Protocol of the Session on December 14, 2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dass wir darauf nicht reagieren, wird dieses Land in zehn, 15 Jahren verdammt teuer zu stehen kommen.

Ich will ein letztes Problem anreißen, das mir ganz besonders am Herzen liegt, vor allem nach dem Montag und dem gestrigen Tag, an denen ich an zwei Veranstaltungen teilgenommen habe, die versuchen, darauf zu reagieren. Wir haben in diesem Landtag sehr häufig und sehr intensiv über die zunehmende soziale Polarisierung in Sachsen-Anhalt und in dieser Bundesrepublik gesprochen. Wir haben politische Alternativen vorgelegt und politische Forderungen gestellt, die genau diese soziale Situation berühren. Aber ich sage ausdrücklich, dass dies jetzt nicht mein Thema werden wird. Mein Thema

wird sein, dass wir leider zur Kenntnis nehmen müssen, dass die zunehmende soziale Polarisierung in diesem Land mit einem erheblichen Verlust an Vertrauen in die Demokratie einhergeht.

Nun sage ich: Es ist für uns als Linkspartei auch ein interessanter Diskussionsprozess, den wir verfolgen, in dem man auf einmal sieht - die Studien der Friedrich-EbertStiftung hierzu stehen ganz vorn -, dass wir nach Hartz IV, nach dem Abbau von Arbeitnehmerrechten und nach der Senkung der Steuerquote eine große Gruppe von Menschen in diesem Land haben, die in permanenten Existenzängsten leben und überhaupt keine positive Perspektive mehr für sich erkennen. Es ist bemerkenswert, dass dies jetzt zur Kenntnis genommen wird. Das hätte man vielleicht schon vorher absehen können, aber es ist gut, dass eine Diskussion darüber überhaupt stattfindet. Die fand so vor einem Jahr nicht statt.

Jetzt haben wir ein Problem, und zwar nicht nur, dass die Demokratie für diese Gruppe von Menschen, egal wie ich sie benenne, bei uns extrem an Attraktivität verloren hat, sondern dass - und das ist logisch - eine Gesellschaft und ihre internen Wirkungsweisen insgesamt an Ansehen und an Identifikation verlieren, und zwar in allen sozialen Schichten dieser Gesellschaft, wenn sie nicht in der Lage ist, große Gruppen von Menschen zu integrieren, und wenn sie nicht in der Lage ist, großen Gruppen von Menschen eine Perspektive in dieser Gesellschaft zu zeigen. Deswegen hat soziale Polarisierung mit dem Verlust an Vertrauen in Demokratie zu tun.

Ohne dass mit der sozialen Frage alles zu erklären wäre, müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass diese Dinge vorangeschritten sind, dass sie fortgeschritten sind. Wenn der Ministerpräsident zum Beispiel in Bitterfeld den Thüringen-Monitor erwähnt hat, dann sehen wir, wie deutlich sich diese Prozesse gerade in Ostdeutschland vollziehen.

Es wird übrigens in absehbarer Zeit auch eine Vorlage für Sachsen-Anhalt dazu geben. Der DGB hat eine entsprechende Studie bei dem Heitmeyer-Institut in Bielefeld in Auftrag gegeben. Wir werden diese Dinge mit in unsere Überlegungen einbeziehen.

Wir haben es hierbei inzwischen mit einer ausgesprochen ernsten Situation zu tun. Diese ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass die Rechtsextremen in unserem Land so stark wären. Sie ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass die Identifikation mit der Demokratie so schwach geworden ist, dass es zu wenig Leute gibt, die sich auf die Straße stellen und versuchen, aktiv etwas dagegen zu tun,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

und dass zu wenig Leute versuchen, die Demokratie aktiv zu verteidigen. Ich sage das durchaus - das gebe ich gerne zu - auch vor dem Hintergrund unserer eigenen komplizierten Geschichte. Aber wir sind wirklich in einer schwierigen, extrem schwierigen Situation.

Ich sage auch ausdrücklich: Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Initiative „Hingucken! - Für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“, die aus dem Netzwerk für Demokratie und Toleranz entstanden ist. Wir sagen ausdrücklich: Ja, es ist nicht ein Schritt, der alles möglich machen wird, aber das ist der Schritt, der erst einmal unbedingt notwendig ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Wir sagen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: So eine Aktion lebt natürlich nur vom Mitmachen. So eine Aktion lebt natürlich nur von der Identifikation mit ihr. Aber das ist ein Ruf in die Gesellschaft hinein. Das müssen wir bitte selbst erst einmal vormachen.

Angesichts dessen war ich schon sehr verwundert darüber, dass ich in Bitterfeld von meinen Kollegen Fraktionsvorsitzenden keinen gesehen habe. Ich war sehr verwundert darüber - das muss ich Ihnen auch ganz deutlich sagen -, dass von den drei anderen Fraktionen die Teilnahme, gelinde gesagt, sehr dünn gewesen ist. Wissen Sie, wenn wir schon selbst ausstrahlen, dass wir uns damit nicht identifizieren, was verlangen wir dann von der Zivilgesellschaft, die bei einer solchen Aktion mitmachen soll?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

An dieser Stelle muss ich noch auf ein Problem hinweisen, das in der Rede des Ministerpräsidenten sehr deutlich geworden ist, nämlich die Relation zwischen der Zivilgesellschaft, die so etwas machen soll, und der staatlichen Unterstützung. Ich hatte übrigens in meinem Redemanuskript stehen: Das Problem hat die gesamte Landesregierung. - Nein, hat sie nicht. Ich habe gestern die einführenden Worte von Justizministerin Frau Dr. Kolb gehört. Sie hat das Problem nicht. Sie hat das Problem offensichtlich erkannt. Aber, Herr Ministerpräsident, Sie haben es.

Es geht um die Frage, ob staatliche Unterstützung nötig ist, wenn die Zivilgesellschaft die Demokratie verteidigen muss. Dazu sage ich: Natürlich ist die nötig. Natürlich brauchen wir dafür den ehrenamtlichen Bürgermeister. Natürlich brauchen wir den überzeugend auftretenden Demokraten. Aber wir brauchen dafür eben auch die professionelle Unterstützung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

In Bitterfeld waren genau die Menschen, die sich ehrenamtlich und neben ihrem Beruf dafür engagieren, oder auch Lehrer, die sich in ihrem Beruf dafür engagieren, was längst nicht mehr selbstverständlich ist. Die haben genau diese Forderung aufgestellt: Natürlich brauchen wir eure Unterstützung. Natürlich brauchen wir entsprechende finanzielle Mittel. Natürlich brauchen wir Profis, die uns beraten.

Schauen wir uns doch Pretzien an. Was ist denn da passiert? - Da waren natürlich die ehrenamtlichen Gemeinderäte und der Bürgermeister völlig überfordert. Und geholfen haben ihnen in einer solchen Situation Profis. Übrigens waren das Profis aus einer Nichtregierungsorganisation, die wir mit Mitteln ausgestattet haben. In dem Dorf haben auch sechs Verfassungsschützer gewohnt. Denen ist nichts aufgefallen, übrigens auch nicht dem ehemaligen Innenminister; sie haben an dieser Stelle nichts gemacht. Aber die haben an dieser Stelle geholfen. Deswegen fordern wir Geld dafür.

Wir werden wir die Dinge konkretisieren und im Januar vorlegen. Aber wir sagen: Ohne Geld geht es nicht. Geld dafür auszugeben ist nicht die Alternative zu zivilem Engagement, sondern Geld dafür auszugeben bedeutet die Unterstützung von Zivilgesellschaft.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb stellen wir heute einen Antrag dazu. Das, was dafür im Haushalt vorgesehen ist, ist zu wenig.

Abschließend ein Resümee. Wir haben als Landesparlament zu beurteilen, ob dieser Landeshaushalt die gesellschaftlichen Probleme des Jahres 2007 und der Folgejahre in Sachsen-Anhalt anpackt. An drei Beispielen habe ich Ihnen aufgezeigt, dass das nicht passiert ist: doppelter Abiturjahrgang, Kommunalfinanzen, die entsprechende Finanzierung für Aktionen gegen Rechtsextremismus. Genau deshalb, liebe Kollegen, werden wir diesem Landeshaushalt nicht zustimmen. Er ist nicht die Antwort auf die Probleme. Er ist das Zeichen dafür, dass die Koalition die Probleme nicht erkennen will und nicht lösen wird. - Danke.

(Lebhafter Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Herr Gallert. - Für die CDU erteile ich das Wort dem Abgeordneten Herrn Tullner. Bitte schön, Herr Tullner.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein lieber Herr Gallert, am Anfang dachte ich, dass Sie sich nach Berlin verabschieden wollen, wie das Herr Ramelow in Thüringen auch gemacht hat. Aber ich habe dann doch festgestellt, dass es wahrscheinlich eher daran lag, dass Sie im Ausschuss nicht dabei waren. Ihre allgemeinen Betrachtungen, die Sie dargelegt haben, sind sicher auch richtig und von grundlegender Natur, aber, so denke ich, hatten mit dem Landeshaushalt wenig zu tun.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der Links- partei.PDS)

Was die drei anderen konkreten Punkte angeht, würde ich darauf im Laufe meines Beitrages an den entsprechenden Stellen eingehen, weil es sich lohnt, dazu noch nähere Ausführungen zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel Haushalt gab es nie, zumindest was den Umfang der Vorlagen anging. Wir haben im Finanzausschuss seit September Papierberge bewegt. Ich möchte die Vorlagen im Einzelnen kurz aufführen: Es war das Nachtragshaushaltsgesetz 2005/2006, das Haushaltsgesetz 2007, das Haushaltsbegleitgesetz 2007 in zwei Fassungen, zweimal Haushaltsvorlagen und zweimal Ergänzungsvorlagen. Daran kann man, denke ich, ganz gut erkennen, dass wir die Beratungen durchaus ambitioniert geführt haben und führen mussten, um die Kongruenz der Diskussionen in unsere Debatten einzubeziehen.

Auch ich möchte mich bei allen, die schon erwähnt worden sind, bedanken. Ich würde es im Interesse des zügigen Verlaufs auch dabei belassen und nicht die, die vorher schon erwähnt worden sind, noch einmal einzeln aufführen.

Meine Damen und Herren! Uns war bewusst, dass dem Parlament aufgrund der schnellen Erarbeitung der Entwürfe innerhalb der Landesregierung und der Reihenfolge der Erstellung - erst der Haushaltsplan 2007, dann der Nachtragshaushaltsplan 2005/2006 - eine besondere Verantwortung bei den Beratungen zuwachsen würde. Es galt nachzuarbeiten und divergierende Entwicklungsstränge zwischen den Haushaltsplänen 2006 und 2007 zu beseitigen. Ich behaupte, dass wir diesem selbstgestellten Anspruch gerecht geworden sind. Hinzu

kam die neue politische Konstellation, deren praktische Erfahrungen es erst zu realisieren galt.

Für die Finanzpolitik ist zu konstatieren, dass wir einen guten Start hingelegt haben und dass das intensive Studieren des Koalitionsvertrages anderen Kollegen überlassen werden konnte.

Mit Blick auf den Start möchte ich, wie auch im Ausschuss, Gesine Schwan zitieren, die in einem Essay über Hannah Arendt formuliert hat, dass Wahrheit die Basis von Macht und Gemeinsamkeit darstelle. Oder anders formuliert: Gutes Regieren muss zunächst auf der Wahrnehmung der Realität fußen.

Ich glaube, die Finanzpolitik hat in den letzten Jahren parteiübergreifend gute Grundlagen für das Erkennen der durchaus bitteren Realitäten gelegt. Zu dieser Wahrheit gehört aber auch die Tatsache, dass angesichts der ökonomischen Rahmendaten in diesem Herbst die üblichen Verteilungskonflikte weitgehend ausgeblieben sind und dass heute fast alle Kollegen sehr zufrieden hier im Raum sitzen.

Aber wo stehen wir heute in unserem Land? - Die wirtschaftliche Lage ist deutlich besser geworden. Wir als CDU-Fraktion betrachten sie außer als Auswirkung der nationalen Faktoren auch als Ergebnis unserer Arbeit der letzten vier Jahre, in denen wir gemeinsam mit den Liberalen die Regierungsverantwortung innehatten.

(Zustimmung von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Ich bin Jens Schmidt von der „Volksstimme“ dankbar dafür, dass er unlängst in seinem Kommentar die Ursachen für die sich aufhellende Finanzpolitik eben auch an den schmerzhaften Einschnitten festmachte, die wir in der letzten Wahlperiode beschlossen haben und die uns wahrlich nicht leicht gefallen sind. Denn der Vorwurf unserer geschätzten Kollegen von der PDS - das haben Sie, Herr Gallert, noch einmal wiederholt -, dieser Haushalt unterscheide sich kaum von dem der Vorgängerregierung, ist für uns eben kein Vorwurf, sondern vielmehr die Bestätigung des Konsolidierungskurses, den wir hier seit dem Jahr 2002 fahren -

(Zustimmung bei der CDU und von Frau Dr. Hüs- kens, FDP)

jetzt mit anderen Akzenten und Motivationen und auch unter positiveren Rahmenbedingungen; ich sagte es bereits. Aber es ist eben kein neuer Kurs, den die große Koalition fährt.

Meine Damen und Herren! Das verarbeitende Gewerbe wächst, die Arbeitslosenzahlen sinken deutlich, landesweit auf 16 %, vor einem Jahr waren es noch 17,6 %. Die allgemeine Lage hellt sich auf.

Natürlich wissen wir um die Risiken der Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr; natürlich wissen wir um die Fragilität des Aufschwungs an sich. Der positive Trend ist ein Fakt, mit dem wir verantwortungsvoll umzugehen wissen; denn wir können beileibe nicht zufrieden sein. Der Trend der Demografie, die sozialen Problemlagen und die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land an unsere Lösungskompetenz sind uns wohl bewusst. Das spiegelt sich auch in den Zahlen der Etatentwürfe wider.

Die Ausgangslage für die Beratungen der CDU-Fraktion war unsere Positionierung, die wir im Ergebnis der Klausurtagung im August 2006 vorgenommen haben. Damals haben wir gesagt, wir wollen die Mehreinnahmen

nutzen, um möglichst viele Risiken frühzeitig abzubauen. Das Ziel, den Begriff der Nettoneuverschuldung ab dem Jahr 2010 in die Abteilung „Historische Betrachtungen“ zu verlagern, ist dabei die oberste Handlungsmaxime für die CDU-Fraktion. Dazu gehörten eben die Kredite des Talsperrenbetriebes, die Verlustvorträge von Landesbetrieben und die Reduzierung der Verschuldung an sich.

Im Ergebnis lauten die Globaldaten nach den Etatberatungen wie folgt: Die Nettoneuverschuldung im Jahr 2006 wird von 783 Millionen € auf 750 Millionen € und im Jahr 2007 von 550 Millionen € auf 430 Millionen € gesenkt. Somit sinkt die Kreditfinanzierungsquote - ein paar Zahlen dazu kann ich Ihnen nicht ersparen - im Jahr 2007 auf sage und schreibe 4,3 %.

Die Investitionsquote - der Minister ist darauf eingegangen - ist erfreulich hoch. Ich verweise natürlich auf die kritische Reflexion dieser Zahl im Hinblick auf die Bildungsquotendiskussion. Dennoch ist sie ein Beleg für den vom Minister zitierten Dreiklang: Konsolidieren - Investieren - Vorsorgen.

Die Steuerdeckungsquote liegt bei 48,3 %. Sie steigt an, aber wahr ist auch: Wirtschaftlich schwache Westländer liegen bei über 70 %. Daran kann man den Handlungskorridor erkennen, in dem wir uns in den nächsten Jahren bewegen werden.

Wir können also sagen, dass die Mehreinnahmen gemäß der Steuerschätzung im Verhältnis 1 : 1 in den Abbau von Schulden und Altverpflichtungen bzw. in die Vorsorge gegen neue Risiken - Stichwort Pensionsfonds - geflossen sind.

Alle Mittel für zusätzliche Wünsche, Herr Gallert, sind durch Einsparungen im Etat selbst erwirtschaftet worden. Ich denke, das ist ein klares Bekenntnis der Koalition dazu, dass sie ihrer Verantwortung in der Finanzpolitik gerecht werden will.