Protocol of the Session on October 11, 2002

Zunächst geht es um die Anerkennung des Abiturs auch für Gesamtschulen. Dazu sind zunächst die Vorschriften der Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II zu beachten. Nach Nr. 7.1.1 der Oberstufenvereinbarung gliedert sich die Oberstufe in eine einjährige Einführungsphase und in eine zweijährige Qualifikationsphase. Je nach Dauer der Schulzeit bis zum Erwerb des Abiturs kann die Einführungsphase auch die Jahrgangsstufe 10 umfassen. Ein systematischer Verzicht auf die einjährige Einführungsphase ist demnach ausgeschlossen. Mithin ist auch an Gesamtschulen eine dreijährige gymnasiale Oberstufe vorzusehen.

Zum Eintritt in die gymnasiale Oberstufe bedarf es einer Berechtigung. Wie diese Zugangsberechtigung an schulformintegrierenden Gesamtschulen erworben wird, ergibt sich aus den Vereinbarungen über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I. Alle Vorgaben, die es derzeit für integrative Bildungsgänge ermöglichen, den Hauptteil des Unterrichts im integrativen Klassenverband zu besuchen und nur in bestimmten Kursen gymnasiale Anforderungen zu stellen, sehen den Erwerb der Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe erst mit dem Ende des 10. Schuljahrgangs vor.

Um aber den originären und integrativen Bildungsgang zu erhalten, haben wir keine andere Möglichkeit für die Gesamtschulen gesehen, als die anschließende dreijährige gymnasiale Oberstufe nach Klasse 10. Diese Anerkennungstatbestände wurden geschaffen, indem man die Gesamtschulen im Land als Regelschulen gesetzlich verankert. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass nicht wir, sondern Sie es waren. Als Modell hätte man einen einfacheren Weg beschreiten können und es wäre sicherlich auch schneller realisierbar gewesen.

Nun gab es konstruktive Gespräche mit den Leitern der Gesamtschulen und unserer Fraktion. Die Schulleiter befürchteten einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie an ihren Schulen 13 Schuljahre bis zum Abitur anbieten müssen. Sie selbst unterbreiteten den Vorschlag, den integrativen Ansatz dahin gehend zu verlassen, dass sie im 9. und 10. Schuljahr einen gymnasialen Zweig anbieten. Damit wäre die Berechtigung laut Oberstufenverordnung erfüllt. Wir werden diesem Vorschlag nicht entgegenstehen. Diese Änderung würde eine Änderung des Gesetzentwurfes bedingen. Wir werden diese Änderungen im Ausschuss einbringen.

Verehrte Anwesende! Ich komme zum Schluss. In den Diskussionen zu diesem Gesetzentwurf mit Vertretern der Verbände, mit Lehrern und den Betroffenen sind wir immer wieder in unserem Anliegen bestärkt worden, dieses sehr zügig zu tun. Gleichzeitig wurde sehr massiv an uns herangetragen, dass wir den katastrophalen Zuständen in unseren Sekundarschulen ein Ende bereiten sollen. Herr Höhn, wer der Sekundarschule geschadet hat - - Ich würde Sie bitten, wenn ich Sie anspreche, dass Sie mich auch anschauen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Wir sind hier doch nicht in der Schule! - Zurufe von Frau Dirlich, PDS, und von Herrn Gärtner, PDS)

Wer hier in der Vergangenheit der Sekundarschule geschadet hat, das ist, glaube ich, sehr klar und deutlich geworden. Die in der Vergangenheit an uns herangetragenen massiven Kritiken an Ihrem unsäglichen A- und B-Kurs-System sind den Schülern nicht mehr zuzumuten. Die Vertreter der Sekundarschulen sagen: Bitte be

eilt euch, macht so schnell wie möglich, dass wir dieses System wieder abschaffen. Es ist wirklich unzumutbar.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP - Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

In diesem Zusammenhang kündige ich schon an, diesem ein Ende zu bereiten.

(Frau Dirlich, PDS: Reden Sie doch mal im Zu- sammenhang!)

Wir werden so schnell wie möglich reagieren. Ich möchte an dieser Stelle ankündigen, dass wir dazu in Kürze eine weitere Änderung zum Schulgesetz in Richtung Reformierung der Sekundarschule einbringen werden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Jetzt spricht Frau Mittendorf für die SPD-Fraktion. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Debatten im Landtag haben wir bereits mehrere Eckpfeiler für die inhaltliche Erneuerung von Schule diskutiert. Wir tun das nach wie vor in den Ausschussberatungen. Das grundlegende Ziel der notwendigen Reform - darüber herrscht, denke ich, parteiübergreifend Einigkeit - besteht darin, die Qualität der inhaltlichen und pädagogischen Arbeit an den Schulen zu verbessern.

Damit, meine Damen und Herren, stellt sich die entscheidende Frage: Welchen Beitrag leistet dieser vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung dieses Zieles in Sachsen-Anhalt? Oder ist es - es ist eigentlich schon beantwortet worden - nur die Umsetzung einer Aufgabe aus der Koalitionsvereinbarung?

Meine Damen und Herren! Der Kultusminister betonte zu verschiedenen Anlässen, dass es ihm um eine inhaltliche Erneuerung der Schule gehe. Herr Olbertz, Sie wissen ganz genau, dass Sie auf diesem Wege unsere volle Unterstützung haben. Die SPD-Fraktion hat nicht umsonst einen Antrag mit dem Titel „Schritte nach Pisa“ eingebracht. Ich bin überzeugt davon, dass wir einige Punkte davon gemeinsam voranbringen werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf wird jedoch diesem Anspruch aus unserer Sicht überhaupt nicht gerecht. Wie in der im Juli verabschiedeten siebenten Schulgesetznovelle werden auch jetzt vorrangig Schulstrukturen verändert, die inhaltliche Debatte nur ansatzweise oder gar nicht geführt.

Meine Damen und Herren! Ich komme konkret zu einigen Vorhaben. Die schrittweise Verkürzung der Schulzeitdauer bis zum Abitur auf zwölf Jahre wird von uns mitgetragen. Das wird immer wieder genüsslich betont. Wir fordern dabei jedoch eine Verknüpfung mit einer inhaltlichen Reform der Oberstufe.

(Zustimmung bei der SPD)

Die vom Kultusministerium geplante Veränderung des gegenwärtigen Kurssystems zugunsten von Unterricht im Klassenverband ist sicherlich ein richtiger erster Schritt, stellt aber bei weitem noch keine hinreichende inhaltliche Reform der Oberstufe dar, sondern ist eine Veränderung in der Substruktur. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausklammerung der integrierten Gesamt

schule von einer Verkürzung der Schulzeit, meine Damen und Herren, ist ein politischer Fauxpas und schulfachlich überhaupt nicht glaubhaft zu begründen.

(Zustimmung von Frau Dr. Kuppe, SPD)

Die Ausführungen des Kultusministers und von Ihnen, Frau Feußner, haben dazu nichts beigetragen. Frau Feußner, es freut uns, dass Sie in der Presse verlauten ließen, dass der Bildungsarbeitskreis der CDU zu der Erkenntnis kam, dass auch integrierte Gesamtschulen ein Abitur nach zwölf Jahren vergeben können. Wie heißt es so schön: besser spät als nie. Für uns war das von Anfang an klar. Wir haben uns dazu geäußert.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Trotz dieses Wissens, meine Damen und Herren, - das ist Fakt, Frau Feußner - sieht der durch die Landesregierung heute eingebrachte Gesetzentwurf eine entsprechende Regelung erst einmal nicht vor.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Dazu muss man sagen: Aufgrund des Gleichheitsprinzips ist es notwendig, dies für Schüler der integrierten Gesamtschulen herzustellen; denn immerhin - man höre und staune - streben ca. 50 % der Schüler dieser Schulform das Abitur an. Im Übrigen wurde an dieser Schulform schon immer das Abitur integrativ in der entsprechenden Zeit abgelegt und dies auch anerkannt.

Meine Damen und Herren! Wir werden alle beim Wort nehmen und genau beobachten, wie Sie mit Ihrer politischen Aussage im Ausschuss und bei den Abschlussberatungen umgehen. Eines kann ich Ihnen versichern: Unsere Fraktion wird konsequenterweise einen Änderungsantrag einbringen.

Noch einige Worte zur Umsetzung der geplanten Verkürzung der Abiturzeit. Der Gesetzentwurf verweist in seiner Begründung auf den zusätzlich notwendigen Lehrkräftebedarf von 485 Vollzeitlehrerstellen für den zusätzlichen Unterrichtsaufwand in der Übergangszeit bis zum Schuljahr 2008/2009. Das muss man sich gerade vor dem Hintergrund der Personalabbaupläne der Landesregierung auf der Zunge zergehen lassen. Ganz deutlich gesagt: Die Verkürzung der Schulzeit kostet richtig Geld.

(Frau Feußner, CDU: Na!)

Vor allem aber - das ist die viel entscheidendere Frage, meine Damen und Herren - muss die Landesregierung entsprechende Voraussetzungen schaffen. Da melden wir ernsthafte Zweifel an; denn die Landesregierung plant bei den Lehrkräften in den nächsten Jahren einen drastischen Personalabbau und - das zeigt auch das gegenwärtige Angebot zur Fortsetzung des Lehrertarifvertrages - dort gibt es Lücken im Hinblick auf die Abdeckung des Lehrkräftebedarfs. Die Lücken in der Unterrichtsversorgung sind aus unserer Sicht vorprogrammiert.

Um den Stoff des 13. Schuljahres in den Übergangsjahrgängen in der verbleibenden Schulzeit zu vermitteln, bedarf es jedoch zusätzlicher Unterrichtsstunden. Das muss erst einmal geleistet werden, meine Damen und Herren, wenn man betrachtet, dass das Land jetzt schon Probleme hat, eine bedarfsgerechte Unterrichtsversorgung vor allen Dingen in den Mangelfächern sicherzustellen.

(Frau Feußner, CDU: Die haben Sie aber nicht geschafft!)

Ich frage Sie, Herr Kultusminister und auch Sie, Frau Feußner: Wie wollen Sie diesen Widerspruch auflösen?

(Frau Feußner, CDU: Das ist kein Widerspruch!)

Es darf nicht dazu kommen, dass der Unterricht in bestimmten Fächern nicht erteilt werden kann;

(Frau Feußner, CDU: Das war wohl bei Ihnen nicht der Fall, oder wie? Die Praxis haben Sie doch eigentlich eingeführt!)

denn dann ist die Anerkennung des sachsen-anhaltischen Abiturs gefährdet.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Meine Damen und Herren! Ein weiterer kritischer Punkt ist die Wiederanbindung der Förderstufe an das Gymnasium. Das täte nicht Not. Mit der ebenfalls wieder eingeführten Schullaufbahnempfehlung nach Klasse 4 werden die Kinder schon ab dem nächsten Schuljahr wieder in Schubfächer sortiert, und - meine Damen und Herren, ich möchte mich ungern wiederholen, ich tue es aber - die Pisa-Studie zeigt, dass in kaum einem anderen OECD-Land so früh mit der Bildungswegetrennung begonnen wird wie in Deutschland und dass die erfolgreich bewerteten Länder genau dies nicht tun. Dort lernen die Kinder weit über die sechste Klasse hinaus gemeinsam.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Das stimmt doch gar nicht! Sie wissen doch selbst, dass das gar nicht stimmt!)

Ungeachtet dessen verkürzt die Landesregierung die Phase gemeinsamen Lernens wieder auf ein Minimum von vier Jahren. Wir halten diesen Schritt für falsch und für anachronistisch.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Meine Damen und Herren! Es reicht eben nicht, nur über Pisa zu reden, man muss auch die richtigen Schlüsse ziehen.

(Frau Pieper, FDP: Das stimmt! Wir ziehen die richtigen Schlüsse!)

Meine Damen und Herren! Die Schullaufbahnempfehlung nach Klasse 6 macht überhaupt nur dann einen Sinn, wenn die Rahmenrichtlinien an allen Schulformen für die Klassen 5 und 6 identisch sind. Von einer Durchlässigkeit der Bildungsgänge von der Sekundarschule zum Gymnasium kann auch keine Rede mehr sein. Ein Schüler der Sekundarschule, der den erweiterten Realschulabschluss abgelegt hat und das Abitur anstrebt, wird zukünftig in die zehnte Klasse zurückgestuft.

(Herr Schomburg, CDU: Ja!)

Er wird also für seine Bildungsambitionen bestraft und benötigt dann doch 13 Jahre bis zum Abitur. Meine Damen und Herren! Das wollen wir nicht, ganz eindeutig.

(Beifall bei der SPD - Herr Schomburg, CDU: Bei Ihnen waren ja alle die 13 Jahre dabei! Sie haben ganze Jahrgänge bestraft!)

Auch ein Wort zu den Kosten und den Folgen.