Protocol of the Session on December 12, 2008

Leben frei von Straftaten zu führen. Um hier geeignete Maßnahmen zu finden, muss man zunächst einmal fragen: Woran liegt es denn, dass die Maßnahmen, die erfolgreich sind, die auch positiv auf die Persönlichkeiten wirken, doch nicht die Erfolge haben, die man sich davon verspricht.

Wir haben mit einer Vielzahl von Partnern herausgefunden, dass es tatsächlich Betreuungsbrüche gibt und dies manchmal mit relativ einfachen Dingen zusammenhängt. Ein ganz zentraler Punkt ist beispielsweise die Möglichkeit, das, was an Ausbildung in der Jugendanstalt erreicht worden ist, nach der Haftentlassung in der Praxis umzusetzen, sprich: Es war in der Vergangenheit so, dass diejenigen, die einen Schulabschluss gemacht haben, eine Lehrstelle gesucht haben oder diejenigen, die bereits einen Berufsabschluss in Raßnitz gemacht haben, zum Arbeitsamt gegangen sind und dort die Mitteilung bekommen haben: Nicht vermittelbar!, sodass eine Perspektive von dieser Seite nicht vorhanden ist.

Wir haben uns gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium darum bemüht, dass bei jeder Arbeitsgemeinschaft ein Ansprechpartner auch für Haftentlassene vorhanden ist, der sie wirklich umfassend berät und ihnen Perspektiven aufzeigt, wie es möglich ist, einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden.

Wir haben versucht, ein kleines Netzwerk an Unternehmen zu finden, die bereit sind, diejenigen, die eine Ausbildung gemacht haben, in der Praxis aufzunehmen, ihnen eine Chance zu geben. Fairerweise muss man aber sagen: Das gestaltet sich praktisch oftmals schwerer, als man sich das vorstellen kann.

Deswegen versuchen wir jetzt in einem speziellen Nachsorgeprojekt gerade diesem Aspekt der Vermeidung von Betreuungsbrüchen entgegenzuwirken. Im Rahmen der Haushaltsberatungen zum derzeitigen Doppelhaushalt ist eine Summe von 300 000 € für ein solches Projekt der Nachsorge vorgesehen worden. Hierzu hat im Sommer dieses Jahres ein Ideenwettbewerb stattgefunden.

Aus einer Vielzahl von Bewerbern ist ein Träger ausgewählt worden, der aus unserer Sicht ein sehr gutes und auch sehr wirtschaftliches Konzept anbietet und für Sachsen-Anhalt flächendeckend die Nachbetreuung von haftentlassenen Jugendlichen übernehmen soll. Das ist angebunden an den offenen Vollzug der Jugendanstalt; das heißt, es sollen rechtzeitig vor der Haftentlassung Gespräche mit den Jugendlichen geführt werden. Es wird eine Art Betreuungsvereinbarung mit ihnen getroffen. Sie werden dann so schnell wie möglich in den offenen Vollzug verlegt, um eine stärkere Anbindung an die Bedingungen nach der Haftentlassung zu haben.

Sie werden nach der Haftentlassung weiter betreut mit all den Dingen, die sie brauchen, angefangen bei der Vermittlung von Ausbildungsstellen oder Arbeit über die Vermittlung von Wohnungen und, wie gesagt, auch was die Freizeitgestaltung betrifft. Es wird ein soziales Netzwerk aufgebaut, das verhindern soll, dass die Problemlagen wieder aufbrechen und die Entwicklung wieder dahin geht, wo sie ursprünglich begonnen hat.

Ja. - Ach so, Sie waren noch nicht am Ende, Frau Ministerin.

(Heiterkeit)

Es klang so. Ich bitte vielmals um Nachsicht.

Ich hätte jetzt noch einen überleitenden Satz gesagt.

Bitte sagen Sie den überleitenden Satz.

Wir haben noch keine praktischen Erfahrungen, aber ich denke, von den Ausgangsvoraussetzungen her ist das eine gute Möglichkeit, die Rückfallquote zu senken.

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Die SPD hätte jetzt noch die Möglichkeit zu einer Nachfrage. Die kann sie sich aber noch aufsparen. - Ich sehe das jetzt nicht. Dann geht das Fragerecht an die Fraktion DIE LINKE über. Die erste Hauptfrage hat Frau Dr. Paschke. Bitte schön.

Frau Ministerin, Ihr Ministerium und auch das Parlament haben in der Vergangenheit an guten Gesetzen gearbeitet, was den heute in Rede stehenden Bereich betrifft. Ich gehe davon aus, dass Sie mit mir darin übereinstimmen, dass eine erfolgreiche Resozialisierung der straffällig Gewordenen einen wichtigen Bestandteil des Opferschutzes darstellt.

Nun haben wir in der Enquetekommission Ihren Bereich schon unter die Lupe genommen und haben festgestellt, dass wir im Personalentwicklungskonzept trotz aller angedachten Neueinstellungen, würde ich sagen, schon jetzt ein Defizit zum Beispiel in der Jugendanstalt Raßnitz haben, wo es aktuell elf Fehlstellen gibt, deren Zahl sich bis 2020 auf 24 erhöhen wird. Wir haben im Justizvollzug rechnerisch 242 Fehlstellen.

Sie haben als Mitglied des Kabinetts dem Personalentwicklungskonzept zugestimmt, nach dem bis 2020 auch in Ihrem Bereich noch einmal mehrere hundert Stellen abgebaut werden sollen. Angesichts dessen frage ich Sie: Wie verträgt sich das mit den guten Gesetzen und mit den Zielen, die wir auf diesem Gebiet anstreben?

Bitte, Frau Ministerin.

Frau Dr. Paschke, wir sind uns völlig einig: Eine gute Resozialisierung ist wichtig, damit keine neuen Straftaten geschehen. Wir haben uns im Rahmen der Entwicklung des Personalentwicklungskonzepts sehr intensiv mit der Personalausstattung in den Justizvollzugsanstalten auseinandergesetzt. Wir haben uns auch in diesem Bereich einem Benchmarking unterzogen, das vonseiten des Finanzministeriums für alle Bereiche durchgeführt worden ist. Im Hinblick auf die bundesweiten Personalzahlen ist man hier zu einem Schlüssel von 51 Bediensteten auf 100 Gefangene gekommen. Das ist die Zielzahl. Derzeit sind wir bei etwa 54 pro 100.

Ich gebe Ihnen völlig Recht: Es ist gerade in der jetzigen Zeit, in der wir daran arbeiten, eine neue Haftanstalt mit 650 Haftplätzen in Betrieb zu nehmen, notwendig, vor Ort schon die konkreten Abläufe zu gestalten. Es kann

nicht sein, dass die Gefangenen, wenn sie dort am 1. Mai einziehen, den neuen Mitarbeitern dort die Wege zeigen, sondern das muss alles vorbereitet werden. Wir haben derzeit in den Altanstalten tatsächlich weniger Personal, als wir an vielen Stellen tatsächlich brauchten.

Wie gesagt, es steht die grundsätzliche Anforderung, dass das, was in anderen Ländern an Personalausstattung vorhanden ist, auch in Sachsen-Anhalt ausreichen soll, um in den einzelnen Bereichen arbeiten zu können. Wir haben in Sachsen-Anhalt eine Personalstruktur, die bewirkt, dass wir nicht in allen Bereichen das Personal haben, das wir brauchen, in anderen Bereichen aber offensichtlich mehr Personal.

Deshalb ist im Sommer dieses Jahres eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, eine Kommission, die eine Organisationsuntersuchung anstellt, von der wir uns im Ergebnis erhoffen, dass für einzelne Anstalten der konkrete Personalbedarf feststeht, nachdem mit wissenschaftlichen Methoden, mit Vergleichsmethoden, was gleich große Anstalten betrifft, ermittelt wurde, welches Personal man braucht, um einen Behandlungsvollzug, der diesen Namen verdient, anbieten zu können.

Inwieweit das dazu führt, dass man bei den Zielzahlen, die derzeit im Personalentwicklungskonzept enthalten sind, noch einmal Veränderungen vornehmen muss, und ob man vielleicht im Hinblick auf die Altersstruktur noch mehr Neueinstellungen braucht, damit man mit dem relativ hohen Krankenstand und der Tatsache umgehen kann, dass wir einen relativ hohen Altersdurchschnitt der Bediensteten gerade im allgemeinen Vollzugsdienst haben, um hier die Bedingungen in Zukunft weiter zu verbessern, müssen wir im Sommer nächsten Jahres, wenn der erste Bericht dieser Arbeitsgruppe vorliegen wird, noch einmal intensiver erörtern.

Vielen Dank. Die Fraktion DIE LINKE hat noch eine Nachfrage. - Bitte schön.

Frau Ministerin, Sie erwähnten das Benchmarking. Es gibt unterschiedliche Zahlen. Sie haben gesagt, das Land habe sich dem unterzogen. Ihnen ist aber sicherlich auch bekannt, dass zum Beispiel gerade in den Jugendanstalten bereits gebenchmarkt wurde, dass bundesweit im Durchschnitt 65 Bedienstete auf 100 Häftlinge - oder wie sagt man -

(Zuruf von der LINKEN)

kommen und dass wir aktuell 49 haben. Das ist in den Diskussionen der Enquetekommission ausgeführt worden und dem wurde auch nicht widersprochen. Dazu muss ich sagen: Das ist nun eine Benchmark, die sozusagen auf dem Tisch liegt, bezüglich deren wir aktiv werden könnten. Außerdem ist Ihnen sicherlich auch bekannt, dass der Justizbereich Niedersachsens ebenfalls einem Benchmarking unterzogen wurde und dass man dort inzwischen davon abgegangen ist und gesagt hat, das geht nicht; sie müssen aufgabenorientiert daran arbeiten.

Insofern lautet meine Nachfrage wie folgt: Werden Sie sich ganz konsequent aufgabenorientiert dem widersetzen, dass man sagt, ich mache ein Benchmarking und egal, ob ich 300 Bedienstete zu wenig habe, es ist gebenchmarkt und wir müssen damit klarkommen?

Der Justizvollzug ist eine sehr sensible Aufgabe. Deshalb müssen wir an dieser Stelle sicherstellen, dass das, was an Ressourcen notwendig ist, zur Verfügung steht. Auch diesbezüglich gilt das, was ich bereits gesagt habe: Wenn die Organisationsuntersuchung vorliegt, dann erhoffen wir uns davon, dass wir konkret wissen, wie sich der Personalbedarf darstellt. Ausgehend davon muss man vielleicht über das eine oder andere noch einmal diskutieren.

Noch einmal zu der Frage der Jugendanstalt. Im Zusammenhang mit der Anzahl der Psychologen hatten wir uns auch mit der Frage des Benchmarkings beschäftigt. Die Angaben sind zum Teil nicht miteinander vergleichbar. Wir haben festgestellt, dass wir mit einer Vielzahl von Externen arbeiten, die in die Jugendanstalt kommen, bestimmte Behandlungsprogramme anbieten und sich im Personalschlüssel natürlich nicht wiederfinden.

Ich denke, auch solche Dinge muss man berücksichtigen; denn im Einzelfall muss auch entschieden werden, was sinnvoller ist: Kann ich für eine bestimmte Dienstleistung Personal von außen holen oder muss ich in jedem Bereich mit staatlich Bediensteten arbeiten?

Vielen Dank. - Damit geht das Fragerecht an die CDUFraktion über. Herr Stahlknecht stellt die Hauptfrage. Bitte schön, Herr Stahlknecht.

Doch bevor Herr Stahlknecht beginnt, möchte ich gern Damen und Herren der Bildungsgesellschaft Südost Magdeburg auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Stahlknecht, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Frau Ministerin, welche Maßnahmen hat die Landesregierung zur Sicherung staatlicher Opferhilfe und auch im Rahmen der Zeugenbetreuung ergriffen?

Sachsen-Anhalt ist bundesweit das einzige Land, in dem es Opferberater gibt, die beim Land angestellt worden sind. In den meisten Fällen wird die Opferberatung von Vereinen und freien Trägern wahrgenommen; aber Sachsen-Anhalt hat diesen Bereich als so wichtig eingeschätzt, dass es im Rahmen des sozialen Dienstes der Justiz auch den eigenständigen Bereich der Opferberatung gibt, im Rahmen dessen an sechs Standorten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auch fachlich auf diesen Bereich spezialisiert haben, arbeiten, um denjenigen, die Opfer von Straftaten geworden sind, sowohl beim Strafverfahren, aber auch darüber hinaus, vor allem wenn es um bleibende gesundheitliche Schäden oder notwendige Umzüge geht, zur Seite zu stehen.

Wir haben in diesem Zusammenhang in diesem Jahr gemeinsam mit den anderen Bundesländern das bundesweit einheitliche Opfermerkblatt so überarbeitet, dass wir noch bessere Informationen über die bestehenden Rechte und Pflichten von Opfern anbieten können. Den Opfern werden mit diesem Faltblatt aber auch ganz konkret Ansprechpartner genannt, an die sie sich wenden können, bei denen man unbürokratische Hilfe leistet,

ohne dass es im Einzelfall eines großen Antrags bedarf oder man bestimmte Bedarfe nachweisen muss. Ich glaube, der Vorteil der staatlichen Opferberater ist, dass es eine ganz menschliche und unbürokratische Hilfestellung ist. Die Anzahl derjenigen, die diese Opferberatung in Anspruch nehmen, zeigt, dass das eine sinnvolle Sache ist.

Im laufenden Jahr haben wir die Opferberater auch personell verstärkt. Wir haben den Einstellungskorridor, den wir für den Bereich des sozialen Dienstes haben, sowohl für die Verstärkung der Opferberatung als auch für die Verstärkung des Zeugenschutzes verwendet. Für den Bereich des Zeugenschutzes haben wir jedoch noch nicht das Ziel erreicht, an dem wir eigentlich ankommen wollen. Bezüglich dieses Bereichs haben wir uns im Rahmen der Koalitionsvereinbarung dazu verpflichtet, an allen Landgerichtsstandorten und an den beiden Standorten der großen Amtsgerichte eine Zeugenberatung und -betreuung vorzuhalten. Dieses Vorhaben ist im Moment praktisch noch nicht umgesetzt.

Diese Zeugenbetreuung gibt es bisher lediglich am Landgericht Magdeburg und am Amtsgericht Magdeburg. Unser Anspruch besteht jedoch darin, dass wir eine professionelle Zeugenberatung von ausgebildeten Sozialpädagogen vornehmen lassen. Wir haben natürlich auch an anderen Standorten Möglichkeiten der Zeugenbetreuung, die allerdings nicht von professionellem Personal, sondern von den Mitarbeitern vor Ort wahrgenommen wird.

Im Rahmen des laufenden Haushaltsplanes ist vorgesehen, dass zwei Stellen die Zeugenbetreuung an weiteren Standorten verstärken sollen. Das ist uns in diesem Jahr noch nicht gelungen. Wir planen für 2009, den Einstellungskorridor zu nutzen, damit wir zunächst einmal die Zeugenbetreuung um eine Stelle verstärken. In den meisten Fällen ist eine halbe Stelle pro Standort erforderlich, sodass es zwei Personen sind, die im nächsten Jahr und in den folgenden Haushaltsjahren, soweit es uns gelingt, dies in den Haushaltsberatungen umzusetzen, die Zeugenbetreuung an den Standorten der Landgerichte aufbauen sollen.

Die Rückmeldungen von den Betroffenen zeigen, dass das ein sehr positiv wahrgenommenes Angebot ist. Wenn man sich vorstellt, welche Ängste Opfer mit dem Gang zum Gericht verbinden und dass sie befürchten, auf dem Gerichtsflur ihrem Täter gegenüberzustehen, dann ist es eine wichtige Aufgabe, dass durch die Zeugenbetreuer die Möglichkeiten genutzt werden, diese Konfrontationen weitestgehend zu vermeiden, dass es eine psychologische Betreuung für das Verfahren gibt und Vorgespräche und auch Nachgespräche stattfinden, um die Folgen, die gerade für die Opfer von Straftaten oftmals sehr gravierend sind, möglichst gering zu halten und ihnen in ihrer schwierigen Situation zu helfen.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Herr Kurze hat noch eine Nachfrage.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben vorgetragen, dass die Resozialisierung als wichtigster Baustein des Opferschutzes bei der Vermeidung zukünftiger Straftaten aus Ihrer Sicht eine große Rolle spielen soll. Was sagen Sie als Justizministerin persönlich zu den Men

schen im Land, die mit den oftmals milden Strafen und dem doch recht hohen Aufwand der Betreuung der Straftäter im Vergleich zum Umgang mit den Opfern unzufrieden sind?

Das ist eine Frage, die in den Bereich der richterlichen Unabhängigkeit hineinspielt. In diesem Zusammenhang muss eine Justizministerin sehr vorsichtig sein, was sie an Botschaften für die Richterinnen und Richter im Land vermittelt.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Wir haben uns in diesem Jahr sehr intensiv insbesondere mit dem Jugendstrafrecht und den Fragen der Jugendkriminalität auseinandergesetzt, weil dies aus meiner Sicht der Bereich ist, in dem man zuerst ansetzen muss. Ich denke, je früher es uns gelingt, mit bestimmten Interventionsmaßnahmen erfolgreich zu sein, umso besser ist es für den Bereich des Erwachsenenstrafrechts.

Es ist schwierig, diesbezüglich allgemeingültige Aussagen zu treffen. Jeder Fall ist ein Einzelfall, und es obliegt der Entscheidung des Richters, die angemessene Strafe zu finden. Dabei spielt oftmals eine Vielzahl von Faktoren für den Täter eine Rolle, die nicht mehr in der Zeitung stehen und die in der öffentlichen Wahrnehmung und in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielen. Es spielt insbesondere auch keine Rolle - das habe ich vorhin bereits gesagt -, dass die Resozialisierung, also die Chance, dass jemand nicht erneut Straftaten verübt, umso größer ist, je milder die Strafe ist.