Handwerksmeister mit seinen drei, vier Beschäftigten, warum nicht über den Mittelständler mit seinen zwölf Mann, die das Gros unserer Volkswirtschaft bestimmen?

Warum sprechen Sie nicht über den 16-Stunden-Tag eines Unternehmers, der in großer Verantwortung für unsere Gesellschaft, für Arbeitsplätze und natürlich auch für die Ausbildung steht? - Er steht mit seinem gesamten Vermögen in der Verantwortung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das sind nicht diejenigen, die als Manager Millionen abkassieren. Das sind die Abermillionen Unternehmer, die

mit ihrem ganzen Hab und Gut dafür einstehen, dass unsere Wirtschaft funktioniert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frau Ro- gée, DIE LINKE: Da bin ich bei Ihnen!)

Warum diskutieren Sie nicht darüber, wie viele Handwerker und Mittelständler monatlich weniger Lohn in der Lohntüte haben als ihre eigenen Beschäftigten?

(Frau Rogée, DIE LINKE: Das ist so!)

Ich weiß, worüber ich rede. Ich habe das häufig an meinem eigenen Leib erlebt. Ich sagen Ihnen, warum: weil diese Betrachtungsweise nicht in Ihre Weltanschauung passt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie fordern in der von Ihnen beantragten Aktuellen Debatte den Erhalt von Arbeitnehmerrechten, meinen aber, wie in der Begründung zu lesen ist, Mindestlohn und Kündigungsschutz.

(Frau Rogée, DIE LINKE: Na sicher!)

Wir hatten in der Vergangenheit zahlreiche Debatten über diese Themen. Minister Olbertz hat dazu genau wie meine Vorredner reichlich Stellung bezogen. Ich habe schon angekündigt, dass ich auch etwas in die Vergangenheit schauen werde.

(Frau Bull, DIE LINKE: Das ist aber sehr enttäu- schend!)

17. Juni 1953: Die DDR war noch nicht einmal vier Jahre alt, da fuhren schon die ersten Panzer auf, um das durchzusetzen, was die Staatsführung unter Arbeitnehmerrechten verstand. Schon damals wurde klar - das sage ich auch Herrn Höhn -, dass der gesellschaftliche Neuanfang gescheitert war.

Voraussetzungen waren Beschlüsse des II. Parteitages über Normerhöhungen. Es gab Versorgungsengpässe und eine wachsende Unzufriedenheit mit der Staatsführung. Das System perfektionierte aber seine Gewerkschaftsarbeit.

Während Arbeitgeber und Gewerkschaften im Schutz unseres Grundgesetzes heute die Bedingungen für die Beschäftigten aushandeln, und zwar frei und ohne Zwang, gab es in der DDR nur eine regimegesteuerte Gewerkschaft, die die Interessen der herrschenden SED zu vertreten hatte. Es war keine freie Meinungsäußerung mehr möglich.

Die Gewerkschaften wurden zu einem Instrument der Bespitzelung und Kontrolle ihrer Mitglieder. Das wurde über die Jahrzehnte hinweg perfektioniert, weil die DDR ihren eigenen Bürgern nicht mehr traute. So etwas möchte ich nie wieder erleben.

Die BGL sorgte dafür, dass die politische Ideologie an die Arbeitsplätze getragen wurde. Die Freiheit der Meinungsäußerung, freie Betriebsratswahlen, wie sie heute eine Selbstverständlichkeit sind

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE, lacht - Frau Rogée, DIE LINKE: Sind Sie sich wirklich sicher, Frau Take? - Herr Dr. Thiel: Entschuldigung!)

- vor 20 Jahren gab es das nicht.

Zum Thema Löhne: In den Jahren 1984 und 1988 wurden in der DDR umfassende Erhebungen zu den Lohndaten durchgeführt. Das Ziel bestand darin, für die zen

trale Planwirtschaft nutzbare Aussagen über Lohnhöhe und Lohnzusammensetzung bei Produktionsarbeitern, Meistern, Hoch- und Fachschulkadern, technisch-ökonomischen Fachkräften und anderen Beschäftigtengruppen zu gewinnen. Das Ergebnis war, dass bis Ende 1989 alle Veröffentlichungen zum Lohn verboten wurden.

Die Lohnunterschiede zwischen den Beschäftigten in der DDR waren stark nivelliert. Hoch- und Fachschulkader verdienten netto nur ca. 15 % mehr als Produktionsarbeiter. Frauen verdienten im Durchschnitt ca. 16 % weniger als Männer - so viel zur linken Forderung nach gleichen Löhnen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber wir sind ja weiterhin beim Thema Arbeitnehmerrechte.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Sie nicht!)

Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, was ein Kfz-Mechaniker in der DDR in einem Privatbetrieb verdienen durfte: 3,25 M. Der Stundenverrechnungssatz durfte 4,75 M nicht übersteigen - wohlgemerkt: in einem Privatbetrieb; in einem VEB war das natürlich anders.

Der Gewinn eines Unternehmens wurde zu bis zu 95 % wegbesteuert. Rücklagen durften nur PGHs bilden.

Ich habe mit meinem eigenen Gehalt meine Familie ernährt, damit mein Mann in seinen Betrieb mit seinem Verdienst investieren konnte. Es war selbstverständlich, dass die Arbeitnehmer in der Gewerkschaft waren. Das änderte aber nichts an der Arbeitszeit von acht und einer Dreiviertelstunde, an 18 Tagen Urlaub und auch nicht an der Aussicht, niemals einen FDGB-Ferienplatz zu bekommen.

Rechnen Sie selbst aus, was unsere Beschäftigten damals verdienten, und betrachten Sie auch, was damals ein Pfund Kaffee oder ein Farbfernseher kosteten, erzählen Sie mir aber nichts von billigen Grundnahrungsmitteln und Mieten.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ach nee!)

Dann sollten Sie sich einmal an den Zustand unserer Häuser erinnern, wie sie vor der Wende aussahen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Gal- lert, DIE LINKE: Ach so!)

Ich gehe jetzt als Letztes in das Wendejahr 1989. - Frau Rogée, Sie hatten mit Ihrem Einwurf durchaus Recht, sie hätten niemanden bespitzelt. - Damals wurde die BGLVorsitzende der Gärungschemie Dessau nach Halle beordert und von der Stasi hochnotpeinlich befragt, weil sie sich geweigert hatte, die neuen Zielvereinbarungen zur Leistungserhöhung vor dem Hintergrund fehlender Rohstoffe zu unterschreiben.

Ja, auch damals gab es einige Aufrechte. Ihr Einsatz für die Arbeitnehmerrechte kostete sie den Job. Einer Verhaftung entging sie nur, weil ihr Arzt sie krankschrieb und zur Kur schickte. Dann kam die Wende.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Menschenskind! Das ist unmöglich!)

- Ich höre schon auf.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist erst 20 Jahre her. Es scheint uns fast wie eine Legende und war doch Realität.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Sie hätten zum The- ma sprechen sollen!)

Heute haben wir in Deutschland Bedingungen, um die uns die Welt beneidet. Ich habe kein Verständnis dafür, dass diejenigen, die für einen Staat standen, der Grund-, Menschen- und Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten hat, heute so tun, als hätte es das alles nicht gegeben.

(Zustimmung bei der CDU)

Arbeitnehmerrechte sind eben nicht nur Mindestlohn und Kündigungsschutz, sondern vor allem Würde und Freiheit.

Deutschland ist das Land mit den umfassendsten Arbeitnehmerrechten auf der Welt. Das ist im Übrigen nicht meine Einschätzung, sondern die des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforderung und der Gewerkschaften.

Lassen Sie uns deshalb heute nicht Kaffeesatzleserei betreiben, sondern die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen abwarten. Die Kanzlerin hat ihre Meinung zu diesem Thema sehr deutlich gemacht, und ihr Wort zählt. Sie, Frau Hampel, wünschen der Kanzlerin Standhaftigkeit. Darf ich Ihrer Partei dann auch Standhaftigkeit beim SBG II und bei der Rente mit 67 wünschen? - Vielen Dank.