(Minister Herr Dr. Daehre: Das ist ja wohl - -! - Herr Scharf, CDU: Wie viele Leute kennen Sie denn?)
Pisa 2003 hat auch festgestellt, dass es in SachsenAnhalt in den Mittelwerten zwischen den Schulformen Unterschiede von mehr als 100 Kompetenzpunkten gibt. Das ist der Umfang von zwei Schuljahren. Alle Türen offen zu halten, kann in der Praxis gar nicht stattfinden. Die Tür ist einen kleinen Spalt offen, aber mehr nicht. Offensichtlich wird das auch nicht wirklich beabsichtigt, sonst würde das Gymnasium nicht als eine „Aufsteigerschule“ verstanden, wie der Minister sie in dieser Expertise genannt hat.
Der Grund für dieses Dilemma liegt darin, dass eben differenzierend und nicht differenziert unterrichtet wird.
Der unterschiedliche Bildungsabschluss ist das Ziel des differenzierenden Unterrichts, nicht das differenzierte Herangehen im Interesse des Nachteilsausgleiches und der Möglichkeit, einen höheren Abschluss zu erreichen.
(Frau Feußner, CDU: In jeder Schulform wird dif- ferenziert unterrichtet! Was behaupten Sie eigent- lich hier? Wie stellen Sie denn die Lehrer dar?)
Das aber ist nicht den Lehrerinnen und Lehrern anzulasten, sondern der herrschenden Bildungspolitik.
- Frau Feußner, mir ist schon öfter aufgefallen, dass Sie an einem gebrochenen Wirklichkeitsverständnis leiden.
- Frau Feußner, ich habe Ihnen sehr ruhig zugehört, obwohl es manchmal schwer war. Tun Sie es jetzt einfach auch.
Man kann mit diesem Defizit natürlich auch so umgehen wie der Kultusminister auch heute wieder, wenn er mit Bezug auf Pisa betont, es komme auf das Kompetenzniveau an, nicht auf die Schulform.
Es sei doch zu akzeptieren, wenn Eltern, die selbst einen Realschulabschluss haben, für ihre Kinder genau diese Schule auswählen. Das sagte er am Ende des vergangenen Jahres hier im Landtag.
Herr Professor Olbertz, auch diese Aussage weist auf ein fehlendes Problembewusstsein hin. Die Aussage bei Pisa war doch nicht, dass man in einer Sekundarschule nicht die gleichen Kompetenzen erwerben kann. Im Gegenteil, es wurde schon bei Pisa 2000 hervorgehoben,
Das ist übrigens für mich ein Beleg, dass das gegliederte Schulsystem seine Rechtfertigung verliert, wenn es sie denn je gehabt hat.
(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Frau Feuß- ner, CDU: Das ist der Beleg, dass differenziert unterrichtet wird!)
Nein, der Vorwurf ist, dass trotz gleicher Kompetenz Schülerinnen und Schüler offensichtlich nicht die gleichen Möglichkeiten haben, an das Gymnasium, also an die „Aufsteigerschule“ zu kommen, und dass dies wiederum in erheblichem Maße vom sozialen und vom Bildungshintergrund der Eltern abhängt.
- Das haben Sie zitiert. Sie müssen Ihren eigenen Beitrag lesen. Ich habe das kürzlich mit großem Interesse getan.
So wird sozialer Benachteiligung beim Bildungszugang nicht nur nicht entgegengesteuert, sondern die gesellschaftliche Ungleichheit wird im Gegenteil in der Schule sogar verfestigt, ja sie wird dort reproduziert.
Nun sagt der Minister, es sei nicht schlimm, wenn Eltern sich für ihr Kind nun einmal so entschieden. Das ist sicher richtig. Aber warum wird dann aus der Schullaufbahnempfehlung eine solche Hürde gemacht? Warum wird dann neuerdings zum Hauptschulunterricht zugewiesen? Schlüssige Antworten darauf ist der Minister bisher schuldig geblieben.
Lassen Sie mich nun nach diesem Grundsatzreferat einen Blick auf die Schulreformen, die die schwarz-gelbe Regierung in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, werfen. Spätestens nach meiner Rede kennen Sie sie alle wieder. Dabei gibt es durchaus nicht nur Kritikwürdiges, sondern auch Begrüßenswertes. Ich will beides nennen.
Zu ihrer umfassenden Bildungsreform brauchte die derzeitige Landesregierung immerhin drei Jahre und drei Gesetze. Das erste kam schnell und es war auch ein Schnellschuss. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes wurde die Grundschule mit festen Öffnungszeiten in eine verlässliche umgewandelt.
Offensichtlich blieb der Landesregierung bisher der pädagogische Wert eines rhythmisierten Schultages für die Gestaltung des Lernprozesses in der Primarstufe, also von Bildung, ein Buch mit sieben Siegeln. Bildung in einem festen Zeitrahmen wurde mit Betreuung in Abwesenheit der Eltern verwechselt, weshalb die Landesregierung auch einen Ganztagsbetreuungsanspruch für Kinder in Kindertageseinrichtungen bis heute für überflüssig hält.
Im Übrigen, Frau Feußner: Auch die Heraufsetzung der Stundentafel in der Grundschule ist dann nach Ihrem Verständnis ein Freizeitraub.
Der zweite Schulgesetzentwurf der Landesregierung folgte auf dem Fuße. Mit ihm wurde nicht nur im Folgejahr
die Förderstufe beendet, sondern auch - ich kann die andere Form nicht als Förderstufe begreifen, tut mit leid - die Vollzeitschulpflicht auf neun Jahre reduziert und festgelegt, dass zum hauptschulbezogenen Unterricht künftig zugewiesen wird. Das galt erstmals für Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2005 in die 7. Klasse gekommen sind. Die Konsequenz: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler im Hauptschulunterricht erhöhte sich um 10,9 Prozentpunkte auf, glaube ich, 34,4 %.
Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, im letzten Jahr gesenkt werden konnte. Ich finde es auch überflüssig zu reklamieren, wer hierbei den Erfolg für sich verbuchen kann:
die jetzige Landesregierung mit Reformen, die in der Schulpraxis der betroffenen Schülerinnen und Schüler noch gar nicht angekommen sein können,
oder womöglich die vorangegangene Landesregierung mit der Reform der Sekundarschule, die noch gar nicht richtig zum Zuge kam. Oder waren es vielleicht doch die Schweizer?
Ich will für meine Partei ganz deutlich sagen: Ja, es ist ein Fortschritt, wenn weniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne irgendeinen Abschluss der allgemeinbildenden Schule verlassen. Aber der Hauptschulabschluss ist für uns in diesem hohen Umfange kein erstrebenswertes Ziel.
Er bietet nur wenigen angemessene Aussichten auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt und darum sollte er nicht auch noch kultiviert werden.
Wir wollen nicht nur den Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss senken, sondern auch den Anteil derer, die die Schule nur mit einem Hauptschulabschluss verlassen.
(Frau Feußner, CDU: „Nur“ ein Hauptschulab- schluss! - Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Ol- bertz)
- Ja, nur. - Der ist eine Möglichkeit für diejenigen, die trotz umfangreicher Förderung keinen höheren Abschluss erwerben können. Mehr ist er nicht. Die Erhöhung des Anteils von Hauptschülern auf 34 % - ich erinnere an das Ziel dieses Unterrichts - wird sich darum womöglich als ein Pyrrhussieg erweisen. Aber das merken wir erst in einigen Jahren.
Unser Ziel ist es, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern einen soliden Abschluss der 10. Klasse zu ermöglichen und mehr Schülerinnen und Schülern als heute ein gutes Abitur.