Es geht hierbei um Strafverfahren. Das Erste, was man im Staatsrecht lernt, wenn man sich mit den Grundsätzen des Grundgesetzes auseinandersetzt, ist, dass das Grundgesetz nicht schrankenlos gilt, sondern auch Schranken hat, und dass man sich deshalb mit einer Abwägung der unterschiedlichen Interessen auseinandersetzen muss. Genau das hat die Bundesregierung mit dem Änderungsgesetz getan; das hat zum geltenden § 160a StPO geführt.
Es gibt diese Vorschrift seit dem 1. Januar 2008. Mit den neuen Vorschriften wird ein abgestuftes System der Beweiserhebungs- und Verwertungsverbote zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern eingeführt. Diese Neuregelung gilt grundsätzlich bei allen Ermittlungsverfahren außerhalb einer Vernehmungssituation.
Ich bin der Meinung, dass die Vorschrift die Interessen, was die Abwägung der einzelnen grundrechtsrelevanten Interessen betrifft, durchaus in ein angemessenes Verhältnis setzt. Sie berücksichtigt nämlich in hinreichendem Maße das Spannungsverhältnis, das nun einmal besteht, zwischen dem Schutz der Berufsgeheimnisträger auf der einen Seite und dem - ich glaube, das darf man wirklich nicht verschweigen - öffentlichen Interesse an einer wirksamen Aufklärung von Straftaten auf der anderen Seite. Es geht hierbei nicht nur um Täter, sondern es geht auch um Opfer.
Die Neuregelung normiert auf der einen Seite ein absolutes Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot für Erkenntnisse, die von dem Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger, von Strafverteidigern und von Abgeordneten bzw. deren Berufsgehilfen umfasst sind. Der mit dieser Regelung ausgestaltete Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation mit den dort genannten Berufsgeheimnisträgern ist ein absoluter.
Das heißt: Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen einen Verteidiger, gegen einen Geistlichen oder einen Abgeordneten richten, sind unzulässig, das heißt, die Ergebnisse sind nicht verwertbar. Dieser absolute Schutz ist verfassungsrechtlich geboten und stellt zugleich die Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren dar.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass mit der Novelle dem Schutz der sonstigen Berufsgeheimnisträger stärker Rechnung getragen wird und die Regelungen insoweit aus meiner Sicht verbessert worden sind.
Es ist keinesfalls so, dass hier nur ein relativer Schutz besteht, sondern es sind sehr konkrete Voraussetzungen festgelegt worden, die einer sorgfältigen Abwägung zugrunde gelegt werden müssen. Hier steht das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung und an einer gerechten Entscheidung der Strafrechtspflege dem Schutz des Berufsgeheimnisses gegenüber.
Die Abwägung wird im Einzelfall von einem Gericht vorgenommen. Das heißt, wir haben den gesetzlichen Richter, wir haben entsprechende Rechtsbehelfe, sodass die Bürgerinnen und Bürger geschützt sind.
Und, meine Damen und Herren: Ich denke, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hier auch geeignet, um die entsprechenden Belange, die entsprechenden Interessen zu schützen. Ein absolutes Erhebungs- bzw. Verwertungsverbot ist hier nicht geboten. Hier muss dem Grundsatz einer umfassenden Wahrheitsermittlung und Aufklärung von schweren Straftaten Rechnung getragen werden. Insoweit gibt es von den Tatbestandsvoraussetzungen her eine Absicherung, dass nämlich bei schweren Straftaten tatsächlich das öffentliche Interesse an einer Aufklärung überwiegt. Bei nicht so schweren Straftaten muss dann im Einzelfall das Verhältnis ermittelt werden.
Herr Kosmehl, auch das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Problematik beschäftigt. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass es eben keinen generellen Vorrang der schutzwürdigen Interessen von Berufsgeheimnisträgern, etwa von Pressemitarbeitern, gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse gibt. Vielmehr ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen und eine Entscheidung zu treffen. Eine solche Entscheidung ist aufgrund der differenzierenden Regelung in der Strafprozessordnung sehr gut möglich.
Ich denke, dass damit eine Regelung geschaffen worden ist, die zugegebenermaßen noch nicht einmal ein Jahr in Kraft ist, aber nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxis gut anwendbar ist.
Man muss berücksichtigen, dass die dem Antrag der Fraktion der FDP zugrunde liegenden Fragen auch im Bundesrat behandelt worden sind. Ich sehe auf der Bundesebene im Moment keine Mehrheit, die es ermöglichen würde, eine solche Bundesratsinitiative im Bundesrat zu verabschieden. Deshalb denke ich, dass es im Moment keine Veranlassung gibt, eine solche Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. - Herzlichen Dank.
Frau Ministerin, zwei Fragen. Erstens. Ist es grundsätzlich so, dass man keine Anträge verfolgt, wenn man keine Mehrheit dafür sieht? Ist es nicht vielleicht ermutigend, dass man mit Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und jetzt vielleicht auch mit Bayern durchaus FDP-Beteiligungen hat, mit denen man es in Sachsen-Anhalt versuchen könnte?
Es geht jetzt nicht darum, einzelne Fälle zu beleuchten. Vielmehr brauchen wir eine handhabbare Regelung, die ein angemessenes Verhältnis des Schutzes der einzelnen Grundrechte ermöglicht. Wir sind der Meinung, dass das mit der vorliegenden Regelung der Fall ist und dass es hierfür keiner Neuregelung bedarf.
Selbstverständlich unterstützt die Landesregierung Bundesratsinitiativen, auch wenn man dafür am Anfang vielleicht noch nicht die notwendigen Mehrheiten hat. In diesem Fall halte ich es auch mit Blick darauf, dass wir ge-
rade eine Neuregelung im Bundesrat verabschiedet haben, für wenig wahrscheinlich, dass man für eine neuerliche Änderung die notwendige Mehrheit bekommt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der liberale Journalist Gerhart Raichle hat Rechtsstaatlichkeit wie folgt definiert - ich zitiere -:
„Der Hauptzweck der Rechtsstaatlichkeit besteht darin, die Staatsmacht zu begrenzen und die Freiheit der Bürger zu sichern. Die klassischen Grund- und Menschenrechte, die den Kern jeder Rechtsstaatlichkeit ausmachen, definieren und schützen Freiräume und Privatsphären, in denen der Staat nichts zu suchen hat. Ohne Rechtsstaatlichkeit ist die Würde des Menschen antastbar.“
Was passiert aber, wenn der Staat diese Freiräume immer mehr einschränkt, wenn der Staat immer mehr in die Privatsphären der Bürgerinnen und Bürger eingreift? - Diese Frage muss in Deutschland angesichts der jüngsten aktuellen Entwicklungen mit aller Schärfe gestellt werden. Genau in diese besorgniserregende Tendenz reiht sich die seit dem 1. Januar 2008 geltende neue Fassung des § 160a der Strafprozessordnung ein.
Wenn sich bislang Bürgerinnen und Bürger an Geistliche, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Ärzte, Vertreter anerkannter Beratungsstellen, Mitglieder des Bundestages bzw. der Landtage oder an Journalisten wandten, mussten sie sich nicht vorher genau überlegen, ob sie sich mit ihrem Anliegen an Berufsgeheimnisträger erster oder zweiter Klasse wenden. Für all diese Berufsgruppen galt bislang der gleiche Schutz vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich uneingeschränkt darauf verlassen können, dass all das, was sie mit den betreffenden Personengruppen besprechen, vertraulich behandelt wird und vom Zeugnisverweigerungsrecht gedeckt ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beispiel zum Patient-Arzt-Verhältnis Folgendes festgestellt - ich zitiere -:
„Vielmehr verdient ganz allgemein der Wille des Einzelnen Achtung, so höchstpersönliche Dinge wie die Beurteilung seines Gesundheitszustandes durch einen Arzt vor fremden Einblicken zu bewahren. Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens gehört.“
Wird die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Ermittlungsmaßnahme einer Einzelfallentscheidung überlas
Genau diese Gefahr besteht mit der inzwischen geltenden Neufassung des § 160a StPO; denn mit dieser Regelung erfolgt jetzt eine äußerst fragwürdige und nicht nachzuvollziehende Einteilung in Berufsgeheimnisträger erster und zweiter Klasse, eine Unterscheidung in „absolut geheim“ und „geheim von Fall zu Fall“.
So bleibt bei Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten das Zeugnisverweigerungsrecht uneingeschränkt bestehen. Bei Rechtsanwälten, Journalisten und Ärzten wird dagegen das Zeugnisverweigerungsrecht nur aufgrund einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall gewährt.
Warum man dabei zwischen einem Strafverteidiger und einem Rechtsanwalt unterscheidet, entzieht sich gänzlich unserem garantiert phantasiereichen Vorstellungsvermögen; denn auch ein Rechtsanwalt kann von seinem Mandanten vertrauliche Informationen anvertraut bekommen, die den Staat nicht zu interessieren haben - das zu einem Zeitpunkt, in dem er noch gar nicht weiß, dass er als Strafverteidiger tätig werden wird.
Für besonders problematisch halten wir auch die Tatsache, dass mit dieser Gesetzesänderung die Pressefreiheit weiter eingeschränkt wird. Schon im Jahr 2007 wurde bei einem weltweiten Ranking der Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ eine Aushöhlung der Pressefreiheit festgestellt. Deutschland fiel vom 18. auf den 20. Platz zurück. Hintergrund waren damals die „Cicero“- und die BND-Affären. Mit den nun geltenden Regelungen dürfte sogar dieser Platz nicht mehr zu halten sein.
Die getroffenen Regelungen beeinträchtigen in erheblichem Maße das Vertrauensverhältnis zwischen Informanten und Journalisten. Möglichkeiten einer kritischen Berichterstattung werden in besorgniserregender Weise eingeschränkt.
Mit der Neufassung des § 160a StPO reiht man sich ein in eine ganze Reihe von Einschränkungen wie die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, Vorstöße hinsichtlich staatlicher Online-Durchsuchungen, die akustische Wohnraumüberwachung, die Antiterrordatei, die bundesweite Rasterfahndung usw.; die Reihe kann fortgesetzt werden.
Wenn man das alles genau so will, dann soll es der Bundesgesetzgeber den Bürgerinnen und Bürgern aber auch so präzise erklären und nicht seine Absichten unter dem Deckmantel der Terrorismusabwehr verstecken. - Wir werden dem Antrag zustimmen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht hier eigentlich nur um die Frage, ob das Strafverfolgungsinteresse hinter dem Interesse von bestimmten Berufsgruppen vollumfänglich zurückzutreten hat oder nicht. Das ist die eigentliche Frage, die den Ausgangspunkt bildet.
Dazu gab es bereits im Jahr 2003 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Es waren Verbindungsdaten zwischen einem Topterroristen und Journalisten durch den Nachrichtendienst ausgewertet worden; der Topterrorist war daraufhin festgenommen worden. Damals hatte man seitens der Medien eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angestrebt, weil man die Auffassung vertreten hat, diese Art von Datengewinnung sei eben rechtsstaatlich nicht tragbar und deshalb rechtswidrig.
Dazu hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Dass das Strafverfolgungsinteresse grundsätzlich hinter dem Rechercheinteresse der Medien zurückzutreten hat, lässt sich verfassungsrechtlich nicht begründen.
Anders herum formuliert hat das Gericht gesagt, dass das Interesse der Medien nicht höherwertig ist als das Strafverfolgungsinteresse.
Diese Überlegungen haben Ausfluss gefunden in diesem Gesetz, in dem man gesagt hat: Bei der Verfolgung von schweren Straftaten ist es so, dass bei bestimmten Berufsgruppen, deren Namen ich nicht wiederholen will, möglicherweise gewonnene Beweise zu verwerten sind, um Straftaten aufzuklären oder künftige Straftaten abzuwehren. Dass hat im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen.
Das Gesetz ist in Berlin beschlossen worden. Wir halten es rechtspolitisch für richtig entschieden; denn es kann nach unserer Auffassung nicht sein, dass bei besonders schweren Straftaten Interessen einzelner Berufsgruppen im Hinblick auf das Strafverfolgungsinteresse höherwertig sind, weil man damit die Strafaufklärung aus der Sicht der Ermittlungsbehörden verhindern oder erschweren würde oder mögliche Straftaten nicht verhindern könnte. Dass ist der eigentliche Hintergrund.
Frau Tiedge, dass Sie bei dieser Regelung gleich den Rechtsstaat in Gänze in Gefahr sehen, das kennen wir ja schon durch die hinlänglichen Debatten. Wir haben dazu eine ganz andere Auffassung. Wenn Ihr Herz immer dann zu schlagen beginnt, wenn es um die Frage geht, wie man mit Tätern in dieser Gesellschaft umgeht, und Sie sozusagen den Schutz von Tätern höher stellen als den derjenigen, die strafrechtlich nicht in Erscheinung treten,
Im Übrigen, Frau Tiedge, ist dieses Gesetz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen im Lesungsprinzip im Bundestag zustande gekommen. Zu dem Rechtsstaat gehört auch, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelung überprüfen kann. Es kann sie für rechtswidrig oder für rechtmäßig halten.