Protocol of the Session on June 19, 2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, mit der 61. Sitzung des Landtags zu beginnen. Ich bitte die Damen und Herren, ihre Plätze einzunehmen.

Ich möchte Sie und alle im Raum befindlichen Gäste recht herzlich begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen unsere Sitzung mit dem Tagesordnungspunkt 2 fort. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 6 und 8.

Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte

Folgen der Arcandor-Insolvenz für die Beschäftigten und die Entwicklung der Innenstädte

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 5/2028

Es ist eine Debatte mit einer Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. Auch die Landesregierung erhält zehn Minuten Redezeit.

Für die Antragstellerin erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Norbert Bischoff das Wort. Bitte schön, Herr Bischoff.

Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Magdeburger rede ich jetzt vielleicht für die Landeshauptstadt, das Thema geht aber nicht nur Magdeburg, sondern auch Dessau und das ganze Land an und es geht nicht nur Karstadt an, sondern auch - ich sage es einmal verkürzt - das Callcenter in Magdeburg. Insgesamt geht es für das Land um 1 500 Arbeitsplätze.

Ich will darauf verzichten, über das zu berichten, was in den letzten Tagen und Wochen bis heute in den Zeitungen stand, und das nicht noch einmal alles aufzählen, sondern mich heute auf das konzentrieren, was unsere Aufgabe als Parlament ist, unsere Aufgabe als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt und - bei vielen von Ihnen - als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen und Landkreisen.

Bundesweit stehen 53 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, für Sachsen-Anhalt, wie gesagt, 1 500: in Magdeburg bei Karstadt ca. 300 Arbeitsplätze und im Callcenter ca. 800 bis 900 Arbeitsplätze und in Dessau noch einmal rund 200 Arbeitsplätze. Das sind alles drei - das will ich schon zu Anfang sagen - attraktive Standorte mitten in den Zentren der beiden großen Städte mit engagierten Mitarbeitern in den Warenhäusern mit Vollsortiment. Das wissen Sie auch; denn viele von Ihnen gehen bei Karstadt auch einkaufen, und ich hoffe, Sie tun es in den nächsten Tagen noch viel häufiger.

Die Standorte sind Zugpferde für die Innenstadthändler ringsherum. Auch das Callcenter hier in Magdeburg hat einen guten Ruf. Von daher ist es, glaube ich, wichtig, uns die Folgen einer Schließung vor Augen zu führen.

Die Folgen einer Schließung wären Verschärfung der Arbeitslosigkeit und Verödung der Innenstädte. Hier in Magdeburg sieht man das ganz deutlich: Der Blaue Bock steht noch. Es ist unvorstellbar, dass daneben auch noch Karstadt leer stünde. Auch das Verschwinden des Callcenters im City-Carré mit rund 4 000 m² Bürofläche würde ein riesengroßes Loch reißen.

Was tun? - Ich glaube, wir sollten uns heute nicht mit der Frage auseinandersetzen, was der Staat darf und was der Staat nicht tun soll. Dafür ist noch Zeit übrig. Wichtig ist allerdings, darauf hinzuweisen, dass es, glaube ich, von vornherein falsch ist anzunehmen, dass es den Staat oder den Steuerzahler nichts kosten würde, wenn er sich nicht engagiert. Ich möchte auch mit der Mär aufräumen, dass es auf den Steuerzahler zurückfiele, wenn sich der Staat bei einem Unternehmen engagierte, das Zukunftsperspektiven hat. Es fällt auch auf den Steuerzahler zurück, wenn Leute arbeitslos werden. Von daher sollten wir diese Diskussion nicht führen.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann)

Es ist wichtig, dass es keinen Kahlschlag bei den Beschäftigten gibt, dass die Arbeitsplätze bei Karstadt und Quelle erhalten bleiben, dass die Warenhäuser bestehen bleiben und dass auch das Callcenter, das wirklich modern ausgerüstet ist, erhalten bleibt.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann)

Politik muss zu Lösungen für die Beschäftigten beitragen. Ich sage ganz offen: Es geht hierbei nicht allein um Ökonomie, wie es manchmal gesagt wird, wonach Arbeitsplätze nachrangig seien, sondern es geht gleichrangig um beides, weil beides miteinander zusammenhängt. Politik muss die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen. Ganz vorn und ganz oben steht dabei: der Erhalt eines Unternehmens, das Zukunftsperspektiven hat, und das kann auch mit staatlicher Hilfe, in welcher Form auch immer, geschehen.

Die Aufgabe des Staates ist es natürlich nicht, für Managementfehler zu haften. Es ist aber heute auch nicht meine Aufgabe, darüber nachzusinnen, wer die Zeche bezahlt. Man muss deutlich sagen, das Risiko des Unternehmers, von dem oft geredet wird, tragen zu einem großen Teil die Beschäftigten mit.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann)

Wenn gerade bei Karstadt in den Jahren von 2004 bis 2007 in einem Tarifvertrag schon Lohnkürzungen geregelt worden sind, dann haben die Beschäftigten seit dieser Zeit schon einen ordentlichen Teil des Risikos mitgetragen.

Was brauchten Karstadt und das Callcenter jetzt? - Ich glaube, was sie erstens und vor allen Dingen brauchen, ist ein deutliches öffentliches Zeichen für die Standorte in Magdeburg und Dessau.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann)

Das Zweite, was sie brauchen, ist ein deutliches Zeichen der Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen; denn nur in Zusammenarbeit zwischen beiden wird es möglich sein, die Standorte, die schon attraktiv sind, noch zu stärken und die Attraktivität der Innenstädte ins

gesamt zu stärken. Dabei haben wir in Magdeburg noch etliches vor uns.

Deshalb ist es wichtig, dass auch das Land alle Möglichkeiten prüft, wie dem Unternehmen und den Beschäftigten geholfen werden kann. Dafür stehen wir hier. Es geht darum, dass die Standortbedingungen noch verbessert werden und dass die Infrastruktur vor Ort verbessert wird, sodass man an diesen Standorten sozusagen nicht vorbeikommen kann. Außerdem ist es auch wichtig, dass es konkrete Zusagen in Richtung der Innenstadtgestaltung und der Infrastruktur gibt, natürlich in Zusammenarbeit mit den Kommunen, die auch ihren Beitrag leisten müssen.

Ich habe in den letzten Tagen gehört, dass es in Magdeburg schon Überlegungen gibt, die Parkplätze für eine gewisse Zeit kostenlos zur Verfügung zu stellen, damit gerade in der Sommerzeit, in der viele in ihren Gärten sind, viele dort einkaufen. Es ist so ungeheuer wichtig, dass in den drei Monaten, in denen im Rahmen des Insolvenzverfahrens geprüft wird, wie kräftig das Unternehmen noch ist, so etwas wie ein Aufschwung kommt, dass die Leute dort einkaufen gehen, dass sozusagen Solidarität unter uns allen sichtbar wird, dass das wirklich gute und moderne Standorte sind.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Hövelmann)

Das Dritte ist die Unterstützung der Beschäftigten bei ihren Bemühungen, die Vorteile der Standorte hervorzuheben. Das Land ist durch die Ministerien und durch die Ministerialverwaltung in einer anderen Rolle, wenn es darum geht, auf die Verantwortlichen zuzugreifen und anzumahnen, was sie tun können. Das Land kann aber auch in der Öffentlichkeit und bei eventuellen Investoren oder Interessenten anders als andere darauf hinweisen, wie toll und wie attraktiv diese Standorte sind.

Das können die Beschäftigten nicht allein. Die haben schon genug Unterschriften gesammelt. In dieser Hinsicht hat das Callcenter übrigens ein bisschen mehr Schwierigkeiten, weil dessen Mitarbeiter nicht den direkten Kontakt mit den Kunden haben. Aber das ist schon ein deutliches Zeichen.

Ich würde einfach sagen - so wie es oft gesagt wird -, wir müssen, wenn wieder eine Hochzeit ansteht, weil eine Beziehung gescheitert ist, die Braut noch schöner machen, auch wenn sie schon attraktiv ist und Kompetenz mitbringt. Ich finde, wir haben hier drei Bräute, die schön sind. Die müssen wir noch attraktiver machen. Die müssen wir auch durch die öffentliche Meinung ausstatten.

Ich will zum Schluss noch einmal deutlich sagen, dass Sie im Callcenter freundliche Stimmen hören, wenn Sie dort anrufen. Sie werden auch heute noch freundliche Stimmen hören, obwohl die Mitarbeiter durch die Krise emotional belastet sind; denn sie wissen nicht, was vor ihnen steht. Sie bemühen sich trotz dieser Sache, freundlich zu sein. Sie sind modern ausgestattet. Das Callcenter hier hat eine moderne Struktur. Sie sind technisch auf dem neuesten Stand.

Es sind kompetente Mitarbeiter an einem guten Standort und sie kommen aus dem ganzen Bereich. Gerade bezüglich des Callcenters ist es auch wichtig, noch einmal deutlich zu sagen, dass das ein Niedriglohnbereich ist. Es gibt dort viele Aufstocker, die ohnehin schon von staatlicher Hilfe leben. Deshalb ist es umso wichti

ger, diesen Standort zu erhalten und sich dafür einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und auf der Tribüne)

Karstadt ist - es ist auch deutlich gesagt worden - ein Standort, der Tariflöhne zahlt, schon von Anfang an. Das ist ganz wichtig, weil das auch mit Steuernzahlen und mit Kaufkraft einhergeht. Das sind engagierte und freundliche Mitarbeiter. Sie sollten sich in den nächsten Tagen davon überzeugen und das mitnehmen. Es sind erfolgreiche Häuser, die längst schon schwarze Zahlen schreiben. Man weiß es in Deutschland. Ich glaube, das müssen wir verstärken, damit kein Investor dort vorbeigehen kann; denn sie sind Zugpferde der regionalen Entwicklung.

Darf ich einmal an die lieben Gäste im Haus appellieren: Ich verstehe, dass Sie hier sind, und habe auch großes Verständnis dafür. Im Hause ist es aber unüblich, Beifallsbekundungen abzugeben. Ich bitte darum, sich an die Hausordnung zu halten. - Herzlichen Dank.

Also noch einmal zum Schluss: Wichtig ist unser aller Engagement heute, dass wir es vermeiden, eine Auseinandersetzung zu führen, wer wo Schuld hat und wer etwas zu machen hat. Das hilft dem Standort nicht und den Mitarbeitern dort nicht. Wir sollten dafür werben, dass neue Investoren oder Interessenten an diesen Bräuten nicht vorbeikommen, sondern dass sie sich um sie reißen, dass sie einfach sagen, das ist etwas, was uns selbst attraktiv macht, das wir brauchen. Damit helfen wir alle mit, dass Karstadt und Quelle, wie immer sie in Zukunft heißen mögen, erhalten bleiben und noch stärker und noch attraktiver werden, als sie es schon sind.

Ich wäre jedenfalls froh, wenn ich früh aus dem Fenster schaue - ich wohne schräg gegenüber - und sehe, dass der blaue Würfel weiterhin blau leuchtet und viele Leute dort einkaufen. Ich denke, die Mitarbeiter haben es verdient. Wir alle haben es verdient. Wir alle haben einen Nutzen davon. Darum helfen Sie alle mit, dass dafür eine gute Lösung kommt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Für die Landesregierung erhält jetzt der Wirtschaftsminister Herr Dr. Haseloff das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, dass wir die Bräute, die sehr schön sind, gar nicht noch schöner machen müssen, sondern dass wir sie einfach nur entsprechend präsentieren müssen, um sie gut unterzubekommen, unabhängig davon, wie sich die Konstellationen in den nächsten Monaten entwickeln werden.

Zur Situation, Herr Bischoff, haben Sie die wichtigsten Fakten schon genannt. An zwei Standorten haben wir Karstadt mit ca. 460 Beschäftigten von den ca. 53 000 Beschäftigten bundesweit. Im Quelle-Callcenter haben

wir ca. 800 Beschäftigte. Es ist eine erhebliche Investition, die wir da insgesamt getätigt haben.

All das, was in den letzten Wochen durch die Medien ging und letztlich an Informationen bei uns gelandet ist, hat dazu geführt, dass wir sofort Kontakt mit allen Beteiligten aufgenommen haben. Es hat bei mir im Haus mit mir, mit Herrn Staatssekretär Pleye und den zuständigen Fachmitarbeitern Treffen mit dem Betriebsrat, mit ver.di und mit der Geschäftsführung gegeben. Wir haben alle Fallgestaltungen durchgesprochen und uns ständig auf dem aktuellen Stand gehalten. In diesem Zusammenhang sind folgende Handlungsbedarfe aufgetan worden.

Erstens. Wir können bezüglich der individuellen Situation an den Standorten davon ausgehen, dass sich alle für sich betrachtet in einer guten Verfassung befinden. Das heißt aber in einer Insolvenz noch nicht, dass man durch ist und dass das Problem gelöst ist. Deswegen werden wir in der eingesetzten Sanierungsgruppe jetzt Standort für Standort die Bewertungsaktivitäten begleiten. Es ist ganz entscheidend, dass dort erkannt wird, dass eine politische und landesbezogene Begleitung erfolgt.

Zweitens werden dort, wo es gewisse Defizite gibt, alle Möglichkeiten genutzt, um sie abzustellen. Wir wissen, dass schon vor zwölf Monaten im Zusammenhang mit der Bewertung des Standortes Magdeburg konkret bemängelt wurde, dass das Umfeld nicht 100-prozentig stimmt, dass es Defizite gibt. Ich nenne nur das Stichwort Blauer Bock.

Hier erneuere ich in Übereinstimmung mit Karl-Heinz Daehre noch einmal das klare Angebot an den Investor, dass der erhebliche Landesanteil an den Abrisskosten weiterhin zur Verfügung steht und dass wir gemeinsam Möglichkeiten suchen müssen, das so schnell wie möglich zu aktivieren.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)