Protocol of the Session on October 11, 2002

- Aber es ist erst mal eine Bestätigung.

(Herr Gürth, CDU: Ja, natürlich!)

Wir können auch noch darüber streiten. Das werden wir sicherlich auch machen, auch heute.

Mit der gleichen Pressemitteilung werden die Landräte und Bürgermeister daran erinnert, dass es einen Brief gibt, in dem ihnen für weitere Entscheidungen die Verantwortung übertragen wird. Gleichzeitig wurde der Verweis auf die Entscheidung des OVG von 1999 gegeben, wonach keine zusätzlichen Öffnungszeiten bei allgemeinem Kaufinteresse der Kunden oder bei Umsatzinteresse der Händler möglich sind - so steht es geschrieben -, was auch richtig ist. Allerdings wird es anders gehandhabt.

Herr Rehberger, ich bin geneigt, Ihnen als Minister zu glauben, dass Sie den Wildwuchs, den wir jetzt haben, nicht unbedingt wollten. Das will ich einmal voraussetzen. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Handelslobbyisten stärker waren als Sie. Der Kampf um Marktanteile und Umsatz ist eben wichtiger als die Einhaltung und Sicherung des geltenden Rechts, in diesem Fall des Ladenschlussgesetzes. Man könnte auch sagen: Der schnöde Mammon hat über die Moral gesiegt.

Das Ladenschlussgesetz war immer wieder Gegenstand von Diskussionen und wurde als Behinderung der wirtschaftlichen Freiheit der Unternehmer gesehen. Die letzte Auseinandersetzung gab es im Jahr 1999. Anlass waren die Buga in Magdeburg - Herr Polte kann sich daran sicherlich auch noch gut erinnern - und die Ankurbelung des Fremdenverkehrs in Sachsen.

Das war im Grunde die gleiche Situation - so bewerte ich das jedenfalls - wie zurzeit. Sachsen machte den Vorreiter und die Geschäftsleute aus Sachsen-Anhalt forderten einen Schutz gegen Kaufkraftverluste durch zusätzliche Öffnungszeiten. Jeder zeigte mit dem Finger auf den anderen nach dem Motto: Haltet den Dieb, dann werde ich auch wieder ehrlich! Die Regierungspräsidien waren im Jahr 1999 - genauso wie sie es jetzt sind - angehalten, ihre Ermessensspielräume nicht so eng zu sehen und nicht tätig zu werden. Auch das hatten wir also, wie gesagt, im Jahr 1999 schon.

Die erneut entbrannte öffentliche Diskussion erweckt den Anschein, als würde jetzt über das Weiterbestehen des Ladenschlussgesetzes zu entscheiden sein. Allerdings geht es jetzt gar nicht darum, ob wir das Ladenschlussgesetz wollen oder nicht. Zu dieser Debatte kommen wir schneller, als ich dachte. Frau Budde hat darauf hingewiesen: Es ist gestern durch die Presse gegangen, dass es erste Forderungen gibt, auch über das Ladenschlussgesetz erneut nachzudenken.

Nein, es geht um die Frage, ob ein Bundesgesetz in Sachsen-Anhalt - und natürlich auch in Sachsen - umgesetzt wird oder nicht. Ich finde, auch das gehört zur Glaubwürdigkeit von Politikern. Um an die gestrigen Aussagen zu erinnern: Als Demokraten sind wir angehalten, alles dafür zu tun, geltendes Recht, auch wenn es um das Ladenschlussgesetz geht, umzusetzen und einzuhalten. Genau darum geht es.

Nicht die Sorge um die Flutopfer ist die wirkliche Motivation, nein, Marktanteile und die Umverteilung von Kaufkraft sind es. Der Centermanager des Allee-Centers Magdeburg hat sehr deutlich gezeigt, dass es ihm nicht um die Flutopfer allein geht, sondern dass er die Gunst der Stunde nutzen wollte, um mehr Umsätze zu sichern. Deshalb gab es eine halbseitige Annonce in Nieder

sachsen und riesige Aufsteller an der A 2, um mit zusätzlichen Öffnungszeiten niedersächsische Käufer nach Sachsen-Anhalt bzw. Magdeburg zu locken. Auch in der Stadt Halle und im Landkreis Merseburg ist es nicht die Sorge um eine ausreichende Versorgung der Flutopfer. Nein, die Öffnungszeiten in Sachsen, insbesondere in Leipzig, sind der Zankapfel.

Bei der letzten Änderung des Ladenschlussgesetzes im Jahr 1996 wurden den Beteiligten 50 000 Arbeitsplätze und 20 Milliarden DM Umsatz mehr versprochen. Zwei in Auftrag gegebene Gutachten konnten nur rückläufige Umsätze und Beschäftigung bescheinigen. Sie können sich daran sicher auch noch erinnern. Längere Öffnungszeiten bringen eben leider keine höheren Umsätze, dafür brauchen wir mehr Arbeitsplätze.

Führende Wirtschaftsverbände schätzen ein, dass in diesem Jahr am Bau 60 000, beim Handwerk 100 000 und im Einzelhandel 20 000 Menschen weniger beschäftigt werden. Im ersten Halbjahr 2002 ist die in der Geschichte der Bundesrepublik größte Pleitewelle mit einem Verlust von 134 000 Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Auch damit haben wir uns schon gestern befasst.

Das sind Tatsachen, aber noch nicht alle. Es wird noch bei den Banken, in der Industrie, am Neuen Markt und auch bei den Landesbeschäftigten abgebaut. Fast täglich können wir das in der Presse nachlesen. Die Konjunktur werden nicht die Händler mit längeren Öffnungszeiten durch Umverteilung des nicht vorhandenen Geldes ankurbeln. Es werden die Kleinunternehmer, die Sie gerade schützen wollen, die Verlierer sein. Gerade die kleinen Händler, Gewerbetreibenden und Handwerker werden die Verlierer sein, und es werden nur noch Konzerne die Handelsstruktur und auch die Preise bestimmen.

Ja, Herr Rehberger, ich kann Ihre Einschätzung, dass der Bevölkerungsverlust auch ein Verbraucherverlust ist, nur unterstreichen. Die Höhe der Kaufkraft in SachsenAnhalt befindet sich mit 11 708 € unter dem Bundesdurchschnitt, der bei 16 252 € liegt.

Die Zunahme und Neugründung von Handelsunternehmen wirkt sich auf eine weitere Verkaufsflächenexpansion aus. Die Verkaufsfläche betrug im Jahr 1990 in den neuen Bundesländern 6 Millionen m² und im Jahr 2001 17,5 Millionen m². Diese Erhöhung geht zulasten der Beschäftigten: Der Umfang an geringfügiger Beschäftigung nimmt zu; Vollzeitstellen im Einzelhandel werden abgebaut.

Das Arbeitszeitvolumen hat sich im Einzelhandel bundesweit um 1,26 %. verringert. Damit setzt sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fort, in denen das Arbeitsvolumen noch stärker als der Umfang der Gesamtbeschäftigung abnahm.

Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die Umsatzproduktivität je Beschäftigten und je Arbeitsstunde wieder stärker gestiegen ist. Damit erhöht sich der Druck auf die Einzelhändler, ihre Umsätze zu realisieren.

Kleine Händler, Gewerbetreibende und Handwerker haben in den vergangenen Wochen versucht, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Sie haben deutlich gesagt, dass sie von den verlängerten Öffnungszeiten stark betroffen sind. Aus ihrer Sicht sind die jetzt schon möglichen 80 Stunden pro Woche völlig ausreichend. Sie wissen genau, dass die Menschen das Geld, das sie sonntags

ausgeben, an einem anderen Tag in der Woche nicht mehr ausgeben können.

Noch einige Worte zu der viel gepriesenen Freiheit der Händler, selbst zu entscheiden, wann sie öffnen wollen oder nicht. Die Innenstadtcenter bieten für Einzelhandelsgeschäfte meist eine interessante Lage. Wer sich dort einmietet, ist per Mietvertrag verpflichtet zu öffnen, wenn zusätzliche Öffnungszeiten durch das Centermanagement festgelegt werden. Ob sie das können oder wollen, spielt dabei keine Rolle. Bei Nichtöffnen des Geschäfts folgt die Kündigung des Mietvertrages.

(Herr Gürth, CDU: Stimmt!)

- Ja, stimmt. - Haben Sie schon einmal versucht, in Ihrem Einkaufscenter im Auge zu behalten, wie die Geschäftsinhaber wechseln? Machen Sie das einfach einmal. Dahinter verbergen sich auch eine Menge Insolvenzen. - Herr Gürth, nur zum Thema; denn das, finde ich, gehört alles dazu.

Ich möchte Sie auffordern: Beenden Sie die Ausnahmetatbestände zum Ladenschlussgesetz.

Ich denke, Frau Budde hat sich zum Inhalt ausreichend geäußert. Unterstützen Sie unseren Antrag und zeigen Sie Weitsicht. Öffnungszeiten haben auch etwas mit sozialen und ausgeglichenen Handelsstrukturen in Sachsen-Anhalt zu tun.

Wir möchten, dass über unseren Antrag direkt abgestimmt wird.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr, Frau Rogée. - Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die damit verbundene Zehnminutendebatte ein. Als Erster hat für die Landesregierung der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein weites Feld, das hier andiskutiert worden ist. Ich möchte vorab, ohne das zu vertiefen, darauf hinweisen - ich habe das wiederholt auch öffentlich zum Ausdruck gebracht -, dass ich der Überzeugung bin, dass man das Ladenschlussgesetz liberalisieren sollte. Aber ich füge hinzu: Das ist ausschließlich ein Thema des Bundesgesetzgesetzgebers. Ich bin nicht bereit, als Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt das geltende Recht nicht zu beachten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ein weiterer Punkt. Meine Damen und Herren! Die Initiative Mitteldeutschland gehört zu jenen Initiativen der neuen Landesregierung, die ich für besonders wichtig halte und die ich uneingeschränkt überall dort, wo es Sinn macht, voranbringen will. Natürlich war eine solche Katastrophe, die sowohl den Freistaat als auch das Land Sachsen-Anhalt betroffen hat, Veranlassung, vieles zu koordinieren. Aber, meine Damen und Herren, die Initiative Mitteldeutschland kann nie und nimmer bedeuten, dass man von der Oder bis an die Westgrenze Thüringens alles und jedes einheitlich macht, wenn die Unterschiede in der Sache selbst krass sind.

Ich möchte darauf hinweisen: Es gehört sicherlich im Rahmen der Initiative Mitteldeutschland dazu, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr im Großraum Halle/Leipzig, ohne Rücksicht auf die Grenze zwischen den zwei Bundesländern, optimal gestalten. Aber es bedeutet noch lange nicht, dass, wenn wir dort ein einheitliches S-Bahn-Netz schaffen, die S-Bahn bis nach Salzwedel oder bis nach Eisenach geführt werden sollte. Das wäre töricht. Das würde der Sache nicht gerecht werden.

Bei der Bewältigung der Hochwasserkatastrophe hatten wir im Freistaat Sachsen einerseits und in SachsenAnhalt andererseits sowohl rechtlich als auch tatsächlich gewaltige Unterschiede. Was die rechtliche Situation anbetrifft, ist in Sachsen ausschließlich die Landesregierung dafür zuständig, Ausnahmen vom Ladenschlussgesetz zu verfügen - so ist es in § 23 des Ladenschlussgesetzes geregelt. Die Rechtslage in Sachsen-Anhalt ist grundlegend anders.

(Frau Budde, SPD: Ich weiß! Eben drum!)

Seit 1994 sind grundsätzlich nur noch die kreisfreien Städte und die Landkreise dafür zuständig,

(Frau Budde, SPD: Nein!)

Änderungen oder bestimmte Korrekturen im Bereich des Ladenschlusses in Katastrophenfällen herbeizuführen.

Deshalb war es, meine Damen und Herren, schon eine sehr weitgehende Entscheidung, die ich getroffen habe, als ich mich, nachdem die Katastrophe auch unser Land betroffen hatte, für einen vertretbaren Zeitraum auf den Standpunkt gestellt und gesagt habe - die Juristen wissen, was ich damit sagen will -, dass hier ein übergesetzlicher Notstand gegeben sei, der es seitens der Landesregierung rechtfertige - obwohl die Zuständigkeit grundsätzlich bei den kreisfreien Städten und Landkreisen liegt -, landesweit den Ladenschluss für einen bestimmen Zeitraum außer Kraft zu setzen. Nach der förmlichen Rechtslage war es nicht so vorgesehen. Aber ich glaube, es war gerechtfertigt.

Aber eines ist sonnenklar: Mit dem 1. Oktober 2002 und in der Zeit danach kann kein Mensch mehr ernsthaft davon reden, dass in Sachsen-Anhalt landesweit ein Notstand durch das Hochwasser besteht. Wer das behaupten wollte, der würde die Tatsachen auf den Kopf stellen.

Meine Damen und Herren! Da das so ist, da der übergesetzliche Notstand hier lediglich ein Einschreiten der Landesregierung bis zum 30. September 2002 erlaubte, habe ich darauf hingewiesen, dass nach diesem Zeitpunkt allenfalls regional oder in bestimmten Kreisen die Voraussetzungen für Eingriffe in den Ladenschluss noch gegeben sein könnten, nämlich in den Kreisen, die direkt betroffen waren oder die den direkt betroffenen unmittelbar benachbart sind.

In Sachsen, wo die Landesregierung ausschließlich für all das zuständig ist, was bei uns Sache der Kreise ist, haben wir einen zehnfach höheren Schaden und auch flächenmäßig ganz andere Schadensgebiete. Deshalb bin ich mir mit dem Kollegen Gillo von Anfang an darüber einig gewesen, dass in Sachsen anders vorgegangen werden muss als in Sachsen-Anhalt in dem Sinne, dass es bei uns ein regionales und dort ein Gesamtlandesproblem ist. Damit haben wir beide nur der Rechtslage und der tatsächlichen Lage Rechnung getragen.

Weil das so ist, habe ich dann die kommunalen Gebietskörperschaften, die kreisfreien Städte und die Landkreise, darauf hingewiesen, dass nach dem 1. Okto

ber 2002 landesweit die rechtlichen Voraussetzungen auf keinen Fall mehr gegeben seien und auch nicht durch Absprachen geschaffen werden könnten und dass deshalb nur in einzelnen Kreisen, nämlich dort, wo die Voraussetzungen noch gegeben seien, gehandelt werden könne und müsse.

Ich freue mich sehr darüber - das ist keine rechtskräftig Entscheidung, aber immerhin -, dass das Verwaltungsgericht in Halle gestern diese Position ausdrücklich bestätigt hat und darauf hingewiesen hat, dass es in bestimmten Teilen des Landes - nicht im ganzen Land -, die direkt oder mittelbar betroffen seien, gerechtfertigt sei, die Ladenöffnungszeiten über die gesetzliche Regelung hinaus zu gestalten.

Wir bewegen uns demnach auf einem Terrain, das offensichtlich auch von den Gerichten mitgetragen wird. Deshalb sage ich: Das, was hier geschehen ist, war eine adäquate Reaktion auf eine schwierige rechtliche und tatsächliche Problematik.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass ich es sehr gut nachvollziehen kann, dass eine Reihe von kreisfreien Städten und Landkreisen das, was sie nach meiner Überzeugung dürfen, was auch vom Verwaltungsgericht jetzt so bestätigt worden ist, unternommen haben, nämlich die Ladenöffnungszeiten so zu gestalten, dass dem besonderen Einkaufsbedarf der von der Hochwasserkatastrophe Betroffenen Rechnung getragen werden kann.

So verstehe ich auch das Thema Mitteldeutschland, nicht dass wir von Görlitz bis Eisenach und von Salzwedel bis ins Erzgebirge alles gleich gestalten und über einen Kamm scheren, sondern dass wir über die Landesgrenzen hinweg so reagieren, dass gleiche Verhältnisse gleich gestaltet werden.

Deshalb meine ich, dass das, was hier gelaufen ist, in Ordnung war. Ich bin der festen Überzeugung, dass die weitere Entwicklung des Themas - egal, wie die eine oder andere Entscheidung bei Gericht ausfallen wird - mir auch in diesem Punkt Recht geben wird.

Im Übrigen bin ich, wenn Sie das wünschen, gern bereit, mit Ihnen bei nächster Gelegenheit noch einmal gründlich über die Frage zu diskutieren, wie wir bundesweit die Dinge im Ladenschlussbereich neu regeln sollten, damit sie den heutigen Anforderungen gerecht werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Gürth das Wort. Bitte sehr, Herr Gürth.