Protocol of the Session on September 12, 2008

Es ist eine legitime Bitte, und unsere Fraktion will ihr mit der Aktuellen Debatte nachkommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich gebe zu, es ist für mich - dies schon vorweg - wahrscheinlich die emotionalste Debatte, die ich hier im Landtag jemals bestritten habe, geht es doch um das Wohl und Wehe und die weitere Existenz einer Region, meiner Heimatregion.

Auf einem Transparent bei der Demonstration am 11. Juli 2008, an der auch viele Mitglieder des Hohen Hauses, der Minister, aber auch Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion - wenn auch unerwähnt - teilgenommen haben, stand zu lesen: „Henkel nimmt der Region das wirtschaftliche Herz“.

Mit den Organen ist das so eine Sache. Bestimmt wird der Organismus vom zentralen Nervensystem gesteuert, aber das Herz hat durchaus eine große Bedeutung.

Ich weiß auch, dass die mittelständischen Unternehmen in unserer Region sagen: Nun ja, für einen so Großen wird man sich wieder einsetzen. - „Elefanten füttern“ heißt das im Volksmund, und durchaus - wir werden in der Debatte dazu noch kommen - dürfen auch die Frage nach der mittelfristigen Finanzplanung von gestern und die Ausführungen des Finanzministers als eine Schlussfolgerung vorweggenommen werden: Muss man ein Dax-notiertes Unternehmen überhaupt fördern? - Das ist eine Frage, der wir uns noch widmen werden.

Frau Rogée hat es eben angedeutet: Die Bundesrepublik Deutschland ist Exportweltmeister. Henkel geht es, wenn man den Zahlen glauben darf, auch nicht unbedingt ganz schlecht: 1,2 Milliarden € Gewinn. Der Umsatz beläuft sich auf 3,66 Milliarden € allein im zweiten Quartal 2008.

Wenn man die Philosophie eines Managers verstehen will, der so ein Unternehmen führt: Er hatte sich vielleicht 1,3 Milliarden € Gewinn vorgenommen und macht ein Minus von 100 Millionen €. Dann ist es - ich benutze diesen Ausdruck doch einmal - als Erstes „schick“ für einen Manager, an den Personalkosten zu drehen. Wir sehen es. Obwohl am Standort Genthin bei Henkel Leiharbeiter tätig sind, wird es vielleicht nicht dazu kommen, dass der Standort erhalten werden kann.

Henkel hat eine 130-jährige Tradition. Ich habe einmal auf der Homepage von Henkel geblättert. Am 3. Sep

tember wurde dies dort erst kundgetan: Im Jahr 1876 gründete der damals 28-jährige Kaufmann Fritz Henkel mit zwei Kompagnons die Firma Henkel & Co.

(Herr Gürth, CDU: Er hat sie kurz danach schon verlagert!)

Er entschied sich kurz danach, sie von Aachen nach Düsseldorf zu verlagern. „Mit dieser Entscheidung“, so schreibt man hier, „bewies Fritz Henkel bereits damals Weitsicht und das richtige Gespür für wichtige Standortfaktoren, wie zum Beispiel eine gute Verkehrsanbindung.“

In einer Mitteilung auf der Homepage, die leider kein Datum trägt, wird die wechselvolle Geschichte am Standort Genthin beschrieben. „Am 4. August 1921“ - damit komme ich auf die Standortfaktoren zurück - „legten die Brüder Fritz und Hugo Henkel den Grundstein für den Produktionsstandort Genthin.“

Was verbindet Genthin und Düsseldorf? - Der Wasserweg geht quer durch die Bundesrepublik. Die Reichsstraße 1 - ich weiß nicht, wie die Straße früher hieß -, jetzt B 1, geht von Berlin durch Genthin bis dahin, und auch die Bahn fährt parallel dazu. Drei Verkehrsträger, die beides verbinden.

Irgendetwas muss ja die Gebrüder Henkel im Jahr 1921 dazu bewegt haben, dort den Grundstein zu legen.

Für die Region, für Genthin war es ein großer Glücksfall, dass sich Henkel in den Jahren 1990 und 1991 wieder am Standort Genthin engagiert hat. Als Region mussten wir den Verlust von 1 500 Arbeitsplätzen einfach so hinnehmen - mit allen Schwierigkeiten, die die Region zu tragen hatte. 1 500 Arbeitsplätze - diese Zahl entspricht, rund gerechnet, 10 % der Bevölkerung Genthins.

Die Familie Henkel selbst - das ist eben die Entwicklungsgeschichte - - Henkel hat sich von einem Familienunternehmen zu einem börsennotierten, managementgeführten Konzern entwickelt.

(Frau Weiß, CDU: Ist das schlecht?)

Der letzte Vertreter, der den Namen Henkel trägt, ist Dr. Christoph Henkel. Es ist stellvertretender Vorsitzender des Gesellschafterausschusses. Aus der weiblichen Linie gibt es noch einen Herrn Woeste; der ist im Aufsichtsrat vertreten, scheidet aber alsbald aus. Dieser Herr Woeste hatte noch ein Herz für Genthin.

Konrad Henkel hat sich im Jahr 1991 auch aus mental nachvollziehbaren Gründen für den Standort entschieden. Seitdem sind an dem Standort 130 Millionen € investiert worden, erst vor Kurzem 13 Millionen € in ein Regionallager.

Was Otto und Erna Normalverbraucher auf der Straße eben nicht mehr verstehen können, ist, wenn der Wirtschaftsminister - ich glaube, es war in der Junidebatte in diesem Haus - erklärt, dass gerade die Lohnkosten und die Transportkosten Standortvorteile für Sachsen-Anhalt bedeuteten, die Konzernspitze von Henkel aber nun gerade das Gegenteil davon behauptet und erklärt, das seien die zwei Kriterien, warum wir am Standort Genthin nach dem 31. Dezember 2009 wahrscheinlich keine Leuchtreklame von Henkel mehr sehen werden. Es ist nur eine rhetorische Frage, wer von beiden nun Recht hat.

Ich möchte einmal auf die regionale Betroffenheit abschwenken. Ich kann nicht sagen, dass die Landesregie

rung ganz untätig wäre. Minister Daehre hat Genthin in seinem Landesentwicklungsplan mit dem Status eines Mittelzentrums versehen. Was sich aber in den letzten Jahren an Maßnahmen zur Ausdünnung der Wirtschaftskraft vollzogen hat, wirkt dem entgegen.

Wir haben es eben hinnehmen müssen, dass wir der erste Knotenpunkt in der Fläche waren, den die Nasa beim schienengebundenen Nahverkehr nicht mehr bestellt hat. Okay, wenn im Umkreis des Henkel-Werks Genthin so viele Menschen nicht mehr zur Arbeit fahren müssen, dann ist das aus der Sicht der Nasa die logische Konsequenz. Wir haben damit für die Stadt Genthin eine Teilung hinnehmen müssen und haben daran kommunalpolitisch auch heute noch zu knabbern.

Aufgrund der Gewinn- und Ertragslage des Unternehmens Henkel, die unter anderem auch die Henkelaner in Genthin erbracht haben, gibt es noch eine moralische und eine soziale Verantwortung. Im Grundgesetz steht nun einmal: Eigentum verpflichtet. Die Kostenoptimierung, die die Manager umsetzen, geht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Das neue Konzept, das jetzt von der Personalvertretung vorgelegt wird - es war in der „Genthiner Volksstimme“ nachzulesen -, könnte die Henkel-Arbeitsplätze retten. Mein Aufruf an die Familie ist aus diesem Grunde, das Konzept wirklich zu prüfen und umzusetzen und nicht weiter die Vorstände des Unternehmens wirken zu lassen.

Als ich eine weitere Presseerklärung des Henkel-Konzerns auf seiner Homepage gesehen habe, habe ich gedacht, ich falle vom Glauben ab. Sie trägt das Datum 7. Juli 2008. Die Henkelaner vor Ort wissen, dass dies das Datum ist, an dem ihnen Vorstandsmitglied Herr Stara innerhalb von zehn Minuten die Botschaft rübergebracht hat, am 31. Dezember 2009 ist Schluss. Zur gleichen Zeit erklärt der Vorstandsvorsitzende:

„Trotz aller wirtschaftlichen Notwendigkeiten sind wir uns der besonderen Verantwortung für die Mitarbeiter bewusst und wir werden uns sehr bemühen, anstehende Veränderungen sozial verantwortlich durchzuführen.“

Das wünsche ich mir auch für den Standort Henkel in Genthin.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2011 mit einem Abbau von 1 000 Arbeitsplätzen in Deutschland gerechnet werden muss. In Düsseldorf sind ungefähr 6 000 Menschen beschäftigt. Die höchsten Einsparungen werden bereits im nächsten Jahr folgen.

Das Wachstum wird von Henkel mit Stand vom 6. August 2008 mit 11,4 % ausgewiesen. Darin fließt die Schließung des Standorts Genthin als eine Maßnahme ein.

Wenn es möglich ist, andere Arbeitsplätze zu requirieren, dann würde das einer sehr strukturschwachen Region nur zugute kommen. Genthin - das sage ich hier in aller Bescheidenheit - ist die erste menschliche Ansiedlung, wenn man aus Richtung Berlin Sachsen-Anhalt betritt. Wenn man aus Richtung Ruhrgebiet kommt, dann ist es durchaus die letzte menschliche Ansiedlung. Alle Systeme haben immer versucht, ihre Außenbereiche zu stärken, um sie - sage ich einmal - fit für den Wettbewerb zu machen. Wir erleben das absolute Gegenteil.

Herr Minister, ich bitte Sie wirklich inständig, weiter für uns tätig zu werden. Ich sage Ihnen auch noch eines: Wir haben als Stadtrat eine Sondersitzung durchgeführt, um auch der Belegschaft zu zeigen, dass wir nicht nur an einer Demonstration teilnehmen, sondern auch als Stadtrat beteiligt sein wollen.

Bei dieser Stadtratssitzung, die ich als Vorsitzender des Stadtrates zu leiten hatte, sagte ein Stadtrat der CDUFraktion - wohlgemerkt: der CDU-Fraktion! -, er hätte sich gewünscht, dass der Ministerpräsident einmal mit einem Wort zum Thema Henkel in die Öffentlichkeit tritt. Man hätte es von Herrn Rüttgers bei Nokia auch so erfahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage es einmal so: Das ist die Erwartungshaltung und es war eine Bitte, keine Kritik. Der Ministerpräsident hat seinen besten Mann nach Düsseldorf geschickt; das müssen wir zugeben.

(Herr Gürth, CDU: Der hat auch etwas erreicht!)

Auch wenn Herr Rüttgers bei Nokia nicht das erreichen konnte, was er sich vorgenommen hat - die Region hat erwartet, dass sich der Ministerpräsident äußert, auch als Zeichen dafür, dass man die Region nicht verloren gibt. Dass man das nicht tut, zeigt immer noch die Erwähnung der Region Genthin im Landesentwicklungsplan. Nicht dass darin einmal stehen wird, wir seien Wolfserwartungsgebiet. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Czeke, für Ihren Beitrag. - Jetzt hat die Landesregierung das Wort, Herr Minister Dr. Haseloff. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, zum Thema Henkel und Genthin haben wir - ohne dass wir darüber, bis auf die Einbringungsrede von Herrn Czeke, schon gesprochen haben - eine ganz klare einheitliche Meinung.

Erstens. Genthin und Henkel ist für uns nicht irgendetwas, es ist ein Symbol. Es ist Symbol für den Osten. Es ist Symbol für den Industriestandort Sachsen-Anhalt. Es ist Symbol für die Stadt Genthin, die in den letzten Jahrzehnten, ja fast 100 Jahren, kann man sagen, mit diesem Standort ihre jetzige Größe erreicht hat. Die Stadt hat viele schwierige Phasen hinter sich bringen müssen, vor allen Dingen auch die Transformationszeiten während und nach der Wende. Wir waren alle glücklich darüber, dass dieser Standort, wenn auch verkleinert, erhalten werden konnte.

Dass dieser Standort weiterhin als Industriestandort erhalten und auch der entsprechenden Branche weiterhin zuzurechnen bleibt, muss unser aller Bemühen sein. Ich denke, das ist hier unausgesprochen auch Konsens zwischen den Fraktionen.

Wir müssen allerdings Folgendes sagen: Die Entscheidung dieses Unternehmens ist von der Kommunikationsstrategie her sehr suboptimal gewesen.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Die Information hätte gegenüber den Betroffenen und auch gegenüber den Mitgliedern der Landesregierung

anders kommuniziert werden können und müssen. Dann wäre auch so manches, was wir jetzt gemeinsam sehr kooperativ zur Erhaltung des Standortes unternehmen, anders vermittelbar und vielleicht auch optimierbar gewesen.

Ich kann das nicht zurückdrehen; daran sind wir auch nicht schuld. Ich muss ganz klar sagen, Herr Czeke: Der Ministerpräsident und ich sind zeitgleich durch ein Fax mit der Angabe einer Handynummer informiert worden. Als dieses Fax bei uns einging, war die Belegschaft in einem Ad-hoc-Vorgang schon informiert worden. An dieser Stelle ist eine innere Emotionalität aufgebrochen. Wir mussten uns aber relativ schnell wieder fangen; denn es musste ja gehandelt werden.

Wir haben gehandelt, und zwar abgeglichen und abgestimmt, jeder auf seine Art und Weise, indem wir sofort angerufen bzw. erst einmal die entsprechenden persönlichen Kontakte gesucht haben, indem ich mit Staatssekretär Schubert nach Düsseldorf gefahren bin und indem wir eine ganze Kette von Kontakten in Gang gesetzt haben. Ich erspare Ihnen jetzt die Liste. Es waren im Prinzip im Drei- bis Fünftagestakt seit diesem Zeitpunkt ständig das Ministerium, die Landesregierung und zum Teil auch der Ministerpräsident mit aktiv.

(Herr Czeke, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage)