Protocol of the Session on January 24, 2008

Es ist schade - das habe ich im Nachgang auch bei der Fragestellung der FDP gemerkt -, dass wir den Vortrag bzw. die Fachdiskussion mit der Autorin des IAB-Berichtes am Montag dieser Woche nicht einem größeren Publikum eröffnet haben, dann wären viele Dinge, auch bezüglich Ihrer Formulierungen, Herr Professor Paqué, relativ schnell ausräumbar gewesen. Man hat dort nämlich relativ klar zugegeben, dass es erstens ein erstes Befassen mit dieser Thematik ist, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass man sich im Institut unsicher ist, inwieweit ein Workfare-Ansatz mit dem Ansatz eines sozialen Arbeitsmarktes innerhalb eines viergliedrigen Modellprojektes arbeitsmarktpolitisch vereinbar ist.

Zweitens hat man ganz klar zu Protokoll gegeben, dass die Datenbasis, auf der man die bisherigen Aussagen aufgebaut hat, nur sehr anfänglich und unvollständig zur Verfügung stand. Drittens hat man gesagt, dass man sich diesem Prozess weiterhin widmen will, weil man sich eben der Anfänglichkeit und Unvollständigkeit der bisherigen Aussagen bewusst ist und sich deswegen einem weiteren Diskurs stellen möchte.

Mit dem ZSH hat man vereinbart, dass man erst einmal die Datenbasis abgleicht und vor allen Dingen auch die entsprechenden weiteren Interpretationen vornimmt. Es ist wichtig, dass diese Institute und die entsprechenden Autoren sich abgleichen. Warum? - Weil die Schwachstellen des Ansatzes des IAB relativ schnell offenkundig wurden und letztendlich auch zugegeben worden sind, nämlich die eigentliche Nichtvergleichbarkeit beider Vergleichsregionen, wie in der Studie unterstellt.

Diese Vergleichsregion, die für Ostdeutschland aus dem Pool von Indikatoren herausgenommen wurde, der letztendlich für eine Kategorisierung in der Bundesagentur bisher immer herhalten musste, wurde im Hinblick auf ihre konkrete geografische Lage leider nicht bekannt gegeben. Die Regionen unterscheiden sich aber vor allen Dingen in einem wesentlichen Punkt, nämlich im Anteil an SGB-II- und SGB-III-Empfängern im Gesamtbestand, was für die Marktgängigkeit der entsprechenden Arbeitslosen oder Langzeitarbeitslosen ganz wesentlich ist, vor allen Dingen wenn man versucht, Regionen im zeitlichen Verlauf miteinander zu vergleichen.

Herr Minister, möchten Sie eine Frage von Herrn Kley beantworten?

Ganz zum Schluss, bitte.

In der Vergleichsregion, die leider ungenannt blieb, beträgt der Anteil an SGB-II-Empfängern 53 %, während im Landkreis Wittenberg inklusive Bad Schmiedeberg dieser Anteil 65 %, also zwei Drittel, betrug. Das ist unbestritten. Auch die IAB-Autorin hat es als ein fachliches

Kriterium benannt, welches nicht ausreichend objektiviert worden ist.

Des Weiteren sind folgende Daten im IAB-Bericht bisher nicht abschließend interpretiert worden: Von September 2006 bis Juni 2007 hat sich die Summe aus Arbeitslosen und der Zahl der im öffentlich geförderten Arbeitsmarkt Beschäftigten in Bad Schmiedeberg um 24 % verringert, im Landkreis Wittenberg um 12 % und in der Vergleichsregion um 9 %. Dieses ist auch nach den Aussagen des IAB ein beachtliches Ergebnis und stellt einen signifikanten Unterschied dar, weil sich in der Region, in der Bad Schmiedeberg als singuläres Element innerhalb des gesamten Modellprozesses mit diesen Sondermaßnahmen in diesen vier Kategorien, die Sie kennen, enthalten ist, eine deutlichere Veränderung der Gesamtarbeitslosigkeit inklusive der im öffentlichen Bereich angebotenen Arbeitsplätze ergeben hat - ein signifikantes Ergebnis und zählbarer Erfolg im Unterschied zu dem, was bei oberflächlicher Lesart der IAB-Bericht in der jetzigen Stufe zutage gefördert hat. Das ist das Entscheidende.

Das heißt, wir haben über ein halbes Jahr diese deutlichen quantitativen Unterschiede im Sinne einer Verbesserung der Situation in dem Landkreis und in der Region gegenüber der Vergleichsregion verfolgen können, in der Bürgerarbeit praktiziert worden ist, trotz der Defizite in der Vergleichbarkeit, die ich zu Anfang genannt habe.

All das hat in der Quintessenz nach der fast zweieinhalbstündigen Diskussion mit den bisherigen Evaluatoren zu folgenden Festlegungen geführt: Erstens. Das IAB hat eine Notwendigkeit, nachzusteuern, weil schlicht und einfach genau diese Daten bisher noch nicht in die Bewertung eingebucht sind. Das ist unbestritten zugegeben worden. Zweitens müssen sich die bisherigen Institute bezüglich der Datenbasis auf eine einheitliche Standardsetzung verständigen. Drittens sollten wir diesen Prozess unter der Einbeziehung des Wirtschaftsausschusses mit Fachleuten und mit den Autoren gemeinsam führen. Mehr, denke ich, kann man zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht wollen.

Unabhängig davon, dass wir die Bürgerarbeit von Anfang an als Modellprojekt und auch als Testfeld für die Kombination verschiedener Instrumente verstanden haben, fühlen wir uns ganz deutlich bestärkt, wenn es darum geht, diesen auf Langzeit angesetzten Versuch fortzusetzen, weil alle, sowohl die Institute als auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ein Interesse an dem haben, was sich an Langzeitwirkungen auch im Sinne der Reduzierung der Arbeitslosigkeit über die Stufen 1 bis 3 arbeitsmarktpolitisch interpretieren lässt.

Eine letzte Information dazu: Wesentliche Dinge, die wir hier auch finanztechnisch praktiziert haben, sind im Modellprojekt Kommunal-Kombi abgebildet worden. Sie werden also in den nächsten Monaten durchaus noch einmal in einer völlig anderen, finanztechnisch sicherlich erweiterten Fassung experimentell erprobt werden. Ich bin sicher, dass wesentliche Ergebnisse der Bürgerarbeit in der Fortschreibung des Modellprojektes Kommunal-Kombi Niederschlag finden werden. Das ist auch mit dem Ergebnis verbunden, dass neben den finanztechnischen Erfahrungen vor allen Dingen die vermittlungstechnischen Erfahrungen in diesem dreijährigen Experiment ganz wesentlich Niederschlag finden werden.

Bitte, Herr Kley.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage. Herr Minister, wie bewerten Sie den Sachverhalt, dass die Thüringer Landesregierung wegen zu hoher Kosten und zu geringer Wirksamkeit aus der Bürgerarbeit ausgestiegen ist?

Sie sind im Besitz einer falschen Information. Die Bürgerarbeit wird dort fortgesetzt.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir kommen nun zur Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Dirlich. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir grundsätzliche Aussagen zur Bürgerarbeit schenken. Das wäre wirklich eine unnütze Wiederholung. Wir haben in der Tat schon oft über dieses Thema gesprochen.

Das gibt mir Gelegenheit, gleich auf die Anträge einzugehen, wobei ich auf den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD eigentlich gar nicht näher eingehen möchte, weil aus unserer Sicht die darin enthaltene Aufforderung nicht nötig war. Die Landesregierung ist im Grunde schon dabei, das zu tun, was in diesem Antrag gefordert wird. Der Ausschuss war von Anfang an und regelmäßig beteiligt, und zwar unter anderem einmal mehr auf unsere Initiative hin, wie Sie sicherlich noch wissen.

Interessant sind die Fragestellungen in dem Antrag der FDP-Fraktion. Ich möchte nur eine herausgreifen, die mich wirklich besonders betroffen gemacht hat. Dabei geht es um den vorletzten Punkt, mögliche Fehlanreize zu erörtern, da es, wie es in dem Antrag heißt, für bislang nicht gemeldete Personen, die keine Leistungen bezogen, auch attraktiv sein kann, sich arbeitslos zu melden, um in den Genuss der öffentlichen Beschäftigung zu gelangen.

Was soll ich daraus schlussfolgern, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion? Jede und jeder, die oder der sich aufgegeben hat, weil sie oder er sich für endgültig chancenlos hält, jede und jeder, die oder der die Hoffnung endgültig verloren hat, soll bitte auch in diesem Zustand verbleiben. Oder was soll ich daraus schlussfolgern? Diejenigen, die aufgrund der Bürgerarbeit neue Hoffnung schöpfen, werden laut FDP fehlangereizt. Ich finde dafür keine Worte.

(Beifall bei der LINKEN)

Mindestens genauso interessant ist die Begründung zu dem Antrag der Fraktion der FDP. Laut FDP soll die intensivere Betreuung auch eine abschreckende Wirkung besitzen. Ich muss fragen: Auf wen oder was soll die intensivere Betreuung eine abschreckende Wirkung haben?

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Auf die Schwarz- arbeiter!)

Auf die Nichtleistungsempfängerinnen und -empfänger vor Bürgerarbeit, auf die Chancenlosen vor dem Ar

beitsmarkt? - Mir ist das wirklich rätselhaft. Das müssen wir in der Tat diskutieren.

Interessant sind die Forschungsansätze der Studie selbst. Wir bekommen den Ansatz „Workfare“ erklärt, der zweierlei besagt. Er sagt zum einen: Es ist genug Arbeit da. Es fehlt nur die Bereitschaft, diese Arbeit zu den angebotenen Einkommen anzunehmen. Das ist das eine Problem. Zum anderen fordert er Leistung und Gegenleistung mit dem Effekt, dass für die Arbeitslosen erstens die Freizeit und zweitens die Möglichkeit zur Schwarzarbeit eingeschränkt werden soll. Das ist der Ansatz Workfare.

Ein anderer Ansatz bezieht sich auf den sozialen Arbeitsmarkt. Er geht davon aus, dass Gruppen von Menschen existieren, die keine Arbeit am Markt finden können, was allerdings an ihren eigenen Defiziten liegt. Diese Menschen brauchen also irgendeine Beschäftigung, damit sie sich irgendwie nützlich fühlen können.

Beide Ansätze vernachlässigen eine nicht zu übersehende Tatsache, nämlich dass es auf diesem so genannten Arbeitsmarkt schlicht und einfach an Arbeitsplätzen fehlt. Ich brauche, ehrlich gesagt, keine jahrelangen Forschungsarbeiten, um festzustellen, dass Menschen keine Arbeit auf nicht vorhandenen Arbeitsplätzen annehmen können,

(Beifall bei der LINKEN)

ganz zu schweigen von gut bezahlten Arbeitsplätzen.

Übersehen wird, dass Arbeit ohne Ersatz entfällt. Wir beklagen das ja nicht einmal. Natürlich entfällt Arbeit. Seit fast 10 000 Jahren gibt es den Prozess, dass menschliche Arbeit durch Maschinen, durch Automaten und jetzt inzwischen auch durch moderne Kommunikationsmittel ersetzt wird. Das ist nichts Neues, sondern das ist einfach so.

Auf der anderen Seite ist die Gesellschaft aber nicht bereit, die Wahrnehmung vorhandener Arbeit zu finanzieren. Das sind Sektoren, die - zumindest gilt das für den Moment - angesichts der sozialen Schieflage in diesem Land zunehmend Bedeutung erhalten.

Die Arbeit muss deshalb dort gesucht, angeboten und finanziert werden, wo der Markt sie aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nicht anbietet, wo der Markt aus nachvollziehbaren Gründen versagt. Für diese Arbeit brauchen wir nicht nur die von der Gesellschaft als tatsächlich chancenlos Eingestuften, um nicht „die von der Gesellschaft als chancenlos Abgestempelten“ zu sagen. Das sagt das IAB selbst in seiner Studie. Die Erfahrungen in Bad Schmiedeberg beweisen, dass die Tätigkeit in der Bürgerarbeit vielleicht nicht immer, aber zumindest zum Teil anspruchsvoller sind als Tätigkeiten in Arbeitsgelegenheiten und dass man deshalb auf höher qualifizierte Arbeitslose zugehen musste, um diese Plätze besetzen zu können.

Diese Evaluierung spricht - das müssen Sie uns zugestehen - aus unserer Sicht für die Einführung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Ich werde das nachher wiederholen.

(Beifall bei der LINKEN)

Problematisch finden wir den in der Studie erhobenen Vorwurf, dass nicht lange genug aussortiert werde. Die Studie sagt an einer Stelle im Grunde genommen, dass der Prozess der ersten drei Stufen nicht lange genug

gedauert hat, dass man viel länger hätte warten müssen, um zu gucken, ob sich nicht doch irgendwo noch ein schlecht bezahlter Arbeitsplatz oder eine andere Maßnahme findet, dass also nicht lange genug aussortiert wurde. Diese Frage würde ich gern einmal mit den Autorinnen und den Autoren diskutieren.

Problematisch ist auch die Aussage auf Seite 35 der Studie: Die erhöhte Betreuungsintensität schlug sich im Beobachtungszeitraum jedoch kaum in zählbaren Erfolgen, das heißt in Abgängen in reguläre Beschäftigung oder in Abmeldung aus dem Leistungsbezug nieder. - Uns hat das nicht gewundert.

Frau Dirlich, können Sie die Diskussion bitte in den Ausschuss verlegen? Sie sind schon mehr als zwei Minuten über die Zeit.

Seit Jahren sagen wir, dass es nicht an der zu geringen Betreuung oder an der Arbeitsunwilligkeit der Arbeitslosen liegt, sondern an fehlenden Arbeitsplätzen. Ich wiederhole deshalb die Forderung nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, der Bestandteil des ersten Arbeitsmarktes sein muss. Wenn ein neuer Sektor mit neuen Arbeitsplätzen entsteht, werden Arbeitslose darauf zugewiesen werden können.

Ich bin der FDP-Fraktion nicht nur dafür dankbar, dass ich hier zwei Minuten länger reden konnte,

Jetzt sind es drei Minuten!

sondern auch deshalb, weil wir solche Diskussionen sonst gern hinter verschlossenen Ausschusstüren führen. Diese Diskussion muss aber dringend öffentlich geführt werden. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Sie haben es ja doch noch geschafft. - Jetzt erteile ich Frau Hampel das Wort.

(Frau Hampel, SPD: Ich verzichte!)

- Sie verzichtet. - Herr Professor Dr. Paqué hat noch einmal das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, auch ich hätte eigentlich ganz gern verzichtet, muss nun aber doch noch einige Sätze sagen.