Protocol of the Session on November 11, 2005

Dritter Punkt. Frau Bull hat es mit Recht gesagt: Die Hartz-IV-Reformen sind insbesondere auch unter dem Motto präsentiert worden: Die kommunalen Gebietskörperschaften in Deutschland werden um ca. 2,5 Milliarden € pro Jahr entlastet. Wir haben inzwischen aus Sachsen-Anhalt und auch bundesweit Zahlen und Daten, die deutlich machen, dass diese Entlastung nicht annähernd erreicht worden ist. Wenn überhaupt eine Entlastung eingetreten ist, dann ist sie relativ überschaubar.

Deswegen möchte ich in aller Deutlichkeit sagen, dass auch die Landesregierung unter diesen Vorzeichen der Auffassung ist, dass die eigentlich dem Bund gegebene Möglichkeit, die kommunalen Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht angefallen sind, zurückzufordern bzw. zurückfordern zu lassen, nicht wahrgenommen werden darf.

Wir haben nach wie vor auf der kommunalen Ebene eine absolut unausgewogene Einnahmensituation. Die Einnahmen sind zu gering. Deshalb treten wir dafür ein, dass der Bund hier keine Rückforderungen geltend macht. Ich glaube, insofern sind wir mit allen Antragstellern einer Meinung. Ich hoffe sehr, dass in Berlin kurz

fristig in diesem Sinne entschieden wird. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister Rehberger. - Nunmehr kommen die Fraktionen zu Wort. Es spricht für die CDUFraktion Frau Marion Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bull, eine anfängliche Bemerkung zu Ihnen. Sie sagten, die Entlastung hätten wir in unseren Anträgen nicht mehr mit aufnehmen müssen; das wäre unsinnig. - Ich möchte bloß daran erinnern, Sie haben es auch drin.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Ja!)

Ich halte es für ganz wichtig, das einfach noch einmal zu nennen.

Hartz IV ist heute um mehr als 10 Milliarden € teurer als vor einem Jahr geplant. Selbstverständlich müssen wir diese Mehrkosten zur Disposition stellen. Wir müssen sie hinterfragen. Wir müssen hinterfragen, ob, in welcher Qualität und in welcher Höhe Leistungen zu kürzen sind. Wir müssen auch hinterfragen, ob es Missbrauch gibt und wie wir Missbrauch unterbinden können. - Ich denke, hierin sind wir uns auch einig.

Spekulative Zahlen im Bereich Missbrauch liegen uns vor. Sie liegen zwischen 5 und 20 %. Sie sind aber in keiner Weise durch Erhebungen oder Gutachten belegt. Man spricht lediglich von Erfahrungswerten.

Dagegen verwahren wir uns auch. Gegen eine solche unsägliche Diskussion auf dieser Basis müssen wir vorgehen. Bei handwerklich schlecht gemachten Gesetzen können wir eine extreme Inanspruchnahme - um es an dieser Stelle einmal ganz vorsichtig zu sagen -, die ohne strafrechtliche Relevanz ist, nicht verhindern.

Ich möchte auch an dieser Stelle noch einmal kurz auf Sie, Frau Bull, reagieren. Wenn Sie sich meine Redebeiträge zur Problematik Hartz noch einmal vorgenommen hätten, hätten Sie festgestellt: Ich habe von Anfang an gesagt, dass diese Gesetze handwerklich schlecht gemacht worden sind. Ich habe im Namen meiner Landtagsfraktion hier auch immer gefordert: Lasst uns noch ein Weilchen daran arbeiten, damit wir diese handwerklichen Fehler, die eigentlich noch drin sind, glatt bügeln können. - Aber man braucht im Prinzip auch Mehrheiten.

Im Ergebnis werden wir unter anderem auch darüber nachdenken müssen, wie die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften vielleicht zurückgefahren werden kann bzw. wie wir sie absolut überprüfen können.

Eine Missbrauchsdiskussion loszutreten und zu meinen, man hat die Wurzel allen Übels gefunden, ist nicht nur Menschen verachtend mit Blick auf alle Leistungsempfänger, sondern auch unseriös, weil es für mich ganz einfach eine Lüge ist. Wenn es aber kein Missbrauch ist - davon gehe ich in diesem Raum aus -, der die Kosten in die Höhe treibt, liegt es an der Großzügigkeit der Regelungen. Dann müssen wir uns überlegen, wo und an welcher Stelle Korrekturen unumgänglich sind.

Wir haben auch als Landespolitiker eine Verantwortung für den Gesamthaushalt der Bundesrepublik. Nach den

Regeln des privatwirtschaftlichen Insolvenzrechtes müsste das Unternehmen Deutschland Konkurs anmelden. Jeder Tag, den das Unternehmen Deutschland wartet, ist strafrechtlich relevant. Vor diesem Hintergrund darf es keinerlei Tabus geben.

Wir werden auch darüber nachdenken müssen, an die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II heranzugehen. Nach dem Regionalprinzip vorzugehen wäre meines Erachtens die beste Lösung. Dies ist sicher aber auch die bürokratisch aufwendigste und die verfassungsmäßig am schwierigsten zu realisierende Lösung.

Wogegen ich ebenfalls bin, ist eine neue Ost-WestDemarkationslinie aufzubauen. Das ist für mich die unsinnigste und ungerechteste Lösung.

Damit bleiben wieder die drei Varianten: alle Leistungsempfänger hoch auf 345 €, alle Leistungsempfänger angleichen auf vielleicht 340 €, was im Moment das Ende zu sein scheint, oder alle Leistungsempfänger runter auf 331 €. Im Rahmen dieser drei Varianten wird es eine Entscheidung geben und wir werden uns auch entscheiden müssen.

Aber an einer Stelle vorzugreifen, an der es stündlich Informationen, Änderungen usw. gibt, halte ich vor dem Hintergrund der desaströsen Haushaltslage für falsch. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist in ein Paket zu schnüren, an dessen Ende Wachstum und Beschäftigung stehen müssen. Jeder von uns im Saal kennt die Zahlen: 100 000 Arbeitslose weniger entlasten den Bundeshaushalt um 1,5 Milliarden €. Diese Zahlen sollten wir uns immer vor Augen führen.

Zu Punkt 2 Buchstabe b Ihres Antrages - man kann es fast unseren gemeinsamen Antrag nennen, da wir uns inhaltlich sehr nah sind - hat der Minister bereits etwas ausgeführt. Soweit uns Informationen vorliegen, soll es für das Jahr 2005 verbindlich keine Rückzahlungen an den Bund geben. Im Weiteren fordern auch wir unsere Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Kommunen bundesweit um 2,5 Milliarden € und in Sachsen-Anhalt um die zugesagten 80 Millionen € entlastet werden. Zulasten der Kommunen darf an dieser Stelle nichts geschehen.

Abschließend ist zu sagen: Das wichtigste Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende muss in aller erster Linie die Hilfe und die Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit bzw., wenn uns das nicht gelingt, die Sicherung des Lebensunterhalts sein. Hierfür steht die CDU-Fraktion ein.

Vielleicht darf ich abschließend noch etwas zu den Anträgen vorschlagen; vielleicht kann die Linkspartei.PDS dann auch mitgehen. Wir sind uns in den Punkten 1 und 2 unserer Anträge sehr nahe. Die SPD-Fraktion hat in ihrem Antrag einen zusätzlichen Punkt vorgeschlagen. Dabei geht es darum, die Landesregierung aufzufordern, uns im Januar 2006, nachdem wir ein Jahr durchgezogen haben, Zahlen vorzulegen, an denen wir ganz konkret arbeiten und überlegen können, welche Handlungen ganz wichtig sind.

Wir möchten Ihnen vorschlagen, dass wir diesen Punkt 2 in den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP aufnehmen. Ich bitte darum, den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP mit dieser Änderung anzunehmen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Fischer. - Nun spricht für die SPDFraktion Frau Ute Fischer.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute schon viel über die soziale Polarisierung gesprochen und auch über die Auswirkungen der Arbeitsmarktreform, die hierzu beiträgt. Ich denke, die Bilanz, die der Paritätische Wohlfahrtsverband uns vorgelegt hat, spricht ihre eigene Sprache. Wir sollten die Probleme, die an dieser Stelle aufgemacht werden, nicht kleinreden, sondern wir sollten uns damit befassen.

Die öffentliche Debatte und auch die Äußerungen des Ministers Clement, die Beschimpfung derer, die das SGB II ausschöpfen, finde auch ich unerträglich. Ich denke, wir könnten auch mit einem Beschluss, so wie er jetzt formuliert ist, wenig dagegen tun.

Ich glaube, wir müssen an den Stellen, an denen wir mit den Betroffenen reden, deutlich machen, dass wir sie nicht zu irgendwelchen Schmarotzern zählen, sondern dass wir sehr wohl ihre Situation verstehen. Es ist so, dass die meisten Betroffenen viel lieber einen Arbeitsplatz mit auskömmlichem Lohn haben wollen und nicht von Sozialleistungen leben wollen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Niemand beschimpft die Besserverdienenden und Unternehmen, deren Steuerberater alle Schlupflöcher der Gesetze ausnutzen und damit Steuerzahlungen einsparen.

(Frau Dirlich, Linkspartei.PDS: Traurig, aber wahr!)

Niemand sagt etwas gegen die Schiffsfonds und sonstige Dinge, bei denen Gelder ausgegeben werden, um damit Steuern zu sparen. Darüber wird nicht geredet. Aber wenn diejenigen, die ohnehin wenig haben, Gesetze ausnutzen und für sich nutzen, dann werden sehr schnell Beschimpfungen vorgebracht, wird von Schmarotzertum gesprochen. Ich finde das nicht gut und ich verwahre mich auch für unsere Fraktion dagegen.

Es steht fest, dass das Gesetz nachgesteuert muss. So eine umfangreiche Reform gab es bisher noch nie. Es war ein schwieriges Unterfangen, das Sozialhilferecht und das Arbeitsförderungsrecht zusammenzuführen. Leider funktioniert oft das nicht, was wir eigentlich damit wollten, nämlich eine Förderung aus einer Hand. Es wird weiterhin differenziert: Dorthin gehen die Arbeitslosengeld-I-Empfänger und dorthin gehen die Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Das, was wir eigentlich damit erreichen wollten, ist noch nicht realisiert, auch nicht durch die Umstrukturierung der Arbeitsgemeinschaften oder der Agentur für Arbeit. Ich denke, wir haben an dieser Stelle noch sehr viel zu tun, um weiter zu drücken und dies auch in Richtung Berlin weiterzuleiten.

Die SPD-Fraktion hat bereits am 3. Mai ein Papier an Christine Bergmann übergeben, die im Ombudsrat mitarbeitet, in dem eine ganze Reihe unserer Forderungen aufgelistet ist, die wir bereits damals gesehen haben und bei denen nachzusteuern ist. Schon damals haben wir gefordert, die Regelsätze auf ein bundeseinheitliches Niveau anzuheben, natürlich immer davon ausgehend, weil die Lebenshaltungskosten nun einmal so sind, dass sie auf das westdeutsche Niveau anzuheben sind. Ich

denke, an dieser Stelle dürften auch keine Probleme mehr vorhanden sein. Es gibt keine Unterschiede in den Lebenshaltungskosten und ich fände es schlimm, wenn es weiter bei den unterschiedlichen Regelsätzen bliebe.

Ich glaube, die Anträge sagen aus - darin sind wir uns einig -, dass die Regelsätze bundeseinheitlich sein müssen. Wir wollen es mehrheitlich auf 345 € anheben. Wenn es nur 340 € sind, dann muss man damit leben.

Auch in der Frage des Revisionsverfahrens sind wir uns einig. Die CDU hat inzwischen gemerkt, dass die Landesregierung das nicht realisieren kann. So viel Geld ist nicht möglich. Ich denke, wir müssen das auf der Bundesebene klären. Ich glaube, das ist eigentlich für uns alle klar.

Es ist gut, dass die CDU-Fraktion unseren Absatz 2 an ihren Antrag anhängt. Für uns ist es ganz wichtig, dass wir einen genauen Überblick darüber bekommen, wo Geld bei den Kreisen eingespart wird; denn ein Landkreis spart die Sozialhilfe, er spart die Wohngeldkosten, das Land spart die Wohngeldkosten und es gibt Personaleinsparungen.

All diese Dinge muss man wirklich einmal zusammenrechnen und sie gegen die Kosten für die Unterkunft aufrechnen, um sehen zu können, was tatsächlich ausgegeben und was eingespart worden ist. Es wäre wünschenswert, wenn die Landesregierung das im Januar 2006 realisieren könnte. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fischer. - Für die FDP-Fraktion spricht Frau Röder. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich zu Beginn eine kleine Anmerkung: Uns ist bei der Abstimmung zwischen den Fraktionen ein kleiner sprachlicher Lapsus unterlaufen. Punkt 3 unseres Änderungsantrags soll lauten:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, für die im Zuge der Hartz-IV-Reform zugesagten Entlastungen der Kommunen zu kämpfen.“

Ich gebe es Ihnen, Herr Präsident, auch schriftlich. Das war ein kleiner Lapsus. Das würden wir gern geändert wissen.

Meine Damen und Herren! Seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II vor einem knappen Jahr wird in der Presse immer wieder in sehr unsachlicher Weise über vermeintlichen oder wirklichen Missbrauch diskutiert. Auch die FDP-Fraktion spricht sich gegen diese Debatte aus; denn sie ist aus unserer Sicht symptomatisch für ein großes Manko beim Bundesgesetzgeber, bei den mitwirkenden Ministerien und auch bei der mitwirkenden Presse. Dieses Manko besteht aus meiner Sicht in einer großen Inkonsequenz bei gleichzeitiger handwerklicher Ungeschicktheit. Ein Beispiel wurde schon genannt.

Frau Fischer, ich muss Ihnen kurz widersprechen. Der Bundesgesetzgeber schafft zum Beispiel bei den Steuern zahlreiche Ungleichbehandlungen und zahlreiche Ausnahmetatbestände. Wenn man den Blätterwald der deutschen Presse das ganze Jahr über beobachtet, dann kann man feststellen, dass das Ausnutzen dieser

Ausnahmetatbestände von zahlreichen Menschen kritisiert wird. Da wird genauso von Steuerschlupflöchern und von Missbrauch gesprochen.

Der Bundesgesetzgeber handelt inkonsequent; denn erst schafft er diese Möglichkeiten und wundert sich dann, wenn die Leute das in Anspruch nehmen.

(Beifall bei der FDP)