Protocol of the Session on January 20, 2006

(Heiterkeit und Zustimmung - Herr Gallert, Links- partei.PDS: Viel länger darf er aber auch nicht mehr warten!)

Auch diese Frage gilt es sicherlich noch zu diskutieren: Dürfen die Friseurrechnungen wie auch andere Handwerkerrechnungen künftig von der Steuer abgesetzt werden? Herr Paqué, das wäre eine Frage an Sie.

(Unruhe)

Das Handwerk hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen aufgefordert - -

(Unruhe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Schallpegel etwas zu senken, damit man Frau Dr. Klein hören kann.

Danke schön.

(Herr Gürth, CDU: Wir dachten, das ist eine Büt- tenrede! Da ist immer ein bisschen mehr Tempe- rament dabei!)

Das Handwerk hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen aufgefordert, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und andere Steuerpläne zu überdenken; denn infolgedessen würden dem Markt ab 2007 47 Milliarden € an Kaufkraft entzogen werden.

Das jüngst beschlossene Konjunkturprogramm der Regierung wird dem Handwerk im Jahr 2006 erstmals seit 1999 wieder mehr Umsatz bescheren, und zwar ein Plus von 1 %. Dennoch wird die Branche 60 000 bis 80 000

Stellen verlieren. Der Aufwärtstrend ist also ebenso in Gefahr, wie es die Arbeitsplätze sind.

Ich weiß - ich habe es auch schon gehört -, dass Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, mir bei unserem Antrag sofort mit der Keule des Populismus und des Wahlkampfes kommen. Aber damit würden Sie mir auch kommen, wenn ich heute über die Uhrzeit oder über das Wetter reden würde.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Unruhe)

Das ist, glaube ich, völlig egal. Also reden wir über die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer und deren Folgen nicht nur für das Frisörhandwerk, sondern für die Menschen in unserem Land und für unser Land insgesamt und reden wir dann auch über den Populismus der einzelnen im Landtag vertretenen Parteien.

Trotz der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte, die allerdings der Finanz- und Steuerpolitik in den vergangenen Jahren geschuldet ist, ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus der Sicht der Linkspartei.PDS keine Lösung. Wir haben ein Steuerkonzept vorgelegt, bei dem Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, uns unverdrossen Populismus unterstellen; denn das ist schlicht und ergreifend einfacher, als endlich mit den Steuergeschenken an Großunternehmen und Spitzenverdiener aufzuhören.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Die so genannte Reichensteuer hat nicht einmal die Wirkung von Baldrian-Tropfen auf schwache Nerven. Im Jahr 1998 gab es einen Spitzensteuersatz von 53 %, er sank inzwischen auf 42 %, was einen jährlichen Steuerausfall von 11 Milliarden € zur Folge hat. Wenn man jetzt von den ganz Reichen 1,2 bis 1,3 Milliarden € - das ISW rechnet sogar nur mit 300 bis 400 Millionen € - zurückholen will, ist das zwar eine nette Geste, löst aber die Probleme nicht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird sie auch nicht lösen. Im Gegenteil: Die Polarisierung zwischen Arm und Reich wird verschärft werden und es werden noch mehr aus der gesellschaftlichen Mitte nach unten fallen.

Die Bundesrepublik hat eine einmalig schwache Binnenkonjunktur. Wir haben real sinkende Löhne und steigende Energiepreise zu verzeichnen. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer in einer solchen Situation wird die Steuerbelastung weiter umgeschichtet von den Einkommen hin zu den Verbrauchern. Nach jüngsten Berechnungen ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer eigentlich nicht notwendig.

(Herr Tullner, CDU: Ach so?)

Nach Aussagen des Statistikamtes Destatis ist der öffentliche Fehlbetrag im Jahr 2005 deutlich geringer ausgefallen, als die Regierung geschätzt hat.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Der Finanzminister Herr Steinbrück sagte am Montag, er erwarte sogar eine Revision auf 3,4 %.

(Herr Gürth, CDU: Zum Schluss wird zusammen- gezählt! - Herr Tullner, CDU: Warten wir es ab!)

- Warten wir es ab. - Der Konjunkturchef des DIW Steinherr forderte, wegen der günstigen Entwicklung der Defizite auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahr 2007 zu verzichten. Wird die Mehrwertsteuer erhöht, so sagt

Steinherr, würge dies das Wachstum im Jahr 2007 ab, was wiederum zu einem höheren Defizit führe.

Rürup geht sogar davon aus, dass das Defizit ohne weitere Maßnahmen in diesem Jahr unter den 3,5 % von 2005 liegen wird und dass es deshalb relativ leicht möglich sein werde, diesen Fehlbetrag unter die im Maastricht-Vertrag vorgegebene 3%-Marke zu drücken.

CDU/CSU und SPD wollen mit den möglicherweise zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 24 Milliarden € pro Jahr den Haushalt konsolidieren und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt senken. Hierzu kann ich nur sagen: Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Auf die Senkung der Beitragssätze der Krankenkassen warten die gesetzlich Versicherten heute noch. Inzwischen sind die nächsten Erhöhungen angekündigt bzw. schon längst Realität. Mit der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung käme dann die Konjunktur, so jedenfalls die Hoffnung der Berliner Koalition. Es kann aber auch anders kommen.

Blicken wir doch einmal zurück: Bei der letzten Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. April 1998 wurden die Probleme der Rentenversicherung ins Feld geführt. Diese aber sind bis heute nicht gelöst. Auch die Hoffnung auf die großen Einnahmen ging nicht auf. Nur rund 50 % der Erhöhung sind tatsächlich auf die Endpreise umgewälzt worden.

Angesichts der schwachen Binnenkonjunktur muss man damit rechnen, dass diese Möglichkeit in noch geringerem Umfang genutzt werden wird als im Jahr 1998. Statt einer Mehreinnahme von rund 8 Milliarden € pro Prozentpunkt höherer Mehrwertsteuer könnten es nur 6,2 Milliarden € sein, da sich die Steuereinnahmen an den Endpreisen orientieren. Insgesamt würden damit also nicht 24 Milliarden €, sondern nur 18,6 Milliarden € zusätzlich in die Kassen des Staates fließen. Da bliebe für das Stopfen der Haushaltslöcher nur wenig übrig. Von der Erfüllung anderer Wünsche möchte ich gar nicht reden.

Aber das ist nicht unser Problem. Wir halten die Erhöhung der Mehrwertsteuer als Mittel zur Sanierung der Haushaltskassen schlichtweg für den falschen Weg, für unsozial und ungerecht.

(Zustimmung bei der Linkspartei PDS)

Das immer wieder angeführte Argument, dass eine Mehrwertsteuererhöhung gerecht sei, da sie alle Bundesbürger treffe, zieht nicht. Von einer gleichmäßig verteilten Belastung kann keine Rede sein. Da Union und SPD mit einem Teil der zusätzlichen Einnahmen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken wollen, schlägt für große Teile der Bevölkerung die Belastung stärker durch als für die Arbeitnehmerinnen. Allein in Sachsen-Anhalt müssen rund 1,2 Millionen Nichterwerbstätige - dazu zählen Pensionäre, Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten - im Vergleich zu den Arbeitnehmern erheblich tiefer in die Tasche greifen. Sie müssten pro Jahr im Durchschnitt mit Mehrausgaben von rund 270 € rechnen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, die Gespräche einzustellen und der Einbringerin zumindest zum Schluss Ihres Redebeitrages noch einmal zuzuhören. - Bitte sehr, Frau Dr. Klein.

Schon aus dieser Sicht heraus ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht gerecht.

Jetzt nenne ich das Argument, das auch der Ministerpräsident immer anführt: Die Mehrwertsteuer für Lebensmittel bleibt auf dem ermäßigten Niveau und auf Mieten wird keine Mehrwertsteuer gezahlt; dafür geben die sozial Schwachen das meiste Geld aus.

Auch dieses Argument berücksichtigt nur die halbe Wahrheit. Was ist mit Strom, Gas, Wasser, Abwasser, Telefon, Benzin und Diesel, von kulturellen Bedürfnissen gar nicht zu reden? - Die Preise dafür steigen munter weiter. Hier bekommen nicht nur die Betroffenen ein Problem, sondern auch die Kommunen und Landkreise, die dann letztlich einspringen müssen. - Aber wen kümmert es?

Genau aus diesem Grund ist die Mehrwertsteuererhöhung Gift für die Konjunktur. Reale Kaufkraft geht verloren und die Binnenkonjunktur wird, wie bereits gesagt, geschwächt. Damit fällt letztlich auch der erwünschte Steuerregen geringer aus.

Es kommt zu einer weiteren Belastung des Einzelhandels. Die kleinen Einzelhändler kämpfen doch schon seit Jahren ums Überleben. Sie werden die Mehrwertsteuererhöhung an ihre Kunden weitergeben müssen und sich damit selbst den Todesstoß zufügen. Man könnte es auch aktive Sterbehilfe nennen; dies ist strafbar.

Ähnlich wird es den kleinen und mittleren Unternehmen gehen, die nicht über die Macht verfügen, die erhöhte Mehrwertsteuer über entsprechende Preiserhöhungen an die Verbraucher weiterzugeben. Ein-Mann-Unternehmen und Ich-AGs spüren überhaupt keine Entlastungen beim Personal; denn bei ihnen fallen die Arbeitgeberkosten nicht an. Dazu kann ich nur sagen: Es lebe die Schwarzarbeit! Mit der steuerlichen Anrechnung von Handwerkerleistungen wird das Problem nicht zu lösen sein. - So viel zur Mehrwertsteuer.

Nun zum Populismus. Es ist schon ganz erstaunlich, welche Wendungen die CDU und die SPD bei der Mehrwertsteuer in den vergangenen Monaten gemacht haben.

Herr Professor Böhmer gehört zu den wenigen in der CDU, die sich sehr frühzeitig für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen haben. Es spricht für Sie, dass Sie sich in Ihrer Partei so schnell durchsetzen konnten; denn Ihr Generalsekretär Volker Kauder hat noch im Mai des vergangenen Jahres betont: Eine Steuererhöhung, auch bei der Mehrwertsteuer, wäre Gift für die Konjunktur. - Nun gut, bei der CDU hat man damit auch gerechnet; damit kann man umgehen.

(Herr Tullner, CDU: Wir haben es im Wahlkampf gesagt!)

- Sie haben es gesagt - ich sagte es doch - und Herr Böhmer hat es frühzeitig angekündigt. - Erstaunlich sind die Wandlungen beim Koalitionspartner SPD im Bund. Ich gebe zu, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD: Wie Sie den Übergang vom Kampf gegen die Merkel-Steuer zu einer dreiprozentigen Erhöhung der Mehrwertsteuer ohne Depressionen hinbekommen haben, das erschüttert doch.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich erlaube mir, Ihren jetzigen Bundesvorsitzenden Matthias Platzeck zu zitieren. Er sagte auf einer Wahlkampfveranstaltung am 6. August 2005 - damals war er noch nicht der Bundesvorsitzende -:

„Die jetzt von der Union angedrohte Merkel-Steuer ist in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation völlig falsch. Sie würde voll durchschlagen auf Konjunktur und Binnennachfrage. Sie würde ausgerechnet die Bürger mit den kleinen und mittleren Einkommen am härtesten treffen. Sie würde das Handwerk schädigen und neue Anreize zur Schwarzarbeit setzen.“

Im Oktober 2005 hören wir von der SPD Forderungen nach einer Mehrwertsteuer von 20 %. Sie sollten außerdem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ihrem Webmaster auf Bundesebene unbedingt empfehlen, die Seiten mit der SPD-Kampagne gegen die Mehrwertsteuererhöhung schnellstens zu löschen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Herr Kosmehl, FDP, lacht)

Dort kann man immer noch wunderschöne Plakate, Flyer, Broschüren und Flugblätter gegen die Merkel-Steuer herunterladen.

(Herr Kosmehl, FDP: Die werden bestimmt auch noch bestellt!)