Protocol of the Session on June 18, 2009

Damit komme ich zum Thema der heutigen Regierungserklärung,

(Herr Stahlknecht, CDU: Schon? - Herr Tullner, CDU: Ach ja?)

das eigentlich das war, was ich eben gesagt habe, nämlich Haushaltspolitik, woraus der Ministerpräsident Bundespolitik gegenüber den Ländern gemacht hat. Es sollte hier keine vorgezogene Haushaltsdebatte sein. Die werden wir nach dem Sommer führen, wenn die Landesregierung ihren Haushaltsplan vorgelegt haben wird. Wenn wir diesen im Parlament kritisch beraten werden, dann ist das reale Haushaltspolitik.

(Herr Tullner, CDU: Ganz genau!)

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung das finanzpolitische Ziel bis zum Jahr 2020 genannt, nämlich das strikte Verbot einer Neuverschuldung. Für Sachsen-Anhalt würde das faktisch noch viel früher gelten, weil wir nur so in den Genuss der Konsolidierungshilfen von 68 Milliarden € netto kommen, die zugegebenermaßen auch gut gebrauchen können. Als wirksames Instrument dafür haben Sie, Herr Ministerpräsident, die Schuldenbremse genannt. Wie bereits in Ihrer Rede im Bundesrat haben Sie sie ausdrücklich begrüßt.

Diesem Enthusiasmus möchte ich erst einmal widersprechen. Ob das die Lösung aller Dinge ist, darin bin ich mir nicht sicher. Aber ich will Ihnen vor allem beim Verfahren und bei der Art und Weise, wie das gemacht wird, widersprechen - und das nicht zuerst als SPDFraktionsvorsitzende, sondern zuerst als Parlamentarierin ganz grundsätzlich. Damit widerspreche ich Ihnen als Kopf der Landesregierung, der Exekutive, als Legislative, weil in unserer demokratischen bundesstaatlichen Ordnung die Kontrolle der Exekutive durch die Legislative ausgeübt wird und nicht umgekehrt.

(Zustimmung von Herrn Felke, SPD, von Herrn Tögel, SPD, und bei der LINKEN)

Das Verfahren zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse beim Bund und in den Ländern betrifft die ureigene Souveränität der Landtage. Das ist der Kern des föderalen Systems der Bundesrepublik. Es betrifft auch das Verhältnis von Landtag und Landesregierung, weil Sie als Landesregierung etwas mitbestimmt haben. Dazu spreche Ihnen auch ganz deutlich das Recht ab, dies regeln zu können.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deshalb will ich hier wirklich noch einmal ganz klar trennen, was bei der SPD immer gern vermischt wird, wenn über sie berichtet oder über sie geredet wird. Es gibt zwei verschiedene Dinge: erstens das Verfahren und zweitens die Sinnhaftigkeit und die Ausformung einer neuen Schuldenregelung oder Schuldenbremse, wie sie immer kurz genannt wird.

In den nächsten Monaten muss zunächst die erste Frage beantwortet werden, ob wir gezwungen sind, auf der Grundlage der Beschlüsse von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung eine Verfassungsänderung zu machen, oder ob wir frei darin sind, diese zu machen. Ich votiere für das Zweite. Dann können wir uns auch darüber unterhalten, wie eine solche neue Schuldenregelung aussehen sollte.

Wenn man überlegt, dass im Grunde die Föderalismuskommissionen I und II eine Entflechtung der Zuständigkeiten herbeiführen sollten, ist zumindest am Ende der Föderalismuskommission II eine Situation eingetreten, in der es eher ein Kuddelmuddel gibt und rechtlich immer noch nicht ganz klar ist, wer denn nun welche Rechte hat. Das werden wir vom Bundesverfassungsgericht klären lassen müssen.

Wenn man sich die Mitglieder der Kommission anschaut, waren es Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien und der Landesregierungen. Am 5. März ist das Maßnahmenbündel zur Reform verabschiedet worden. Dann hat der Bundestag am 29. Mai entschieden und der Bundesrat am vergangenen Freitag.

Das klingt alles sehr technisch, nach der Umsetzung bestimmter einfacher Verfahren. So ist es aber nicht, weil die, die es betrifft, die Vertreter der Landtage, an dieser Entscheidung bisher nicht beteiligt waren. Das ist ein erheblicher Dissens zwischen Bund und Ländern. Dieser Dissens ist institutionell und besteht völlig unabhängig von der politischen Zusammensetzung der Landesparlamente.

(Zustimmung von Herrn Tögel, SPD, und von Herrn Felke, SPD)

Es ist im Übrigen, Herr Ministerpräsident, vermutlich nicht nur mir aufgefallen, sondern auch den anderen, die sich inzwischen damit sehr gut beschäftigt haben, dass Sie beim Aufzählen der Änderungen des Grundgesetzes den für die Länder maßgeblichen Nachsatz nicht mit vorgelesen und nicht genannt haben. Denn komplett heißt es:

„Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“

Satz 4 enthält die Ausnahme von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts für den Bund. Satz 5 lautet dann:

„Die nähere Ausgestaltung dieses Grundsatzes für die Haushalte der Länder regeln diese im

Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen...“

Dort haben Sie einen Punkt gesetzt. Dort ist aber ein Komma und danach heißt es:

„... mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,0 % des BIP nicht überschreiten.“

Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass das aus der letzten Variante herausgenommen worden ist. So viel Ehrlichkeit gehört zum Geschäft dazu; das ist nämlich eine zusätzliche Einschränkung. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie das ganz bewusst weggelassen haben, weil das einer der Knackpunkte ist.

Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass das Verfahren, das angewendet worden ist, nicht nur gegen die Haushaltsautonomie der Länder verstößt, sondern auch gegen die Verfassungshoheit der Landtage.

Deshalb will ich das hier noch einmal so vehement sagen: Als Mitglied dieses Parlaments - ich gehe davon aus, dass es nicht nur SPD-Parlamentariern oder LINKE-Parlamentariern so geht, sondern ich höre das auch von FDP-Parlamentariern und nehme an, dass es auch CDU-Parlamentariern so geht - ist es mir nicht egal, wer darüber entscheidet, ob eine Regelung in die Verfassung aufgenommen wird und wie diese Verfassungsregelung dann aussieht. Darin sind wir uns, glaube ich, einig.

Das sollten wir als Parlament - unabhängig davon, ob wir gerade als Koalitionsfraktionen die Landesregierung tragen oder nicht - klären lassen bis zur letzten Konsequenz, wenn nötig vom Bundesverfassungsgericht. Anders wird es nicht gehen. Danach können wir uns darüber unterhalten, wie eine Schuldenregelung aussieht. Aber erst, wenn das grundsätzlich geklärt ist.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin einen schönen Vergleich zu den Verfassungsklagen gegen die Gemeindegebietsreform angestellt. Wer die Klärung vor den Verfassungsgerichten zum Thema Gemeindegebietsreform mit der notwendigen Klärung vergleicht, was der Bund einem Land sagen und was er regeln darf in Bezug auf die Verfassung, der verwechselt Äpfel mit Birnen oder noch schlimmer. Denn ich glaube nicht, dass eine Gemeindegebietsreform einen so hohen Stellenwert hat wie eine Ewigkeitsklausel im Grundgesetz hinsichtlich der Kompetenzen von Bund und Ländern. Dieser Vergleich hat mehr als gehinkt.

(Frau Weiß, CDU: Jetzt haben Sie es ihm aber gegeben!)

- Frau Weiß, ich habe dazu eine eigene Auffassung. Wenn Sie keine eigene Auffassung dazu haben - - Das hat nichts mit geben zu tun, sondern mit einer qualifizierten Auseinandersetzung. Sie können sich gern inhaltlich daran beteiligen.

(Frau Weiß, CDU: Oi, oi, oi!)

Natürlich gibt es immer Gutachten, die das bestätigen. Sie haben daraus zum Teil zitiert. Wenn die Bundesregierung und der Bundestag keine Gutachter und keine Gutachten gefunden hätten, die ihren eigenen Weg als richtig beschreiben, dann hätten sie die Gesetze nicht beschließen können. So einfach ist das. Es gibt genauso gut aber auch Gutachter und Gutachten, die die Mög

lichkeiten der Einflussnahme des Bundes auf Landesverfassungen anders beurteilen.

Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Es geht vordergründig um das Thema Schuldenbremse. Darf der Bund den Ländern verpflichtend aufgeben, die Schuldenbremse in der jeweiligen Landesverfassung festzuschreiben? - Für mich bezieht sich dieser Punkt nicht nur auf das Thema Schuldenbremse. Für mich stellt sich die Frage, ob das ein Präzedenzfall dafür ist, dass der Bund und alle Exekutivgremien einschließlich der Landesregierung uns als Parlamentariern auch noch andere Dinge vorgeben können, die in die Landesverfassung aufgenommen werden sollen.

So grundsätzlich ist die Frage zu stellen. Man kann diese Frage nicht einfach mit der Frage überdecken, ob man für oder gegen Schulden ist, was manchmal versucht wird. Darunter liegt ein viel ernsteres Problem. Das, so hoffe ich, werden wir als Parlament insgesamt geklärt wissen wollen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Für die Landesregierung haben Sie gesagt, SachsenAnhalt werde sich an einer Klage nicht beteiligen. Sachsen-Anhalt hat unterschiedliche Entscheidungsgremien. Daher will ich an dieser Stelle dafür werben - es ist noch genügend Zeit -, in den Fraktionen unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu diskutieren, ob man dieses Thema einmal ganz fair voneinander trennt und sich darauf verständigt, dass wir als Parlament unsere eigenen Rechte behalten wollen.

Diejenigen, die das Grundgesetz geschrieben und diese Bundesrepublik aufgebaut haben, waren der Meinung, die Länder halten sich den Bund und nicht umgekehrt. Inzwischen ist faktisch eine andere Situation eingetreten, und ich habe keine Lust, dass sich diese Situation noch weiter verschärft.

Das Zweite ist die Frage, wie eine neue Begrenzung der Schulden aussehen könnte. An dieser Stelle gibt es - Herr Scharf, darin gebe ich Ihnen Recht - sehr unterschiedliche Positionen innerhalb der SPD. Diese werden inhaltlich diskutiert. Auf der einen Seite besteht, vor allem bei Finanzpolitikern und Finanzministern, die Forderung nach einer ganz starken Schuldenbegrenzung. Andererseits gibt es Meinungen, zwar schärfere Schuldenregeln einzuführen, aber größere Möglichkeiten der Ausnahmen für besondere Situationen zuzulassen.

Darüber werden wir in der Sozialdemokratie diskutieren müssen. Wir werden die Zeit dafür haben, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem geklärt ist, ob wir müssen oder ob wir dürfen. Wenn wir an dem Punkt angekommen sind, an dem wir dürfen, werden Sie von uns eine einheitliche Entscheidung bekommen. Auf dem Weg dorthin befinden wir uns.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meinem persönlichen, eher nachfrageorientierten Politikansatz die Mehrheit bekomme. Ich werde trotzdem inhaltlich dafür streiten, ebenso wie mein Kollege Jens Bullerjahn für einen anderen Weg streiten wird. Am Ende wird es eine Meinung der Sozialdemokratie geben und nicht wie bei Steuern unterschiedliche Meinungen der Sozialdemokratie.

(Zustimmung bei der SPD)

Ein kleines Detail möchte ich noch anmerken. Der Begriff „aufräumen“ wäre an dieser Stelle falsch. Sie haben

gesagt, wir wären in dieser Legislaturperiode nicht an das Thema herangegangen, den Haushalt strukturell und wissenschaftlich unterlegt anders aufzustellen.

Ich sehe das anders; denn zumindest was das Thema strukturelle Konsolidierung und das Vorsorgen durch Instrumente angeht, die wir gemeinsam im Haushalt aufgestellt haben, sieht die Situation inzwischen ganz anders aus, als sie noch am Ende der letzten Legislaturperiode ausgesehen hat. In diesem Zusammenhang sind der Pensionsfonds, die Steuerschwankungsreserve und das Strategiepapier zu nennen. Letzteres ist jetzt vom Finanzminister vorgestellt worden und es wird immer nur genau bis zu dem Punkt gelesen, an dem die Strategie anfängt. Es wird gar nicht weiter gelesen.

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

- Lesen Sie es mal bis zum Ende!

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Das machen wir!)

Dann hätte die Rede anders sein müssen. Ich weiß, dass man das in einer Rede schöner macht, wenn man Kürzungsvorschläge als Strategie anführt. Aber wenn man sich das Papier genau anguckt, dann stellt man fest, dass es sich um eine Dreiteilung handelt.

Der erste Teil ist eine wissenschaftliche Analyse, auch eine gesamtwirtschaftliche Analyse, in der bestimmte Szenarien über die Wirkung der Finanzkrise dargestellt worden sind. Im zweiten Teil sind die Vorschläge aufgeführt. Dabei ging es um die Fragen, unter welchen Bedingungen und mit welcher Neuverschuldung an welchen Stellen eingespart werden müsste oder könnte.

Der dritte Teil entsprach aus meiner Sicht eher einer Strategie und war auch als Strategie gemeint. Zusammengefasst wurde darin Folgendes gesagt: Egal zu welcher Variante der Neuverschuldung wir uns entschließen werden, besteht die jetzige Strategie darin, dass wir einen Tilgungsplan daneben legen und dass wir eben nicht wie früher neue Schulden aufnehmen, sondern dass wir die Schulden, die wir jetzt in schwierigen Situationen aufnehmen, auch zu tilgen versuchen.