Protocol of the Session on May 30, 2008

Auf jeden Fall ist diese Einschränkung im Sinne der Sozialversicherung - jetzt argumentiere ich ganz formal - und ihrer Finanzierung überhaupt nicht rational; denn die größte Gefährdung für den Fortbestand des solidarischen Sozialversicherungssystems in Deutschland ist der Mangel an zukünftigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern.

Berechnungen zeigen, dass die Kosten, die der Versichertengemeinschaft durch Maßnahmen der künstlichen Befruchtung entstehen, wesentlich geringer sind als die entgangenen späteren Beitragseinnahmen durch die sonst ungeborenen Kinder.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben bis Ende 2003 für vier Behandlungsversuche die gesamten Kosten übernommen. Herr Kurze hat das Verfahren dargestellt. Mit dem Ziel von Kosteneinsparungen ist im Gesetzgebungsverfahren zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz zunächst die ersatzlose Streichung der Leistung zur künstlichen Befruchtung vorgesehen worden; letztlich wurden die Leistungen doch nicht gestrichen, sondern eingeschränkt und die hälftige Kostenbeteiligung eingeführt. Ich muss die Einschränkungen nicht noch einmal darstellen; Herr Kurze hat dies in seinem Beitrag schon ausführlich getan.

Durch die Änderung des § 27a im Sozialgesetzbuch V wurden nach der Gesetzesbegründung die Einsparungen für künstlichen Befruchtungen zusammen mit Einsparungen aus der Streichung der Kosten für Sterilisationen auf 100 Millionen € jährlich beziffert; das wurde nicht weiter aufgeschlüsselt.

Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ist aber die Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischen Leistungen um ca. die Hälfte zurückgegangen. Es besteht unter Expertinnen und Experten Einigkeit darüber, dass dieser Rückgang im Wesentlichen aus der Zuzahlungspflicht resultiert, aber auch aus der Begrenzung der jetzt möglichen Versuche.

Im Jahr 2002 wurden in Deutschland mehr als 12 000 Kinder nach künstlicher Befruchtung geboren. Im Jahr 2004, also nach dem Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisie

rungsgesetzes, konnten nur noch 7 500 Geburten in diesem Bereich erfasst werden. Im Jahr 2006 waren es dann nur noch 5 153 Geburten. Daten aus den Ländern zeigen zudem, dass der Rückgang in den ostdeutschen Bundesländern besonders gravierend ist.

In Sachsen-Anhalt ist die Anzahl der Behandlungszyklen vom Jahr 2002 mit damals rund 1 000 auf rund 500 im Jahr 2006 gesunken, also um die Hälfte zurückgegangen.

Dazu kommt, dass die Gesetzesänderung nicht alle Eltern gleichermaßen betrifft. Wer genug Geld hat, kann die Behandlung privat bezahlen. Paare mit geringerem Einkommen oder Paare, bei denen nicht beide Partner Arbeit haben, kommen bei Kosten von rund 3 000 € bis 3 500 € pro Versuch, von denen die Hälfte selbst bezahlt werden muss, schnell an ihre Grenzen. Sie müssen aus finanziellen Gründen darauf verzichten, alle Chancen zur Erfüllung ihres Kinderwunsches zu nutzen. Das ist doch eine krasse soziale Ungerechtigkeit, die wir den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung an keiner anderen Stelle in diesem Maße zumuten.

Auch die Alterseinschränkung nach unten ist zu hinterfragen; denn die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung sind in jungen Jahren am größten. Von 2002 bis 2004 hat das Durchschnittsalter der Patientinnen um ein Jahr zugenommen, was die Erfolgsaussichten wieder ein Stück weit reduziert hat.

Der Einbruch bei der Zahl der Geburten nach künstlicher Befruchtung infolge der Gesetzesänderung war in den Jahren 2006 und 2007 sowohl bei der Gesundheitsministerkonferenz als auch bei der Arbeits- und Sozialministerkonferenz Thema. Die ASMK hat im Jahr 2006 eine Länderarbeitsgruppe unter der Leitung von Sachsen und Sachsen-Anhalt eingesetzt. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, die Situation und die Folgen in den einzelnen Bundesländern zu beleuchten. Wir haben zusätzlich in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz die Bundesregierung gebeten, alle Möglichkeiten einer besseren Finanzierung zu prüfen.

Daraufhin erhielten wir im Januar 2007 von Frau Bundesministerin von der Leyen in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem für Arbeit und Soziales die Mitteilung, dass eine Änderung des Regelungsinhaltes aus dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz nicht vorgenommen werden wird. Zumindest denkt die Bundesregierung von ihrer Seite aus derzeit nicht darüber nach. Sie hat dargestellt, dass die nicht vorgenommene Streichung dieser Leistung aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung schon als Erfolg zu werten ist.

Als Projektgruppe haben wir uns dann intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und nach möglichen Maßnahmen und Lösungen zur Steigerung der Inanspruchnahme gesucht. Eine einheitliche Position der Länder - das muss ich hier auch ganz deutlich sagen; Herr Kurze hat es kurz angedeutet - konnte angesichts der fachlich komplexen Fragen leider nicht gefunden werden. Ich habe das sehr bedauert.

Aber unter dem Gesichtspunkt der demografischen Entwicklung werden wir uns auf der Fachebene, auch auf der Jugendministerkonferenz, auf jeden Fall weiter mit diesem Thema befassen.

Das Saarland hat im Dezember 2007 die Bundesregierung über den Bundesrat in einem Antrag aufgefordert,

die einschränkenden Regelungen wieder zurückzunehmen.

Ich muss sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, da die hohen Kostenbelastungen für Maßnahmen der Reproduktionsmedizin gerade Paare in den ostdeutschen Ländern besonders betreffen, ist es wichtig, dass wir uns diesem Thema noch einmal besonders zuwenden. Ich denke, es geht auch um das Glück von Frauen und Männern, und es geht darum, dass mehr Kinder die Chance haben, gut aufwachsen zu können. Insofern bin ich den Koalitionsfraktionen für diesen Antrag dankbar.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von Minis- ter Herrn Hövelmann)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Wir treten nun in die Debatte ein. Als Erstes erteile ich der LINKEN das Wort. Frau Abgeordnete von Angern, bitte schön.

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, dass die Fraktionen der CDU und der SPD mit ihrem Antrag in die richtige Richtung zielen. Allerdings erlauben Sie mir an dieser Stelle den Hinweis, dass es doch recht überraschend kam, da schließlich die SPD gemeinsam mit den Grünen unter Billigung der CDU durch das GKV-Modernisierungsgesetz die Änderung im Sozialgesetzbuch V herbeigeführt hat. Damals hieß es - ich zitiere -:

„Künstliche Befruchtung und Sterilisation, die in erster Linie zur eigenen Lebensplanung der Versicherten gehören, sind künftig eigenverantwortlich zu finanzieren.“

Herr Müntefering selbst unterstrich die damalige Reform mit den Worten - ich zitiere erneut -:

„Wir haben versprochen, das Land zu erneuern. Das tun wir. Wir brauchen eine Erneuerung der Mentalitäten, wenn wir Wohlstand dauerhaft sichern und soziale Gerechtigkeit gewährleisten wollen. Und das wollen wir. Wir brauchen in Deutschland mehr Mut.“

Sehr geehrte Kolleginnen der SPD-Fraktion, ich habe Ihnen diese Sätze an dieser Stelle trotz Ihres durchaus unterstützenswertes Antrages nicht vorenthalten wollen, weil ich diese Worte nach wie vor, gerade in diesem Zusammenhang, für äußerst zynisch erachte. Aber zum Glück lernt man und auch Frau manchmal dazu und das ist gut so.

Meines Erachtens gibt es einen Grund, gerade diejenigen, die sich bewusst für Kinder entscheiden, es aber aus den verschiedensten Gründen ohne medizinische Hilfe selbst nicht bewerkstelligen können, zu unterstützen. Schade finde ich allerdings, dass diese Debatte vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Knickes geführt wird.

Anhand unseres Änderungsantrages können Sie jedoch erkennen, dass uns Ihr Antrag nicht weitreichend genug ist. Wenn Ihr Antrag im Plenum heute die Mehrheit findet - davon gehe ich aus -, hat dies zur Folge, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür einsetzt, dass die Regelung im Sozialgesetzbuch V dahin gehend verändert wird, dass die Realisierung eines Kinderwunsches nicht durch die finanzielle Lage eines Paares un

möglich gemacht wird. Ich halte diese Formulierung für zu unbestimmt.

Wenn ich positiv eingestellt bin, kann ich da hineinlesen, dass es sowohl um Verheiratete als auch um Nichtverheiratete inklusive eingetragener Lebenspartnerschaften geht. Das muss aber nicht so sein. Ich bedauere, Herr Kurze, dass Sie dazu noch nicht Stellung genommen haben. Wenn Sie das in Ihrer nächsten Rede nicht tun, werde ich natürlich nachfragen. Da ich denke, dass Sie in Ihrem Diskussionsprozess schon entsprechend weit sind, gehe ich davon aus, dass Sie der Klarstellung durch unseren Änderungsantrag zustimmen werden.

(Herr Borgwardt, CDU, lacht)

Derzeit und auch vor der Gesundheitsreform hatten nur Verheiratete einen Anspruch auf Übernahme eines Teils der Kosten der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Nichteheliche Gemeinschaften sind von der Kostenbezuschussung ausgenommen. Dagegen wurde geklagt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 2007 festgestellt, dass dieser Leistungsausschluss mit der Verfassung durchaus vereinbar ist. Gleichzeitig wurde aber auch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, per Gesetz verfassungskonform nichtehelichen Lebensgemeinschaften diese Leistungen zu gewähren.

An dieser Stelle müssen Sie die Frage beantworten: Können unverheiratete Paare genauso gut Kinder erziehen wie verheiratete Paare? - Wir meinen ja. Niemand kann den Beweis führen, dass Paare, nur weil sie verheiratet sind, für die Kindererziehung besser geeignet seien als unverheiratete Paare.

Mir ist bewusst, dass vor einigen Jahrzehnten in der Gesellschaft noch ein anderes Familienbild dominierte. Uneheliche Kinder waren früher immer eine Schande, und bevor das erste Kind auf die Welt kam, wurde aus moralischen Gründen schnell noch geheiratet. Das soll zuweilen auch jetzt der Fall sein. Aber diese Zeiten sind insgesamt zum Glück lange vorbei. Ich hoffe, dass auch Sie nicht in einer Zeitmaschine in Richtung Vergangenheit sitzen.

(Herr Tullner, CDU: Das ist aber sehr polemisch, Frau Kollegin!)

- Zuspitzung trifft es manchmal ganz genau.

(Herr Borgwardt, CDU: Aber nur wenn sie für Klarheit sorgt und nicht für Verwirrung!)

- Sie haben doch nachher die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.

Im Übrigen denke ich, dass wir es uns als Gesellschaft nicht leisten können, Familien auf den Trauschein zu reduzieren. Mehr Kinder braucht das Land! Das ist auch das Motto Ihres Antrages. In diesem Sinne werbe ich für die Zustimmung zu unserem Änderungsantrag und wünsche der Landesregierung natürlich das ausreichende Verhandlungsgeschick auf Bundesebene. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank für den Debattenbeitrag. - Für die SPD erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Dr. Späthe das Wort. Bitte schön, Frau Dr. Späthe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt ein gemeinsamer Antrag der Koalitionsfraktionen, der Sie bittet, die Landesregierung zu beauftragen, sich auf Bundesebene für die Korrektur eines vor mehr als vier Jahren in Kraft getretenen Passus im Gesundheitsmodernisierungsgesetz einzusetzen. Diesem Anliegen geht ein Entwicklungsprozess voraus, der nach der Reform einsetzte, der aber mit Sicherheit so nicht gewollt war, der nicht nur nicht in die heutige Zeit passt, sondern auch Leid und Verzweiflung für die betroffenen Paare mit sich gebracht hat. Das ist so nicht länger hinnehmbar.

Sowohl der Antragseinbringer als auch Ministerin Kuppe haben in ihren Beiträgen eindrucksvoll die Konsequenzen des damals gefassten Reformbeschlusses dargelegt und auf die Situation der betroffenen Männer und Frauen aufmerksam gemacht. Die nur noch 50-prozentige Finanzierung der Behandlung und die Begrenzung der von den Kassen unterstützten Zahl der Versuche auf drei selektieren die Gruppe der ungewollt kinderlosen Paare, nämlich in die Gruppe, die die finanziellen Möglichkeiten hat, weitere Versuche selbst zu bezahlen oder sich gleich im Ausland helfen zu lassen, wo Möglichkeiten und Methoden sehr viel umfangreicher sind als in Deutschland, und in die Gruppe von Paaren, deren finanzielle Möglichkeiten in Zeiten von Hartz IV und gebeuteltem Mittelstand es gar nicht oder nur ein oder zweimal zulassen, sich den Traum vom eigenen Kind zu erfüllen oder es zumindest zu versuchen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Wie der Literatur und einem gerade in dieser Woche erschienenen Artikel im „Spiegel“ zu entnehmen ist, führt die Gesetzeslage unter anderem dazu, dass aus finanziellen Gründen - jeder Versuch ist teuer -, aber auch aus ethischen Gründen zunehmend mehr Embryonen eingesetzt werden und dadurch die Zahl der Mehrlingsgeburten in höherem Alter, aber auch die Zahl der Komplikationen steigt. Das muss alles nicht sein.

Wir begrüßen die Bundesratsinitiative des Saarlandes vom 17. Dezember 2007, die die Bundesregierung auffordert, zu der ursprünglichen gesetzlichen Regelung der Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zurückzukehren, das heißt volle Kostenübernahme für vier Versuche und keine Altersbegrenzung.

Ich darf Sie deshalb bitten, unserem Antrag, SachsenAnhalt möge der Intention des Saarlandes folgen und sich auf Bundesebene für die genannten Änderungen einzusetzen, zuzustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Späthe, für Ihren Beitrag. - Für die FDP erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei so viel Einigkeit stehe ich jetzt vor dem Problem, dass alles gesagt worden ist, nur noch nicht von mir.

(Zuruf von der CDU: Seid Ihr dafür oder dage- gen?)

Wir unterstützen den Antrag der CDU und der SPD. Ich halte es für sinnvoll, einen Fehler, den man vor einigen Jahren gemacht hat, nun auszubügeln. Man hätte es vielleicht schon damals wissen können, weil die demografische Entwicklung auch 2004 schon bekannt war. Aber man war wohl so verzweifelt auf der Suche nach Einsparpotenzialen, dass man diesen Punkt gleich mitgenommen hat.

Wir unterstützen auch den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, weil er der Lebensrealität in unserem Bundesland entspricht. Es ist eben nicht mehr üblich, zunächst zu heiraten und dann Kinder zu bekommen. Wir sollten uns solchen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht verschließen.