Protocol of the Session on April 27, 2007

Mindestlöhne würden also in beiden Fällen die Attraktivität von Billigkonkurrenz gegenüber tarifgesicherten Bereichen verringern und damit denjenigen eine Chance am Markt geben, die mithilfe von qualifizierten und motivierten Mitarbeitern eine besondere Qualität der Leistung anbieten.

Das ist übrigens auch ein Problem, das sich in der letzten Zeit immer stärker zeigt. Gerade dort, wo wir diese Billiglöhne in höherer Quantität haben, lässt die angebotene Leistung immer stärker nach. Solange es jedoch in dieser Bundesrepublik keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt, existiert ein extremer Druck auf all diejenigen Unternehmen, die ihre Leute anständig bezahlen. In dieser Situation befinden wir uns jetzt.

Deswegen ist es unser Anliegen, dass der öffentliche Auftraggeber, so wie es in diesem Land auch schon einmal Gesetz gewesen ist, Aufträge nur an diejenigen vergibt, die Tariflöhne bezahlen.

Natürlich wissen auch wir, dass es gerade im Osten Deutschlands massenhaft Tariflöhne gibt, die unter einem vernünftigen Mindestlohn liegen. Aber auch solche

Tarifverträge sind letztlich eine Folge der Tarifflucht von Unternehmen.

Jetzt, Herr Franke, komme ich noch einmal zu Ihrem Beispiel: Verdi bei der Walter Telemedien 14 000 €. Was soll Verdi denn machen? Es gibt zwei Alternativen: Entweder ich schließe einen miserablen Tarifvertrag ab, so wie Verdi das hier getan hat, oder ich habe überhaupt keinen Tarifvertrag.

Der Arbeitsmarkt ist ein Markt ist ein Markt ist ein Markt. Wenn ich diesen Markt nicht reguliere, stehen die Gewerkschaften von vornherein auf völlig verlorenem Posten. Das ist das Problem.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich kann der Gewerkschaft Verdi natürlich den Vorwurf machen, dass sie bei der Walter Telemedien ein solches Tarifangebot unterbreitet hat. Aber, liebe Leute, was soll die Gewerkschaft bei 20 % realer Arbeitslosigkeit denn machen? Was soll sie machen, wenn Sozialhilfeleistungen im Sinne von Hartz IV immer weiter abgesenkt werden und die Leute natürlich irgendwann für 4,50 € arbeiten gehen, weil es so viele Leute gibt, die diese Arbeit sofort annehmen, weil es keinen Druck für die Arbeitgeber mehr gibt, Tarifverträge abzuschließen? Dann habe ich eine Situation, in der Gewerkschaften im Osten die miserabelsten Tarifverträge mit 3,60 € bis 3,80 € unterschreiben.

Das ist eine schlimme Situation, das ist aber einfach die Logik des Marktes, wenn man ihn nicht reguliert. Deswegen müssen wir ihn mit gesetzlichen Mindestlöhnen regulieren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Man kann viel über die Situation der Gewerkschaften meckern. Ich finde auch, dass gerade die DGB-Gewerkschaften eines nicht rechtzeitig verstanden haben: Sie haben sich in ihren kuscheligen Bereichen der ehemaligen Staatsunternehmen viel zu spät um das gekümmert, was ansonsten auf dem Markt passiert. Dieses Problem haben wir im Bahnbereich, dieses Problem haben wir im Postbereich und dieses Problem haben wir auch im Telekombereich. Aber die objektiven Voraussetzungen sind angesichts der Arbeitsmarktsituation, in der wir uns jetzt befinden, für die Gewerkschaften auf der anderen Seite auch hundsmiserabel. Deswegen haben sie da relativ wenig Chancen.

Eines ist natürlich auch klar: Wir werden durch den Erhalt solcher sozusagen an den ehemaligen Staatskonzern angelehnten Unternehmen auf die Dauer den Damm nicht halten. Wenn die Sache auch jenseits dieser Unternehmen einfach zu attraktiv geworden ist, wird dieser Damm irgendwann brechen. Deswegen müssen wir uns um die Löhne der privaten Konkurrenten im Bahnbereich, im Postbereich, im Telekombereich kümmern. Das ist eben der Weg des gesetzlichen Mindestlohnes, damit sich die Billigkonkurrenz nicht in dieser Art und Weise entwickeln kann. Deswegen ist diese Variante unumgänglich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich will jetzt noch kurz etwas zu Ihrem Alternativantrag sagen. Nun ja, der Punkt 2 beinhaltet die entsprechende Passage aus dem Koalitionsvertrag. Sie wollen sich also bis Ende dieses Jahres Zeit lassen. Nun gut, ich bin gespannt, was dann passiert. Bis Ende dieses Jahres will die Koalition also eine gemeinsame Position zu der Fra

ge der Mindestlöhne bekommen. Klasse! Das stelle ich mir richtig gut vor.

Also der Ministerpräsident, der definitiv gesagt hat, dass er gegen Mindestlöhne ist, wird wahrscheinlich am Ende dieses Jahres, wenn sich die Koalition entsprechend entschieden hat, sagen, dass er von nun an ausdrücklich für Mindestlöhne sei. Er wird überzeugend überall dafür kämpfen und er wird die Menschen von dieser Idee begeistern. - Dazu sage ich: Unabhängig von seinem Alter traue ich ihm dies beim allerbesten Willen nicht mehr zu.

Die umgekehrte Variante: Nehmen wir einmal an, die Koalition verständigt sich darauf, die Geschichte mit den gesetzlichen Mindestlöhnen nicht weiter zu verfolgen. Was macht dann der Kollege Bullerjahn? Zieht er die von ihm im Rahmen der Unterschriftenkampagne geleistete Unterschrift zurück oder sagt er, als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD sei er zwar dafür, aber als stellvertretender Ministerpräsident jetzt dagegen? - Dazu sage ich: Das können wir zweifellos so machen, aber dann müssen wir uns über die nächste Wahlbeteiligung auch nicht mehr wundern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb sage ich: Bekennen Sie jetzt Farbe! Die sieben Monate Aufschub bringen Ihnen auch nichts.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Und dann Ihr Punkt 1, den finden alle gut. Dort heißt es: Wir sind gegen Lohndumping und gegen sittenwidrige Löhne. - Gut, Leute, wenn wir gegen Lohndumping sind, ist das eine interessante Botschaft. Nur, wir sind jetzt gerade nicht bei Emnid, wir sind gerade nicht an dem berühmten Telefonhörer, über den gefragt wird: Sind Sie für oder gegen Lohndumping? - Bei dieser Fragestellung sind die meisten dagegen, wir auch. Aber wir sind ein Landesparlament. Wenn wir gegen Lohndumping sind, dann müssen wir als Landesparlament, als politisch entscheidendes Gremium den Leuten auch sagen, was wir gegen Lohndumping tun wollen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Entschuldigung, das vermisse ich in diesem Antrag, das vermisse ich in unserer Beschlusslage. Das finde ich Klasse, dass wir dagegen sind. Es bleibt aber die Frage zu beantworten: Was sollen wir jetzt dagegen tun? Auf diese Idee ist offensichtlich bei diesem Antrag keiner gekommen.

(Herr Gürth, CDU: Es gibt eine Reihe von Maß- nahmen, die noch gar nicht angewendet werden!)

- Jetzt kommt wenigstens einmal ein bisschen Stimmung in die Debatte!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Und dann gibt es auch zum Problem sittenwidrige Löhne noch einen entsprechenden Passus. Dabei taucht die Frage auf, was sittenwidrige Löhne sind. Sittenwidrige Löhne kann man in etwa so definieren, wie es Roosevelt 1937 getan hat. Er hat in etwa gesagt: Alle Unternehmen, die nur deswegen leben, weil sie ihren Mitarbeitern so wenig Geld geben, dass sie davon nicht in Würde leben können, müssten eigentlich abgeschafft werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wenn ich diese Perspektive übernehme, bedeutet das, dass Löhne nur sittengerecht sind, wenn ein Mensch

von ihnen in Würde leben kann. Dazu haben wir in der bundesdeutschen Gesetzgebung eine entsprechende Benchmark, wenn man das einmal so sagen kann: das ist der Pfändungsfreibetrag, der etwa bei 1 000 € liegt. 1 000 € netto müsste also jemand bekommen. Dann könnte man sagen, dass alle Löhne unter 7,50 € oder 8 €, je nachdem, wie man das berechnet, sittenwidrig wären.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Ich befürchte nur, dass das nicht gemeint ist. Gemeint ist offensichtlich etwas anderes, nämlich die aktuelle Diskussion darüber, dass man auf der Bundesebene jetzt überlegt, ein praktiziertes Rechtsprechungsverfahren zu veranlassen, wonach man die Löhne, die 30 % unterhalb der untersten Tarifgruppe oder unterhalb der ortsüblichen Löhne liegen, als sittenwidrig bezeichnet. Also 30 % geht noch, aber bei 40 % würde es sittenwidrig sein. Nun gut.

Wir haben doch aber im Osten Deutschlands massenhaft Tarifverträge, nach denen die Stundenlöhne 3 €, 4 € oder 5 € betragen. Somit beginnt die Sittenwidrigkeit bei uns also bei einem Stundenlohn von 3 € pro Stunde. - Dazu sage ich: Das kann doch nicht wirklich die Antwort auf diese Frage sein.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ist doch nicht der politische Ausweg, der an dieser Stelle genommen wird. Außerdem haben Sie noch das nächste Problem, nämlich dass es die Leute vor Gericht auch noch individuell einklagen müssen. Wir wissen doch aber, wie die Arbeitsmarktsituation in vielen, gerade in den davon betroffenen Bereichen ist: Wer muckt, der fliegt. An dieser Stelle haben sie keine reale Chance, vor Gericht diese Dinge einzuklagen.

(Herr Gürth, CDU: So ein Quatsch! - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Deswegen sage ich ausdrücklich: Nein, das ist nicht der Weg, auf dem man gehen kann. Ich glaube, das wissen gerade die Sozialdemokraten sehr gut. Deswegen sagen wir: Nein.

Ich fordere Sie an der Stelle auf: Bevor Sie sich in der Koalition auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, der eine Null ist, lassen Sie lieber den Dissens stehen. Denn das, was hier drin steht, ist weiße Salbe. Die wirklich politische Alternative ist unser Antrag. Stimmen Sie diesem zu! - Danke.

(Starker Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Nun bitte Ihre Frage, Herr Kosmehl.

Herr Kollege Gallert, dass Sie ein Problem mit dem Markt haben, hätte ich wissen müssen.

(Herr Dr. Eckert, Linkspartei.PDS: Wir reden über soziale Marktwirtschaft!)

Ich will Ihnen mit meinen Fragen die Gelegenheit geben, vielleicht etwas klarzustellen, weil ich glaube, dass das falsch rübergekommen ist. Sie haben versucht, am Beispiel der Deutschen Post darzustellen, dass es schwierig ist, wenn Wettbewerb herrscht. Verstehe ich Sie rich

tig, dass Sie den Wettbewerb auf dem Postmarkt, also beim Briefmonopol, nicht wollen, höhere Porti weiterhin haben wollen, anstatt es im Wettbewerb zu ermöglichen, dass Mitbewerber Porti, die niedriger sind als die vom staatlichen Mitbewerber, anbieten? Wollen Sie, dass der Verbraucher höhere Entgelte zahlt, anstatt durch den Wettbewerb hervorgebrachte niedrigere Anbote zur Verfügung zu haben?

Ja, Herr Kosmehl, das ist die Geiz-ist-geil-Ideologie. Natürlich kann ich versuchen, die Preise gerade durch diesen Wettbewerb substanziell zu drücken; das ist völlig richtig. Dadurch habe ich natürlich erst einmal einen positiven Effekt auf der Seite der Verbraucher.

An dieser Stelle mache ich aber einmal eine gesamtgesellschaftliche Bilanz auf. Diese ist hochinteressant und ist uns auf der letzten Tagung von Verdi-Vertretern zum Thema Mindestlohn eröffnet worden. Im Berliner Senat hat man auch überlegt, den eigenen Postverkehr auf einen privaten Anbieter zu übertragen. Dadurch hätte man 5 Millionen € im Landeshaushalt einsparen können. Daraufhin kamen die Kollegen von Verdi und haben gesagt, dass man auch die Kosten, die an anderer Stelle entstehen, betrachten muss, nämlich die Sozialkosten und die Kosten für Hartz IV und Ähnliches, weil die Leute dann arbeitslos werden und die ergänzende Sozialhilfe für die Turnschuhbrigaden bezahlt werden muss. Bei dieser Betrachtung ist herausgekommen, dass die gesellschaftlichen Kosten dafür bei 7 Millionen € lagen. Daraufhin hat man angefangen zu überlegen, ob das Sinn macht. Genau das ist die Situation.

Wir als Politiker haben die Verantwortung, den Markt so zu regulieren, dass er nicht gesellschaftliche Verwerfungen in dieser Größenordnung hervorrufen kann. Weil ich weiß, dass der Arbeitsmarkt ein Markt ist, muss ich ihn regulieren, weil er ansonsten völlig blind gesellschaftlich katastrophale Situationen hervorbringt. Ich darf ihn nur akzeptieren, wenn ich ihn so reguliere, wie ich ihn unter anderem mit einem gesetzlichen Mindestlohn regulieren kann.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dann ist das sich daraus ergebende Preisniveau auch das realistische. Dies ist dann nämlich kein über die ergänzende Sozialhilfe staatlich subventioniertes Preisniveau mehr, sondern das sind dann die Kosten, die wirklich für diese Leistungen anfallen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)