Protocol of the Session on June 8, 2006

Wer dem so geänderten Antrag in der Drs. 5/15 - -

(Herr Miesterfeldt, SPD, meldet sich zu Wort)

- Bitte.

Unsere Formulierung war nicht „Beschlussfassung“, sondern „Befassung im Kabinett“.

Aha. Ich habe es nicht ausgeschrieben. Dann stolpert man über seine eigenen Abkürzungen. Also: „zeitnah nach der Befassung im Kabinett“.

Wer dem so geänderten Antrag in der Drs. 5/15 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Der Antrag ist einstimmig angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 7 beendet.

In Abstimmung mit allen Fraktionen werden wir jetzt den Tagesordnungspunkt 9 - Reform der bundesstaatlichen Ordnung - vor dem Tagesordnungspunkt 8 - Umweltstraftaten - behandeln.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Erste Beratung

Position zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/25

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Klein. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Föderalismusreform stand ja in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach auf der Tagesordnung; nicht zuletzt war es auch ein Thema der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten am 16. Februar 2006 mit der deutlichen Ansage: Sachsen-Anhalt wird der Reform zustimmen.

Eigentlich ist in Berlin und auch in Sachsen-Anhalt alles gesagt. Auch die neue Regierung hat ihre Auffassung schon in diversen Interviews bekundet. Die Opposition hat sich nun in ihrer Zusammensetzung geändert. Für die Linkspartei.PDS kann ich zumindest sagen: Ja, eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung ist notwendig. Die Frage aber ist: Was soll eigentlich wie reformiert werden?

Rund 40 Änderungen des Grundgesetzes sind vorgesehen. Damit haben wir historisch betrachtet die komplexeste Änderung des Grundgesetzes vor uns. Aber der große Wurf ist die Föderalismusreform nicht. Der Spannungsbogen ist groß; grundsätzliche Fragen waren und sind zu beantworten gewesen, was aus unserer Sicht aber nur ansatzweise passiert ist, weil es vielleicht auch gar nicht gewollt war.

Es gab in den vergangenen Wochen eine äußerst umfangreiche Anhörung von rund 100 Expertinnen und Experten, die sehr interessant war und die Probleme aus den unterschiedlichen Sichtweisen heraus beleuchtete. Fast alle Sachverständigen meinten: Ja, die Reform muss sein, aber... Dann kamen die unterschiedlichen Bedenken, Kritiken, Hinweise und Änderungswünsche.

Auf dieses Aber kam von der Politik zum Teil schon während der Anhörung die Feststellung, dass die Experten zwar Recht haben mögen, aber geändert werde nichts mehr. So äußerte sich auch unser Ministerpräsident am 1. Juni 2006 in einem „Volksstimme“-Interview - ich zitiere -:

„Es würde überhaupt nichts bringen, den Sack wieder aufzuschnüren. Wir würden ihn nicht wieder zubekommen, weil jeder andere Forderungen stellen würde.“

Stoiber, einer der Väter der Reform, sprach gar:

„Das ist ein Gesamtwerk, das ist eine Gesamtkomposition.“

Deshalb also habe ich manches nicht verstanden. Die Föderalismusreform ist ein Kunstwerk und Kunstwerke muss man ja wirklich nicht unbedingt verstehen.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS - Herr Borg- wardt, CDU: Sie müssen das gerade sagen!)

Aber das demokratische Zusammenwirken von Bund und Ländern sollte kein Kunstwerk sein. Insofern war diese Mammutanhörung, die ich mir angetan habe und etliche Kollegen von mir auch, eigentlich eine Farce,

eine Schau für diejenigen, die doch noch einmal nachfragen wollten; denn eigentlich will man ja gar nichts ändern an der Föderalismusreform, egal wie gut oder wie schlecht die einzelnen Vorschläge sind. Ich bin gespannt, ob die SPD-Kollegen in ihrer heutigen Fraktionssitzung in Berlin sich doch noch zu einigen wichtigen Änderungsvorschlägen durchringen können.

(Herr Tögel, SPD: Wir auch!)

- Sie auch, gut.

Ziel des Bundes war es, die Zustimmungsrechte der Länder im Bundesrat zurückzudrängen und so gegenseitige Blockaden abzubauen. Die Länder streben im Gegenzug an, substantielle eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu erringen. Eigentlich gab es auch das Ziel, dass am Ende ein Mehr an demokratischer Transparenz und größere Handlungsfähigkeit aller staatlichen Ebenen stehen sollten. Dem werden die Vorschläge nur teilweise gerecht. Große Kritik gibt es insbesondere zu den Themen Bildung, Dienstrecht, Umwelt und Strafvollzug.

Fraglich ist, ob es letztlich überhaupt gelungen ist, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze - für viele scheinbar die einzige Meßlatte - zu senken; denn durch den in Artikel 104a Abs. 4 (neu) des Grundgesetzes angelegten Finanzierungsvorbehalt wird die geplante Absenkung der Zustimmungsquote de facto wieder unterlaufen.

Der hohen Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze liegt doch seit Jahrzehnten ein anderes Problem zugrunde: Die Mitbestimmungs- und Zustimmungsbefugnisse im Bundesrat wurden und werden immer weniger als Kontrollinstrumente und Gegenwicht verstanden, sondern parteipolitisch als Kampfinstrumente, um den im Bund Regierenden jeweils die Zustimmung verweigern zu können.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Nun soll zwar die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze reduziert werden, aber das Ende eines machtpolitischen Missbrauchs ist noch kein gelungener Neuanfang; denn mit der nun erfundenen Abweichungsgesetzgebung der Länder kann das Spiel munter weitergehen.

Deshalb musste auch die Bundesstaatskommission im Jahr 2004 scheitern und erst mit der großen Koalition konnten Franz Müntefering und Edmund Stoiber die Reform auf den Weg bringen, weil das Kräfteverhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat nun durch andere Konstellationen bestimmt wird.

Die konstruktiven Funktionen des Föderalismus, die in den vergangenen Jahrzehnten durch parteipolitische Machtspiele im Bundesrat immer weniger eine Rolle spielten, werden mit der geplanten Reform aber nicht wieder zum Leben erweckt. Die veränderten Bedingungen sowohl in der Bundesrepublik als auch in der Europäischen Union und in der Welt wurden überhaupt nicht mitgedacht - höchstens noch beim Streit über Artikel 23 Abs. 6 des Grundgesetzes, in dem es um die Mitwirkung der Länder auf der EU-Ebene geht, wenn die ausschließliche Gesetzgebungshoheit der Länder betroffen ist.

Was aber sind Aufgaben, die der Gesamtstaat, der Bund, wahrnehmen müsste, was sind Aufgaben, die die Länder wahrnehmen müssten, und was sind Aufgaben, über die eher in den Regionen entschieden werden sollte? - Entscheidungskompetenzen und Gestaltungsressourcen entschweben gegenwärtig in immer fernere Räume.

Sie entschwinden so jedem Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung. Spätestens hierbei geht es aber nicht mehr nur um ein Ost- oder um ein linkes Thema, sondern es geht um ein liberales, um ein demokratisches Thema schlichtweg.

Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn auf der EU-Ebene Regeln vereinbart werden, die den nationalen Handlungsrahmen einschränken - das findet ja dauernd statt -, zugleich aber Soziallasten mehren, dann landen diese in aller Regel bei den Kommunen - bei zunehmend verschuldeten, hilflosen und dann auch fremdbestimmten Städten, Gemeinden und Landkreisen, die dann von der Kommunalaufsicht verwaltet werden müssen. - Das aber, wage ich zu behaupten, war nie das Grundanliegen einer föderalen Bundesrepublik. Unabhängig vom Grundanliegen ist ein solcher Umgang aus unserer Sicht auch nicht zukunftsfähig.

Die Frage ist, wie müsste Föderalismus heute aussehen, unter den Bedingungen der Globalisierung und einer Europäischen Union, in der für 25 Staaten ein Binnenmarkt existiert und in der zwölf Staaten eine gemeinsame Währung haben. Diese Diskussion ist ausgeblendet worden im Zusammenhang mit der ganzen Föderalismusdebatte.

Die Ausweitung der Bundeskompetenzen war auch eine Reaktion auf diese Entwicklung in der EU. Hilft nun dagegen Kleinstaaterei oder muss nicht wenigstens im Zuge einer ernsthaften Föderalismusreform auch über eine sinnvolle Länderneugliederung nachgedacht werden?

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

- Danke, Herr Rothe.

Das ist übrigens auch bei vielen Sachverständigen immer wieder zu hören und nachzulesen gewesen. Dabei geht es nicht einmal unbedingt um die immer wieder diskutierte Frage, was da alles an Finanzen eingespart werden könnte. Das ist eine Milchmädchenrechnung; denn - das wissen wir - aus zwei armen oder drei armen Staaten wird kein reicher Staat.

(Zustimmung bei der FDP - Herr Stahlknecht, CDU: Das gilt für die Kommunen auch!)

Die Aufgaben bleiben ja auch erhalten. Aber es geht um wirkliche Kompetenzen bis dahin, das Mitspracherecht der Länderparlamente auch auszugestalten.

Einer der Sachverständigen meinte in der Anhörung, die Reform ermögliche den Bürgerinnen, künftig bei Wahlen endlich zwischen Landes- und Bundespolitik unterscheiden zu können. Die Landtage könnten dann endlich richtig Landespolitik machen. - Schön wär’s, kann ich dazu nur sagen. Die Föderalismusreform wird uns weder mehr Transparenz und Bürgernähe bringen, noch macht sie den Bürgerinnen deutlich, dass sie künftig bei Landtagswahlen wirklich Landespolitik wählen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist blanke Augenwischerei; denn - ich hatte es schon gesagt -: Die meisten Entscheidungen werden auf EU-Ebene getroffen. Die Bundesrepublik hat ihre Hoheit auf den wirklich entscheidenden Gebieten mit Einverständnis der Länder - nicht der Bürgerinnen und Bürger; denn Volksentscheide gab es nicht -, zum Beispiel auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Geldpolitik, schon längst an die EU abgegeben. Hierbei haben wir eigentlich nur noch bedingt Regelungsmöglichkeiten.

Ja, wir wollen mehr Transparenz und Bürgerinnennähe, mehr Mitwirkungsrechte für Landtage, und das nicht nur dort, wo Standards aufgrund der miesen Kassenlage nach unten gesenkt werden müssen.

Nehmen wir die Diskussion zum Solidarpakt II. Abgesehen davon, dass es eigentlich schon sehr ungewöhnlich ist, diesen im Grundgesetz zu verankern - bisher waren solche Abkommen nie Bestandteil des Grundgesetzes; das heißt, spätestens im Jahr 2019 muss das Grundgesetz wieder geändert werden; denn danach soll es den Solidarpakt ja nicht mehr geben -, sind wir uns in Sachsen-Anhalt - so habe ich das verschiedentlich immer wieder gehört und auch gelesen - parteiübergreifend einig, dass Mittel aus dem Solidarpakt zum Beispiel auch für Bildung ausgegeben werden sollten.

Hier brauchen wir echte Länderkompetenz und keine Regelungen vom Bund. Der Bedarf der einzelnen Länder ist nun einmal verschieden. Dem sollten die Länder Rechnung tragen müssen.

Das betrifft auch die Gelder für eine aktive Arbeitsmarktpolitik. In unserem Land sind wir uns weitgehend darin einig, dass die Hauptursache für die hohen Arbeitslosenzahlen nicht die Faulheit der Arbeitslosen ist, sondern die fehlenden Arbeitsplätze. Das mag in Bayern anders sein. Deshalb wäre an dieser Stelle die Länderkompetenz notwendig und nicht die Kompetenz der Bundesagentur für Arbeit.

Auch beim Informationszugangsgesetz wäre eine Länderkompetenz möglich und sogar notwendig. Dann haben wir die Chance, es auszugestalten.