Protocol of the Session on January 20, 2006

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Deswegen sage ich ganz deutlich: Mein Ziel sind nicht noch so heroische Proklamationen und Formulierungen; mein Ziel ist eine breite zivilgesellschaftliche Ächtung solcher Aktivitäten und solcher Ideen.

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn wir für Toleranz und Demokratie, für Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit werben wollen, werden wir nur überzeugen, wenn wir es in einem fairen Miteinander tun und es nicht zur Selbstprofilierung untereinander instrumentalisieren. Ich denke - das ist mir wichtig zu sagen, und ich habe auch verstanden, dass Herr Bullerjahn die Debatte so eingeleitet hat -, wir haben mit der heutigen Debatte die Gelegenheit, dafür ein gemeinsames Zeichen zu setzen. - Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Meine Damen und Herren! Es ist besonders schön, dass wir bei diesem ernsthaften Thema auch wieder Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne begrüßen können; sie kommen vom Martin-Luther-Gymnasium Eisleben.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion das Wort. Es spricht Herr Wolpert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag zur Aktuellen Debatte las, dachte ich zuerst, dass dies im beginnenden Wahlkampf eher zur Unzeit kommt, weil eine solche Debatte die Gefahr einer parteipolitischen Profilierung in sich birgt und das gewählte Thema dafür gänzlich ungeeignet ist. Nach kurzer Überlegung und insbesondere nach den gestrigen Gesprächen mit den Spitzen der anderen Fraktionen bin ich aber überzeugt davon, dass diese Aktuelle Debatte zur rechten Zeit kommt.

Der Vorfall in Pömmelte zeigt: Ignoranz, Hass und Gewalt spuken in den Köpfen mancher Jugendlichen und

Erwachsenen in Sachsen-Anhalt herum. Gleichzeitig versuchen die rechten politischen Gruppierungen mit enormem Aufwand, in den Landtag zu gelangen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für das Hohe Haus, mit einer Stimme nach außen klar zu machen, dass mit einer solchen Haltung kein Staat zu machen ist.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Ein deutliches Zeichen aller Demokraten gegen Rechts ist nötig; dem kann die FDP-Fraktion vollkommen zustimmen. Es ist nun auch so, dass wir in der Vergangenheit nicht untätig waren, die rechtsextremistischen Umtriebe zu bekämpfen. Damit meine ich alle im Haus, nicht nur die FDP.

Hier kann man zunächst einmal die Bildung und die finanzielle Unterstützung des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz nennen. Alle Fraktionen im Landtag haben gemeinsam im Februarplenum 2005 den Ministerpräsidenten und den Landtagspräsidenten mit der Bildung des Netzwerkes beauftragt, um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die im Grundgesetz verankerten Grundrechte und Grundwerte zu schützen und zu bewahren.

Das Netzwerk dient dazu, alle nichtstaatlichen Organisationen, die sich gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt engagieren, zu bündeln und zu verzahnen, damit ihre wichtige Arbeit optimiert werden kann. Institutionell sind wir in Sachsen-Anhalt damit schon nicht schlecht aufgestellt.

Auch die Bereitschaft der Vielzahl der Beteiligten, an einem Strang zu ziehen, ist ein Wert an sich. Außerdem fanden immer wieder Veranstaltungen zu dem Thema insbesondere mit den Parteien und mit den Parteispitzen statt. Man kann folglich feststellen: Die Bekämpfung des Rechtsextremismus sowie anderer extremistischer Tendenzen ist im Landtag aktiv unterstützt und begleitet worden.

Meine Damen und Herren! Es bleibt aber zu fragen: Ist das genug? Wie muss nun die künftige Handhabung des Themas durch die Politiker aussehen? Dabei ziele ich nicht auf die Gesetzgebungskompetenz ab.

Der drastische Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten im Bund, aber auch in Sachsen-Anhalt und parallel dazu die offenbar wachsende extremistische Szene machen deutlich, dass es verstärkte Bemühungen bei der Bekämpfung des Extremismus geben muss. Meiner Ansicht nach ist es dabei nicht ausreichend, sich nur im Nachgang zu einer rechtsradikalen Straftat verstärkt mit dem Thema auseinander zu setzen; vielmehr muss die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus eine dauerhafte sein.

Ein erster Schritt wäre gemacht, wenn alle demokratischen Parteien in ihrem Wahlkampf deutlich machen würden, dass es ein großes gemeinschaftliches Ziel der demokratischen Parteien ist, den Einzug der DVU in diesen Landtag zu verhindern. Hierzu lade ich alle ein.

(Beifall im ganzen Hause)

Diese gemeinsame Haltung würde zeigen, dass alle demokratischen Parteien, obgleich sie in anderen politischen Fragen verschiedene Konzepte favorisieren, bei dieser Frage mit einer Stimme sprechen und neben individuellen Schwerpunkten alle das Thema der Bekämpfung des Rechtsradikalismus in ihrem Wahlkampf berücksichtigen werden.

Natürlich wäre es hilfreich, wenn diese Haltung auch von den Medien begleitet würde, damit die breite Öffentlichkeit davon Kenntnis erlangt und sich eine Diskussion in der Bevölkerung entzünden kann. Dazu gehört auch, zum Beispiel bei Wahlkampfauftritten darauf zu verweisen, dass der Vertreter der DVU, wie zu erwarten, nicht anwesend ist, dass er sich nicht zeigt und dass die DVU nicht den Mut hat, sich in der Auseinandersetzung und im Wahlkampf zu zeigen.

Bisher kann man keine inhaltliche Position der DVU erkennen. Neben hohlen Sprüchen besticht sie durch Konzeptionslosigkeit. Trotzdem und gerade deshalb muss die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Forderungen und Scheinargumenten geführt werden. Die einfach gestrickten Scheinwahrheiten lösen keine der derzeit so drängenden Probleme. Das muss den Wählern gegenüber sachlich, aber bestimmt deutlich gemacht werden; das heißt: auch im Wahlkampf das Thema aktiv ansprechen und nicht nur reagieren.

Es ist darauf zu verweisen, dass die rechtsextremistischen Parteien, wenn sie in Parlamenten waren und ihnen Verantwortung von den Wählern übertragen worden war, nicht verantwortungsvoll mit den Wählerstimmen umgegangen sind. Anstatt durch sachorientierte Politik zeichnen sich diese Parteien durch interne Auseinandersetzungen, durch nicht seltene Austritte und durch das Enden in völligem Chaos aus.

Meine Damen und Herren! Über die Thematisierung im Wahlkampf hinaus ist es aber auch notwendig, eine langfristig angelegte Wertediskussion zu führen. Hierbei werden die preußischen Tugenden nicht ausreichen. Demokratie muss gelebt werden und dafür bedarf des gesellschaftlichen Engagements, der Toleranz, der Freiheit und der Verantwortung.

Die Faszination gerade junger Menschen für rechtsextremistisches Gedankengut setzt sich aus vielen Komponenten zusammen: das Umfeld, das Gruppengefühl, eine vermeintlich klare Orientierung, scheinbar einfache Antworten der rechtsextremistischen Parteien auf existenzielle Fragen und weiteres. All diese Faktoren sowie das familiäre und gesellschaftliche Umfeld sind für die Neigung zu rechtsextremistischem Gedankengut maßgebend.

Folglich muss dem gesamten Spektrum auf den Grund gegangen werden. In der öffentlichen Debatte muss diskutiert werden, warum die Zahl der Rechtsextremisten und deren Sympathisanten ansteigt. Fehlen die Vorbilder in der Familie und in der Gesellschaft? Werden Grausamkeiten des Dritten Reiches in Schule, Elternhaus und Gesellschaft nicht anschaulich genug vermittelt? Was motiviert meist Jugendliche und junge Erwachsene zu einer solch hohen Zahl von extremistischen Gewalttaten? Warum besteht Misstrauen und oft sogar Hass gegenüber Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund und einer anderen Hautfarbe?

Auf all diese Fragen gibt es vielschichtige Antworten: Gleichgültigkeit, Zukunftsängste, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. All diese Probleme und die häufig schwierige Situation vieler Menschen und gerade vieler Jugendlicher in Sachsen-Anhalt trotz der positiven Entwicklung der letzten vier Jahre sind uns durchaus bewusst. Doch stellt dies keinesfalls eine Rechtfertigung für Intoleranz, Hass und Gewalt dar.

Meine Damen und Herren! Ein Klima, in dem es heißt: „Der ist zwar Deutscher, aber keiner von uns“, ist ein Nährboden für dumpfe Vorurteile. Der Ruf nach einem starken Mann nach dem Motto: „Da muss doch mal einer aufräumen!“, ist letztlich zutiefst demokratiefeindlich. Demokratie muss täglich erkämpft werden, sie lebt vom Mitmachen. Der Geist, sich abzuwenden, nur passiv zuzuschauen, ist der größte Feind der Demokratie.

Für uns als Vertreter der Demokratie heißt es deshalb Vorbild zu sein, nicht wegschauen, nicht überhören, aktiv wachrütteln, zum Mitmachen animieren. Das ist anstrengend, aber ich bin überzeugt, es lohnt sich.

Meine Damen und Herren! Niemand ist immer und überall perfekt. Aber danach zu streben ist gerade bei diesem Anliegen, ein Zeichen gegen Rechts zu setzen, weiß Gott nicht verboten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung bei der SPD, bei der Linkspartei.PDS und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Für die Linkspartei.PDS spricht nun Herr Höhn. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die furchtbaren Ereignisse am vergangenen Montag machen uns sprachlos, sie machen uns wütend, aber sie verbreiten auch ein Gefühl von Hilflosigkeit. Aber - dies sei gleich am Anfang gesagt - wir dürfen nicht sprachlos bleiben, wir dürfen nicht vor einem möglichen Gefühl von Hilflosigkeit resignieren.

Der Angriff auf den zwölfjährigen Jungen in Pömmelte war von unsagbarer Brutalität. Dabei trat ein solches Maß an Hass und Gewalt zum Vorschein, wie es sich wohl niemand von uns wirklich vorstellen kann. Unsere Gedanken sind auch jetzt bei diesem Jungen, unsere Solidarität ist mit ihm.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Wenn wir uns heute im Landtag nicht zum ersten Mal mit dem Problem des Rechtsextremismus auseinander setzen, müssen wir uns eine bittere Wahrheit immer wieder eingestehen: Diese Tat war kein Einzelfall.

Auf der Internetseite der mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt ist eine Chronik zu finden. Allein für das vergangene Jahr 2005 sind dort 75 Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund verzeichnet. Wir wissen auch: Diese Liste ist nicht vollständig. Beinahe täglich werden Menschen angefeindet, Menschen, die eine andere Hautfarbe haben als die Mehrheit der Bevölkerung, oder Menschen, die anders leben, oder auch Menschen, die anders lieben. Immer wieder werden Menschen durch unsere Straßen gehetzt oder verprügelt. Es ist zum traurigen Alltag geworden, dass manche Menschen sich sehr genau überlegen müssen, ob sie die nächste Straßenbahn wirklich benutzen können. Immer wieder haben Menschen Angst in unserem Land.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechte Gewalt beginnt in den Köpfen

(Frau Feußner, CDU: Linke auch!)

und wenn wir langfristig erfolgreich sein wollen im Kampf gegen den Rechtsextremismus, dann müssen wir uns genau dieser Aufgabe stellen. Dabei muss uns eines sehr klar sein: Diese Aufgabe wird nie endgültig erledigt sein, sie wird uns ständig begleiten.

Richard von Weizsäcker hat im Jahr 1985 formuliert - ich zitiere -:

„Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders oder besser geworden. Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit, für niemanden und kein Land. Wir haben als Menschen gelernt. Wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von Neuem zu überwinden.“

Menschlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie, dies sind keine Selbstverständlichkeiten, auch nicht in einer aufgeklärten Gesellschaft. Doch wie oft nehmen wir sie als Selbstverständlichkeiten hin und wie oft tauchen diese Worte in Reden, die wir als Politiker halten, auf. Aber wir vergessen allzu oft, uns selbst immer wieder zu überprüfen, wie sehr wir diese Werte in unserer täglichen Politik mit Leben füllen, und wir vergessen allzu oft, dass Menschen nicht als Demokraten geboren werden, genauso wenig wie als Rechtsextremisten.

Gelingt es uns als Politikern denn, gerade junge Menschen immer wieder aufs Neue für diese fundamentalen Werte zu begeistern? Wie oft wird Freiheit als Unsicherheit empfunden, wie oft wird Demokratie als lästiges Parteiengezänk interpretiert. Rechtsextreme Parteien und Gruppierungen haben dies längst erkannt und machen es sich zunutze.

In den letzten Jahren ist es der rechtsextremen Szene gelungen, massiv in die Jugendkultur einzudringen. Dies geschieht mit Musikangeboten ebenso wie über den Handel mit Bekleidung. Gleichzeitig verfügt die Szene über professionelle Internetangebote und Publikationen.

Ich möchte an dieser Stelle dem Herrn Kultusminister Professor Olbertz noch einmal Dank aussprechen für seine sehr schnelle Reaktion auf die rechtsextremen Aktionen im Zusammenhang mit der so genannten Schulhof-CD, auch wenn uns bewusst sein muss: Dies war eine Reaktion auf eine konkrete rechtsextreme Aktivität, unsere grundsätzliche Aufgabe bleibt von Dauer.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir uns nicht allein in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Parteien befinden, sondern auch in der Auseinandersetzung mit einer sehr stabilen Struktur von so genannten „Freien Nationalen“ und Kameradschaften.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen. Sowohl die rechtsextremen Täter von Pömmelte wie kürzlich auch die von Gräfenhainichen sind nach dem bisherigen Kenntnisstand zumindest dem näheren Umfeld rechtsextremer Kameradschaften zuzuordnen. In beiden Regionen sind Kameradschaften seit Jahren aktiv und an Überfällen beteiligt.

Rechtsextreme Kameradschaften sind die zurzeit wohl wichtigsten Zusammenschlüsse von Neonazis in Sachsen-Anhalt, die mittlerweile flächendeckend agieren. Auch wenn Verbote solcher Kameradschaften nur einen kurzfristigen Erfolg bewirken, kann das ein Mittel sein, um gegen die Neonazi-Szene im Land vorzugehen. Unsere Bitte an die Landesregierung ist daher zu prüfen, ob für ein Verbot rechtsextremer Kameradschaften im Land ausreichend Gründe vorliegen.