Protocol of the Session on October 9, 2008

Ja.

Bitte sehr.

Frau Kollegin Reinecke, ich habe eine Nachfrage. Sie haben zum Beispiel bei dem Punkt Bildungsmaßnahmen ausgeführt, dass ein hoher Prozentsatz der Untersuchungshäftlinge Schreibschwächen hat bzw. keinen Schulabschluss hat. Liegt Ihnen Zahlenmaterial darüber vor, wie hoch der Prozentsatz ist - also: woher nehmen Sie diese Erkenntnis? - und ob sich dieser von dem entsprechenden Prozentsatz bei den Häftlingen unterscheidet, die derzeit in Sachsen-Anhalt ihre Strafen verbüßen?

Mit konkreten Zahlen kann ich an dieser Stelle nicht aufwarten. Es sind Erfahrungswerte, die Anstaltsleiter berichtet haben. Es ist im Prinzip auch der Übergang von der U-Haft in die Strafhaft; diese Probleme werden dort weiter verfolgt. Es sind also auch Rückschlüsse, die man ziehen kann. Prozentual kann ich das momentan nicht belegen.

Danke sehr, Frau Reinecke. - Für die Landesregierung spricht die Ministerin der Justiz Frau Professor Dr. Kolb. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, dass die Koalitionsfraktionen den vorliegenden Antrag gemeinsam erarbeitet haben. Das zeigt, mit welchem großen Interesse die Erarbeitung eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt begleitet wird, noch bevor die Landesregierung einen entsprechenden Entwurf vorgelegt hat. Hierbei wird an die positiven Erfahrungen angeknüpft, die wir im letzten Jahr bei der Erarbeitung eines Jugendstrafvollzugsgesetzes gemacht haben.

Insoweit kommen wir unserem Versprechen in der Koalitionsvereinbarung nach, dass wir auch nach der Föderalismusreform versuchen, gemeinsam mit anderen Ländern bestimmte Standards zu erarbeiten, um eine Zersplitterung der Gesetzgebung im Bereich des Strafvollzugs zu verhindern. Im Bereich der Untersuchungshaft haben wir noch mehr Länder ins Boot holen können, als das beim Jugendstrafvollzugsgesetz der Fall war. Das liegt einfach daran, dass wir bei dieser Gesetzgebungsmaterie noch eine wesentlich stärkere Verzahnung zwischen dem Untersuchungshaftrecht und dem Untersuchungshaftvollzugsrecht haben.

Wir haben in diesem Bereich nach wie vor eine Aufsplittung der Zuständigkeiten. Das Untersuchungshaftrecht ist nach wie vor Bundeskompetenz und den Ländern ist lediglich die Vollzugskompetenz übertragen worden. Der Bund hat einen Gesetzentwurf zur Regelung des Untersuchungshaftrechtes im Sommer dieses Jahres vorgelegt. Hierbei zeigt sich, dass man diese enge Verzahnung wirklich hinbekommen muss. Umso wichtiger ist es, dass länderübergreifend bestimmte Standards entwickelt werden. Deshalb freue ich mich darüber, dass dieses Hohe Haus diesen Weg gemeinsam mit uns geht.

Frau Reinecke hat es eben schon dargestellt; ähnlich wie bei dem Jugendstrafvollzugsgesetz stellt sich auch bei der Untersuchungshaft die Frage: Wie können wir einen menschenwürdigen Vollzug im Rahmen der Untersuchungshaft gewährleisten und auch eine Übereinstimmung mit den Anforderungen an einen effektiven Strafvollzug hinbekommen?

Wir haben diesbezüglich im Wesentlichen drei Kernpunkte, die auch für das kommende Gesetzgebungsverfahren die aus meiner Sicht wesentliche Rolle spielen werden.

Der erste Punkt betrifft die sinnvolle Zuständigkeitsverteilung zwischen Richtern, Staatsanwälten und Anstaltsleitern. Der zweite Punkt betrifft die Verbesserung der Rechtsstellung der Untersuchungsgefangenen. Der dritte Punkt betrifft die Einbindung der Untersuchungshaft in ein behandlungsorientiertes Gesamtkonzept für den Strafvollzug.

Es gibt bereits einen gemeinsamen Entwurf der Länder zu der Regelung der Untersuchungshaft. Dieser sieht im Vergleich mit der bisherigen Regelung eine aus meiner Sicht zweckmäßigere und praktikablere Zuständigkeitsverteilung zwischen Richtern, Staatsanwälten und Anstaltsleitern vor. Das gilt beispielsweise für die Überwachung der Besuche, des Schriftverkehrs, für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und für die Ausübung des Disziplinarrechts.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die alleinige Zuständigkeit des Richters in der Vollzugspraxis oftmals

zu Verzögerungen führen kann. Zum Beispiel betreffen Entscheidungen zu der Ausgestaltung des Haftraumes, zu dem Besitz von eigenen Sachen oder zu der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen in der Regel nicht das Strafverfahren. Deshalb sollte die richterliche Kompetenz grundsätzlich auf die Entscheidungen beschränkt werden, die zur Sicherung des Strafverfahrens erforderlich sind.

Demgegenüber sollten die Entscheidungen, die eben nicht das Strafverfahren, sondern den Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, zukünftig in die alleinige Zuständigkeit der Anstaltsleiter fallen. Dagegen gibt es auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sich aus Artikel 104 Abs. 2 des Grundgesetzes eine Zuständigkeit des Gerichts für Entscheidungen, die den Vollzug betreffen, nicht ableiten lässt und insoweit auch kein Richtervorbehalt festgelegt ist.

Die Rechtsstellung der Untersuchungsgefangenen soll in Zukunft verbessert werden. Den Untersuchungsgefangenen sind nach dem Zweck der Untersuchungshaft grundsätzlich die gleichen Rechte einzuräumen, die sich aus dem Strafvollzugsgesetz bzw. aus dem Jugendstrafvollzugsgesetz ergeben. Das gilt etwa für Mindestbesuchszeiten. Die Besuchszeiten sollen in dem Gesetzentwurf als Rechtsanspruch ausgestaltet werden.

An dieser Stelle muss auch berücksichtigt werden, dass die Besuchszeiten, also der Kontakt zur Außenwelt, eine resozialisierungsfördernde Wirkung hat. Ich sehe hierbei durchaus noch Raum für Diskussionen im Ausschuss für Recht und Verfassung. Insoweit muss festgestellt werden, dass andere Gremien wie der CPT weitergehende Regelungen, also umfangreichere Besuchszeiten fordern. Das ist sicherlich ein Thema, über das wir auch im Ausschuss für Recht und Verfassung noch diskutieren können.

Eine adäquate Unterbringung stellt nach dem Gesetzentwurf die Einzelunterbringung bzw. bei Jugendlichen die Unterbringung in Wohngruppen dar. Insoweit wird das fortgesetzt, was wir bereits im Jugendstrafvollzugsgesetz verankert haben. Auf die Paketregelung möchte ich nicht noch einmal näher eingehen; denn ich glaube, das hat Frau Reinecke erschöpfend dargestellt.

Wichtig ist uns, auch für die Untersuchungshaft ein behandlungsorientiertes Vollzugskonzept zu erhalten. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass Untersuchungsgefangene, solange sie nicht strafrechtlich verurteilt sind, als unschuldig gelten.

Deshalb müssen Angebote vorgehalten werden, die auf die vielfältigen individuellen Problemlagen zugeschnitten sind. Das betrifft die gesamte Angebotspalette von der Ausbildung über Arbeitsmaßnahmen bis hin zu einer entsprechenden Betreuung bzw. zu speziellen Behandlungsmaßnahmen. Ich denke dabei an Suchttherapie, Antiaggressionstraining und Ähnliches. Ich denke, auch hier gibt es die Möglichkeit, im Ausschuss über die konkrete Ausgestaltung im Einzelnen zu diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, diese Kernpunkte zeigen, dass die Mindeststandards eine gute Grundlage für einen zeitgemäßen, für einen modernen Strafvollzug und auch für die Untersuchungshaft bilden können. Ich denke, dass wir damit einen Gleichklang mit dem normalen Strafvollzug, mit dem Jugendstrafvollzug erreichen. Darüber hinaus wird man aber auch den Besonderheiten der Untersuchungshaft ent

sprechen können. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Knöfler. - Entschuldigung, ich hatte es vergessen. - Frau Ministerin, würden Sie noch eine Nachfrage von Herrn Kosmehl beantworten?

Ja.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage. Vielleicht können Sie sie heute beantworten. Ansonsten würde ich Sie darum bitten, das nachzuliefern. Um zu einer Einschätzung für Sachsen-Anhalt zu kommen, möchte ich wissen, ob es eine Statistik oder Zahlenmaterial darüber gibt, wie viele Untersuchungshäftlinge letztlich tatsächlich verurteilt werden, also wie viele - in Anführungsstrichen - zu Unrecht in Untersuchungshaft gesessen haben.

Über die Frage, ob sie zu Unrecht in Untersuchungshaft waren, müsste man im Einzelfall diskutieren. Zahlenmaterial habe ich jetzt nicht im Kopf. Man muss bei der Beantwortung der Frage berücksichtigen, dass die Zahl der Untersuchungshäftlinge in den letzten Jahren enorm zurückgegangen ist. Das weiß ich, weil ich heute Morgen einen Vortrag zum Jugendstrafrecht gehalten habe. In diesem Bereich hat sich die Zahl der Untersuchungshäftlinge halbiert. Wir haben aktuell 50 jugendliche Untersuchungshäftlinge.

Wenn man sich die einzelnen Haftbefehle ansieht, dann stellt man fest, dass es sich wirklich um schwere Straftaten handelt und dass die Richter im Einzelfall sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Untersuchungshaftbefehl stellen.

Danke, Frau Ministerin. - Jetzt darf Frau Knöfler sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 1. September 2006 ist die Föderalismusreform bekanntlich in Kraft getreten und die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug und damit auch für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz ist auf die Länder übergegangen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich an Folgendes erinnern: Zum damaligen Zeitpunkt lehnten Sachverständige, Experten und Berufsverbände nahezu einhellig die Verlagerung der Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länderebene ab. Diese ablehnende Haltung, sehr geehrte Damen und Herren, war und ist auch die Position der LINKEN.

Eine Ländergesetzgebung für den Strafvollzug ist aus der Sicht der Fachwelt ein Rückfall in die Zeit vor dem Jahr 1977, in der in den einzelnen Bundesländern unter

schiedliche Standards und Mindestanforderungen existierten, die dann durch das Strafvollzugsgesetz des Bundes aufgehoben und vereinheitlicht wurden. Das Bundesgesetz war ein Reformfortschritt für die Verbesserung der Qualität des Strafvollzuges.

Statt den seither angestauten Reformbedarf bei der Vollzugsgesetzgebung aufzulösen und ein bundeseinheitliches Jugendstrafvollzugsgesetz sowie ein bundeseinheitliches Untersuchungshaftvollzugsgesetz zu erlassen und damit die Resozialisierungschancen der Strafgefangenen insgesamt zu verbessern, vergab man sich diese Chance und legte die Gesetzgebungskompetenz in die Hände der einzelnen Bundesländer. Damit droht die erforderliche zeitgemäße Ausgestaltung der Bedingungen für einen modernen Strafvollzug wie auch für die Untersuchungshaft den zum Teil leeren Landeskassen zum Opfer zu fallen. Die Kürzung von Personal- und Sachmitteln ist die Konsequenz.

Sehr geehrte Damen und Herren! DIE LINKE wünscht sich für die immer noch bestehenden gesetzlichen Regelungslücken bei der Untersuchungshaft ein Bundesgesetz, in dem die Eckpunkte und Standards der Haftbedingungen und die Kriterien für die Unterbringung der Untersuchungshäftlinge zentral und vor allem einheitlich geregelt und fixiert werden.

Der drohenden Gefahr eines gesetzgeberischen Flickenteppichs versucht man durch die Existenz einer BundLänder-Arbeitsgruppe, der inzwischen zwölf Bundesländer angehören, zu begegnen, um weitestgehend einheitliche Untersuchungshaftvollzugsgesetze in den Ländern zu erarbeiten. Die LINKE begrüßt dieses Vorhaben trotz all der zuvor genannten Gesichtspunkte. Damit kann doch noch gewährleistet werden, dass künftig eine hoffentlich weitgehend einheitliche Ländergesetzgebung verabschiedet werden kann.

Aber das, sehr geehrte Damen und Herren, konterkariert doch eigentlich das Anliegen der Föderalismusreform. Eine bundesgesetzliche Regelung zum Untersuchungsstrafvollzug findet sich bisher lediglich in § 119 der Strafprozessordnung. Das heißt, infolge der engen Verbindung der hier zu regelnden Materie mit der Strafprozessordnung müssen die Regelungsinhalte der Landesgesetze auch künftig sorgfältig mit den strafprozessualen Bundesvorhaben abgestimmt sein.

Über die in dem vorliegenden Antrag dargelegten Eckpunkte für ein künftiges Untersuchungshaftvollzugsgesetz für das Land Sachsen-Anhalt gilt es im Rahmen der Ausschussberatungen intensiv zu diskutieren. Aus der Sicht der LINKEN besteht Ergänzungsbedarf.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung geltende Unschuldsvermutung verlangt die Minimierung staatlicher Eingriffe in die Rechte von Untersuchungsgefangenen. Schädliche Folgen des Freiheitsentzuges sind zu vermindern oder zu beschränken. Sie dürfen den Gefangenen nur auferlegt werden, wenn dies zur Sicherung des Zwecks der Untersuchungshaft und der Ordnung in den Vollzugsanstalten erforderlich ist.

Es geht uns deshalb insbesondere um Mindeststandards bei der Unterbringung, wie die Haftraumgröße, bei der Arbeit und bei der Freizeitgestaltung, bei der Arbeitsentlohnung, bei der Besuchsdauer und der Besuchserlaubnis, bei Bildungsmaßnahmen oder auch bei dem Rechtsschutz von Untersuchungsgefangenen.

Wir wünschen uns und erwarten deshalb auch im Vorfeld der Erarbeitung eines Gesetzes durch die Landesregierung eine Anhörung von Sachverständigen und Experten im Ausschuss für Recht und Verfassung, damit ihre Positionen und ihre Vorstellungen von einem modernen Untersuchungshaftvollzugsgesetz einfließen können.

Wir befürworten die Überweisung des Antrages und beantragen, wie gesagt, eine Expertenanhörung im Vorfeld der Erarbeitung des Gesetzes. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Knöfler. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Hartung.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag möchten die Koalitionsfraktionen erreichen, dass die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe an den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen möglichst zeitnah abgeschlossen werden kann. Bestimmte Mindeststandards, die in der Untersuchungshaft gelten sollen, sind darin aufgelistet.

Meine Damen und Herren! Insbesondere war uns bei der Erarbeitung des Antrages wichtig, dass eine Person, die nicht verurteilt worden ist, sich jedoch in Untersuchungshaft befindet, nicht schlechter gestellt wird als ein rechtskräftig Verurteilter.

Ich möchte nur noch kurz auf die einzelnen Punkte eingehen, weil die Ministerin und meine Kollegin Frau Reinecke schon ausführlich darüber berichtet haben.

Meine Damen und Herren! Die Zuständigkeit eines Anstaltsleiters, der nach unserer Vorstellung in eigener Verantwortung über die Fragen des Vollzugs entscheiden können soll, wird als sachgerecht erachtet, weil er die unmittelbaren Umstände, die Räumlichkeiten und die Personen kennt und dadurch sachliche Nähe garantieren kann.

Bisher gab es keine Regelung für Untersuchungsgefangene, die ihnen garantierte, dass sie für eine bestimmte Zeit Besuch empfangen dürfen. Dies soll, auch um eine Benachteiligung im Vergleich zu Verurteilten zu vermeiden, nunmehr gesetzlich verankert werden. Eine Besuchszeit von einer Stunde im Monat erachten wir als das Mindestmaß. Wir würden es auch begrüßen, wenn im Endeffekt eine Besuchszeit von zwei Stunden festgeschrieben werden könnte. Der Kontakt zu Freunden und zur Familie darf durch die Haft nicht unterbrochen werden. Er ist für die Untersuchungshäftlinge sehr wichtig.

Meine Damen und Herren! Zur Beseitigung der Ungleichbehandlung bei der Auszahlung von Taschengeld soll dieses in Zukunft - meine Vorrednerin hat es schon erwähnt - in gleicher Höhe an alle Untersuchungsgefangenen gezahlt werden. Auswirkungen wird diese Regelung bei mittellosen Untersuchungsgefangenen, insbesondere bei Sozialhilfeempfängern, haben.

Ein Minus im Vergleich zur bisherigen Handhabung, aber eine im Rahmen des Untersuchungshaftvollzuges als sinnvoll zu erachtende Regelung ist, dass Pakete mit