Protocol of the Session on October 10, 2002

Und wenn hier etwas nicht stimmt, dann muss es durch den zeitweiligen Ausschuss auf den Punkt gebracht werden, und wir müssen den Mut haben, Naturschutz, Umweltschutz und Hochwasserschutz so miteinander in

Einklang zu bringen, dass an erster Stelle der Schutz von Mensch und Hab und Gut steht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Priorität muss in diesem Land wieder durchgesetzt werden. Sie ist offensichtlich in den letzten acht Jahren falsch gesetzt worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Dr. Köck, PDS: Das ist die halbe Wahrheit!)

- Wenn es die halbe Wahrheit ist, Herr Dr. Köck, dann ist diese halbe Wahrheit vielleicht schon die ganze Katastrophe, wenn wir nicht aufpassen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen im Einzelnen darauf aufpassen, wo wir die notwendigen Hochwasserschutzmaßnahmen zügig durchführen.

(Zuruf von Herrn Dr. Köck, PDS)

Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wenn im Steckby-Lödderitzer Forst gesagt wurde, dass bestimmt Wege einfach nicht befahrbar waren und die Bundeswehr erst mit schwerem Gerät helfen musste, damit die Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt werden konnten, dann ist das ein Zustand, der nicht als normal bezeichnet werden kann. Hier muss eine Änderung herbeigeführt werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

In der Katastrophe wurde gewiss nicht alles richtig gemacht. Aber ich glaube, der Satz des Innenministers, neun von zehn Entscheidungen seien richtig gewesen, gilt. Man muss auch akzeptieren, dass bei einer solchen einmaligen Katastrophe eben eine von zehn Entscheidungen nicht richtig gewesen ist. Die Lehren aus den nicht richtigen Entscheidungen müssen wir ziehen.

Ich habe zum Beispiel selbst gemerkt, dass es bei den örtlichen Katastrophenstäben immer wieder passiert ist, dass die örtliche Presse nicht schnell und nicht sauber genug informiert worden ist. Eine saubere Information der Bevölkerung ist, denke ich, das beste Mittel gegen Panik, die zum Glück nicht im Großen entstanden ist; aber die mangelnde oder nicht richtige Information hat doch hin und wieder zu Verunsicherungen geführt.

Ich habe auch selbst erlebt, wie anfangs ortskundige Bewohner vor Ort nicht zur Deichwache zugelassen geworden sind, obwohl sie ganz genau wussten, wo seit Jahren und Jahrzehnten die Sickerstellen waren. Diese Fehler wurden allerdings später nach Intervention behoben; aber es macht eben einfach keinen Sinn, wenn man zu Anfang relativ unkundiges Personal aus den Verwaltungen dazu abstellt, die Deichwachen zu übernehmen, ohne dass sie eine örtliche Kenntnis haben. Ich denke hier ist wirklich im Vorfeld einiges an besserer Planung möglich, sodass wir, wenn eine neue Bewährungssituation auf uns zukommt, besser gewappnet sind.

Diese Erlebnisse stellen für mich aber nicht das Katastrophenschutzgesetz und die Katastrophenschutzbestimmungen im Land Sachsen-Anhalt generell infrage. Es muss nur mehr und besser geübt werden, damit wir auf solche seltenen und schwierigen Ereignisse ordentlich vorbereitet sind.

Nach bisherigen Erkenntnissen hat sich das bestehende Katastrophenschutzsystem im Land Sachsen-Anhalt bewährt. Die Defizite zum Beispiel im Bereich des Meldeverhaltens und der Abstimmung der Behörden untereinander, hinsichtlich der Koordination von Einsatzkräften und Einsatzmitteln und im Hinblick auf die Aus- und Fortbildung sind nicht grundsätzlicher, nicht systemischer Natur. Dennoch hat es in all diesen Bereichen Schwachstellen gegeben, die nun zügig aufgearbeitet werden müssen.

Meine Damen und Herren! Was haben wir für die Zukunft zu tun? - Die Landesregierung hat schnell und entschlossen gehandelt. Mitte September und damit so früh wie möglich ist die Reparatur zerstörter Hochwasserschutzanlagen angelaufen. Der Schutz gefährdeter Ortschaften läuft mittlerweile auf Hochtouren.

Wir haben eine gewaltige Herausforderung vor uns: Zerstörte Hochwasserschutzanlagen müssen repariert werden, die Sanierung veralteter Anlagen im Rahmen des Sanierungskonzepts Elbedeiche muss forciert und der Bau neuer Deiche muss schnell und konsequent in Angriff genommen werden. Bis zum Ende des Jahres wird ein aktuelles Landeskonzept Hochwasser vorliegen.

Eine wichtige Aufgabe erkenne ich darüber hinaus im Aufbau eines internationalen Hochwasservorhersagesystems sowie in der Modernisierung sowohl der technischen Ausrüstungen an den Pegeln als auch der Übertragungswege in die Überwachungseinrichtungen. Das Internet hat sich hierzu als ein guter Kommunikationsweg herausgestellt. Für die Zukunft sollten wir die Informationspolitik der Krisenstäbe unter Nutzung der Möglichkeiten des Internets miteinander fest vereinbaren.

Wir brauchen ein modernes Hochwasservorhersagesystem. Die topografischen Karten hierzu liegen alle vor. Es müssen jetzt nur die Fachkundigen daran gesetzt werden, um auch für die Elbe ein Vorhersagesystem zu erarbeiten, wie es das für andere Flussläufe inzwischen schon gibt.

Meine Damen und Herren! An manchen Stellen hat uns das Hochwasser aber vor vollendete Tatsachen gestellt, die wir nicht wieder verändern können, sodass wir auf eine neue Lage reagieren müssen.

An der Goitzsche wurden immerhin zwei Millionen Kubikmeter Erde und Bäume in den ehemaligen Tagebau gespült. Dort stellt sich die Frage, ob das Projekt neu überplant werden muss. Ich will daran erinnern, dass wir uns seit mindestens fünf Jahren oder noch länger im Land Sachsen-Anhalt darüber unterhalten haben, wie wir peu à peu, Stück für Stück über viele Jahre die Goitzsche fluten wollten; und sie war in zwei Tagen voll. Das muss zu neuen Überlegungen führen. Wir müssen uns der neuen Lage bewusst stellen.

Das Hochwasser hat auch schonungslos Fehler aus der Vergangenheit offenbart. Ich will es an dieser Stelle ganz deutlich machen: Es muss Schluss sein damit, dass in gewissen Deichabschnitten ein falsch verstandener Naturschutz zulasten der Sicherheit insbesondere von Deichen betrieben wird. Die Deichzufahrten müssen frei zugänglich sein. Die Wege und Deichabschnitte, die die Natur zurückgeholt hat, müssen bewusst wieder dem Hochwasserschutz zugeführt werden.

Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle auch sagen: Ich halte es für falsch, das Hochwasser an der

Elbe dafür zu benutzen, nun vielleicht die Reparaturpläne an der Elbe und die Pläne der durchgängigen Schiffbarmachung an Saale und Elbe aufzugeben.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Ich hielte es für ein katastrophales Zeichen, jetzt zu sagen, dass die angebliche Lehre aus der Jahrhundertflut die sein soll, dass wir die Elbe nicht mehr reparieren und nicht mehr für die Schifffahrt zugänglich machen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Reparieren, was heißt denn reparieren?)

Herr Dr. Püchel, wenn Sie gesagt haben, es sei etwas Natürliches, dass sich Flüsse ein neues Bett suchten, dann will ich darauf sagen: Seit über 100 Jahren ist das zum Glück nicht mehr etwas Natürliches, sondern die Ausnahme. Wir sollten die Flüsse wirklich zwingen, in ihrem Bett zu bleiben, nicht in einem zu engen, aber in einem Bett zu bleiben, das wir ihnen heute zugewiesen haben.

Ich will als Magdeburger sagen, die Vorstellung, dass sich die Elbe in Magdeburg wieder ihr altes Bett zurückerobert und durch Magdeburg-Neustadt fließt, sodass der Magdeburger Zoo zukünftig wieder Elbebett ist, ist doch wohl eine Vorstellung, die niemand ernsthaft entwickeln kann.

(Beifall bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)

- Nein, ich will damit nur sagen, im Urstromtal Elbe hat die Elbe in den letzten Jahrhunderten in breiter Variation ihr Bett verändert. Es will doch wohl keiner zulassen, dass so etwas wieder passiert.

Wir sind uns wahrscheinlich darüber einig, dass die Elbe nicht in ein zu enges Bett gezwängt werden soll. Das will doch niemand. Deshalb habe ich vorhin auch darüber gesprochen: Deichrückverlegung, wo es möglich ist, Polderflächen, wo es sinnvoll ist. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir die Elbe auch weiterhin als einen Fluss brauchen, der für die wirtschaftliche Tätigkeit in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus von Hamburg bis Prag als Wasserweg schiffbar und benutzbar sein muss. Dahinter dürfen wir doch nicht zurückgehen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank - Zustimmung bei der FDP)

Über die Investitionshilfen von Bund und Land ist schon gesprochen worden. Ich will an dieser Stelle nur noch einmal darauf zurückkommen, welche Risiken bleiben und durch Menschenhand wahrscheinlich nicht beeinflussbar sind.

Ein Jahrhunderthochwasser ist, so hoffen wir, mit einem DIN-gerechten Ausbau der Deiche beherrschbar. Das heißt aber natürlich auch, ein Fünfhundertjahreshochwasser wird auch in Zukunft nicht beherrschbar sein. Es ist durchaus möglich, dass so ein Hochwasser irgendwann einmal kommt. Deshalb brauchen wir in der Bevölkerung ein Bewusstsein - das muss auch in den Schulen vermittelt werden -, dass es keine hoch zivilisierte Gesellschaft gibt, in der per Definition Katastrophen ausgeschlossen werden können. Wir müssen lernen, auch mit Katastrophen zu leben.

Damit sind die elementaren Fragen aufgerufen, die die Stellung des Menschen in der Natur berühren. Wir müssen uns diesen stellen. Wir müssen anerkennen, dass wir Teil der Schöpfung sind und die Schöpfung nur in einem begrenzten Maß selbst gestalten können. Diesen Auftrag haben wir dann aber auch tatsächlich anzunehmen. Wir müssen auch realistische Szenarien für die Katastrophen entwickeln, die mit einer einfachen Deicherhöhung und mit einer Rückverlegung von Deichen letztlich vielleicht trotzdem nicht zu bewältigen sind.

Ich warne an dieser Stelle davor, eine Klimakatastrophe herbeizureden. Wir alle wissen, dass anthropogene Faktoren das Wetter durchaus verändern. Es ist aber durchaus umstritten, in welchem Maße wir globale Klimaveränderungen hinzunehmen haben, die nicht menschlich beeinflusst sind,

(Zuruf von der SPD: 60 %!)

und in welchem Maße der Mensch anthropogen das Klima verändern wird.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ozonloch!)

- Wenn Sie so forsch die Zahl 60 % in den Raum werfen, so würde ich diese Zahl durchaus bestreiten. Ich warne sehr davor, ideologisch eine Klimakatastrophendiskussion herbeizuführen. Es ist nicht Aufgabe der Parlamente, Katastrophenszenarien zu entwickeln, die wissenschaftlich äußerst umstritten sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir werden uns wahrscheinlich darin einig sein, dass wir verantwortlich mit der Natur umzugehen haben, dass wir verantwortlich mit den Emissionen umzugehen haben, die der Mensch selbst zu verantworten hat. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir Ökologie und Ökonomie so miteinander in Einklang bringen, dass wir uns nicht selbst die ökonomischen Grundlagen entziehen, die wir auch weiterhin für eine sinnvolle Bewirtschaftung unserer Welt brauchen, meine Damen und Herren.

Zur Frage der Finanzierung des Aufbaus. Sowohl Professor Böhmer als auch Herr Dr. Püchel haben dazu schon einiges ausgeführt, sodass ich die Einzelheiten der Hilfsprogramme an dieser Stelle nicht noch einmal ausführen möchte.

Ich will aber ganz klar sagen, Herr Dr. Püchel: Den Satz, dass es nach der Flut keinem materiell schlechter gehen soll als vorher, den hat Kanzler Schröder schon ganz bewusst zu einem Zeitpunkt gesagt, wo jeder wusste, er spricht als Bundeskanzler und in der Verantwortlichkeit des Bundes.

Die Schuld jetzt breit zu verteilen und zu sagen, alle haben ihr Scherflein daran zu tragen und so genau war der Satz nun auch wieder nicht gemeint - so geht es nicht, meine Damen und Herren! So kann man nicht mit den Menschen umgehen, die ihr Hab und Gut verloren haben, bei denen das Wasser zwei Meter hoch im Wohnzimmer stand. Für solche Menschen sind solche Sätze Hohn und Spott, wenn sie hinterher nicht eingelöst werden. Das, meine Damen und Herren, darf sich niemand leisten.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Die Landesregierung hat in der Person des Ministerpräsidenten sehr früh davor gewarnt, die Illusion zu verbreiten, als ob es einen 100-prozentigen Ersatz für die

materiellen Schäden je geben könnte. Für jeden, der von Schaden betroffen ist, ist der Schadensausgleich und sind die Hilfsmaßnahmen lebensnotwendig. Wenn er aber für sich die Abschlussbilanz macht, wird sich wahrscheinlich zeigen, dass der große Schaden bei dem Betroffenen selbst geblieben ist.

Es nützt nichts, Illusionen zu nähren, als ob dies die Gesellschaft oder ein Kanzler Schröder je abwenden könnten, je abwenden würden oder - das sage ich noch dazu - je abwenden wollten. Das war ein Stückchen Wahlkampf, das war ein Stückchen schäbiger Wahlkampf.