Protocol of the Session on June 19, 2009

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Rogée. - Wir kommen zu dem Debattenbeitrag der CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Herr Gürth hat das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hält es für richtig und auch für wichtig, aber gewiss nicht für unangemessen, dass wir heute hierzu eine Aktuelle Debatte durchführen. Für diese gibt es viele gute Gründe. Der erste Grund ist, dass wir uns hier schon über Kleinigkeiten, über viel kleinere Unternehmen und über viel belanglosere Themen stundenlang gestritten haben. Wir reden hier über ca. 1 500 Mitarbeiter und die Innenstadtentwicklung in zwei Oberzentren unseres Landes. Das allein wäre ein Grund, das Thema aufzugreifen.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Bei der Debatte über den Arcandor-Konzern steht - zumindest im Unterton, das ist gar nicht zu vermeiden - immer wieder die Frage der Grundordnung, unserer marktwirtschaftlichen Ordnung im Raum. Ich will ganz klar sagen: Was hier

vereinzelt an Missmanagement von verantwortlichen Personen in höchsten Vorstandsetagen zutage tritt, schadet der Grundordnung unserer Republik vielleicht mehr als das links- und rechtsextreme Wirken wirrer Köpfe in unserem Land. Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen.

In diesem Teil Deutschlands ist die Insolvenz nicht nur ein Schrecken für die Betroffenen, sondern ganz oft auch eine Chance. Das wissen ganz viele Leute. Schauen Sie sich einmal in Ihren Städten und Gemeinden um. Schauen Sie sich einmal die Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern an, und zählen Sie einmal durch, wie viele von diesen Unternehmen, die heute erfolgreich im Wettbewerb bestehen und Arbeitsplätze sichern und ausbilden, aus einer Insolvenz hervorgegangen sind.

Insofern wäre die erste Botschaft der CDU zu dem heutigen Thema: Die Insolvenz kann auch eine Chance sein. Wir sollten zusehen, dass wir mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, so bescheiden sie auch sein mögen, mithelfen, aus dieser Insolvenz Standorte und Arbeitsplätze zu sichern.

Der nächste Punkt. Die Insolvenz von Arcandor ist nicht eine Insolvenz infolge der Finanzmarkt- oder der Wirtschaftskrise. Sie ist eine Insolvenz, die auf Missmanagement beruht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Aus der im Jahr 1999 gefeierten Traumhochzeit von Karstadt und Quelle ist ein Schrecken, ein Alptraum geworden. Bereits im Jahr 2004 war der Konzern in tiefrote Zahlen gerutscht. Die Eigenkapitalquote dieses Konzerns lag im dritten Quartal 2004 bereits unter 1 %. Stellen Sie sich einmal vor, wie ein Mittelständler mit einer Eigenkapitalquote von weniger als 1 % bei seiner Bank dasteht. Bei Arcandor jedoch wurde im selben Stil munter weitergewirtschaftet.

Das, was wirklich ärgerlich ist und gesagt werden muss, was nicht zu tolerieren ist, ist die Frage, wer dort welchen Anteil an der positiven bzw. an der negativen Entwicklung hat. Wenn wir jetzt über die Folgen der Insolvenz reden und uns mit den Fragen beschäftigen, welche Auswirkungen das hat und was wir tun können, muss bei der Frage, wer welchen Beitrag zur Standort- und Arbeitsplatzsicherung leisten kann, als Erstes festgestellt werden: Die Belegschaften haben ihren Beitrag abgeliefert, und das in nennenswerter Höhe.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

In dem damals geschlossenen Tarifvertrag, der letztlich Ergebnis einer auf beiden Seiten knallhart geführten Verhandlung war, hatte man sich - daran muss erinnert werden - mit Zustimmung der Belegschaftsvertretung - das ist dieser bestimmt nicht leicht gefallen - darauf verständigt, 5 700 Stellen abzubauen.

Schauen Sie sich die Tarifverträge und die Entscheidungen bis zum Jahr 2008 an. Wer hat da geblutet? - Das muss man ganz klar benennen: die Belegschaft mit Einkommensverzicht und vielem anderen mehr.

Es stellt sich jetzt zu Recht die Frage, wie diejenigen, die, mit Individualverträgen ausgestattet, in den höchsten Vorstandsetagen sitzen, frühmorgens in den Spiegel schauen können und in welcher Form sie ihren Beitrag abliefern. Insofern stellt die CDU auch die Frage: Wel

chen Beitrag leisten das Spitzenmanagement dieses Konzerns und die Eigentümer?

(Beifall bei allen Fraktionen)

Was dort stattgefunden hat, ist nicht nur am Rande eines Skandals; ich bin mir ziemlich sicher: Damit werden sich die Staatsanwaltschaften noch eine ganze Weile beschäftigen müssen.

Ich will nur ein Zitat bringen, das mindestens zwei oder drei Tatbestände sehr gut beschreibt, die in diesem Konzern auch aufgearbeitet werden müssen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann, damit Manager mit Höchstsalären nicht wieder an der Kasse des Steuerzahlers anklopfen und versuchen, Politiker unter Druck zu setzen und die Politik gegen die bedrohten Arbeitsplätze auszuspielen:

„Middelhoff und seine Frau hatten sich vor seinem Amtsantritt bei Arcandor mit zweistelligen Millionenbeträgen an Immobilienfonds der Bank Oppenheim und des Projektentwicklers Josef Esch beteiligt… Middelhoff war ab 2005 in dem Grundkonflikt, als Privatmann an hohen Mieten für die Karstadt-Häuser interessiert zu sein,“

- denn sie haben die Immobilien verkauft, um sie dann zurückzumieten -

„als Vorstandschef aber an niedrigen. Laut einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers zahlte Karstadt im letzten Geschäftsjahr durchschnittlich 7,2 % der Warenhausumsätze an die Vermieter.“

Wie geht das eigentlich? Ich finde das in hohem Maße unanständig, unabhängig davon, ob es strafbar ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Es gäbe noch eine Reihe von Dingen zu berichten. Aber es ist nicht angebracht, die alle offenzulegen; das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaften.

Man muss aber eines sagen: Wir können dabei nicht einfach zusehen. Denn solche Leute bringen mit ihrem Handeln nicht nur das Ansehen eines ganzen Systems in Verruf. Man muss dem auch Grenzen setzen, wenn man politische Verantwortung trägt.

Abschließend die Frage: Wer kann denn welchen Beitrag leisten? - Ich sagte eingangs: Die Belegschaft hat ihren Beitrag abgeliefert; jetzt sind auch andere in der Pflicht, die Eigentümer, die Vorstände. Aber auch die Städte, sowohl Magdeburg als auch Dessau, werden ihren Beitrag leisten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Rathäuser mit ihren Fraktionen das ihnen Mögliche auch tun werden. Denn Warenhäuser werden wir auch weiterhin haben.

Ich halte überhaupt nichts von dieser Besserwisserei und dieser Klugscheißerei, wonach das System Warenhaus ausgedient habe. Wer weiß denn das? - Es wurmt mich immer, wenn ich so etwas in der Zeitung lese, weil ich mit großer Sicherheit weiß, dass die selbsternannten Experten noch nie ein Kaufhaus geführt haben. Das wäre etwa so, als wenn Politikwissenschaftler, die noch nicht einmal für einen Gemeinderat kandidiert haben, uns sagen, was Politiker gut und richtig machen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

Insofern ist die Frage, ob das System Warenhaus Bestand haben wird, eine Frage, bei der viele Umstände eine Rolle spielen. Ich bin mir ziemlich sicher: Das werden weder Politikwissenschaftler noch irgendwelche anderen Wissenschaftler am grünen Tisch entscheiden, sondern wir als Kunden und das Management an der Spitze solcher Unternehmen.

Die Städte sind aufgefordert zu helfen. Und sie werden ihren Beitrag leisten, indem sie das Umfeld in der Innenstadt so attraktiv gestalten, dass es sich lohnt, in die Stadt hineinzufahren und die Dienstleistungsangebote auch anzunehmen. Das Land und die Gemeinden haben Verantwortung für die Baurechtschaffung, das heißt für die Bebauungspläne, für die Flächennutzungspläne und für die Raumordnungsfragen.

Insofern sehe ich persönlich es in höchstem Maße als kritisch an, dass es heute, im Jahr 2009, weiterhin möglich ist, dass außerhalb der Innenstädte, die wir mit umfangreichen Mitteln zu revitalisieren versuchen, Einzelhandelszentren entstehen, die die Kaufkraft aus den Städten heraus an die Autobahnen locken. Ich persönlich lehne das mit voller Entschiedenheit ab. Ich halte das für eine Fehlentwicklung, die bekämpft werden muss.

(Zustimmung bei der SPD)

Last, but not least: Alle, auch die Belegschaften und die Leitungen der Warenhäuser, von Quelle und der Callcenter, wissen, dass wir als Land Sachsen-Anhalt nicht einfach Geld in ein Unternehmen hineinschütten können. Das fordert, so glaube ich, auch niemand ernsthaft.

Ich will abschließend eines sagen: Wir können, wollen und werden helfen mit den Möglichkeiten, die wir haben. Wir werden die Kommunen und die Standorte unterstützen, um auch möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Darauf können Sie bei der CDU-Fraktion zählen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Gürth. Es gibt eine Nachfrage von Dr. Thiel. Möchten Sie die beantworten? - Jawohl. Herr Dr. Thiel, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Gürth, ich teile Ihre moralische Auffassung, was diese Entwicklungen, die Sie gerade gekennzeichnet haben, und die Verantwortung des Managements betrifft. Die Frage, die ich zu stellen habe, lautet: Teilen Sie die Auffassung, dass es auch politische Gründe dafür gab, dass es zu solchen Entwicklungen gekommen ist? - Das ist Frage 1.

Frage 2: Was ist denn Ihre Antwort auf die Frage: Wie verhalten wir uns, wenn der Eigentümer nicht will, dass etwa der Standort Magdeburg saniert und erhalten wird? - Es gab im Vorfeld bereits Gespräche. Es gab sozusagen avisierte Termine mit dem Eigentümer. Das Gespräch hat nicht stattgefunden. Also, wie verhalten wir uns, wenn der Eigentümer sagt: Nein, ich will nicht?

Verehrter Herr Dr. Thiel, ich spiele Ihnen einmal die Frage zurück: Schlagen Sie vor, dass dann, wenn niemand auf der Welt auch mit der höchsten Kompetenz und mit dem meisten Geld in der Tasche bereit wäre - das sehe

ich aber nicht -, Unternehmensteile des Konzerns Arcandor privat fortzuführen, die Stadtwerke Magdeburg Besitzer eines Warenhauses oder eines Callcenters werden sollten oder dass wir als Land in das Geschäft einsteigen sollten? - Wir wollen das nicht.

Aber ich gehe davon aus - das werden wir mit Sicherheit auch erleben -, dass wir mit den Standorten, die wir in Sachsen-Anhalt haben, so gut aufgestellt sind, dass es sich für jeden, der kaufmännisch denkt, lohnt, auch selbst ins Obligo zu gehen, selbst Geld in die Hand zu nehmen, auch selbst Geld zu riskieren, um dann - womöglich auch mit unserer Unterstützung - diese Standorte fortzuführen und Arbeitsplätze zu erhalten. Nur so geht es, und nicht anders.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Fragen, meine Damen und Herren. Damit sind wir am Ende der Aktuellen Debatte angekommen. Beschlüsse zur Sache werden nach § 46 der Geschäftsordnung nicht gefasst. Wir können diesen Tagesordnungspunkt verlassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich den Tagesordnungspunkt 6 aufrufe, möchte ich liebe Gäste begrüßen. Auf der Südtribüne haben Damen und Herren des Blinden- und Sehschwachenverbandes Wanzleben Platz genommen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Beratung

a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung umweltrechtlicher Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 5/1972

b) Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt