Protocol of the Session on February 16, 2006

Das eigentliche strategische Problem der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt ist jedoch der Umgang mit der radikal sinkenden Zahl von Schulabgängern ab dem Ende dieses Jahrzehnts. 75 % aller Studenten an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt kommen aus ostdeutschen Bundesländern. Würden alle anderen Parameter so bleiben, würde bis zum Jahr 2015 die Bewerberzahl um etwa 40 % sinken.

Was will aber diese Landesregierung eigentlich? Will sie die Hochschullandschaft um 40 % reduzieren oder will sie den Status quo erhalten? - Ich kenne keine dezidierten Konzepte der Landesregierung dazu. Ich weiß nicht, was sie will, und ich befürchte, es gibt auch keine abgestimmte Position, weil Sie eben keine Vision von diesem Land haben.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Einfach einmal nachlesen!)

Aber auch hier gilt: Zukunft beginnt jetzt oder gar nicht. Wer solche strategischen Aufgaben nicht löst, wird auch nicht in der Lage sein, in diesem Land erfolgreich zu sein.

Eines der kontroversesten politischen Felder der letzten Jahre war und ist die Wirtschaftsförderung, wobei ich auch hier voranstellen will: Die wichtigste Wirtschaftsförderung durch eine Landesregierung ist eine gute Bildungs- und Wissenschaftspolitik.

Die zentrale Frage für die Stimulierung nachhaltiger Wertschöpfungsprozesse ist dann die nach der Überführung von Wissen in Wertschöpfung. Gerade in diesem Bereich hat Sachsen-Anhalt nach wie vor schlechte Voraussetzungen. Unser Anteil an Industrieforschung ist erschreckend niedrig, der Anteil an innovativen Wachstumsbranchen ebenso. Die Landesregierung hat mit ihrer Wirtschaftspolitik, mit möglichst viel Geld möglichst viele Arbeitsplätze zu kaufen, dieses zentrale Problem nicht im Blick.

(Herr Gürth, CDU: So ein Quatsch!)

Die ökonomische Zukunft Sachsen-Anhalts wird aber nicht dadurch entschieden, wie viele zusätzliche Investoren wir noch nach Sachsen-Anhalt einkaufen können; dafür fehlt uns das Geld. Vielmehr müssen wir die eigene, oft kleinteilige und eigenkapitalschwache Unternehmensstruktur stabilisieren. Stabilisierung wird man aber nur dadurch erreichen, dass man mithilfe öffentlicher Förderung innovatives Potenzial aus den öffentlich finanzierten Bildungs- und Forschungseinrichtungen in diese Strukturen transferiert.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Vor dem Hintergrund der begrenzten finanziellen Möglichkeiten wird das zur zentralen Aufgabe der Wirtschaftsförderung der nächsten Jahre. Insofern möchte ich hier etwas völlig Ungewöhnliches machen; ich möchte die Landesregierung für ein Projekt ausdrücklich loben, das sie in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, und zwar für die Förderung von Innovationsbeauftragten in solchen Betrieben. - Ich habe das vorher gesagt, damit Sie es mitbekommen.

(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Herr Tullner, CDU, lacht)

Damit soll es nun aber auch genug sein. Allein die Forderung des MP, Investitionszulagen demnächst nur noch für Erweiterungsinvestitionen, nicht aber mehr für Rationalisierungsinvestitionen zu zahlen, macht die Widersprüchlichkeit des Handelns der Landesregierung deutlich. Dem gegenüber steht die Idee, solche steuerlichen Vorteile nur noch als Innovationszulage zu nutzen, wie es unter anderem auch der Chef des Dow Olefin-Verbundes Mitteldeutschland vorschlägt.

Eine völlige Phantomdiskussion stellt aus unserer Sicht dagegen die Vorstellung dar, man müsse sich in der Förderung nun nur noch auf bestimmte „Leuchttürme“

konzentrieren. Regionale Schwerpunkte bilden sich genauso wie Cluster inzwischen weitgehend ohne politische Lenkung.

(Herr Scharf, CDU: Damit meinen Sie aber nicht die CDU, oder?)

- Gut gemerkt. Ich hätte es vorher noch einmal sagen können: Dieser Teil meiner Rede bezieht sich nicht so sehr auf die CDU. Hier stimme ich Herrn Böhmer an bestimmten Stellen zu. Aber, Herr Scharf, es ist gut, dass Sie Ihren eigenen Fraktionsmitgliedern noch einmal Denkhilfe geben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Oh! bei der CDU und bei der FDP - Herr Scharf, CDU: Ja!)

- Alles klar. - Selbst dann, wenn es um Investitionsüberlegungen jenseits dieser Kerne gehen sollte, muss in Zukunft immer der Einzelfall geprüft werden.

Daneben beinhaltet die Leuchtturmdiskussion noch ein weiteres politisches Problem. Diese These ist natürlich vor allem im Westen der Republik ausgesprochen attraktiv. Aus der Perspektive von Frankfurt am Main, Hamburg oder München ist nämlich der gesamte Osten strukturschwach. Leuchtturmförderung bedeutet dann weitgehende Abkoppelung des Ostens. Wer das nicht glaubt, sollte sich die Entscheidung des Wissenschaftsrates zu den Eliteuniversitäten und Exzellenzclustern noch einmal ansehen. Dann hilft es auch nicht, wenn man im Nachhinein in die strukturschwachen Regionen fährt und erzählt: So war das eigentlich gar nicht gemeint.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Abschließend will ich anhand der Daten des letzten Jahres noch auf ein strukturelles Problem in diesem Bereich hinweisen. Wenn man den Informationen der Landesregierung und gleichzeitig denen des Statistischen Landesamtes Glauben schenken darf, hatten wir im letzten Jahr im produzierenden Gewerbe ein Wachstum von etwa 9 % zu verzeichnen. Trotzdem ging die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich um 10 000 zurück,

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Rehberger)

was letztlich auf eine sehr erfreuliche Entwicklung der Arbeitsproduktivität schließen lässt.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Rehberger)

Andererseits beweist dies jedoch eindeutig: Das Problem der Arbeitslosigkeit bekommen wir so nicht in den Griff.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Grotesk!)

Das bedeutet, dass wir dauerhaft sowohl über die Entwicklung der sozialen Grundsicherung unabhängig vom Arbeitsmarkt nachdenken müssen, als auch die Etablierung des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors endgültig als dauerhafte politische Notwendigkeit anerkennen müssen.

(Zustimmung von Herrn Dr. Eckert, Linkspar- tei.PDS)

Es gibt eine Reihe von weiteren Dingen, die ich hier substanziell kritisieren müsste. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit kann ich das aber nicht mehr tun.

Sie kennen unsere unterschiedliche Herangehensweise an die Verwaltungsreform. Wir kritisieren ausdrücklich, dass es der Landesregierung nicht gelungen ist, einen

Personalentwicklungsplan für das Land vorzustellen bzw. in die Diskussion zu bringen.

Ich will mich am Ende vor allen Dingen auf ein Thema konzentrieren, das Herr Böhmer in seiner Rede explizit angesprochen hat. Er hat vor dem Hintergrund der hohen Verschuldung in Sachsen-Anhalt vor politischen Konstellationen gewarnt, die daran schuld sein sollen. Damit war natürlich Rot-Rot gemeint.

Wir können uns diese Geschichte einmal genau ansehen. Wir sehen uns einmal nur die Entwicklung von 2002 bis 2005 an. Das reale Defizit betrug im Jahr 2002 in Sachsen-Anhalt 1,3 Milliarden €. Die Neuverschuldung belief sich auf 1,5 Milliarden €; das Defizit aus dem Jahr davor betrug 200 Millionen €. Was ist aus diesen 1,3 Milliarden € bis zum Jahr 2005 geworden? Selbst wenn ich die Neuverschuldung aufgrund des Kaufs von Anteilen der NordLB abziehe, belief sich das Defizit im Jahr 2005 noch immer auf eine Summe von 900 Millionen €. Das bedeutet, wir lagen im Jahr 2005 bei 70 % der Neuverschuldung von 2002. Ein Erfolg? - Nun ja.

Wir haben eine ähnliche Situation in Mecklenburg-Vorpommern. Das reale Defizit in Mecklenburg-Vorpommern belief sich im Jahr 2002 auf 760 Millionen €. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist kleiner als SachsenAnhalt; deshalb kann man die Summen nicht im Verhältnis 1 : 1 vergleichen. Im Jahr 2005 belief sich die Neuverschuldung, das Realdefizit in Mecklenburg-Vorpommern auf 330 Millionen €.

(Herr Gürth, CDU: Vergleichen Sie das mit der Zeit von 1994 bis 2002! Das wäre einmal interes- sant! Das war die Zeit, wo die PDS mitregiert hat!)

- Jetzt rede ich, Herr Gürth.

(Herr Gürth, CDU: Ich wollte Sie nur darauf hin- weisen!)

Mecklenburg-Vorpommern hatte im Jahr 2005 noch sage und schreibe 43 % der Neuverschuldung von 2002. In dem rot-rot regierten Mecklenburg-Vorpommern ist die Neuverschuldung somit doppelt so schnell abgebaut worden wie im schwarz-gelb regierten Sachsen-Anhalt. Und angesichts dessen warnen Sie vor Konstellationen!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herr Ministerpräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor vier Jahren haben die jetzigen Regierungsparteien mit ihrer Rote-Laterne-Kampagne Sachsen-Anhalt in Grund und Boden geredet. Jetzt jubeln sie es zum Shootingstar hoch. Beides ist so unredlich wie falsch und es verbaut den Blick auf einen tatsächlich guten Weg in die Zukunft, auf dem die Stärken genutzt und ausgebaut werden können.

Wir stehen früher auf! So lautet ein von der CDU-geführten Landesregierung verbreiteter Slogan. - Nun gut. Und dann? Aufstehen allein reicht nicht aus. Es reicht eben nicht aus, immer schneller einen Weg zu gehen, der in einer Sackgasse endet. Ich sage Ihnen: Es gibt Alternativen zur Politik dieser CDU-geführten Landesregierung und wir haben sie aufgezeigt.

(Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Wie auch immer die Wahl am 26. März 2006 ausgehen mag, unter der Flagge der CDU wird es substanzielle Veränderungen für dieses Land nicht geben - ganz egal, wer noch mitregiert.

Sachsen-Anhalt ist eines von sechs ostdeutschen Bundesländern und es hat im Wesentlichen keine anderen Probleme als alle diese Länder. Manches ist hier schwieriger, aber es gibt auch Chancen und Potenziale.

Die nächste Landesregierung braucht daher vor allem den richtigen Blick für die notwendige Prioritätensetzung. Mit einer CDU-geführten Landesregierung ist das nicht zu machen. Die nächste Landesregierung muss also eine andere Landesregierung sein, eine Landesregierung mit der Linkspartei.PDS, damit die Richtung stimmt, oder besser gesagt: eine Landesregierung, in der die Linkspartei die Richtung angibt.

(Starker Beifall bei der Linkspartei.PDS - Herr Tullner, CDU: Das entscheiden die Wähler! - Un- ruhe bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Gallert. Sie waren bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Feußner zu beantworten.

Ich frage Sie gleich: Sind Sie bereit, auch eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Rehberger zu beantworten? Er hat sich schon zu seiner Fraktion gesetzt.

Ich kann es ihm nicht antun, das nicht zu machen.

Frau Feußner, Sie können zunächst fragen.