Protocol of the Session on June 26, 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 41. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Ich möchte Sie alle recht herzlich begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest, sodass wir unsere Sitzung ordnungsgemäß durchführen können.

Es liegen Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung für die 22. Sitzungsperiode vor. Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer entschuldigt sich für die heutige Sitzung ab 12 Uhr. Er wird an einer Sitzung der Kommission von Bundesrat und Bundestag zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen teilnehmen.

Frau Ministerin Wernicke hat sich für beide Sitzungstage entschuldigt. Sie nimmt an einer Umweltkonferenz der europäischen Regionen in Saragossa teil. - Das sind die Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung, meine Damen und Herren.

Nun komme ich schon zur Tagesordnung für die 22. Sitzungsperiode. Die Fraktion der FDP hat ein weiteres Thema für die Aktuelle Debatte beantragt. Das Thema lautet „Abflauende wirtschaftliche Dynamik“. Hierzu liegt Ihnen die Drs. 5/1348 vor. Wir hatten im Ältestenrat schon vereinbart: Wenn eine zusätzliche Aktuelle Debatte beantragt wird, wird sie am Freitag als Tagesordnungspunkt 2 b aufgerufen. Morgen beginnen wir also mit der Aktuellen Debatte unter den Tagesordnungspunkten 2 a und 2 b.

Das waren die Dinge, die ich Ihnen zur Tagesordnung zu vermelden hatte. Gibt es noch Anfragen? - Die sehe ich nicht. Dann bitte ich um Abstimmung über die Tagesordnung. Wer der Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Herzlichen Dank. Zustimmung bei allen Fraktionen. Dann können wir so verfahren.

Zum zeitlichen Ablauf. Wir werden die Sitzung heute gegen 19.30 Uhr schließen, sodass wir um 20 Uhr den parlamentarischen Abend hier im Hause beginnen können. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie zahlreich anwesend wären. Aber erfahrungsgemäß ist dieser Abend immer gut besucht. Schönes Wetter haben wir auch, sodass es ein fröhlicher Zwischenausklang sein wird; wir werden morgen noch einmal kräftig zulegen können, bevor wir in den Urlaub gehen.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten und Sie bitten, die Gespräche ein bisschen zu reduzieren; die Gespräche können Sie heute Abend fortführen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

a) Aktuelle Debatte

Unternehmenskultur und gesellschaftliche Verantwortung - wohin entwickelt sich die soziale Marktwirtschaft?

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 5/1336

b) Erste Beratung

Sicherung guter Arbeitsbedingungen in SachsenAnhalt

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1324

Wie im Ältestenrat vereinbart, wird der Antrag der Fraktion DIE LINKE in Drs. 5/1324 gleich mit beraten; natürlich wird aber darüber gesondert abgestimmt, meine Damen und Herren.

Vereinbart ist eine Debatte mit einer Redezeit von 15 Minuten je Fraktion. Ich darf die CDU um die Einbringung des Tagesordnungspunktes 1 a bitten. Herr Gürth hat das Wort. Bitte schön, Herr Gürth. Anschließend wird Herr Minister Dr. Haseloff das Wort nehmen und dann gehen wir in die Debatte. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau in diesen Tagen, im Juni vor 60 Jahren, wurden die Grundlagen für die Einführung unserer heutigen Gesellschaftsordnung und der Wirtschaftsverfassung gelegt. Mit der Einführung der Deutschen Mark, der D-Mark als Währung in den westlichen Besatzungszonen und mit der Preisfreigabe - weg von staatlicher Preisfestsetzung - wurde das Fundament der sozialen Marktwirtschaft gelegt.

Sie wurde zum anerkannten Gesellschaftsmodell, zum anerkannten Gesellschaftsmodell mit einer Wirtschaftsverfassung, die liberal ausgestaltet und sozial verpflichtet war. Sie ist weltweit d a s Wirtschaftsmodell, das als Wirtschaftswunder-Modell in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Sie hat wie noch nie in der Geschichte der Deutschen auch breiten Schichten der Bevölkerung, vor allem den arbeitenden Menschen im Lande Wohlstand ermöglicht und Wohlstand gesichert.

Nirgendwo auf der Welt hat ein Arbeitnehmer eine höhere Kaufkraft und bessere Arbeitsbedingungen und gleichzeitig ein soziales Netz der Absicherung für Notfälle als die Deutschen. Dennoch: Obwohl weltweit bewundert, müssen wir feststellen, dass die Zustimmung zu diesem unseren Gesellschaftsmodell abnimmt, dramatisch abnimmt.

Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte in diesen Tagen eine Studie: 38 % der Bürger haben keine gute Meinung von der deutschen Wirtschaftsordnung, nur noch 31 % eine gute. Besonders hoch ist der Ansehensverlust im Westen der Republik. Zum ersten Mal haben mehr Menschen, nämlich 35 % gegenüber 34 %, eine schlechte als eine gute Meinung zu dieser unserer Wirtschaftsordnung. Drei Viertel, nämlich 73 %, halten dieser Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge die Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht für gerecht. Allerdings: Eine Alternative zur marktwirtschaftlichen Ordnung sieht nur eine Minderheit von 14 %.

Auch wenn man nicht nach Umfragen regieren sollte, ist dies mehr als eine Momentaufnahme des Tages; es ist ein Trend, ein Trend, der Anlass zu ernster Sorge bietet.

Die soziale Marktwirtschaft ist das Fundament unserer Gesellschaftsordnung. Wenn die Zustimmung zu dieser Gesellschaftsordnung derart abnimmt, müssen Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften innehalten, den Blick

vom Klein-Klein des Tagesgeschäfts aufrichten und ihr Tun überdenken.

Wir brauchen - so ist zumindest unsere Auffassung - dringend eine öffentliche Debatte, einen Diskurs, in den wir alle in unserem Land einbeziehen, über die Frage: In welchem Gesellschaftsmodell, in welcher Ordnung wollen wir künftig leben?

Die Auffassung der Union ist es, dass wir gut beraten sind, uns auf die Grundlagen dieses einst so anerkannten Erfolges der sozialen Marktwirtschaft zu besinnen und sie wieder fit zu machen, statt zu Umverteilungsprogrammen und staatlichem Dirigismus umzuschwenken.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der FDP)

Die soziale Marktwirtschaft, wie sie von Ludwig Erhard gegen viele Widerstände, gegen die Besatzungsmacht, gegen die politische Linke, gegen die Gewerkschaften, aber auch gegen Zweifler im bürgerlichen Lager eingeführt und ausgestaltet wurde, ruht im Wesentlichen auf vier Säulen.

Bei der ersten Säule steht der Mensch im Mittelpunkt. Der Mensch als Bürger, als Verbraucher und Kunde, als Marktteilnehmer ist das wichtigste Element in diesem Gesellschaftsmodell. Nicht die Unternehmen, die Wirtschaft oder der Staat - der Mensch steht im Mittelpunkt der Marktwirtschaft.

Doch genau dieses Gefühl ist heute verloren gegangen. Gerade der Umstand, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, macht das Erfolgsmodell im Wesentlichen aus. Denn es ist ein wesentlicher Unterschied zu planwirtschaftlichem Staatswirtschaften sozialistischer Prägung. Der Bürger entscheidet durch seine Nachfrage über Preise und nicht staatliche Plankommissionen oder Politiker. Der Mensch als Kunde gibt Marktanreize für innovative Dienstleistungen und Produkte. Ist der Preis zu hoch, die Technik zu kompliziert oder ungewollt, werden Waren und Dienstleistungen nicht nachgefragt. So einfach ist das Modell. Doch wohin haben wir es geführt nach 40, ja nach 60 Jahren?

Die zweite Säule ist die Freiheit. Den Bürgern wird Freiheit gewährt. Es bedarf einer freien Gesellschafts- und Wirtschaftsverfassung mit individuellen Freiheiten, die es den Bürgern unseres Landes ermöglichen, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Dazu gehören Gewerbefreiheit, Vertragsfreiheit, freie Preisbildung und vieles andere mehr. Doch wie weit haben wir diese Freiheit der Bürger, aber auch die Freiheit der Wirtschaft eingeengt?

Wenn diese Freiheit durch immer mehr Regeln, Vorschriften - so gut sie auch gemeint sind - eingeengt und beschnitten wird, funktioniert eine Marktwirtschaft nicht mehr richtig.

Dazu gehören auch der Arbeitsmarkt und auch die Tarifvertragsfreiheit. Damit ist nicht das Freisein von Tarifverträgen gemeint, sondern die Autonomie der Tarifpartner, Arbeitsbedingungen, Löhne etc. frei und ohne Bevormundung durch den Staat auszuhandeln.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Die dritte wichtige Säule ist das Privateigentum. Eine breite Streuung und der Schutz des Privateigentums mit Gemeinwohlverpflichtung sind unverzichtbar für dieses Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu sozialistischen Planwirtschaftsmodellen.

Die Eigentumsbildung, wie sie sich heute abzeichnet, ist aber halt so, dass sie nicht mehr als gerecht und zukunftsweisend angesehen wird. Deswegen muss auch hier ein Innehalten und Nachdenken über das Steuer- und Abgabenmodell unserer Wirtschaftsverfassung stattfinden.

Die vierte Säule ist der Staat. Ludwig Erhard wollte keinen schwachen Staat. Ludwig Erhard wollte einen Staat, der die Rahmenbedingungen, also die Marktordnung definiert und der die Spielregeln setzt und sie kontrolliert, damit sie auch eingehalten werden. Dieser sollte sich wirtschafts- und sozialpolitisch aber vor allem auf die Einhaltung der Spielregeln für einen fairen Wettbewerb und auf den Ausbau der Infrastruktur konzentrieren und nicht alle Lebensbereiche bis ins Detail regeln.

Ludwig Erhard war es besonders wichtig, dass die Bürger vor Kartellen geschützt werden und dass die Bürger darin gefördert werden, ihren Wohlstand durch eigener Hände Leistung zu erwirtschaften und zu mehren. Nicht Subventionen, nicht staatliche Maßnahmen en masse, sondern die individuellen Freiheiten und der Schutz vor Kartellen und Marktmissbrauch waren die Grundlage dafür, dass sich die Deutschen ihren Wohlstand selbst erarbeiten konnten.

(Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU - Bei- fall bei der FDP)

Der Staat sollte dafür sorgen, dass sich Leistung lohnt. Erhard setzte auf den Menschen als Individuum mit seinen unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen und nicht auf staatliche Industriepolitik. Doch wie sieht das heute aus?

Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft war damals heftig umstritten und sie ist es heute wieder. In der Bundesrepublik wurden damals die Skeptiker und Gegner durch den erlebten Alltag widerlegt. Im Osten der Republik wurden Millionen Menschen für einen Feldversuch der Planwirtschaft einfach eingemauert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Heute wächst die deutsche Wirtschaft wieder. Sie ist eine der stärksten der Welt. Wir sind Exportweltmeister. Selbst wenn unsere 82-Millionen-Gesellschaft nicht mehr Exportweltmeister sein und von China übertroffen werden sollte, müsste uns das nicht erschrecken. Die Arbeitslosigkeit nimmt ab, die Konjunktur zieht an; aber dennoch ist Zukunftssicherheit Zukunftssorgen gewichen.

Warum? - Das ist die aktuelle Frage. Dies hat mit mehreren Dingen zu tun, zum einen mit der öffentlichen Wahrnehmung und zum anderen auch mit dem persönlichen Erleben. Die öffentliche Wahrnehmung wird von Krisen, Katastrophen, Skandalen, vermeintlichen Skandalen, tatsächlichen und vermeintlichen Missständen dominiert. Seit einiger Zeit verstärkt eine politische Linke mit einer Mischung aus Schwarzmalerei und Sozialpopulismus diese Stimmung zusätzlich.

(Oh! bei der LINKEN)

Dies führt vereinzelt sogar dazu, dass man die Märchen von sozialer Gerechtigkeit in der DDR glaubt. Dabei war die DDR nicht nur ein Unrechtsstaat, sondern auch ein unsozialer Staat, wie man anhand von Zahlen nachweisen kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das betrifft nicht nur die geraubte Freiheit all derer, die bereit waren zu leisten, die man einmauern musste, das Rauben von Privateigentum und die Zwangsverstaatlichung; dies betrifft auch die innere Verfassung der DDR in ihrer Ausgestaltung in den 80er-Jahren.

Im Jahr 1989 stand nicht nur die Wirtschaft vor dem Kollaps, sondern in vielen anderen Bereichen hat man versucht gegenzusteuern, worüber heute nicht mehr berichtet wird. Die Vermögensverteilung in der DDR war viel ungerechter, als manche glauben, aber die Zahlen darüber wurden von der DDR-Regierung verschwiegen.

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU, und von Frau Weiß, CDU)