Protocol of the Session on September 12, 2008

Wenn wir aber diesen Organisationsgrad - daran habe ich auch ein persönliches Interesse im Sinne einer vernünftigen Ordnungspolitik - wieder erhöhen wollen, dann muss es gelingen, dass die Strategien von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften einfach auch zukunftsorientierter werden und auch attraktiver für diejenigen werden, die Mitglieder werden sollen.

Auf der anderen Seite ist es auch so, dass wir nicht alles bloß einer gewissen allgemeinen - in Anführungszeichen - Verschlechterung an dieser Stelle zuordnen und zuschreiben dürfen. Wir müssen vielmehr auch sehen, dass bestimmte Dinge passieren, weil sie auch bundespolitisch so gewollt und verordnet waren. Wenn wir im Bereich der Telekommunikation von einer Deregulierung sprechen und diese wollen und die Gebühren auf dem Telekommunikationsmarkt auch für den Verbraucher adäquat und europäisch vergleichbar gut entwickelt sehen wollen - das ist ja in den letzten Jahren gelungen -, dann heißt das, dass über alle Bundesregierungen der letzten Jahre hinweg versucht wurde, Monopole aufzubrechen und Wettbewerber an den Markt zubringen, die logischerweise nicht die Organisationsstrukturen aufweisen, wie sie bisher die Monopolunternehmen aufwiesen.

An dieser Stelle sind für die neuen Wettbewerber, die neuen Player am Markt einfach auch Anreizstrukturen von Arbeitgeberseite und von Arbeitnehmerseite zu entwickeln, die dazu anreizen, sich in Arbeitgeberverbänden und auch in Gewerkschaften zu binden und sich tariflich zu vereinbaren, damit man auch langfristig Qualitäten erzeugt, die für beide Seiten positiv sind, wenn es darum geht, Fachkräfte zu animieren, dort zu arbeiten, nicht abzuwandern bzw. nicht mehr zu pendeln, sondern in Sachsen-Anhalt zu arbeiten. Das ist eine sehr anspruchvolle Aufgabe, das ist ein dickes Brett, das gebohrt werden muss. Auch das, denke ich, können wir aus unserer Verantwortung und aus dem gemeinsamen Behandeln dieser Daten ableiten.

Ich denke, dabei gibt es viele interessante Aufgaben. Aber insgesamt können wir mit diesem Zwischenergebnis der Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre zufrieden sein. Wir können allerdings nicht so zufrieden sein, dass wir sie ad acta legen und sagen, diese Aufgabe ist erfüllt. Vielmehr geht es jetzt darum, in eine qualifizierte Phase einzutreten, in der es um die Standards geht, die wir an bestimmten Stellen gemeinsam verbessern sollten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. Ihre Rede hat natürlich zu Nachfragen gereizt. Herr Henke, Frau Rogée, Herr Dr. Thiel und Frau Penndorf haben sich gemeldet. Wollen Sie die Fragen beantworten?

Gern.

Herr Henke, Sie haben das Wort.

Herr Minister, Sie bezeichneten die Ich-AG-Lösung als ein Erfolgsmodell. Aus meiner beruflichen Erfahrung habe ich andere Eindrücke gewonnen. Letztlich sind sehr viele künftige Unternehmer in die Ich-AG gedrängt worden, um weitere Unterstützungsleistungen überhaupt beziehen zu können. Die begrüßenswerten Regelungen zur Notwendigkeit der Aufstellung eines Businessplans kamen sehr spät, ich behaupte: zu spät.

Ich möchte Ihnen deshalb zwei Fragen. Erstens. Gibt es in Ihrem Hause eine Übersicht zur Quote des Überlebens, wie viele der ursprünglichen Ich-AG-Gründer die ersten, ich sage: nur zwei Jahre überstanden haben?

Zweitens. Gibt es eine Untersuchung über die dadurch ausgelösten Verdrängungseffekte bei der bestehenden Wirtschaft? - Ich meine vor allem, inwieweit durch Ich-AGs mit Dumpingpreisen in personalkostenintensiven Handwerks- und Dienstleistungsbereichen Billigangebote unterbreitet wurden.

Vielen Dank. - Herr Minister, bitte.

Herr Henke, da wir uns schon lange kennen, ordne ich den ersten Teil Ihrer Frage Ihrer früheren Verbandsfunktion zu. Als Verbandsfunktionär muss man logischerweise auch die Interessen dieses Verbandes und der dort organisierten Unternehmen im Blick haben. Das hatten Sie auch.

Es ging genau darum, dass in diese Strukturen durchaus Bewegung hineingehörte. Es war aber damals die Intention des Bundesgesetzgebers, dass es dort möglichst nicht zu Verwerfungen und zu Substitutionseffekten kommt; denn dann hätten wir arbeitsmarktpolitisch nichts gewonnen.

Unter dem Strich können wir sagen, es ist eine positive Entwicklung festzustellen. Wir haben insgesamt in diesen Sektoren mehr, weil der Markt aufgeweitet wurde und weil wir inzwischen Tätigkeiten auf dem Markt haben, die es aufgrund der vorherigen Unternehmensstrukturen nicht gab. Das ist vor allen Dingen im privaten und im haushaltsnahen Dienstleistungsbereich der Fall, wo viele Dinge heute praktiziert werden, die mit den früheren Strukturen nicht realisiert wurden, wo etwas aufzubrechen war.

Dass es an bestimmten Stellen aufgrund des neuen Weges, der beschritten wurde, durchaus auch negative Effekte gegeben hat und geben konnte, will ich nicht bestreiten. Man hat deshalb versucht nachzuregulieren.

Das war in Teilen aber auch eine Kontrollaufgabe, weil das nicht nur nicht so gewollt war, sondern weil es in Teilen auch gar nicht erlaubt war. In den Bereichen, wo die Handwerksordnung griff, musste ordnungspolitisch deutlicher nachgefasst werden, ob es dort Missbräuche gegeben hat.

Das hat sich, denke ich einmal, insgesamt auch so weit beruhigt, dass wir auch bis in die Statistik hinein sauber benennen können, dass es einen nachhaltigen Effekt gegeben hat. Mehr als 90 % der Existenzgründer agieren auch nach dem Ablauf der drei Förderjahre dauerhaft auf dem Markt. Sie haben sich also ihre neuen Marktanteile erarbeitet.

Wir haben keine mit den Ich-AGs monokausal zusammenhängenden Veränderungen in den Ursprungsunternehmensstrukturen zu verzeichnen. Es ist also nicht in Größenordnungen dazu gekommen, dass Konkursanmeldungen durch die Wegnahme bisheriger Tätigkeiten durch Ich-AGler bedingt waren.

Der endgültige Evaluierungsbericht der Bundesregierung liegt noch nicht vor. Aber Zwischenergebnisse konkret zu diesem Segment sagen zumindest, dass an dieser Stelle eine richtige Bewegung hineingekommen ist und dass es vielleicht noch in Details Abgrenzungen zur Handwerksordnung und zu Tätigkeiten geben muss, die nicht von Ich-AGs ausgeführt werden dürfen.

Aber das ist, denke ich einmal, eine Sache der Nachjustierung, über die ich gerade auch sprach. Das rechtfertigt es nicht zu sagen, dass wir diese Gründungsoffensive in Deutschland hätten unterlassen sollen. Vielmehr sagt es eindeutig, es bestand dringender Handlungsbedarf. Jetzt liegt es an allen Verantwortlichen, aus diesem Gesamtpool auch etwas langfristig Belastbares zu gestalten.

Vielen Dank. - Frau Rogée hatte dann noch eine Nachfrage. Dann können Herr Dr. Thiel und Frau Penndorf ihre Fragen stellen.

Ich möchte noch einmal beim gleichen Thema bleiben. Sie haben das so hoch gelobt, dass es mich gereizt hat, noch etwas zu sagen. Zum einen habe ich die Reaktion der FDP nicht ganz verstanden, weil die Entwicklung der Ich-AGs eigentlich zu einer Konkurrenz für das Handwerk geführt hat.

Deswegen schließe ich meine erste Frage an. Können Sie uns sagen, in welchen Branchen - ich weiß, dass es Ich-AGs gibt, die mehreres machen, so eine Art Hausmeister mit ganz vielen Nebentätigkeiten - des Handwerks sich wie viele selbständig gemacht haben?

Sie haben eben gesagt, die Zahlen bezüglich der Entwicklung von Ich-AGs in Sachsen-Anhalt seien ziemlich klar. Ich will die Entwicklung gar nicht vom ersten Tag bis heute wissen, sondern ich möchte, dass Sie einmal über den Trend berichten und vielleicht auch einmal eine Zahl nennen.

Das Folgende halte ich für sehr wichtig, weil es das Thema prekäre Beschäftigung betrifft. Nach Ihren Aussagen gibt es in Sachsen-Anhalt 74 000 erwerbstätige Leistungsbezieher, aber nur 69 000 abhängig Beschäf

tigte. Ich vermute, dass dazwischen auch die Ich-AGs stecken. Ich hätte gern gewusst, wie viele Ich-AGs zusätzliche Leistungen brauchen.

Da ich auf Landtagswunsch hin hier ohne Manuskript stehe, würde ich Sie bitten, diese Zahlen und diese kleine Differenz, die Sie gesehen haben, vielleicht nachher gemeinsam mit mir anhand des dicken Antwortpapiers zu verifizieren. Wir können das gern auch noch schriftlich nachschieben. Zu einer konkreten Antwort sehe ich mich freihändig außerstande.

Aber jetzt noch einmal qualitativ zu Ihrer Frage. Ich sehe eindeutig bezüglich der Ich-AG-Entstehung kein neues Segment, das ich der prekären Arbeit zuordnen würde. Die Ich-AG-Förderung war originär und auch leistungsmäßig auf die Langzeitarbeitslosen ausgerichtet; denn nur diese haben letztlich die dreijährigen Zuschüsse bekommen. Wie haben hiermit Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt und in einen dauerhaften, sich selbst ernährenden Stand versetzt mit dem Ergebnis, dass ein Großteil dieser Gründungen inzwischen weitere sozialversicherungspflichtig Beschäftigte an sich binden konnte.

Das ist, denke ich, ein Erfolg. Der hat etwas damit zu tun, dass natürlich auch die Sozialversicherungspflicht aufgeweitet wurde und das auch im Niedriglohnbereich natürlich Platz finden muss. Ansonsten gäbe es diese zusätzlichen Dienstleistungen auf dem Markt gar nicht; denn ansonsten hätten sie sich unter den alten Lohnstrukturen schon früher entwickelt.

Dann davon zu sprechen, dass sich das Prekariat aufgeweitet hat, nur weil dort jetzt Menschen für mehr Geld in der Tasche arbeiten, die vorher unter Hartz IV liefen, halte ich nicht für opportun. Deswegen müssen wir uns auch die Verlaufsbiografien ansehen. Was ist aus den Menschen geworden? Was haben Sie vorher gemacht?

Da das Gründungsgeschehen im Bereich der Ich-AGs im Prinzip abgeschlossen ist - es gibt keine große Zuwachsrate mehr, sondern letztlich gibt es eine interne Konsolidierung bzw. natürliche Altersabhänge werden durch Neugründungen ersetzt -, sollten wir einmal schauen, was mit dem inzwischen höheren Besatz an Selbständigen in Sachsen-Anhalt dauerhaft wirkt, wie sie sich entwickeln.

Ich kann nur aufgrund der Entwicklungen in den Bereichen, aus denen ich meine Erfahrungen schöpfe, ganz klar sagen, dass es diesen Ansatz eigentlich schon viel früher hätte geben müssen, um die Gründungspotenziale unserer Bevölkerung zu erschließen, die im europäischen Durchschnitt deutlich unten lagen. Wir waren das Land mit der geringsten Selbständigenquote. Sicherlich kann man das nicht mit Italien vergleichen, wo es eine ganz andere Wirtschaftsstruktur gibt. Aber wir waren in diesem Bereich wirklich Schlusslicht. Das haben wir in Richtung des Mittelfeldplatzes ganz positiv entwickelt.

Lassen Sie uns das mit Ruhe ansehen. Ich habe zu Frau Hampel auch ganz klar gesagt, die quantitative Phase dieser Reformen haben wir jetzt hinter uns. Die sollten wir nicht schlechtreden. Ich sage einmal den Sozialdemokraten: Seien Sie diesbezüglich wesentlich selbstbewusster und stehen Sie zu Ihren Hartz-I- bis Hartz-IVGesetzen. Die sind nicht schlecht gewesen. Wir sind

froh, dass Sie das angefasst haben. Uns hätten sie dafür vielleicht erschlagen.

(Heiterkeit bei der FDP)

Wir hätten es auch anfassen müssen. Jetzt machen wir etwas Vernünftiges in der nächsten Stufe daraus, indem wir die Qualität hineinziehen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung. - Jetzt fragen Herr Dr. Thiel und Frau Penndorf. Dann würde ich einen Schlussstrich ziehen, damit wir in die Debatte eintreten können. - Herr Dr. Köck, Sie wollen unbedingt eine Frage stellen?

(Herr Dr. Köck, DIE LINKE, nickt mit dem Kopf)

Das gestatten wir Ihnen natürlich. Bitte, Herr Dr. Thiel.

Herr Minister, wenn ich die Beifallskundgebungen während Ihrer Rede einmal kurz analysiere, kann ich feststellen, dass doch eine Reihe von wirtschaftspolitischen Positionen, die Sie vertreten haben, in diesem Haus nur durch eine Minderheit geteilt werden.

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Take, CDU: Das ist nicht wahr! - Herr Gürth, CDU: Eine gro- ße, so um die zwei Drittel!)

- Nein. Sie können sich darauf verlassen, Herr Gürth. Ich habe das sehr aufmerksam analysiert. Das sollte nur die Vorbemerkung sein.

Ich habe zwei konkrete Fragen, die mir wichtig sind. Sie sagten, Herr Minister, durch die konjunkturelle Entwicklung und durch das Regierungshandeln im Land hat sich die Arbeitslosigkeit um etwa 31 % zurückentwickelt.

In den letzten fünf Jahren.

Können Sie noch einmal analysieren, was die Erfolgsbestandteile dieses Modells waren? Wo sind tatsächlich in welchen Größenordnungen Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen worden? Welche anderen Maßnahmen haben zu einem Rückgang dieser Zahlen geführt?

Die zweite Frage nur noch einmal zur Klarstellung. Sie haben gesagt, fast wörtlich zitiert, die Mini- und die Midijobs plus die Grundsicherung nach SGB II machen Arbeit im Niedriglohnbereich wieder attraktiv.

Für mich ist die Frage: Was ist für Sie persönlich „attraktiv“ daran, im Niedriglohnbereich arbeiten zu können? Was ist das Einzigartige dabei, das Sie Sachsen-Anhalt an dieser Stelle bescheinigen?

Noch eine Bemerkung. Der Wunsch des Landtages nach freier Rede bezog sich vor allem darauf, dass die Drei- und Fünfminutenbeiträge möglichst ohne Manuskript gehalten werden. Aber es soll keinem verwehrt werden, mit Zahlen und Fakten nach vorn zu gehen, um seine Argumente zu unterstützen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)