Aber warum sich hier noch weitere Bürokraten einmischen sollen und warum übrigens im Wissenschaftszentrum in Wittenberg eine ganze Reihe von externen Fachleuten, die aus anderen Ländern kommen, mit beteiligt sein sollen, ist mir völlig unverständlich.
Mein Damen und Herren! Ich möchte es einmal ganz deutlich sagen - das sage ich auch als Hochschulprofessor -: Wir beginnen, uns langsam gegenseitig zu Tode zu evaluieren. Viele kluge Menschen in ganz Deutschland - vor allem Professoren - sind nur damit beschäftigt, in anderen Bundesländern in irgendwelchen Gremien ir
gendetwas zu evaluieren anstatt Forschung zu betreiben und den Output ihrer Hochschule zu erhöhen und diese damit nach vorn zu bringen und Deutschland mit seiner Forschung und Wissenschaft im internationalen Wettbewerb wieder dort zu platzieren, wo das Land im späten 19. Jahrhundert schon einmal war, nämlich an der Weltspitze.
Meine Damen und Herren! Da müssen wir hin in diesem Land. Dazu bedarf es der Hochschulautonomie. Aus all den Gründen werden wir uns nicht völlig gegen das stellen, was an Förderung für die Wissenschaft in diesem Antrag vorgesehen ist. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Aber wir sagen an dieser Stelle auch ganz deutlich, dass mit Blick auf das Wissenschaftszentrum in Wittenberg sehr genau geprüft werden muss, ob und wie hier wirklich die Hochschulautonomie eingeschränkt wird, meine Damen und Herren. Deswegen enthalten wir uns der Stimme. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Nun spricht für die CDU-Fraktion, wenn Sie es denn wollen, Herr Tullner. - Sie verzichten.
Dann können wir abstimmen. Es ist relativ klar gewesen. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der Linkspartei.PDS ab. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Das sind fast alle. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Drei Enthaltungen bei der FDP-Fraktion. Damit ist der Antrag geändert.
Wir stimmen über den so geänderten Antrag ab. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Gleiches Abstimmungsverhalten. Damit ist dieser Antrag in der geänderten Fassung so beschlossen worden. Der Tagesordnungspunkt 23 ist beendet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Wissenschaft kommt jetzt der Arbeitsmarkt.
Wer die Berichterstattung zu dem Abschlussbericht des Ombudsrates verfolgt hat, dem sind Schlagzeilen aufgefallen wie „Totales Behördenchaos bei Harz IV“, „Die Arbeitsagenturen arbeiten schlecht“ oder „Die Arbeitsgemeinschaften sind ein bürokratisches Monster“. Wie
immer in der Presse sind solche Überschriften ein bisschen reißerisch und im Einzelfall übertrieben.
Trotzdem: In dem Abschlussbericht hat der Ombudsrat die Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen als dringend reformbedürftig bewertet. Sie sei vor allem schlecht organisiert. Das Organisationschaos in den örtlichen Arbeitsgemeinschaften sei das größte Problem der gesamten Arbeitsmarktreform.
Mit unserem Antrag, meine Damen und Herren, wollen wir erreichen, dass die Empfehlungen des Ombudsrates zur Verbesserung der Organisation der Arbeitsagenturen bzw. der Arbeitsgemeinschaften hinsichtlich der Anwendbarkeit in Sachsen-Anhalt geprüft werden, damit letztlich die Betreuung und die Beratung der betroffenen Menschen verbessert wird. Das ist natürlich das Ziel.
Dem steht nicht entgegen, dass die Aufgaben in den Verwaltungseinrichtungen der Städte und Gemeinden von den allermeisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit großem Einsatz wahrgenommen werden. Das wissen wir und das würdigen wir auch als FDP-Fraktion.
Der Ombudsrat hat aber festgestellt, dass die Konstruktion der Mischverwaltung von Bund und Kommunen, also der Agentur für Arbeit und des Sozialamtes, weithin organisatorische Mängel aufweist. Unklare Zuständigkeiten in Bezug auf das Personal, das Budget, aber auch auf das Sachvermögen behindern die tägliche Arbeit - so der Ombudsrat.
Das gravierendste Problem bei der im Grundsatz richtigen Entscheidung, die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammenzulegen, liegt in der verfehlten Organisation. Auch das so genannte Fortentwicklungsgesetz scheint die Verwaltungspraxis nicht oder nur unwesentlich verbessert zu haben. An dieser Stelle ist die Frage zu stellen, ob und, wenn ja, inwieweit wir dieses Organisationschaos in Sachsen-Anhalt durch eine Verbesserung von Strukturen beseitigen oder zumindest reduzieren können. Was können wir vor Ort an Strukturverbesserungen erreichen?
Beklagt wurde durch den Ombudsrat auch die mangelnde Bürgernähe. Sie soll sich im Vergleich zu früher verschlechtert haben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitsgemeinschaften sind heute nach der Erkenntnis des Ombudsrates schlechter zu erreichen als vor der Reform.
Es gibt danach allerdings auch deutliche regionale Unterschiede, was die Erreichbarkeit, die Fachkunde und den freundlichen Service angeht. Hier ist zu fragen, wie sich die Situation in Sachsen-Anhalt darstellt. Werden die von der Bundesagentur für Arbeit festgelegten Mindeststandards eingehalten? Wie sieht es mit Blick auf die Forderung aus, jedem Bürger zu ermöglichen, innerhalb von zwei Arbeitstagen sein Anliegen vorbringen zu können und klären zu lassen?
Meine Damen und Herren! In unserem Antrag wollen wir damit auch prüfen lassen, inwieweit bürokratische Hemmnisse hierzulande die Arbeitsverwaltung und den Zugang zu sozialen Leistungen behindern oder vielleicht sogar im Einzelfall verhindern. Die Bürokratie darf kein Hindernis für die Inanspruchnahme von sozialen Leistungen sein.
Im Hinblick auf die Steuerung der Arbeitsgemeinschaften empfiehlt der Ombudsrat für die lokale Ebene Zielvereinbarungen zwischen der Bundesagentur für Arbeit,
den Trägerversammlungen und den Geschäftsführungen der Arbeitsgemeinschaften. Die kommunalen Träger sind nicht Gegenstand der Zielvereinbarung.
Was kann Sachsen-Anhalt, was kann die Landesregierung insgesamt tun, um ein funktionsfähiges und aussagekräftiges Controlling der Arbeitsgemeinschaften zu erreichen bzw. zu verbessern? Auch darüber wollen wir in den Ausschüssen beraten.
Meine Damen und Herren! Vor Kurzem hatte sich Wirtschaftsminister Haseloff pressewirksam dahin gehend geäußert, man müsse die Hartz-IV-Betrüger stoppen, um die Ehrlichen zu schützen.
„Wir müssen die ‚schwarzen Schafe’ stoppen, um die große Mehrheit der ehrlichen Leistungsempfänger zu schützen.“
Zur Begründung führte der Minister sinngemäß aus, bei fortgesetztem Leistungsmissbrauch in der jetzigen Größenordnung bestehe insgesamt die Gefahr von Leistungskürzungen.
Meine Damen und Herren! Ich sage ganz klar: Leistungsmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Ein Leistungsmissbrauch muss verhindert werden und mit Sanktionsfolgen belegt sein. Wer zu Unrecht Hartz-IV-Leistungen bezieht, begeht Unrecht. Es gilt, dieses zu verhindern und letztlich auch zu bestrafen.
Pauschalverdächtigungen von Hartz-IV-Empfängern sind allerdings nicht hilfreich. Es darf natürlich auch nicht der Anschein erweckt werden, Hartz-IV-Empfänger seien per se anfällig für Leistungsmissbrauch. Ich unterstelle Herrn Minister Haseloff insoweit natürlich das ehrenwerte Ziel, Leistungsmissbrauch bekämpfen zu wollen.
Ob es allerdings hilfreich wäre, von Antragstellern eine eidesstattliche Versicherung zu verlangen, wie der Wirtschaftsminister es vorgeschlagen hat, ist eine ganz andere Frage. Wer Leistungen beantragt, der muss - wie kann es anders sein? - eine Reihe von Angaben machen, der muss Formulare ausfüllen. Was so einfach klingt, ist in der Realität oft gar nicht so einfach. Warum sonst würde auch der Ombudsrat in seinem Abschlussbericht kritisieren, dass eineinhalb Jahre nach der Einführung des ALG II noch keine besser verständlichen Bescheide entwickelt worden sind? Der Ombudsrat schlussfolgert sogar - ich zitiere -:
„Solange die Bescheide in einer Sprache abgefasst sind, die für die Mehrheit der Betroffenen schwer verständlich ist, dürfen daraus resultierende falsche Interpretationen nicht allein zulasten der Betroffenen gehen.“
Das Problem bei falscher Beantragung von Leistungen ist also durchaus komplizierter, als es die Äußerungen des Ministers nahe legen könnten. Auch die nicht immer leicht verständlichen Antragsformulare und die schwer zu verstehenden Bescheide tragen sicherlich zu fehlerhaftem Leistungsbezug bei. Davon natürlich strikt zu trennen ist der vorsätzliche Leistungsmissbrauch durch die Antragsteller.
Mit Blick auf Ihren Vorschlag, Herr Minister Haseloff, eine eidesstattliche Versicherung von Antragstellern für
Hartz-IV-Leistungen zu verlangen, stellt sich allerdings die Frage, worin der Zugewinn für die Verhinderung von Leistungsmissbrauch wirklich liegen könnte. Die Statuierung als strafbares Verhalten jedenfalls kann es wohl kaum sein.
Als Straftatbestand kann in derartigen Fällen schon heute Betrug vorliegen. Eine etwaige höhere Abschreckung bereits bei der Antragstellung erscheint mir zweifelhaft. Wer mit Wissen und Wollen zu Unrecht Leistungen beziehen will, wird sich auch durch die zusätzliche Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nicht davon abschrecken lassen, und - das muss man fairerweise sagen - wenn man das in diesem Bereich verlangen würde, dann müsste man eidesstattliche Versicherungen auch im Steuerbereich einführen.
Das würde dann dazu führen, dass gewissermaßen jede Erklärung, die man abgibt - ich würde nicht so früh applaudieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS. -, also praktisch alle normalen Erklärungen, die man mit Unterschrift abgibt, entwertet werden, weil man weiß, dass die Gesellschaft generell eine eidesstattliche Versicherung verlangt.
Liebe Leute, wo sind wir denn? Man kann doch nicht jede Erklärung, die man gegenüber einer Behörde macht, sozusagen mit einer eidesstattlichen Versicherung aufrüsten. Das halte ich für vollkommen sinnlos. Das ist der falsche Weg und das sollten wir lieber lassen.
Wir würden aber in jedem Fall erwarten, dass Minister Haseloff uns in den entsprechenden Beratungen im Ausschuss zumindest eine Begründung liefert, die uns vielleicht von unserer derzeitigen Meinung abbringen könnte, dass eigentlich nur der Stammtisch bedient wird und nicht wirklich vernünftige Regelungen angestrebt werden.
Meine Damen und Herren! Über alle angesprochenen Themen bzw. Fragen wollen wir in den Ausschüssen berichten lassen. Im Hinblick auf die angesprochenen Verbesserungen der Arbeit der Arbeitsagenturen bzw. der Arbeitsgemeinschaften ist natürlich auch zu fragen, ob und, wenn ja, inwieweit der Landeshaushalt hiervon betroffen sein wird. Deshalb schlagen wir eine Berichterstattung auch im Finanzausschuss vor. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ganz zum Anfang, Herr Paqué: Ich trinke keinen Alkohol und treibe mich grundsätzlich nicht an Stammtischen herum. Wer mich kennt, der weiß, dass das nicht so locker dahingesprochen ist, sondern dass mich nur eines umtreibt: Wie kriegen wir die jetzige Situation, die nicht mehr akzeptabel ist, so reguliert, dass das Sozialversicherungssystem, dass das Sozialstaatssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht grundsätzlich infrage gestellt wird? - Denn wenn wir diese Diskussion erst einmal aufgedrängt bekommen, dann haben wir gerade auch in Sachsen-Anhalt in erheblichem Maße die Konsequenzen zu tragen.