Eine der wesentlichen Rahmenbedingungen für die Perspektive der Menschen in diesem Land wird durch die Qualität der Bildungsangebote bestimmt. Wir ignorieren durchaus nicht die Verbesserung der Platzierung im Länderranking, was den Fähigkeitsnachweis bei der PisaStudie anbelangt.
Bedeutend vorsichtiger als Sie sind wir jedoch dabei, diese Verbesserung als ein Ergebnis der Arbeit dieser Landesregierung zu bewerten.
Das dürfte etwa genauso sinnvoll sein wie die These, die Schüler seien deswegen besser geworden, weil sie in der Förderstufe waren. - Nein, so eindimensional funktioniert der Komplex Schule nicht. Das ist keine vernünftige Analyse.
Darüber hinaus beobachten wir jedoch, dass Vergleichsstudien von der Landesregierung immer nur dann wahrgenommen werden, wenn sie positiv ausfallen. Im Bildungsranking des Deutschen Instituts für Wirtschaft und der Initiative „Soziale Marktwirtschaft“ fiel Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 auf den letzten Platz zurück. Die CDU hätte dazu früher gesagt: Wir haben wieder einmal die rote Laterne.
Diese Landesregierung hat zu Beginn der Legislaturperiode als Erstes gewaltige Schulstrukturänderungen auf den Weg gebracht. Die Förderstufe wurde abgeschafft, die Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten und das 13. Schuljahr wurden abgewickelt.
Nachdem das alles passiert war, stellte sich der Kultusminister hin und bezeichnete die Änderung der Strukturen als einen Ausdruck von Einfallslosigkeit.
Eigenartigerweise verstand er das nicht als Selbstkritik; vielmehr will er offensichtlich präventiv verhindern, dass eine andere Regierung die Schulstrukturen anfasst. Nun ja, bei der SPD scheint er damit offensichtlich Erfolg zu haben.
- Frau Mittendorf, Sie haben doch auch Zeitung gelesen. - Ausgehend von den objektiven Notwendigkeiten, die sich aus der Entwicklung der wissensbasierten Gesellschaft ableiten lassen, muss jedoch unser Bildungssystem neuen Anforderungen gerecht werden, die ein substanzielles Umdenken verlangen. Mindestens zwei Drittel der Absolventen eines Jahrganges müssen in Zukunft in der Lage sein, selbständig innovative Prozesse an ihrem Arbeitsplatz einzuleiten. Dazu brauchen sie eine Qualifikation auf Hochschulniveau oder eine entsprechende Qualifikation im Berufsbildungsbereich.
Das gegenwärtige Schulsystem wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Zwar gehen jetzt ungefähr 45 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs auf das Gymnasium; nach Aussagen wohlgemerkt des Philologenverbandes scheitert hier aber etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler, bevor sie den gymnasialen Abschluss erreichen. Diese Schülerinnen und Schüler wechseln dann oftmals völlig demotiviert an die Sekundarschule.
(Unruhe bei der CDU und bei der FDP - Frau Feußner, CDU: Das ist richtig! Deshalb haben wir ja die Eignungsfeststellung gemacht!)
In einer zukünftigen Gesellschaft, die die klassische Trennung von Blue- und White-Collar-Arbeit nicht kennt, ist auch die klassische Trennung von Gymnasium und Realschule überholt.
Auf der anderen Seite haben wir in Sachsen-Anhalt eine Sekundarschule, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Übergange zu höheren Bildungswegen zwar nicht de jure, aber de facto abschottet; schauen Sie sich nur einmal die extrem geringe Zahl der Übergänge von der Sekundarschule an das Gymnasium an.
Auch wir wissen - im Gegensatz zu der Position des derzeitigen Kultusministers aus dem Jahr 2002 -, dass man Schulsysteme nicht beliebig verändern kann. Trotzdem müssen wir einen Weg finden, mit dem die offensichtlichen Defizite der jetzigen Situation überwunden werden können. Dazu gehört für uns eine innere Reform der Sekundarschule, die darauf abzielt zu versuchen, alle Schüler zu einem Realschulabschluss zu bringen und einen möglichst großen Anteil der Schüler dazu zu befähigen, die Sekundarstufe II zu besuchen; dies will und kann die jetzige Sekundarschule nicht leisten. Deswegen brauchen wir dringend eine Reform.
(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Oh! bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Das ist doch Quatsch!)
Das zentrale Manko in der Bildungspolitik der Landesregierung ist jedoch das nahezu vollständige Ignorieren
der differierenden sozialen Lagen von Kindern und Jugendlichen. In diesem Land haben allein 26 % der Kinder und Jugendlichen das Schicksal zu ertragen, in ALG-II-Haushalten zu leben. Darüber hinaus lebt eine erhebliche Anzahl von Kindern und Jugendlichen in Haushalten mit unsicheren Einkommensverhältnissen. Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis der PisaStudie, nach der es in Sachsen-Anhalt unter den ostdeutschen Ländern den engsten Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen gibt, alarmierend.
Die Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt muss entscheidend daran gemessen werden, welche Chancen Kinder und Jugendliche bekommen, und zwar unabhängig von den Voraussetzungen in ihren Elternhäusern.
Es ist schon verräterisch, wenn der Kultusminister, ein aufrechter Vertreter des traditionellen Bildungsbürgertums, meint, dass es doch gar nicht so schlimm wäre, wenn der Sohn eines Facharbeiters nicht an das Gymnasium geht, sondern den Realschulabschluss präferiert.
Nun möchte ich nicht über das Menschenbild, das dahinter steht, philosophieren; eines steht aber fest: Der Sohn oder die Tochter eines Facharbeiters wird in der nächsten Generation mit großer Wahrscheinlichkeit diese Facharbeiterstelle nicht mehr vorfinden. Das ist das Problem, auf das wir uns einstellen müssen.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Feußner zu beantworten?
Unsere Motivation für die Innovation im Bildungsbereich ist also sowohl die Erhöhung der Chancen für die Kinder aus bildungsferneren Elternhäusern als auch die Sicherung der Perspektive für unser Land. Es werden hier einfach zu wenig Kinder geboren, als dass wir akzeptieren dürften, dass auch nur eines davon nicht optimal gefördert wird, weil seine Herkunft dem entgegenstehen würde.
Eine der greifbarsten Fehlentwicklungen in diesem Bereich mussten wir bei der vorschulischen Bildung zur Kenntnis nehmen. Die Einschränkung des Zugangs zur Bildungseinrichtung Kindertagesstätte für Kinder arbeits
Die archaische Vorstellung, dass Kinder im Kindergarten wie in der Schule nur am Vormittag lernen würden, gekoppelt mit der These, dass Kindertagesstätten ohnehin eher Betreuungseinrichtungen seien, musste als Begründung für diesen Fehler herhalten; beide Positionen haben jedoch mit Zukunftsfähigkeit nichts zu tun.
Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Die Rhetorik des Kinderfördergesetzes, man wolle nunmehr Bildungsinhalte für die Kindertagesstätten festschreiben, steht in krassem Widerspruch zu dem, was in diesem Bereich gemacht worden ist. Die Erhöhung des Betreuerschlüssels, die Reduzierung der Vorbereitungszeiten, ein standhaftes Weigern der Landesregierung anzuerkennen, dass Kindergärtnerinnen in Zukunft einen Hochschulabschluss brauchen, und eben der beschränkte Zugang zum Kindergarten haben zu einem deutlichen Rückschritt in diesem Bereich geführt, und dies insbesondere für diejenigen Kinder, deren Eltern von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Wer für diese Entwicklung verantwortlich ist und gleichzeitig von sozialer Gerechtigkeit im Bildungsbereich spricht, verliert seine Glaubwürdigkeit.
Ein ähnliches Bild bietet die Politik der Landesregierung im Hochschulbereich. In dem Zeitpunkt der höchsten Auslastung der Hochschulen fasst die Landesregierung den Beschluss, die Budgets um 10 % zu kürzen - einen Beschluss, der Wirkung genau zu dem Zeitpunkt entfaltet, in dem die Schülerinnen und Schüler der letzten geburtenstarken Jahrgänge das Gymnasium in SachsenAnhalt verlassen. Kontraproduktiver hätte man es nicht tun können. Zugleich beklagen alle im Land richtigerweise die Abwanderung vor allem qualifizierter junger Menschen. - Hier wären diese Mittel gut eingesetzt.
An dieser Stelle höre ich den Vorwurf, warum wir denn in Sachsen-Anhalt die jungen Menschen studieren lassen sollten, sie würden danach ja sowieso weggehen. - Ich kann dieser fatalistischen Argumentation ohnehin nicht viel abgewinnen, weil Hochschuleinrichtungen auch immer Kerne innovativer Entwicklung sind und damit selbst Haltefaktoren schaffen. Aber selbst dann, wenn Hochschulabsolventen unser Land verlassen, so ist die Chance, dass sie weiterhin Beziehungen hierher unterhalten oder auch zurückkommen, bedeutend größer, als wenn die Jugendlichen das Land gleich nach der Schule verlassen.
Das eigentliche strategische Problem der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt ist jedoch der Umgang mit der radikal sinkenden Zahl von Schulabgängern ab dem Ende dieses Jahrzehnts. 75 % aller Studenten an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt kommen aus ostdeutschen Bundesländern. Würden alle anderen Parameter so bleiben, würde bis zum Jahr 2015 die Bewerberzahl um etwa 40 % sinken.