Protocol of the Session on October 10, 2002

In der Vergangenheit haben auch Bundesregierung und Landesregierung immer wieder betont: Es ist eine nationale Katastrophe gewesen. Eine nationale Katastrophe benötigt nicht nur zur Folgenbeseitigung, sondern auch zur Katastrophenabwehr bei künftigen Katastrophen nationale Instrumente. Deshalb können wir Punkt 2 des Änderungsantrags der FDP auf keinen Fall akzeptieren.

Viertens. Die Soforthilfe hat die erste Not überbrückt. In den Gesprächen vor Ort sind aber auch Lücken sichtbar geworden sind, die auf Dauer für die Betroffenen einen sozialen Absturz bedeuten können. Die Übergangshilfe für Inventar ist an die Obergrenze eines Jahreseinkommens von 30 000 € bei zwei Personen gebunden. Diese Höhe wird von den verantwortlichen Kommunalpolitikern eindeutig als zu niedrig eingeschätzt.

Dies betrifft auch die Eigenheimzulage. Herr Professor Paqué hat zumindest laut darüber nachgedacht, dass es für die vom Hochwasser Betroffenen eine Ausnahmeregelung geben müsste: die erneute Beantragung. Diese Forderung würden wir voll und ganz unterstützen.

Auf ein anderes Problem, mit dem ich in Dessau auch konfrontiert worden bin, möchte ich in diesem Zusammenhang noch verweisen. Die Gruppe von Kleinstunternehmern und Gewerbetreibenden, deren Betriebe von der Flut zerstört wurden, erhalten zwar Wiederaufbauhilfe, auch wenn dies meist nur ein Anfang ist; bis zur Geschäftseröffnung wird jedoch noch einige Zeit vergehen. Ihnen, ob Besitzerin eines Eiscafés in Dessau oder Inhaberin einer kleinen Boutique, fehlen jedoch die Einnahmen nicht nur zur Zahlung der Betriebskosten, vielmehr fehlt ihnen das Geld für das eigene Überleben. Drängend sind in diesem Zusammenhang vor allem die Zahlung der Krankenkassenbeiträge für sich selbst. Eine unbürokratische Lösung durch die Krankenkassen, ob durch Stundung oder verkürzte Ratenzahlung, würde den Frauen und natürlich auch den betroffenen Männern helfen. Ansonsten bliebe ihnen nur der Gang zum Sozialamt und sie müssten den Rest des Vermögens, das sie besitzen, offen legen.

Meine Damen und Herren! Die Menschen, die es betrifft, sind infolge ihrer Selbstständigkeit nicht reich geworden. Sie haben nach wie vor Kredite abzuzahlen. Sie wollen einen Neuanfang leisten. Sie wollen auch mit Würde diese Katastrophe meistern. Sie brauchen wirklich unbürokratische Hilfe.

Fünftens. Bevor die nächste Flut kommt - darauf wurde heute schon mehrfach eingegangen -, sind eine kritische Analyse und eine Überarbeitung der Kompetenzzuweisung und -wahrnehmung im Katastrophenfall erforderlich. Hierbei sind die Landräte und die Bürgermeister, aber auch die Leiter der Feuerwehren, des Katastrophenschutzes und viele andere gefragt.

Wichtig ist vor allen Dingen eine solide Kritik anhand der Tagebücher, die in diesen Tagen geführt wurden. Es müssen schnell die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Im Zuge des Wegfalls der Regierungspräsidien, an denen in diesem Katastrophenfall die meiste Kritik geübt worden ist, müssen die Kompetenzen neu gerichtet werden. Die Strukturen der Katastrophenwarnung und die Verhaltensnormierung im Katastrophenfall stehen auf dem Prüfstand.

Ich möchte es jetzt wirklich nicht als einen Rückfall in vergangene Zeiten verstanden wissen, meine Damen und Herren, aber bei einem solchen Naturereignis kann

ich beim besten Willen nicht erst eine basisdemokratische Entscheidungsrunde einberufen, sondern es muss klare Entscheidungsstrukturen geben.

(Heiterkeit bei der PDS)

Es muss doch klar sein, wer das Sagen hat, der Landrat, der Bürgermeister, das THW oder der gerade zuständige Bundeswehroffizier. Es kann nicht sein, dass der, der in dem Augenblick in der Runde das stärkste Durchsetzungsvermögen hat, sagt: Jetzt sage ich, wie es gemacht wird. So ist es in einigen Kreisen passiert. Wir brauchen nur für solche Fälle klare Entscheidungsstrukturen. Das, was es bisher gibt, hat nicht ausgereicht.

Sechstens. Der weitere Ausbau der Elbe und der Saale scheint erst einmal vom Tisch zu sein. Es ist eigentlich schlimm, dass es erst eine Katastrophe solchen Ausmaßes geben musste, bis Stopp gesagt wurde. Noch während der Landtagswahlen war die PDS eigentlich die einzige Partei, die sich konsequent für einen Ausbaustopp eingesetzt hat. - Aber lassen wir das.

Ein Argument der Koalition ist: Wir dürfen unseren Haushalt zugunsten der künftigen Generationen nicht weiter verschulden. Dieses Argument, so flach es ist, sollten wir aber auf alle Fälle auch auf den Umweltschutz anwenden, denn wir haben die Erde wirklich nur von unseren Kindern gepachtet.

(Beifall bei der PDS)

Bei der gegenwärtigen Klimaentwicklung werden wir uns auf Katastrophen der verschiedensten Art vorbereiten müssen, ob uns das nun passt oder nicht. - Herr Scharf ist gerade nicht im Raum.

Wir sollten uns wappnen und dazu gehört nach der Reparatur der Deiche auch ein DIN-gerechter Deichausbau. In Dessau sind von den Deichen mit einer Länge von 40 km ganze 4 km DIN-gerecht. Darüber hinaus brauchen wir eine funktionierende Bewachung der Deiche. Es werden Menschen gebraucht. Allein Dessau braucht in einem solchen Fall für eine Schicht zur Bewachung der Deiche 40 Menschen, also pro Tag 120 Menschen.

Die den natürlichen Erfordernissen gerecht werdende Ausgestaltung von Flussläufen ist mehr als überfällig. Wir können über Elbe-Ausbau und Saale-Staustufen diskutieren, aber glauben Sie im Ernst, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dass auch nur ein Fuhrunternehmer freiwillig auf seine Trucks verzichtet und auf Binnenschiffe setzt, die auch noch Witterungsunbilden ausgesetzt sind und für die er außerdem Romantiker braucht, die für wenig Geld wochenlang auf dem Wasser sind? Ich gebe zu, auch unter Truckfahrern braucht man noch eine gewisse Romantik, aber die Autobahnen haben das inzwischen ziemlich zerstört.

(Zuruf von Herrn El-Khalil, CDU)

- Es wird doch nicht einmal die Schiene genutzt. Bernburg hat zum Beispiel einen Bahnhof mit einem ausgebauten Schienennetz.

(Beifall bei der PDS - Frau Bull, PDS: Das ist der Punkt!)

Auch Fragen der Bebauung der Flusslandschaften müssen stärker diskutiert werden.

(Zuruf von Herrn Koch, CDU)

Ich will nicht nur auf die Wohnbebauung verweisen. Es gab gestern die ersten Schätzungen zum Krankenhaus

Bitterfeld, das unter Wasser stand. Es wird mit einem Schaden in Höhe von 30 Millionen € gerechnet. Das ist dort aber nicht der erste Schaden in diesem Jahr. Im Frühjahr gab es bereits einen Schaden im Umfang von einer halben Million, weil das Grundwasser über die Wanne gestiegen war - bei einem ganz normalen Hochwasser. Wir müssen also ernsthaft darüber nachdenken, wo was gebaut wird.

Siebentens. Wir brauchen für den Katastrophenfall ausreichende Reserven im finanziellen und materiellen Bereich. Das Europäische Parlament hat gestern der Einrichtung eines Solidaritätsfonds zugestimmt. Wir brauchen materielle und finanzielle Reserven für Katastrophen auf Länder- und Bundesebene, die aber auch einem einheitlich Standard unterliegen müssten.

Der Markt kann durchaus vielfältig und bunt sein, aber wenn im Katastrophenfall die Ölpumpen aus Bayern nicht zu den Anschlussstutzen in Sachsen-Anhalt passen, dann funktioniert das einfach nicht. Dann passt die Beleuchtung nicht usw. Frau Pieper hat selbst auf die nicht kompatiblen Kommunikationssysteme verwiesen. Hierüber muss also weiter nachgedacht werden. Es muss nicht immer die neueste Technik sein, aber sie sollte wenigstens zusammenpassen.

Meine Damen und Herren! Sie kennen nun unsere Vorstellungen. Sie sind das Ergebnis unseres Erlebens während des Hochwassers, ob nun beim Füllen der Sandsäcke oder auch bei vielen Gesprächen mit Betroffenen. Sie sind ein Angebot zum Gespräch, auch zum Streit. Darüber sollten wir aber das eigentliche Anliegen nicht vergessen: im Interesse der Betroffenen einen Neuanfang mit entsprechender finanzieller und materieller Unterstützung zu sichern.

Der Änderungsantrag der FDP, der vorgelegt wurde, ist aus unserer Sicht ein Alternativantrag. Er soll unseren Antrag ersetzen und damit wichtige Punkte, auf die wir Wert legen, wegdrücken. Falls die Anträge nicht in die Ausschüsse überwiesen werden sollten, beantrage ich eine Alternativabstimmung. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Frau Dr. Klein, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie den Antrag in den zeitweiligen Ausschuss Hochwasser und zur Mitberatung in den Ausschuss für Finanzen überweisen wollen?

(Frau Dr. Klein, PDS: Ja!)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Antrag der PDS mit dem Titel „Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich“. Den Antrag bringt die Abgeordnete Frau Dirlich ein. Bitte sehr, Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz sicher sind wir alle nicht nur betroffen vom Ausmaß der Schäden, die dieses Hochwasser SachsenAnhalt beschert hat, sondern auch von dem Ausmaß der Anstrengungen, die notwendig sein werden, um diese Schäden wieder zu beseitigen. Dabei ist es nur natürlich, dass brach liegendes Arbeitskräftepotenzial genutzt werden soll, dass Arbeitslose eine Chance erhalten sollen.

Wir haben es deshalb auch begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem Aktionsprogramm „Hochwasser 2002/ 2003“ der Bundesanstalt für Arbeit zusätzliche Mittel in Höhe von 50 Millionen € für die Förderung von Strukturanpassungsmaßnahmen, also SAM, zur Verfügung gestellt hat.

Auch das Land Sachsen-Anhalt wollte hierbei nicht nachstehen. Zunächst hat es so ausgesehen, als sollten zusätzliche Anstrengungen vom Land unternommen werden. So jedenfalls geht es aus einer Pressemitteilung vom 20. August 2002 hervor, in der das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit zusätzliche Mittel in Höhe von 2,6 Millionen € für den Einsatz von Arbeitslosen für die Wiederherstellung der Infrastruktur in den Hochwassergebieten ankündigte. Damit sollte laut Pressemitteilung das Sonderprogramm des Bundes mit jeweils 500 € pro Person aufgestockt werden.

Was aber nun folgte, hatten sich die Betroffenen in den SAM-Projekten wohl eher nicht träumen lassen. Schon am 21. August 2002 kündigte der Vizepräsident des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt/Thüringen an, alle bestehenden und geplanten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen und - soweit notwendig - in Maßnahmen zur Beseitigung der Flutschäden umzuwidmen.

Dass diese Ankündigung des Landesarbeitsamtes von der Landesregierung allerdings dazu genutzt werden könnte, soziale Betreuungsprojekte, kulturelle Projekte in einem erheblichen Umfang infrage zu stellen, war zunächst so abwegig, dass auch der Ministerpräsident, danach befragt, das Ansinnen weit von sich wies.

Die Beruhigung war nur kurz. Das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit setzte tatsächlich noch einen drauf. Es häuften sich Fälle, in denen unter ausdrücklichem Verweis auf die Strukturanpassungsmaßnahmen zu Aufräum- und Sanierungsarbeiten im Zusammenhang mit den Hochwasserschäden Bewilligungen von SAM in den genannten Bereichen, also in dem sozialen, dem kulturellen und dem Betreuungsbereich, abgesagt wurden. Derartige Briefe erhalten vor allem Projekte im Bereich der Jugendarbeit, Mädchenprojekte, Projekte kultureller Jugendarbeit, Sportvereine, Kreissportbünde und Projekte zur sozialen Betreuung.

Immer wird im Zusammenhang mit der Bewältigung der Flut das geradezu unglaubliche Engagement von Jugendlichen gelobt und gewürdigt. Wie müssen sich Jugendliche fühlen, wenn ihnen nun zum Dank gerade ihre Projekte gestrichen werden? Sie bekommen eine Medaille umgehängt und gleichzeitig wird ihr Jugendklub geschlossen.

(Beifall bei der PDS)

Das macht eine Resolution der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung in Sachsen-Anhalt e. V. deutlich, die mit einem Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt geschickt wurde - ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident -:

„Die jungen Menschen haben in ihrem Einsatz, zu dem sie niemand aufgefordert und gedrängt hat, eine Bewährungsprobe und eine Sinnerfüllung erlebt. Wenn man ihnen jetzt diesen Elan nimmt und in den Bereichen Sport, Kultur und Freizeit Bildungserfolge entzieht, dann fühlen sie sich zu Recht zurückgestoßen in eine Sphäre, in

der Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen um sich greift. Ergebnis: Sie misstrauen einer demokratischen Politik.“

Ich fürchte, dass die Geschichte noch ein bisschen perfider ist. Der Minister hat schon lange vor der Flut deutlich gesagt, dass es größere Einschnitte bei den Arbeitsmarktmaßnahmen im sozialen, kulturellen und Betreuungsbereich geben wird.

Die Beseitigung der Hochwasserschäden scheint nun das Absprungbrett zu sein, von dem aus es möglich ist, diese Einschnitte wesentlich schneller, wesentlich radikaler und vor allem gegen wesentlich weniger Widerstand durchzusetzen. Denn wer will schon lautstark gegen die Beseitigung von Hochwasserschäden protestieren oder gar sich gegen die Hilfe für die Opfer zur Wehr setzen?

Wir halten dieses Vorgehen für unredlich und fordern die Landesregierung auf, ihr Versprechen vom 20. August 2002 einzuhalten und die Mittel für die Behebung der Infrastrukturschäden zusätzlich zur Verfügung zu stellen.

(Zustimmung von Frau Ferchland, PDS, von Herrn Gallert, PDS, und von Frau Dr. Sitte, PDS)

Das ist vor allen Dingen deshalb notwendig, weil mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, den Strukturanpassungsmaßnahmen die Strukturen der Arbeit in diesem Bereich gefährdet sind; nicht nur einzelne Maßnahmen, nicht nur einzelne Projekte, sondern ganze Strukturen sind damit gefährdet.

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Und die Kommunen werden nicht in der Lage sein, die so entstehenden Defizite zu kompensieren.

Ich mache schon an dieser Stelle darauf aufmerksam: Heute Morgen hat es eine Demonstration vor dem Landtag gegeben, weil der Haushaltsplanentwurf 2003 - entgegen den Wahlversprechungen der CDU und der FDP übrigens - eine Kürzung der Kommunalfinanzen vorsieht. Der Kahlschlag im Sozialbereich kommt noch dazu. Die Probleme werden sich also potenzieren.