Protocol of the Session on June 27, 2008

Herr Bischoff.

Herr Gallert, ich habe zumindest bemerkt, dass es unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit Rechtsextremismus gibt - das ist klar. Es wird auch überall diskutiert. Es ist hier aber auch die Frage zu stellen, ob eine Auseinandersetzung mit denjenigen möglich ist, die die Auseinandersetzung auf dieser Ebene gar nicht suchen und gar nicht wollen.

Ich habe eine völlig andere Frage, die dahin zielt zu fragen, ob die Auseinandersetzung nicht mittlerweile so weit gediehen ist, dass die Zivilcourage nicht mehr ausreicht, weil Menschen Angst haben, dagegen aufzustehen. Wenn im letzten Jahr auf dem Domplatz laut geschrien wurde, und zwar überlaut geschrien wurde: „Wir kriegen euch alle!“, dann ist ein Zustand erreicht, bei dem ich glaube, dass das Dritte Reich seinen Fortlauf genommen hat; denn nachher war so viel Angst vorhanden, dass sich die Menschen gar nicht mehr getraut haben, etwas zu unternehmen. Ich will nur, dass Sie das berücksichtigen. Wichtig ist, dass ein Verbot nicht erübrigt, dass wir uns weiter auseinandersetzen müssen. Ich glaube, dass es auch weiterhin notwenig ist. - Das ist das eine.

Zum letzten Punkt. Ich will es vorsichtig sagen: Für uns Sozialdemokraten gibt es diese Gleichsetzung, die Sie genannt haben, auf keinen Fall. Gleichwohl gibt es Verbrechen, die sozusagen unter staatlichem Schutz oder mit staatlichem Wollen geschehen sind. Ich glaube, die haben eine andere Größenordnung und müssen anders betrachtet werden als die individuellen Geschichten, die auch passieren, auch von kleineren Gruppen. - Das ist eher eine Anmerkung.

Ich will trotzdem noch zu zwei Dingen etwas sagen.

Herr Bischoff, wenn Sie sagen: „Wir sind schon so weit, dass sich die Leute nicht mehr trauen“, dann haben wir tatsächlich einen Punkt erreicht, an dem wir uns die Niederlage eingestehen müssen. Dann ist das so. Dann sage ich auch, dass ein solches Gesetz in gewisser Weise auch wirklich akzeptabel und richtig wäre. Die Differenz zwischen uns besteht darin, dass wir genau das noch nicht glauben.

Ich habe bisher - das will ich ausdrücklich sagen - keinen Hinweis darauf bekommen, dass, wenn wir Gegenbewegungen haben, wenn wir Demonstrationen von Menschen haben, zu denen der Bürgermeister oder wer auch immer aufgerufen hat, diese Gegenbewegungen wirklich durch rechtsextreme Demonstranten in Gefahr gewesen sind. Ich kenne solche Fälle nicht. Ich will nicht hundertprozentig ausschließen, dass sie schon existiert haben, aber bisher ist mir zumindest kein Fall in Erinnerung, wo die Polizei nicht definitiv so etwas verhindert hätte. Deswegen glaube ich, dass diese Gefahr nicht hundertprozentig auszuschließen ist, aber ich sehe sie nicht.

Zu Ihrer zweiten Bemerkung zu staatsorganisierten Menschenrechtsverletzungen, zu staatsorganisiertem Terror, wie Sie das auch immer nennen wollen: Das ist dann aber ein anderes Bewertungskriterium als das, was Herr Hövelmann erwähnt hat. Herr Hövelmann hat gesagt, Grund dafür sei, dass auch diejenigen in der DDR sozusagen ein Interesse am Rechtsschutz ihrer Würde haben. Nur, dieses Argument ist ein völlig anderes als das, was Sie jetzt gebracht haben; denn das Recht, dass ihre Würde geschützt wird, haben auch die Opfer, die zum Beispiel von Neonazis - das sind nicht wenige - nach 1990 erschlagen worden sind. Das ist dann ein anderes Argument.

Dann muss man mir einmal sagen, warum sozusagen ein Demonstrationsverbot bei dieser einen Fallgruppe wirklich stringent bedeutungsvoller und wichtiger ist und

per Gesetz geregelt werden kann und bei der anderen Fallgruppe nicht. Für eine solche Argumentation bin ich gern offen, ich würde mich gern darüber unterhalten, aber ich sehe sie nicht.

Vielen Dank. - Herr Wolpert.

Herr Gallert, insoweit teile ich Ihre Meinung, dass es schwierig ist, Opfergruppen ausreichend zu berücksichtigen und zu definieren. Allerdings ist der Rückschluss, den Sie daraus ziehen, dass man dann nicht die Täter vergleichen darf, der falsche Weg. Es geht bei dieser Abwägung um die Rechte der Versammlungsfreiheit und der Würde der betroffenen Opfer. Es geht nicht um die Rechte der Täter.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Deswegen kann das auch kein Argument sein, um dieses Gesetz abzulehnen oder nicht. Das andere, was Sie gesagt haben, dass man natürlich mit den Tagen nicht weit kommt, hat Herr Hövelmann ja am eigenen Leib erlebt. Der 17. Juni war gemeint, und es ist am Wochenende vorher demonstriert worden. Die Demonstration hat trotzdem stattgefunden. Es wird Ihnen nichts helfen, wenn Sie Gedenktage in das Gesetz hineinschreiben, weil dann, wenn das Wochenende davor oder danach genutzt werden kann, der Mobilisierungsgrad einfach höher ist.

Herr Wolpert, ich muss an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass ich über Rechte von Tätern überhaupt noch nicht gesprochen habe, an keiner einzigen Stelle. Übrigens wäre das völlig fatal an der Stelle, wo wir uns befinden; denn Sie werden dieses Argument schon überhaupt nicht mehr bei der Frage der Gedenkstätten 1933 bis 1945 realisieren können. Diejenigen, die da demonstrieren, nun sozusagen als Täter einzugruppieren und daraus eine gewisse Rechtsstellung abzuleiten, ist völlig falsch; denn im Normalfall wird man das sowieso nie nachweisen können.

Ich habe in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem, Herr Wolpert: Die Tatsache, dass Nazis möglicherweise am Friedhof in Magdeburg demonstrieren, ist ein Problem. Dabei akzeptiere ich, dass der Innenminister prüft, ob er eine Regelung braucht, um das auszuschalten.

Aber ich sage ganz deutlich: In Marienborn habe ich noch niemanden gesehen, der dafür demonstriert hat, die Mauer wieder hochzuziehen. Deswegen habe ich ein zusätzliches Problem damit, dass versucht wird, um diese Parallelität aufrechtzuerhalten, einen Fall zu regeln, den ich mir zurzeit wirklich überhaupt nicht vorstellen kann, zumindest nicht in Sachsen-Anhalt. Ich weiß, dass man vielleicht auf der anderen Seite den Solidarpakt III oder so etwas nicht mehr will. Aber das ist für mich so ein Fall, dass per Gesetz etwas geregelt werden soll, wofür ich nicht im Entferntesten einen Bedarf sehe. Deswegen stelle ich mir die Frage, weshalb das hineinkommt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Wir kommen zum letzten Debattenbeitrag. Für die SPD hat Herr Rothe das Wort.

Aber bevor Herr Rothe das Wort nimmt, begrüße ich junge Musikerinnen und Musiker der Gruppe „Blue Lake“ aus Michigan, USA.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Rothe, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Innenminister hat überzeugend dargelegt, warum es sinnvoll ist, ein Landesversammlungsgesetz zu beschließen,

(Herr Höhn, DIE LINKE: Das ist nicht so! - Weite- re Zurufe von der LINKEN)

das es ermöglicht, die Demonstrationsfreiheit an bestimmten Tagen und Orten einzuschränken. Ich sage das so pauschal, damit ich mich jetzt umgehend der Kritik der Kollegen Wolpert und Gallert zuwenden kann.

Herr Gallert, Sie haben schon in der Presse gesagt, dass hier eine unzulässige Gleichsetzung der NS-Zeit mit der DDR-Zeit vorgenommen wird. Ich habe mir daraufhin den Gesetzestext noch einmal genau angeschaut, und ich habe mich auch an die einvernehmliche Klärung der Frage der Gleichsetzung bei den Beratungen über das Gedenkstättenstiftungsgesetz erinnert.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung vom 22. Dezember 2005 hat in § 2 - Stiftungszweck - von dem „Geschehen in den Jahren 1933 bis 1989“ und von den „Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, aber auch während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur“ gesprochen.

In der Sitzung des Innenausschusses am 1. Februar 2006 lag ein Änderungsantrag der vier Fraktionen vor, die auch heute diesen Landtag bilden. Wir haben § 2 Abs. 1 des Gedenkstättenstiftungsgesetzes dann abweichend von dem Regierungsentwurf wie folgt formuliert:

„Zweck der Stiftung ist es, durch ihre Arbeit dazu beizutragen, dass das Wissen um die einzigartigen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur im Bewusstsein der Menschen bewahrt und weitergetragen wird. Es ist ebenfalls Aufgabe der Stiftung, die schweren Menschenrechtsverletzungen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur darzustellen und hierüber Kenntnisse zu verbreiten.“

Für die DDR-Zeit knüpft der vorliegende Entwurf eines Landesversammlungsgesetzes an die Formulierung des Gedenkstättenstiftungsgesetzes an, in dem von den schweren Menschenrechtsverlegungen während der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur ebenfalls die Rede ist.

Anders verhält es sich allerdings bei der NS-Zeit. Während im Gedenkstättenstiftungsgesetz von den einzigartigen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur die Rede ist, heißt es nun, dass Menschen „unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen oder wegen

einer Behinderung Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren“.

Das halte ich im Vergleich zur DDR-Zeit für eine zu schwache Formulierung. Deshalb schlage ich vor, dass wir in den Ausschussberatungen überlegen, auch hinsichtlich der NS-Zeit die Formulierung zu übernehmen, die wir in dem Gedenkstättenstiftungsgesetz einvernehmlich gefunden haben und die den Unterschied zwischen beiden Verfolgungsperioden deutlich macht.

Meine Damen und Herren! Das Versammlungsrecht ist in der Tat eine Materie von besonderer Grundrechtsrelevanz. Diesbezüglich gebe ich den Kritikern auch Recht. Ich gebe zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht bei aller Wertschätzung für die Grundrechte aber auch Wert darauf gelegt hat, aus dem Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften Demokratie herzuleiten und das in Abgrenzung zu der Republik von Weimar, die auch an ihrer mangelnden Wehrhaftigkeit, vor allem allerdings an dem mangelnden Grad an Unterstützung durch Demokraten zugrunde gegangen ist.

Meine Überzeugung, dass ein solches Gesetz sinnvoll ist, rührt aus eigenem Erleben, Herr Wolpert. Es gibt ein praktisches Bedürfnis. Es gibt nicht nur die erfreuliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, die der Innenminister eben erwähnt hat.

Ich habe am 9. November 1991 in Halle erlebt, wie Rechtsextremisten am Ende doch demonstrieren durften, nachdem der Polizeipräsident Hermann versucht hatte zu verfügen, dass die das am 9. November in Halle nicht dürfen. Am Vorabend der Demonstration haben die Gerichte entschieden, dass das ohne gesetzliche Grundlage von einem Polizeipräsidenten nicht verfügt werden darf. Dann stießen die Rechtsextremisten und die Gegendemonstranten aufeinander. Die Polizei kam in die Mitte, und es gab bei allen drei Gruppen Verletzte.

Ich denke, dass es in den letzten Jahren eine vielfältige Rechtsprechung gegeben hat und dass wir ein solches Gesetz brauchen, um das erforderliche Maß an Rechtssicherheit herzustellen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Rothe. Herr Wolpert hat noch eine Nachfrage. Wollen Sie diese beantworten? - Ja. Dann fragt Herr Wolpert. Bitte schön.

Herr Rothe, Sie haben gerade richtigerweise erwähnt, dass ein Manko der wehrhaften Demokratie in der Weimarer Republik gewesen sei, dass es die Unterstützung der Demokraten nicht gegeben habe.

Ich habe es vorhin schon einmal gesagt: Die wehrhafte Demokratie braucht mutige Demokraten und keine bewaffneten Beamten. Wenn das richtig ist, dann stellt sich mir die Frage, welche Konsequenz Sie aus dieser Erkenntnis für diesen Gesetzentwurf ziehen.

Herr Kollege, ich bin der Auffassung, dass es falsch wäre, das Scheitern der Republik von Weimar monokausal zu erklären. Es hat dabei vieles zusammengespielt. Es

war der Mangel an aktiver Unterstützung, es war die zu geringe Zahl aktiver Demokraten, es war der Mangel an Wehrhaftigkeit - beispielsweise hat man schon in den Anfangsjahren der Weimarer Republik Angriffe von Extremisten auf Amtsträger in deren persönlichem Umfeld zugelassen; auch dafür gibt es Wiederholungen in jüngster Zeit - und es war am Ende auch die Weltwirtschaftskrise.

Eine Demokratie, die bestehen will, muss all diesen Gefahren begegnen können. Wir dürfen nichts auslassen.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich halte die Situation im Bereich des Rechtsextremismus für so ernst, dass ich wirklich der Meinung bin, dass wir auch dieses Gesetz nicht auslassen dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass es hilft.

(Beifall bei der SPD)

Herr Rothe, es gibt eine zweite Frage, von Frau Dr. Hüskens.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Diese wollen Sie auch beantworten. - Bitte, Frau Dr. Hüskens.