Protocol of the Session on April 17, 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der EuGH hat in seinem Urteil eine Aussage getroffen, die einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur gleichen Thematik widerspricht. Das macht die Kompliziertheit der Rechtslage klar. Ich habe versucht, möglichst sachkundige Stellungnahmen einzuholen. Es gibt dazu eine Studie vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages vom 9. April. Darin wird das Urteil des EuGH wie folgt beurteilt:

„Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschied mit Urteil vom 3. April 2008, dass das Gemeinschaftsrecht Regelungen entgegensteht, mit denen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge so genannte Tariftreueklauseln gefordert werden. Sie sind nach Ansicht des Gerichtshofs nicht mit der Arbeitnehmerentsenderichtlinie vereinbar, die im Lichte der Dienstleistungsfreiheit des Artikels 49 EG-Vertrag auszulegen ist. Eine Rechtfertigung derartiger Klauseln aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes kommt für den EuGH im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Tariftreueklauseln sind in einer Vielzahl von Landesvergabegesetzen vorgesehen.“

Was sagen die Juristen beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Frankfurt am Main? Ich will aus der Stellungnahme auszugsweise zitieren:

„Die Vergabegesetze anderer Bundesländer sind rechtlich durch die Entscheidung des EuGH zwar nicht unmittelbar berührt. Die Entscheidung ist in ihren Grundsätzen aber übertragbar. Die öffentliche Hand ist verpflichtet, bei ihren gesetzlichen

wie untergesetzlichen Entscheidungen Europarecht einzuhalten. Letztlich bedürfen alle Vergabegesetze also einer gesetzgeberischen Überprüfung und Revision.“

Welche Konsequenzen sind nun aus dieser Auslegung des Urteils und aus dem Urteil selbst zu ziehen?

Erstens. Vergabegesetze mit Tariftreueklauseln, wie sie in Deutschland noch in mehreren Ländern existieren, verstoßen gegen EU-Recht.

(Beifall bei der FDP)

Sie sind in diesem Punkt unwirksam, schaffen Rechtsunsicherheit und müssen geändert bzw. abgeschafft werden.

(Frau Budde, SPD: Geändert!)

NRW hat dies bereits im Jahr 2006 getan.

Zweitens. Folgerichtig kann man auch den Schluss ziehen: Das Urteil bestätigt eindrucksvoll die Richtigkeit und auch die Notwendigkeit der Abschaffung des Vergabegesetzes des Landes Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2002 durch das Erste Investitionserleichterungsgesetz.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU - Beifall bei der FDP)

In der Praxis sah es so aus, dass dieses Gesetz leider aufgefallen ist durch ein erhebliches Mehr an Bürokratie und durch eine nicht mögliche ausreichende Kontrolle der Einhaltung der komplizierten Regelungen. Zudem mussten wir am Ende der kurzen Laufzeit dieses Gesetzes feststellen, dass Aufträge in Millionenhöhe nicht realisiert werden konnten, obwohl die Firmen Aufträge gebraucht hätten, weil diese komplizierten Forderungen in Bezug auf die Vergabe öffentlicher Aufträge nur von wenigen und nicht einer ausreichenden Zahl von Unternehmen erfüllt werden konnten. Diejenigen, die eine Brücke bauen wollten, haben sie nicht gebaut bekommen, und diejenigen, die Aufträge brauchten, haben sie auch nicht bekommen. Das war das Ergebnis. Wir haben es abgeschafft und der EuGH hat uns Recht gegeben.

Drittens. Gänzlich ungeeignet ist dieses Urteil auch als Vehikel für die Mindestlohndebatte, und zwar ganz konkret deshalb: In diesem Fall gibt es bereits einen Mindestlohn. Über die Entsenderichtlinie und das Entsendegesetz ist gerade in diesem Fall sozusagen ein gesetzlicher Mindestlohn vorhanden. Einen Mindestlohn zu fordern, der schon da ist, macht überhaupt keinen Sinn.

Wenn man das einmal konkret herunterrechnet, dann stellt man fest, dass eine Umsetzung dieser Forderung eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer bedeutete. Nach dem geltenden Entsendegesetz in Deutschland gibt es bereits Mindestlöhne von 6,36 € bis 12,40 €. Wenn wir jetzt einen Mindestlohn von 6,50 € oder 7,50 € festlegten, dann bedeutete dies für diejenigen, die nach dem Entsendegesetz 12,40 € erhalten, eine eklatante Schlechterstellung. Warum sollen wir dieses fordern? - Insofern eignet sich dieses Urteil auch nicht für die Mindestlohndebatte.

Viertens. Der Kopplung öffentlicher Aufträge an vergabefremde Kriterien ist ein Riegel vorgeschoben worden. Ich finde das auch gut so, weil dies in der Praxis mittelstandsfeindlich ist. Das Entsendegesetz trifft nationale Regelungen zum Mindesteinkommen. Was bedeutet es konkret, wenn wir weiter mit Vergabegesetzen, mit Tarif

treueklauseln arbeiten und andere Länder diese Praxis aufgreifen? Dadurch werden Konzerne begünstigt, und zwar die Baukonzerne, die der Gewerkschaftschef Wiesehügel als Raubtierkapitalisten beschimpft hat.

Warum? - Wenn es nationalweit Regelungen zu Mindeststandards für die Bezahlung von Mitarbeitern gibt, dann kann ein mittelständischer Unternehmer diese Regelungen ausfindig machen und prüfen bzw. kalkulieren, ob er diesen Bedingungen entsprechend ein Angebot unterbreiten möchte. Wenn sich aber ein Mittelständler um öffentliche Aufträge bewirbt, ist er de facto nicht in der Lage, in Deutschland 16 unterschiedliche, vielleicht nach Ländern gegliederte Tarifverträge - in der Praxis sind es ja ein paar Hundert - kennen zu lernen, zu prüfen und durchzukalkulieren, ob sich das für die jeweilige Firma rechnet. Das können nur die Großen. Weil dies so ist, ist die lokale Regelung, Tarifverträge bei der Auftragsvergabe verbindlich zu machen, ganz klar eine Entscheidung gegen mittelständische Unternehmen, und das wollen wir als CDU nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Fünftens. Wir brauchen ganz klar auch Standards und Regeln für einen fairen Wettbewerb. Dazu steht die CDU. Wir brauchen eine ordentliche Bezahlung und ordentliche Bedingungen für jeden, der in diesem Land schwer schafft und arbeitet, der frühmorgens aufsteht und zur Arbeit geht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und auch ein Stück weit das Land aufzubauen; denn mit den Steuern, die er zahlt, werden Brücken gebaut, Polizisten und Lehrer bezahlt und vieles andere mehr.

Dafür steht die CDU: ordentliche Arbeit, ordentliches Geld. Dazu bekennen wir uns nicht nur heute. Ich erinnere daran, dass die CDU bereits am 2. Februar 1995 in diesem Landtag einen Antrag gegen die Verlängerung der damals gültigen Werkverträge eingebracht hat, die es ausländischen Unternehmen ermöglichten, deutschen Unternehmen und Arbeitsplätzen mit Billigstlöhnen Konkurrenz zu machen. Wir als CDU haben uns im Jahr 1995 für das Entsendegesetz bzw. die Entsenderichtlinie stark gemacht, und dazu stehen wir auch heute noch.

Ich appelliere angesichts des heutigen Artikels an die Bauwirtschaft und an die Gewerkschaften, sich bei den Tarifverhandlungen, die gerade ins Stocken geraten sind, für eine vernünftige Lösung einzusetzen und das Entsendegesetz durch einen ordentlichen Tarifvertrag weitergelten zu lassen, der dann auch für allgemeinverbindlich erklärt werden kann, weil sich das in dieser Branche bewährt hat.

Als Schlussfolgerung aus dem Urteil des EuGH sollten wir uns dafür entscheiden, die Tarifvertragsfreiheit zu schätzen, sie zu nutzen und die Tarifvertragsparteien dabei zu unterstützen, Regeln für einen fairen Wettbewerb festzulegen. Das sollten, so meine ich, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände tun. Das sollten nicht Politiker mit staatlichen Löhnen machen. Ich bekomme immer eine Gänsehaut, wenn Politiker auf Parteitagen möglichst auch noch die Löhne beschließen und festlegen wollen. Dies ruft bei mir ganz schlechte Erinnerungen wach.

(Beifall bei der FDP)

Wenn ich mir die Debatte bei der PDS bzw. bei der LINKEN angucke, dann muss ich feststellen, dass man

mit 7,50 €, 8,50 € angefangen hat. Jetzt ist man schon bei 9,44 €. Vor der nächsten Wahl wird es garantiert noch höher sein.

Liebe Genossinnen und Genossen in der SPD,

(Heiterkeit)

Sie können diesen Wettlauf mit den LINKEN nie gewinnen. Die LINKEN werden immer 30 Nasenlängen voraus sein. Denn die SPD ist 20-mal seriöser, als die LINKEN es jemals sein werden,

(Oh! bei der LINKEN - Unruhe bei der FDP)

weil sie durchrechnet, was vernünftig ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Genau dieser Aufgabe stellt sich die LINKE nicht. Deswegen warne ich vor einer populistischen Diskussion um Mindestlöhne.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Zwei Sätze noch, weil es angesprochen wurde, aber die Zeit nicht mehr ausreicht, um das auszudiskutieren. Ich warne auch davor, den Satz noch öfter zu wiederholen, dass wir Mindestlöhne, so wie sie in anderen Ländern vorhanden sind, auf Deutschland übertragen sollten. Wenn wir dies so tun wollten - wir können ja auch nicht einen einzelnen Paragrafen des Einkommensteuerrechts aus Deutschland auf England übertragen -, dann muss man die Gesamtbedingungen sehen, unter denen ein Unternehmen im Wettbewerb existieren muss und unter denen Arbeitnehmer arbeiten müssen.

Erstens gibt es bei den Mindestlohnvarianten, die in anderen Ländern gesetzlich festgelegt sind, ganz andere Bedingungen in Bezug auf Urlaubszeiten, Feiertage oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Es gibt viele andere Standards, die in Deutschland wesentlich höher sind als dort, wo es diese gesetzlichen Mindestlöhne als nahezu einzigen Deckel nach unten hin gibt.

Zweitens gibt es selbst bei diesen wenigen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer in den anderen Ländern so viele Ausnahmen, dass ich mich schämen würde, diese auf Deutschland zu übertragen.

Ich wundere mich, dass ausgerechnet die Linken Mindestlöhne à la Großbritannien und USA fordern. Ich warne nur davor. Die CDU ist dagegen.

Zum Abschluss: Was sollte man tun?

(Frau Budde, SPD: Gar nichts!)

Ich sage Ihnen ganz klar, wir sollten die Gewerkschaften und die Arbeitgeber unterstützen, die Tarifvertragsparteien, weil sie allemal besser geeignet sind, Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Arbeitgebern auszuhandeln, die weit über das hinausgehen, was hier unter der Überschrift Mindestlohn diskutiert wird.

Wer sich den gestern von der IGBCE abgeschlossenen Tarifvertrag anschaut, der weiß, dass dies nur 20-mal unterstrichen werden kann. Enthalten sind Ausbildungsgarantien, Übernahmegarantien, Ausbildungsverpflichtungen,

(Frau Budde, SPD: Altersteilzeit!)

Altersteilzeitregelungen und ein Demografiefonds. Das heißt, wenn wir die Tarifvertragsparteien stützen, sind

sie viel besser in der Lage, das auszuhandeln, was manche Politiker Leuten versprechen oder per Gesetz festlegen zu müssen glauben. Eine ordentliche Ansiedlungs- und eine ordentliche Tarifpolitik sind zehnmal besser als staatlich festgelegte Löhne.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Gürth. Jetzt gibt es zwei Nachfragen. Ich weiß nicht, ob Sie sie beantworten wollen. Es gibt eine Frage vom Fraktionsvorsitzenden Herrn Gallert und eine von Herrn Dr. Thiel.

(Herr Gürth, CDU: Ja!)

Bitte, Sie wollen. Dann Herr Gallert.

Herr Gürth, Sie haben etwa sechs- bis siebenmal gesagt, man müsse die Tarifparteien dabei unterstützen, vernünftige und faire Lösungen auszuhandeln. Schuldig geblieben sind Sie aber die Antwort, wie Sie sich das vorstellen. Wie wollen Sie die denn unterstützen, um ein solches Resultat zu erreichen?