Protocol of the Session on April 17, 2008

Mit der Ausweitung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf die ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländer im Jahr 2011 wird sich das Problem für unsere Unternehmen verstärken. Wenn wir es bis dahin nicht geschafft haben, einen Konsens in Deutschland zu finden, damit Firmen, die ordentliche Tariflöhne zahlen, noch Aufträge wahrnehmen können, dann haben unsere Firmen hier ein Problem; denn wir werden uns nie auf das, wie man es vorhin gehört hat, 46%-Niveau polnischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begeben können, und das wollen wir auch gar nicht.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Ich sage es deshalb noch einmal deutlich: Wir brauchen den Mindestlohn zum Schutz der Unternehmen vor unfairem Wettbewerb.

Wenn wir von den ökonomischen Hintergründen für Mindestlöhne reden, dann lassen Sie mich sagen - ich weiß, es ist zum wiederholten Male -, gerade diejenigen, die für eine freie Marktwirtschaft plädieren, gerade diejenigen, die am lautesten nach der Abschaffung staatlicher Subventionen rufen, gerade diejenigen müssten eigentlich zuallererst für die Einführung von Mindestlöhnen sein;

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe bei der FDP - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

denn die Einführung eines Mindestlohnes bedeutet die Abschaffung einer der größten Subventionstatbestände in der Bundesrepublik. Bei allen Unternehmen, die nur deshalb Gewinne machen und nur deshalb existieren, weil der Staat durch unterstützende Sozialleistungen einen Teil der Arbeitskosten übernimmt, gibt es einen eindeutigen Subventionstatbestand, der nur nicht so genannt wird. Er nennt sich Kombilohn oder anders. Das bedeutet, dass der Staat die Zahlung dieser Löhne auch noch fördert. Das halten wir ausdrücklich, anders als unser Koalitionspartner, für den falschen Weg.

(Zustimmung bei der SPD)

Das hat aus unserer Sicht auch nichts mit freier Marktwirtschaft zu tun. Das hat erst recht nichts mit sozialer Marktwirtschaft zu tun und das gehört ganz einfach vom Kopf auf die Füße gestellt!

Was bedeutet das für Sachsen-Anhalt? - Aus unserer Sicht müssen wir dringend etwas gegen Lohndumping tun. Das haben wir im Übrigen auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Das Jahr 2011 steht vor der Tür.

(Herr Gürth, CDU: Was ist denn im Jahr 2011?)

- Wahlen zum Beispiel; aber ich meine jetzt die Freizügigkeit für die Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen Ländern.

Im Koalitionsvertrag heißt es:

„Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ist bei der Preisgestaltung auf die Sicherung der Auskömmlichkeit zu achten. Die Koalitionspartner stimmen darin überein, einen offensiven Kampf gegen das Lohndumping führen zu wollen.“

Wie wir das machen wollen, darauf haben wir uns noch nicht verständigt. Dafür gibt es unterschiedliche Ansätze. Das ist wohl so.

Ich denke trotzdem, dass wir in den nächsten Monaten intensiver über das Thema Tariftreueerklärung in einem Vergabegesetz, europäisch rechtssicher, streiten sollten. In welchem Rahmen das möglich ist, hat der Europäische Gerichtshof ja vorgezeichnet. Warum sollte uns in Sachsen-Anhalt nicht gelingen, was in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, SchleswigHolstein, dem Saarland und bald auch Rheinland-Pfalz Realität ist?

(Herr Gürth, CDU: Was denn?)

Deshalb lohnt es sich aus sozialdemokratischer Sicht, ein Vergabegesetz zur Bekämpfung von Lohndumping zu erarbeiten. Das haben die Arbeitnehmer und die Unternehmen in diesem Land verdient. In diesem Sinne war das Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofes vielleicht ein gutes Signal.

Zum Schluss etwas Tagesaktuelles: Menschen, die in einer Lohngruppe jenseits eines Jahresgehaltes in Höhe von 200 000 € arbeiten, wie der Bundespräsident, sollten sich gegen die Tendenz der weiteren Spaltung der Gesellschaft wenden. Sie sollten sich für Mindestlöhne stark machen; denn mit einem Mindestlohn erreicht man nicht einmal 10 % des Gehaltes eines Bundespräsidenten.

Damit meine ich keine Neiddiskussion; das Gehalt ist dieser Funktion angemessen. Ich sehe den Bundespräsidenten jedoch in der Verantwortung, solche Themen aufzugreifen und für Lösungen zu streiten, die es den Menschen ermöglichen, von ihrer Arbeit leben zu können. Deshalb teile ich ausdrücklich nicht die Position, die er zum wiederholten Male, wie er sagt, als Ökonom vorgetragen hat. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Es gibt drei Nachfragen, eine von dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Gallert, eine von dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Wolpert und eine von Frau Dirlich. Wollen Sie die drei Fragen beantworten?

Ich tue mein Bestes.

Dann machen wir das so. Herr Gallert, Sie haben das Wort. Bitte.

Womöglich nicht zur Zufriedenheit.

Vielleicht sogar doch. - Frau Budde, Sie sind am Anfang Ihres Vortrages ziemlich stark auf die rechtliche Grundlage des EuGH-Urteils eingegangen, und zwar auf die Dienstleistungsrichtlinie. Nun kann ich mich dunkel daran erinnern - das ist noch gar nicht so lange her -, dass wir hier genau über dieses Thema diskutiert haben.

Der Kollege Czeke hat gesagt: Die Dienstleistungsrichtlinie wird in dieser Form in erster Linie dazu dienen, die Gerichte zu beschäftigen. Was bei dieser ganzen Geschichte herauskommt, kann niemand prognostizieren. Aber durch diese Dienstleistungsrichtlinie droht ein deutlicher Abbau von Arbeitnehmerrechten bzw. Schutzmechanismen.

Ich kann mich ebenfalls daran erinnern, dass der Kollege Tögel in dieser Diskussion bemerkt hat, dass man hier und dort solche Dinge nicht völlig ausschließen könnte, dass aber eine solche Sicht wieder einmal vom triefenden Europaskeptizismus des Herrn Czeke geprägt ist.

Nun sagen Sie mir einmal: Wer von beiden hat eigentlich Recht gehabt?

Beide, weil möglicherweise die Reaktion von Herrn Tögel auf die Person gemünzt war, er aber damit durchaus gesagt hat - und das stimmt -, dass es zu rechtlichen Unsicherheiten und verschiedenen Auslegungen kommen kann. Das wussten wir auch.

Ein europäischer Konsens zu einer Dienstleistungsrichtlinie ist eben noch schwieriger als ein Konsens in dem Kleinparteiensystem der Bundesrepublik und noch viel schwieriger als ein möglicher Konsens zu diesem Thema im Landtag von Sachsen-Anhalt. Das spiegelt die Vielfalt in Europa wider. Das ist nicht immer gut für die einzelne Situation in den Ländern. Aber wir müssen versuchen, damit umzugehen. Wir müssen versuchen, unsere Vergabegesetze, unsere Dienstleistungsangebote auch nach europäischen Maßstäben rechtssicher so auszugestalten, dass unsere Unternehmen Aufträge bekommen können; denn ohne Europa geht es auch nicht. Deshalb müssen wir uns in diesem Rahmen bewegen.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank. - Jetzt hat Herr Wolpert das Wort.

Frau Kollegin Budde, der Mindestlohn könnte nach unserer Auffassung vielleicht in die Freiheiten der Tarifparteien eingreifen. Teilen Sie diese Auffassung?

Die zweite Frage: Warum haben Sie, wenn Sie keine Neiddebatte aufbringen wollten, das Gehalt des Bundespräsidenten in diese Debatte eingeführt?

Der Mindestlohn würde insofern in die Freiheit der Tarifpartner eingreifen - darauf spielen Sie an -, als dass es Tarifverträge gibt, die sich in der Höhe von 3,80 € und dazwischen ganz viele in Höhe von bis zu 7,50 €, insbesondere im Dienstleistungsbereich, bewegen.

Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal; ich habe sie schon mehrmals beantwortet. Deshalb werde ich sie Ihnen genauso beantworten: Dann müssen die Tarifpartner in die Lage versetzt werden, höhere Löhne auszuhandeln. Die Situation, dass nur so niedrige Tariflöhne ausgehandelt werden konnten, ist auch dem geschuldet, dass es wenig Bindungen im Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbereich gibt. Wenn Sie sich die skandinavischen Länder ansehen, dann werden Sie feststellen, dass es dort im Arbeitnehmer- und im Arbeitgeberbereich eine Bindung von fast 100 %, aber deutlich über 80 % gibt. Dort finden Sie diese Löhne nicht.

Ja, dieses System hat ein Problem; darin gebe ich Ihnen Recht. Aber weil die Löhne tariflich ausgehandelt wurden und nicht mehr drin war, muss ich noch lange nicht sagen, dass das gut ist. Dabei kommen am Ende einfach Löhne heraus, von denen man nicht leben kann. Es ist schon problematisch, von einem Monatslohn in Höhe von 1 500 € brutto zu leben. Aber dabei kommen Tariflöhne heraus, die bei 900 € oder unter 1 000 € monatlich liegen. Ich frage mich, wie man davon leben soll. Das sind Jobs, in denen acht Stunden oder zehn Stunden gearbeitet wird. Ich sage einfach: Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Ja, hier müssen auch die Tarifpartner nachlegen, aber sie müssen auch in die Lage versetzt werden, dies zu können; darin haben Sie Recht.

Ich wollte einfach nur die Spanne auftun. Sie haben Recht: Eigentlich hätte ich nicht das Gehalt - ich habe nur das Grundgehalt genannt - nennen sollen, sondern ich hätte die Funktion stärker betonen müssen. Darin haben Sie völlig Recht, Herr Wolpert.

Der Bundespräsident ist eigentlich auch dafür zuständig, gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen und gesellschaftliche Probleme zu benennen. Einer dieser Punkte ist, dass zum Beispiel im Osten Deutschlands gut 20 % der Menschen den ganzen Tag arbeiten und davon nicht leben können, sondern ergänzende Sozialleistungen erhalten. Das kann es einfach nicht sein. Das kann nicht die Lösung sein. Auf diesen Umstand muss er hinweisen.

(Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Ich gehe davon aus - das ist meine feste Überzeugung -, dass er sich dafür einsetzen müsste, dass diese Menschen von ihrer Arbeit leben können, und dazu gehört aus meiner Sicht das Thema Mindestlohn, auch wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wolpert hat noch eine Nachfrage. - Bitte schön.

Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie die fehlende Bindung in den Tarifparteien durch staatliche Maßgaben ersetzen wollen?

Also, wer nicht in die Gewerkschaft geht, soll dann eben so reingezwungen werden?

Ach Mensch, Herr Wolpert. Es ist unter Ihrem Niveau, diese Frage zu stellen, allen Ernstes. Ich habe darauf schon so oft geantwortet, dass Sie genau wissen, was ich meine. Ich glaube, ich war auch sehr deutlich. - Nein.

Vielen Dank. - Frau Dirlich, Sie haben das Wort.

Frau Budde, ich will zunächst vorausschicken, dass ich Ihr leidenschaftliches Plädoyer für Mindestlöhne voll unterstütze. Es hat mich jedoch zu der Frage gereizt: Wer war das gleich noch, der die Hartz-IV-Reform durchgesetzt hat?

(Unruhe bei der SPD)