Protocol of the Session on November 16, 2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie recht herzlich und eröffne die 30. Sitzung des Landtages. Ich hoffe, Sie haben gestern eine interessante parlamentarische Begegnung verlebt. Ich möchte mich noch einmal beim MDR und bei allen, die daran mitgewirkt haben, bedanken.

Meine Damen und Herren! Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

(Unruhe)

- Ich bitte, den Lärmpegel etwas zu dämpfen, damit Sie mich auch verstehen können.

Wie bereits gestern bekannt gegeben, werden heute Ministerin Frau Dr. Kuppe, Minister Herr Dr. Haseloff und Staatsminister Herr Robra nicht anwesend sein.

Ich setze nunmehr die 16. Sitzungsperiode fort und rufe verabredungsgemäß Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung der Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt Frau Wernicke zum Thema: „Global denken, lokal handeln - Landwirtschaft vor neuen Herausforderungen“

Im Ältestenrat ist eine Debatte mit einer Redezeit von insgesamt 130 Minuten vereinbart worden. Die Redezeit verteilt sich wie folgt auf die Fraktionen: DIE LINKE 24 Minuten, SPD 23 Minuten, FDP zehn Minuten und CDU 37 Minuten.

Meine werten Damen und Herren! Ich erteile nun Ministerin Frau Wernicke zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort. Frau Ministerin, bitte schön.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landwirtschaft erlebt eine Renaissance, an die vor einem Jahr noch niemand geglaubt hätte. Ich als Landwirtschaftsministerin freue mich darüber, dass dieser Zweig der Volkswirtschaft endlich wieder die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient. Schließlich ist die Landwirtschaft eine der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts.

Kaum jemand erinnert sich noch an die Zeiten, in denen der Begriff „gute Butter“ geprägt wurde. So hieß es, weil die Butter hohe Wertschätzung genoss. Sie kam nicht jeden Tag auf das Brot. In den letzten Jahren wurde die Butter zum Symbol einer verfehlten Landwirtschaftspolitik und verkam zur Ramschware. Dieses Schicksal teilten viele Agrarprodukte. Kaum jemand machte sich noch Gedanken um sein täglich’ Brot; denn man bekam es jederzeit zum niedrigen Preis.

Erst durch steigende Lebensmittelpreise wurde wieder ins Bewusstsein gerückt, dass Essen und Trinken Grundbedürfnisse sind, die es zu sichern gilt. Dabei liegen die Preise jetzt erst auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Es zeigt sich nun sehr deutlich, dass wir in einer Welthandelswirtschaft leben. Denn die Ursachen für die Preissteigerungen sind nicht allein hausgemacht; sie haben vielmehr einen globalen Hintergrund.

Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr die Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Steigende Einkommen in den Schwellenländern führen zu einer stärkeren Nachfrage nach tierischen Produkten und somit nach Futtermitteln. Zusätzlich drehte der Bioenergieboom, unter anderem durch den hohen Erdölpreis und die Klimaschutzerfordernisse angekurbelt, an der Preisschraube. Eine Prise Spekulation heizte die Preisspirale zusätzlich an. Deren Höhepunkt scheint derzeit zum Beispiel bei Weizen schon überschritten zu sein.

Mittel- und langfristig geht der Trend zu höheren Preisen. Wir müssen auch mit stärkeren Schwankungen um dieses höhere Preisniveau herum rechnen. Aber das Gefühl, wieder einen anerkannten Stellenwert in der Gesellschaft zugewiesen zu bekommen, tut unseren Landwirten gut.

Noch ist die Stimmung besser als die tatsächliche Lage. Der Kuchen der gestiegenen Lebensmittelpreise wird unter vielen Marktteilnehmern aufgeteilt. Der Landwirt bekommt hiervon oft nur einen kleinen Teil. Ein Brötchen wurde im Durchschnitt um 5 Cent teurer. Der Handel begründet dies mit gestiegenen Rohstoffpreisen. Der Getreideanteil an den Kosten für ein Brötchen liegt aber nur bei ca. 2,1 %, also grob gerechnet bei 0,5 Cent.

Während die Ackerbauern endlich ihren Investitionsstau angehen, kämpfen die Veredlungsbetriebe derzeit mit steigenden Kosten bei den Futtermitteln. Ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an die schwierige Lage der Ferkelerzeuger, die gegenwärtig Geld drauflegen. Trotzdem können wir optimistisch in die Zukunft schauen. Laut dem aktuellen Konjunkturbarometer schätzen die Landwirte ihre aktuelle und künftige Lage besser denn je ein.

Es täte uns aber nicht gut, meine Damen und Herren, von der Rote-Laterne-Mentalität in die der rosa Brille zu wechseln; denn angesichts der Globalisierung des Wettbewerbs und der Liberalisierung der Märkte braucht die Landwirtschaft Rahmenbedingungen, die Wachstum und Erfolg nachhaltig ermöglichen und nicht behindern. Hierfür, meine sehr verehrten Damen und Herren, stehe ich ein.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin zunächst froh darüber, dass die Chance der Agrarreform 2003 erkannt und genutzt wurde, wenn auch nicht in vollem Umfang. Die Landesregierung hat sich sehr frühzeitig für mehr Markt ausgesprochen. Das in Deutschland gewählte Kombimodell ist vom Grundsatz her zwar ein Regionalmodell, aber eines, das bis an den Rand des EU-Standardmodells ausgereizt wurde. Infolgedessen haben wir den größten Nachteil der EUBetriebsprämie übernommen, mit dem wir bzw. unsere Landwirte noch eine lange Zeit leben müssen.

Der vielfach kritisierte historische Bezug der Prämiengewährung wurde nicht nur übernommen, sondern länger als notwendig konserviert. Es war ein Irrtum zu glauben, dass die betriebsspezifische Zahlung der Tierprämien auch die Tierhaltung im Unternehmen erhält; denn auch diese Prämien werden entkoppelt gezahlt. So braucht für den Bezug der Prämien eigentlich kein Stück Vieh mehr im Stall zu stehen. Denen aber, die in der Zukunft tatsächlich wettbewerbsfähig Tiere halten wollen, wird dieses Geld vorenthalten.

Ich konnte mich damals mit meiner Position leider nicht durchsetzen. In der aktuellen Diskussion über die Zu

kunft der Agrarpolitik fehlen uns wichtige Argumente. Ich denke, dass die Bundesländer auf dem Weg zu mehr Marktnähe seinerzeit auch Boden verschenkt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Globalisierung ist ein unumkehrbarer weltwirtschaftlicher Prozess, der auch um die Agrarwirtschaft und um SachsenAnhalt keinen Bogen macht. Der Trend zur Liberalisierung des Welthandels hält an und wird durch den Druck der WTO-Verhandlungen noch zunehmen.

Es ist zu erwarten, dass der Außenschutz und die Exportsubventionen weiter abgesenkt und noch bestehende handelsverzerrende interne Stützungen fallen werden. Für den Agrarsektor bedeutet dies die Zunahme von Importdruck, von Preisdruck, aber auch von Chancen auf den Märkten.

EU-innergemeinschaftlich erzeugte hochwertige Lebensmittel sind im Ausland geschätzt und insbesondere wir in Deutschland bzw. in Sachsen-Anhalt profitieren davon; denn wir alle wissen, dass Sachsen-Anhalts Ernährungswirtschaft seit Jahren stetige Wachstumserfolge aufweist. Seit Jahren bildet sie eine der stabilen Säulen der sachsen-anhaltischen Wirtschaft.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Mit 17 % der Bruttowertschöpfung des Landes ist der Anteil der Ernährungswirtschaft doppelt so hoch wie auf Bundesebene. Dabei kann sich die Ernährungswirtschaft auf eine stabile Landwirtschaft stützen.

Wir - hiermit meine ich die Europäische Union - sollten unter dieser Prämisse im Rahmen der WTO-Verhandlungen bei der Landwirtschaft nicht unser letztes Hemd ausziehen. Die Verhandlungen dürfen nicht zu einer reinen Agrarrunde verkommen. Es muss einfach aufhören, im Landwirtschaftsbereich immer wieder Zugeständnisse anzubieten.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungs- bank)

Die Europäische Union hat insbesondere mit der GAPReform und der Reform der Zuckermarktordnung große Vorleistungen erbracht. Jetzt sind von den Verhandlungspartnern entsprechende Gegenleistungen gefragt.

Einen völlig freien Markt um jeden Preis können wir uns aber nicht leisten. Dieser Preis wäre für die ländlichen Regionen nicht zu verkraften und das europäische Landwirtschaftsmodell wäre akut gefährdet.

Es muss bei den weiteren Verhandlungen auch darum gehen, Arbeitsschutz-, Sozial- und Umweltstandards im Regelwerk der WTO angemessen zu berücksichtigen. Dazu zählen auch Mindeststandards in den Bereichen Verbraucherschutz und Tierschutz. Diese Standards liegen in der Europäischen Union höher als in vielen anderen Gebieten der Welt; das darf nicht ignoriert werden.

Darüber hinaus brauchen wir die Beibehaltung eines Außenschutzes für sensible Produkte. Ich denke dabei an Milch und Rindfleisch, aber auch an den Schutz von geografischen Ursprungsangaben. Gerade diese geben uns auf den internationalen Märkten ein unverwechselbares Profil.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungs- bank)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahrzehntelang war die Agrarpolitik durch eine unüberschaubare

Flut von staatlichen Eingriffen geprägt. Direkte Marktstützungsmaßnahmen haben teilweise Marktsignale überdeckt. Der Landwirt wurde zum Subventionsoptimierer. Die Kosten der Agrarpolitik stiegen. Man steuerte gegen die Richtung, in die man vorher gerudert war.

Jetzt leben wir seit zwei Jahren mit einer reformierten gemeinsamen Agrarpolitik und ihrem Kernpunkt, der Entkopplung. Erste Auswirkungen des Mehr an Markt werden sichtbar. Außerdem wurden in dieser Reform Direktzahlungen zugunsten des ländlichen Raumes gekürzt, ihre Ausreichung an die Einhaltung umfassender Fachrechtsbestimmungen gekoppelt. Das heißt, die Landwirte erhalten Direktzahlungen, weil sie gesellschaftlich wertvolle Leistungen erbringen, bei der Produktqualität ebenso wie bei der Erhaltung der Kulturlandschaften und beim Schutz unserer Naturressourcen.

Ich höre immer wieder den Einwand, dass eigentlich nur gesetzliche Anforderungen erfüllt würden, und werde gefragt, ob die Zahlungen dafür dann wirklich gerechtfertigt seien. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass innerhalb der EU ein sehr hoher Maßstab im Bereich des landwirtschaftlichen Fachrechtes erreicht ist. Dieses von der Europäischen Union vorgegebene System verknüpft nun die Auszahlung der EU-Direktzahlungen mit der Einhaltung wesentlicher Produktionsnormen. Der Landwirt muss, wenn er dagegen verstößt, nicht nur ordnungsrechtliche Konsequenzen tragen; vielmehr können gegebenenfalls auch Kürzungen seiner Beihilfen bis zum kompletten Wegfall die Folge sein, wenn er gewisse Fachrechtsvorgaben nicht einhält. Das heißt, der Landwirt der Gegenwart wird immer mehr zu einem Garanten des Tierschutzes, des Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes.

Folgt man Umfrageergebnissen, müsste man eigentlich meinen, dass der Verbraucher diesen Standard entsprechend honoriert. Aber bei Kaufentscheidungen wird oft genug der Preis über Qualität und Regionalität gestellt. Ein Beispiel ist die Entwicklung der Biobranche. Seitdem Bio boomt, strömen in nie da gewesener Menge Importwaren auf den EU-Markt. Eine große deutsche Wochenzeitung hat sich kürzlich mit diesem Phänomen befasst. Sie befürchtet, dass Bio nunmehr verramscht wird. Tatsächlich werden diese Waren rund um den Globus hergestellt, und es gibt laut diesem Bericht kaum jemanden, der für diese Importe, zumindest was die Bioprodukte anbelangt, die Hand ins Feuer legen will. Ich meine, auch das ist eine wichtige politische Aufgabe.

Eine weitere Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion ins Ausland kann nicht unser Ziel sein. Denn eine zunehmende Abhängigkeit von Importen in dem sensiblen Bereich der Grundversorgung in Kauf zu nehmen hieße, sich sowohl quantitativ als auch qualitativ in eine Abhängigkeitsposition zu begeben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Eine Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion ist auch aus der Sicht der Klimaschutzpolitik bedenklich; denn der Großteil dieser Importe weist eine negative CO2-Bilanz auf.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Das ist ein nicht unwesentliches Argument dafür, die Dinge sehr sorgfältig auszutarieren. Damit will ich einem Mehr an Markt nicht die Bedeutung absprechen, wohl aber für eine insgesamt differenziertere Betrachtung werben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie merken schon an diesen Ausführungen: Eine aktive Landwirt

schaftspolitik hat nicht nur für die Landwirtschaft selbst, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger Europas weiterhin eine große Bedeutung.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungs- bank)

Aber - auch das ist nicht zu verschweigen - auf eines müssen sich die Landwirte einstellen: Der Direktzahlungstopf wird in Zukunft nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit gefüllt sein.

Wir diskutieren derzeit bei der Agrarpolitik und den dafür vorgesehenen Mitteln über zwei wesentliche Ansatzpunkte. Zum einen geht es im Rahmen des so genannten Gesundheitschecks, also einer Art Halbzeitbewertung, um Korrekturen bei der Umsetzung dieser jüngsten Agrarreform. Parallel hierzu werden auch Grundsatzdiskussionen über den finanziellen Aspekt, über den EUHaushalt geführt. In diesem Zusammenhang geht es um die künftige Bedeutung der Agrarpolitik und der Landwirtschaft in Europa schlechthin.

Es hat derzeit den Anschein, als ob die Kommission bereits im Hinblick auf den Gesundheitscheck die finanziellen Weichen dahin gehend stellen will, dass zukünftig Mittel aus dem Agrarhaushalt für andere Zwecke frei gemacht werden sollen; denn die Vorschläge, die die Höhe der Zahlungen an die Landwirte betreffen, gehen weit über das hinaus, was im Rahmen der finanziellen Disziplin eigentlich nötig wäre.

Also: nur Korrekturen? Ich denke, es geht um mehr. In erster Linie geht es darum, dass die Kommission eine Anhebung der Modulation erwägt, bei der bekanntlich Mittel aus der ersten Säule, also aus der Direktzahlungssäule, wenn ich das so sagen darf, in die zweite Säule verlagert werden. Derzeit sind dies 5 %. 5 % der Mittel fließen von der ersten Säule in die zweite Säule. Dieser Wert soll schrittweise auf 13 % angehoben werden.

Darüber hinaus ist eine degressive Kürzung der Direktzahlungen unter Berücksichtigung der Zahlungshöhe geplant. Als Stufen, bei denen steigende Kürzungssätze zur Anwendung kommen sollen, werden derzeit Zahlungshöhen von 100 000 €, 200 000 € und 300 000 € diskutiert. Als höchster Kürzungssatz sind 45 % im Gespräch.

Dadurch würden die Landwirte im Land viel Geld verlieren und die Kaufkraft im ländlichen Raum würde enorm zurückgehen; denn ein Rückfluss dieser Mittel in die Regionen oder an die Landwirtschaft ist nicht sicher und derzeit nicht erkennbar. Selbst wenn man dieses Problem lösen würde, muss uns klar sein, dass die Mittel aus der zweiten Säule auch mit Landes- und Bundesmitteln kofinanziert werden müssten.