Protocol of the Session on November 14, 2002

Der EU-Konvent hat Ende Oktober seine derzeitige Vorstellung über die Struktur der künftigen Verfassung der Öffentlichkeit präsentiert. Der EU-Konvent, meine Damen und Herren, kommt mit seiner Arbeit scheinbar ganz gut voran. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse weisen vielfach in die richtige Richtung, entsprechen aber noch längst nicht all unseren Vorstellungen. Ich möchte deshalb kurz auf einiges hinweisen.

Neben den institutionellen Änderungen von Gemeinschaft und Union soll der Konvent vor allen Dingen eine gemeinsame Grundrechtecharta erarbeiten. In der heute zur Abstimmung gestellten Beschlussempfehlung werden hierzu zwei konkrete Vorgaben gemacht: Unter Punkt 1, dritter Spiegelstrich werden die Inhalte der Grundrechtecharta umrissen. Unter Punkt 2, dritter Spiegelstrich, wird zur Rechtsstellung der Grundrechtecharta und deren Durchsetzung Stellung genommen.

Bereits in der ersten Beratung habe ich vorgetragen, dass die Grundrechtecharta ein Teil des europäischen Verfassungsvertrages werden sollte, weil sie diesen selbst aufwertet und für den Bürger ein transparenter, weil leicht zugänglicher und leicht auffindbarer Zugang zu den Rechten geschaffen wird. Mit unserer Beschlussempfehlung wird nochmals auf diese Notwendigkeit hingewiesen.

Gerade mit Blick auf den Schlussbericht der Gruppe 2 des Konvents vom 22. Oktober 2002 zeigt sich, dass sich bisher noch keine einheitliche Linie in Bezug auf die Frage herausgebildet hat, ob die Grundrechte in den Verfassungsvertrag einbezogen werden oder nicht. Deshalb müssen deren Befürworter auch weiterhin das Wort ergreifen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen liegt heute ein Änderungsantrag der PDS vor. Ich möchte kurz auf diesen eingehen. Die PDS möchte kein eigenständiges Klagerecht für Regionen mit Legislativrecht.

Aber in der Verwirklichung der Idee vom Europa der Regionen werden zunehmend Verantwortung und Aufgaben auf die Mitgliedstaaten übertragen, und diese übertragen sie weiter an die, soweit vorhanden, Regionen mit Legislativrecht. Gerade die Regionen mit Legislativrecht übernehmen Rechte und Pflichten und müssen ihre Rechte auch gerichtlich verteidigen können.

Daher ist die FDP der festen Überzeugung, dass die Regionen mit Legislativrecht ein eigenständiges Klagerecht haben sollten. Den Änderungsantrag der PDS lehnen wir daher ab.

Lassen Sie mich aufgrund der aktuellen Entwicklung auf einen weiteren Punkt des Antrags eingehen und diesen hervorheben. Unter Punkt 2, erster Spiegelstrich wird gefordert, dass das Europäische Parlament weiter zu stärken ist.

Hierzu ein aktuelles Beispiel. Ich will dabei nicht auf meine Verwunderung darüber eingehen, dass man an einem Freitag aus dem Bundesfinanzministerium mit gefüllten Kassen und der eigenen Vorstellung, den Stabilitätspakt einhalten zu können, hinausschlendert und am

Montag bei der Rückkehr plötzlich leere Kassen und einen Verstoß gegen den Stabilitätspakt vorfindet. Wie gesagt, auf diese Verwunderung will ich nicht eingehen. Auch die anschließende Argumentation der rot-grünen Bundesregierung, dass man den Stabilitätspakt und seine Kriterien nicht so ernst nehmen müsse, sondern dies viel flexibler gestaltet werden müsse, ist aus europapolitischer Sicht nicht der Streitpunkt.

Der Streitpunkt ist hierbei - deshalb spreche ich ihn an - die Reaktion des Kommissionspräsidenten. Gerade der Präsident der Kommission sollte darauf bedacht sein, die Einhaltung der Maastricht-Kriterien zu überwachen, auf deren Einhaltung zu pochen und darauf, dass diese Kriterien nicht kleingeredet werden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Frau Fischer, Merseburg, CDU: Jawohl!)

Wenn man die Äußerung des Kommissionspräsidenten Prodi zur Einhaltung oder, besser gesagt, zur Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien aufgreift, erscheint es notwendig, dass nunmehr ein unabhängiges Gremium die Grundsätze der Europäischen Union - dazu zählen die Stabilitätskriterien - schützen muss. Insofern könnte das Europäische Parlament in diesem Punkt gestärkt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird der Beschlussempfehlung zustimmen und den Änderungsantrag der PDS ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Für die PDS-Fraktion spricht Frau Dr. Klein. Bitte schön.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Konvent und damit die Mitgliedstaaten der EU stehen in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren vor großen Herausforderungen. Es ist schon einiges dazu gesagt worden. Die im Vertrag von Nizza vereinbarten politischen und institutionellen Reformen sind gegenwärtig zu knapp gefasst. Entscheidende Zukunftsfragen müssen ernsthaft diskutiert werden.

Neben der bereits vorhandenen Wirtschafts- und Währungsunion muss endlich eine Umwelt-, Beschäftigungs- und Sozialunion kommen. Dies wird unter Punkt 1, erster Spiegelstrich der vorliegenden Beschlussempfehlung vorsichtig angetippt, wobei - dies muss ich der Ehrlichkeit halber sagen - die Formulierung, die darin steht, sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Wir sehen darin, dass das Ziel der nachhaltigen Entwicklung, das Sozialstaatsprinzip, der Schutz öffentlicher Güter und die Forderung der öffentlichen Daseinsvorsorge im konstitutionellen Teil eines neuen EU-Vertrages verankert sein müssen.

Europa darf nicht allein auf den Binnenmarkt und das gemeinsame Geld reduziert werden. Ansonsten wird die Ablehnung der Bürgerinnen und Bürger weiter wachsen. Der Konvent hat die Signale zumindest vernommen und eine Arbeitsgruppe „Soziales Europa“ gebildet.

Sehr unterschiedlich kann auch die Formulierung in der Beschlussempfehlung interpretiert werden, dass die gerichtliche Verteidigung der Grundrechte auf europäischer

Ebene gesichert werden muss. Wir fordern, dass die Grundrechtecharta nicht nur Leitprinzipien für die Organe der Europäischen Union vorgeben soll, sondern dass daraus verbindliche Rechte erwachsen, die von der EU zu wahren sind und die, wenn es sein muss, auch von Bürgerinnen und Bürgern individuell gerichtlich einklagbar sind.

Da die Formulierungen, wie gesagt, sehr vielfältig interpretiert werden können, können wir mit dieser Beschlussempfehlung so umgehen. Unser Problem - das wurde schon gesagt - liegt an anderer Stelle.

Die Forderung, regionalen Gebietskörperschaften mit Legislativrecht vor dem europäischen Gerichtshof ein eigenes Klagerecht zu gewähren, ist aus der Sicht der deutschen Länder durchaus verständlich. Im europäischen Rahmen aber ist es - ich bitte Sie, Herr Kosmehl, um Entschuldigung - eigentlich kleinkariert. Einerseits werden von uns europäische oder gar globale Dimensionen im Denken und Handeln gefordert. Andererseits aber will jede Landesregierung zumindest in Europa zeigen, wer der Fürst im eigenen Hause ist.

(Zustimmung bei der PDS)

Der Unterschied zwischen Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen und bloßen Verwaltungseinheiten wird in diesem Fall und eigentlich wider besseres Wissen überbewertet. Allein die Tatsache, dass eine Region nicht über Legislativkompetenz verfügt, bedeutet nicht, dass sie politisch bedeutungslos ist.

Ferner nützt es uns überhaupt nichts, dass wir uns in Sachsen-Anhalt selbst Gesetze geben können, wenn wir keine Spielräume haben. Erinnert sei an die jüngste Änderung des Sparkassengesetzes. In diesem Zusammenhang sollten, mussten oder durften wir nicht von den Vorgaben der EU abweichen.

Aber auch die Bundesstaatlichkeit selbst tendiert immer mehr zu einem Exekutiv- und Vollzugsföderalismus. Das politische Gewicht der Länder wird nur bedingt durch die Gesetzgebungskompetenzen, viel mehr aber durch ihren politischen Einfluss auf die Bundesgesetzgebung im Bundesrat bestimmt. Das ist hierbei das Entscheidende.

(Zuruf: Genau so ist es!)

Ich habe bereits im Rahmen der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass der Begriff der Regionen nur im Zusammenhang mit den Strukturfonds klar definiert ist. Wir haben im Ausschuss der Regionen eine doppelte Heterogenität, bedingt durch die Unterschiedlichkeit der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften. Diese Unterschiedlichkeit wird zunehmen. Mit der EU-Erweiterung wird sich die Zusammensetzung im Ausschuss der Regionen noch mehr hin zu kommunalen Gebietskörperschaften und Verwaltungseinheiten verschieben. Die Beitrittskandidaten sind im Wesentlichen nicht föderal strukturiert.

Man könnte nun sagen, dass die in der Beschlussempfehlung erhobene Forderung nach Privilegien für die deutschen Länder - denn um die geht es ja vor allen Dingen, von Österreich und Belgien einmal abgesehen - an sich unschädlich ist, weil es dafür in der Europäischen Union kaum Mehrheiten geben dürfte. Der jüngste Napolitania-Bericht, gestern im Ausschuss für europäische Verfassungsfragen diskutiert, geht auch in diese Richtung.

Trotzdem beantragen wir die Streichung dieses Absatzes. Das Klagerecht für Regionen mit Legislativrecht soll diese bevorzugen. Außerdem ist die Repräsentanz der Bundesländer schon heute gegeben, wenn sie denn realisiert würde. Jeder Mitgliedstaat der EU kann einen Vertreter der regionalen Ebene in den Rat delegieren.

Bei Ablehnung unseres Änderungsantrages werden wir uns der Stimme enthalten. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Klein. - Nun spricht Frau Wybrands für die CDU-Fraktion. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg möchte ich der Fraktion der SPD für die gute Zusammenarbeit bei diesem wichtigen Thema danken. Ich werde mich mit diesem Redebeitrag auf die Aspekte konzentrieren, die für die CDU-Landtagsfraktion besonders wichtig sind.

Die CDU-Fraktion ist sich bewusst, dass die Osterweiterung uns vor historisch einmalige Herausforderungen stellen wird. Nun gilt es, diesen Herausforderungen mit einem geänderten verfassungsrechtlichen System gerecht zu werden.

Wir wissen - darin sind sich alle Fraktionen in diesem Hause sicherlich einig -, dass es weitergehender Reformen bedarf, damit die Ziele der Gründungsväter unserer Europäischen Union auch in der Zukunft erreicht werden können. In diesem Zusammenhang ist jedoch der Hinweis erlaubt, dass die Europäische Volkspartei als erste europäische Partei ein umfassendes Konzept für eine europäische Verfassung vorgelegt hat.

Die Fraktion der SPD hat mit ihrem Antrag zum Europäischen Verfassungskonvent einen umfassenden und in weiten Teilen auch in unserer Fraktion zustimmungsfähigen Antrag für die Weiterentwicklung der Europäischen Union und zur Ausgestaltung des Europäischen Verfassungsvertrages vorgelegt.

Unsere Fraktion legt jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass die Diskussion um eine Reform der Europäischen Union keinen Kompetenzkampf zwischen den Mitgliedstaaten der Union darstellt. Nach unserer Auffassung sind dies keine Gegensätze. Im Gegenteil, Europa und die Nationalstaaten sind in unserer globalisierten Welt zwei Seiten derselben Medaille. Wir stellen dabei ausdrücklich fest: Die Europäische Union baut auch weiterhin auf den Nationalstaaten auf.

Aus diesem Grund setzt sich die CDU-Fraktion dafür ein, dass den regionalen Gebietskörperschaften mit Legislativrecht bei Betroffenheit in eigenen Rechten ein eigenständiges Klagerecht vor dem EuGH zu gewähren ist. Die Verankerung der rechtlichen Überprüfbarkeit des Subsidiaritätsprinzips muss durch einen Verfassungs- und Kompetenzsenat des Europäischen Gerichtshofes institutionell abgesichert werden.

Es kann aus der Sicht unseres sachsen-anhaltischen Parlaments eben nicht ausreichend sein, wenn lediglich der Bundesrat in derartigen Situationen klageberechtigt sein soll. Die Wahrung der Interessen der deutschen

Bundesländer kann eben nur abgesichert werden, wenn neben dem Bundesrat auch die deutschen Bundesländer klageberechtigt sind.

In diesem Sinne kann ich Herrn Kosmehl und seinen ausführlichen Ausführungen nur zustimmen und beantrage, dass der Antrag der PDS-Fraktion abgelehnt wird.

Die CDU hat sich im Rahmen der Beratung dem Antrag der SPD-Fraktion im Hinblick auf die Stärkung des Ausschusses der Regionen in der Form, dass ihm Organgestalt eingeräumt wird, letztlich vor allem deswegen angeschlossen, weil unsere Forderung berücksichtigt wurde, dass das Europäische Parlament gestärkt wird. Wie die Beratungen gezeigt haben, ist dies auch eine zentrale Forderung der Sozialdemokraten. Es ist eben nicht ausreichend, nur den Ausschuss der Regionen zu stärken; dessen müssen gerade wir als Parlamentarier uns auch bewusst sein.

Dem Europäischen Parlament als dem Organ, das von allen Bürgern Europas gewählt wird, müssen zukünftig mehr Kompetenzen zustehen, die - hierbei sage ich ausdrücklich: in aller Regel - auch den Parlamenten der Nationalstaaten zustehen. Es muss daher bei der Erarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrages rechtlich abgesichert werden, dass das Europäische Parlament ein dem Rat gleichzustellendes Gesetzgebungsorgan wird.

Dabei möchte ich ausdrücklich die volle Haushaltskompetenz betonen - eine Kompetenz, die gerade in den nächsten Wochen in unserem Hohen Hause unsere demokratische Legitimation zeigen wird.

Weiterhin müssen der Europäische Rat und das Europäische Parlament gleichberechtigte Partner im Entscheidungsprozess werden. Dies sollte zumindest in den Fällen gelten, in denen beispielsweise der Rat mit Mehrheit entscheidet.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bitte Sie daher, der gemeinsamen Beschlussempfehlung von CDU, FDP und SPD zuzustimmen und den Antrag der PDS abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Vielen Dank, Frau Wybrands. - Wir können jetzt abstimmen, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der PDS-Fraktion, der wiederholt genannt wurde. Es handelt sich dabei darum, dass der dritte Stabstrich gestrichen werden soll.

Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Stimmen aus der PDS-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die übrigen Fraktionen. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.