Die Landesregierung hat im Rahmen der öffentlichen Anhörung von vielen Seiten den Hinweis bekommen, dass das Gesetz an der falschen Stelle ansetzt. Bereits heute berichten Ihnen die Ärzte und die Erzieher, bei denen Sie jetzt den Eindruck erwecken, als müssten sie motiviert werden, zu melden, dass sie dem Jugendamt alle Verdachtsfälle, die sie haben, melden und dass sie dann merken, dass das Jugendamt, bei dem sie anrufen und um Hilfe bitten, gar nicht in der Lage ist, auf diesen Anruf zu reagieren.
Inzwischen gehen viele Fachleute ganz offen davon aus, dass das System des Kinderschutzes aufgrund finanzieller und personeller Auszehrung der Jugendämter kurz vor dem Kollaps stehe.
Mit Ihrem Gesetz verstopfen Sie den Flaschenhals Jugendamt zusätzlich, weil Sie natürlich dafür Sorge tragen werden, dass jetzt noch mehr Fälle gemeldet werden; denn in Deutschland gilt das schöne Motto „Melden macht frei“. Wenn Sie mit einem Gesetz eine entsprechende Norm schaffen, dann wird jeder blaue Fleck zukünftig dem Jugendamt gemeldet werden.
Jetzt können Sie natürlich sagen, dass Sie das so wollen, weil - Frau Kuppe hat mir netterweise den Gefallen getan - es angeblich dazu führt, dass das Leben von Kindern dadurch gerettet würde.
Jetzt muss man sich überlegen: Wenn Sie eine Flasche nehmen, verstopfen sie oben und schütten Wasser hinein, dann wird es oben überlaufen. Genau das wird passieren. Die Jugendämter werden Meldungen bekommen und werden nicht in der Lage sein, damit umzugehen. Die dünne Personaldecke wird noch dünner. Die Qualität wird also nicht steigen, sondern sie wird sinken, weil mehr Fälle weniger Zeit für den einzelnen Fall bedeuten. Weniger Zeit aber bedeutet ein höheres Risiko für die wirklich gefährdeten Kinder.
Wenn für Hausbesuche keine Zeit mehr bleibt - jetzt schon nicht -, wenn die Sozialarbeiter keine Chance haben, das, was sie dort sehen, auf Papier zu bringen - jetzt schon nicht; ich erinnere an die Beratung, die wir dazu mit dem Rechnungshof durchgeführt haben -, dann bedeutet das, dass Sie sehendes Auges riskieren, dass Probleme nicht erkannt werden, dass Maßnahmen rechtlich nicht durchsetzbar sind. Denn das Gericht sagt natürlich: Sie müssen mir das doch nachweisen können. Wenn ich nicht einmal einen ordentlichen Vorgang dazu habe, dann weiß jeder von uns, dass ich gar nicht bis zum Gericht gehen muss.
Das wird schlicht und ergreifend bedeuten, dass ich auf der einen Seite das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten, Erziehern und Eltern drastisch einschränke - diesbezüglich müssen wir uns überhaupt nichts vormachen -, aber auf der anderen Seite überhaupt nichts Positives bewirke.
Statt den Jugendämtern mehr Arbeit zu verschaffen, müssen wir die derzeitigen Aufgaben ausfinanzieren.
Wir müssen über die Sicherung der qualitativen Anforderungen, über die Ausschöpfung der Möglichkeit reden, die wir im Rahmen des geltenden Rechtes haben. Wir benötigen Fortbildungsmöglichkeiten. Wir benötigen auch die Begleitung von Sozialarbeitern, die wir jeden Tag losschicken, in dem festen Wissen, dass sie gar nicht in der Lage sind, all die Fälle aufzuarbeiten, die wir ihnen in diesem Bereich melden. Sie gewährleisten dies nur, wenn Sie den Jugendämtern mehr Finanzen geben.
Deshalb ist für uns - das sage ich ganz offen - nicht das vorliegende Kinderschutzgesetz die Messlatte, an der wir messen, ob Sie wirklich etwas für den Kinderschutz im Land tun wollen. Für uns ist die Messlatte der Haushaltsplan 2010/2011 und für uns ist die Messlatte das FAG, welches Sie irgendwann hier vorlegen wollen. Dann bin ich sehr gespannt, wie sich gerade Ihre Fraktion in diesem Punkt entscheiden wird, ob sie sagt, wir konsolidieren den Haushalt, oder ob sie sagt, wir tun in diesem Bereich etwas für die Kommunen, um das, was wir alle in den Sonntagsreden erzählen, entsprechend auszufinanzieren.
Meine Damen und Herren! Zum Abschluss eine kurze Bemerkung zu unserem Antrag. In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht - diese werden Sie besser kennen als ich -, dass Sie vorhaben, die Notwendigkeit und Umsetzung der Aufnahme von Kinderrechten auf Bildung und Integration in die Verfassung zu prüfen.
Dementsprechend hat sich das Ministerium für Gesundheit und Soziales auf den Weg gemacht und hat sogar den Kinder- und Jugendring beauftragt, sich gemeinsam mit Kindern Gedanken zu machen, welche Kinderrechte in der Verfassung verankert werden sollen. Das ist den Fraktionsvorsitzenden dann im Jahr 2007überreicht worden. Seitdem prüft das Ministerium für Gesundheit und Soziales weiter. Die letzte Pressemitteilung: Weltkindertag 2008.
Ich denke, dass die Landesregierung den Landtag nach zweieinhalb Jahren an ihren Erkenntnissen teilhaben lassen kann. Ich bin mir sicher, dass wir zu einem Abschluss kommen müssen; nicht weil ich als Liberale fordere, dass Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden, sondern weil es nicht sein kann, dass wir mit dem Hinweis darauf, dass in der Verfassung noch irgendetwas gemacht werden müsste, verhindern, dass praktisch etwas für den Schutz unserer Kind in diesem Bundesland passiert.
Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, um Zustimmung zu unserem Antrag, damit wir uns dazu in den Ausschüssen verständigen können. Wir beantragen die Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfes der Landesregierung nicht nur in den Ausschuss für Soziales, sondern auch, weil wir tatsächlich eine Masse verfassungsrechtlicher Bedenken haben, in den Ausschuss für Recht und Verfassung und, weil die Kommunen es bezahlen müssen, in den Ausschuss für Inneres. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Hüskens. Die Ministerin hatte die Überweisung in die von Ihnen genannten Ausschüsse bereits vorgeschlagen. Ich nehme das auf. - Wir treten dann in die Debatte ein. Als nächster Redner hat Herr Kurze von der CDU-Fraktion das Wort. Herr Kurze, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Man muss sich schon überlegen, wie man die Debatte beginnt, wenn man diesen Redebeitrag eben gehört hat.
Ich wollte eigentlich etwas anders anfangen, aber ich muss etwas in Richtung FDP sagen: Den Ansatz, den wir hier fahren wollen, nämlich etwas gegen Kindesmisshandlungen, gegen Kindstötungen und etwas für die frühkindliche Bildung zu tun, stellen Sie hin, als ob das Gesetz, dieser Entwurf in die völlig falsche Richtung geht.
Wenn man nach der Devise: „Nichts tun ist besser als etwas zu erreichen“, hier an das Pult schreitet, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.
Wenn wir uns die Zahlen vom Kinderschutzbund für Deutschland anschauen: Diese besagen, dass drei Kinder in der Woche - das muss man sich einmal vorstellen: drei Kinder pro Woche in Deutschland, in so einem reichen Land - an den Folgen von Misshandlungen sterben. Das sind drei Kinder in der Woche zu viel.
Wenn wir zu den Maßnahmen, die es bereits gibt, einen Gesetzentwurf vorlegen, der wieder ein Schritt in diese Richtung, Kinder besser vor solchen Dingen zu schützen, sein soll, dann ist es ein Schritt, ein Mosaiksteinchen. Dass dieses Gesetz nicht am Ende davor schützen kann, dass es auch zukünftig zu Kindesmisshandlungen und -tötungen kommen wird, das ist uns auch klar. Gleichwohl wollen wir damit in Deutschland eine Mentalität entwickeln, dass man mehr hinschaut.
Wie ist denn die derzeitige Situation? - Es ist doch so, wenn jemand etwas feststellt, dann wird es doch nicht gemeldet, weil es keine rechtliche Grundlage gibt. Denn wenn er es meldet und es stimmt nicht, dann fällt es auf ihn zurück und er landet vor Gericht.
Genau dort wollen wir ansetzen. Wir wollen frühzeitig, schon in der Schwangerschaft ansetzen bzw. noch früher, nämlich in der Schule. Wir haben schon häufig im Ausschuss für Soziales darüber beraten, dass man in der Schule letztlich unseren jungen Mädchen und jungen Männern nicht nur erklärt, wie Kinder gemacht werden, sondern auch, dass man, wenn Kinder gemacht werden, wenn Kinder in die Welt gesetzt werden, dann auch Verantwortung hat, dass man nicht nur Spaß hat, sondern eben auch viele Aufgaben zu erledigen hat. Das müssen unsere jungen Menschen lernen. Sie müssen es wieder lernen, wenn es ihnen von zu Hause nicht mehr mitgegeben wird.
Deshalb freue ich mich darüber, dass der Erlass zur Sexualkunde im Unterricht aus dem Jahr 1995 nun endlich überarbeitet werden soll, und darüber, dass die Kollegen in der Fachhochschule Merseburg/Querfurt nun so weit sind.
- Ja. Aber wenn wir uns anschauen, wie hilfebedürftig manche junge Familien sind, wenn es darum geht, mit ihren Kindern vernünftig umzugehen, dann kennen wir die Probleme. Dort wollen wir über die Hebammen, über Bildungsangebote bis hin zum Arzt und zum Lehrer ansetzen. Wir brauchen eine Mentalität des Hinschauens, damit wir unsere Kinder zukünftig besser schützen können.
Nun will ich zum Kern der Einbringungsrede zurückkommen; aber das musste man vorweg stellen, denn scheinbar sind einigen manche Zahlen nicht bewusst oder vor Augen. Wenn wir uns ansehen, was in Deutschland zum Teil mit unseren Kindern passiert, dann muss sich noch eine Menge tun. Wir wissen, dass wir ein demografisches Problem haben. Deswegen benötigen wir auch eine Diskussion darüber, was uns Kinder und Familien in Deutschland wert sind; denn sonst lösen wir am Ende auch nicht unsere Probleme. Die skandinavischen Länder haben diese Diskussion geführt und haben am Ende auch Antworten darauf gefunden.
Lassen Sie mich zu Beginn klarstellen, dass wir auf keinen Fall alle Eltern, so wie es hier suggeriert wird, unter Generalverdacht stellen wollen. Wir wissen, dass sich die meisten Eltern in unserem Land um ihre Kinder vernünftig kümmern.
Wir wissen auch, dass Familien, die sich nicht in vollem Umfang um ihre Kinder kümmern, auch Hilfe annehmen. Es gibt viele solche Familien. Aber wir wissen, dass es auch Familien gibt, die beratungsresistent sind. An diese Familien wollen wir uns richten. Diese Familien brauchen nicht nur Hilfe, sie brauchen dann auch den Staat mit seiner Wächterfunktion an ihrer Seite, meine sehr verehrten Damen und Herren. Daher wollen wir mit diesem Gesetz dafür auch etwas tun.
Wir wollen mit diesem verbindlichen Einladungswesen die Jugendämter, die Ärzte und die Eltern besser miteinander verbinden, und wir wollen endlich die Verwahrlosung und die Misshandlungen frühzeitiger aufdecken und etwas dagegen tun. Die Hilfsangebote für einen effektiven Kinderschutz müssen also frühestmöglich ansetzen, also, wie ich das eben schon gesagt habe, vor
Die verpflichtende Schaffung von lokalen Netzwerken im Kinder- und Jugendschutz wird landesweit eine bessere Zusammenarbeit der mit Kindern befassten öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen gewährleisten, und damit werden wir den Kinderschutz in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten verbessern.
Die Sprachstandserhebung - Frau Ministerin Kuppe ist schon auf die einzelnen Bausteine unseres Gesetzes sehr detailliert eingegangen - halte ich auch für einen wesentlichen Baustein. Ich denke, wenn man frühzeitig erkennt, ob Sprachdefizite vorliegen, kann man auch frühzeitig etwas dagegen tun. Wer kleine Kinder oder Enkelkinder hat, der weiß, wenn er in den Kindergarten geht, dass es in jeder Gruppe Kinder mit Sprachschwierigkeiten gibt, weil ihr Sprachvermögen zu Hause von den Eltern nicht so entwickelt wird, wie wir uns das vorstellen. Wenn wir das frühzeitig erkennen, können wir auch etwas dagegen tun und somit mehr Chancengleichheit beim Eintritt in die Schule erreichen.
Die Kritik an diesem verbindlichen Einladungswesen fußt im Großen und Ganzen auf datenschutzrechtlichen Bedenken. Auch das haben wir in der vorherigen Rede nochmals gehört. Ich will noch einmal betonen: Auf keinen Fall soll es um einen Generalverdacht gehen, aber wir müssen doch irgendwo ansetzen. Wenn das andere Länder auch so versuchen, frage ich, warum dieser Weg ein verkehrter Weg sein soll.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir sicherlich im Ausschuss ausführlich diskutieren. Herr Kosmehl, mañana mañana, sage ich da bloß. Sie haben heute Geburtstag, nicht dass Sie uns noch vom Stuhl fallen.