Protocol of the Session on November 10, 2005

Vielen Dank, Herr Schulz. - Bevor die Debattenredner der Fraktionen das Wort erhalten, spricht nun Herr Minister Jeziorsky. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute steht mit den Entscheidungen zu den Kreissitzen der Abschluss der Kommunalreform in dieser Legislaturperiode an. Wir setzen gewissermaßen den Schlussstein für ein neues Gebäude und werden dann für unsere Kommunen den Rahmen geschaffen haben, der eine hinreichende Leistungsfähigkeit auch für die Übernahme weiterer Aufgaben garantiert.

An dieser Stelle möchte ich keine abschließende Bewertung der Reformen vornehmen. Lassen Sie mich dennoch eine Feststellung zu den Vorhaben treffen, die uns in den letzten Jahren nachhaltig bewegt haben.

Wir haben eine Reform beider kommunalen Ebenen innerhalb einer Legislaturperiode konzipiert und umgesetzt. Dies hat es in der Geschichte der Kommunalreformen in Deutschland bisher noch nicht gegeben. Gleichzeitig ist es gelungen, alle Beteiligten, seien es Kommunen, Verbände oder Vereinigungen, in den Diskussionsprozess einzubinden. Damit konnte ein hohes Maß an Akzeptanz erreicht werden, auch wenn nicht alle Wünsche vor Ort erfüllbar waren. Dies liegt aber in der Natur der Sache.

Es erfüllt mich mit großer Freude, dass insbesondere der zeit- und kräftezehrende Einsatz vor Ort auch außerhalb des Landes anerkannt und sogar, wie seitens des Deutschen Landkreistages geschehen, ausdrücklich anderen Ländern als Muster für den Umgang mit den Kommunen empfohlen wurde.

Dieses Lob gebührt aus meiner Sicht auch den vielen Akteuren vor Ort und unseren kommunalen Spitzenverbänden, die sich alle mit einem hohen Maß an Verantwortung für unser Gemeinwesen in den notwendigen Prozess konstruktiv eingebracht haben. Nicht zuletzt ist der Dank an die Baumeister in diesem Haus zu richten, die die politische Last eines derartigen Unterfangens so aktiv getragen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus verwaltungsmäßiger Sicht mögen die heute zu treffenden Entscheidungen als eine eher nachrangige Folge des Gesetzesbeschlusses über die Kreisgebietsreform erscheinen. Doch wir alle wissen, dass die Entscheidungen zu den Kreissitzen in einem weit höheren Maß als das Gebietsreformgesetz in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Wir müssen dem gerecht werden; denn der Meinungsstreit vor Ort ist aus der jeweiligen Sicht nachvollziehbar und legitim.

Bei allem Respekt vor der Meinungsbildung vor Ort müssen wir Entscheidungen treffen, und zwar solche, die dem Land insgesamt dienen. Dieser Tatsache musste sich die Landesregierung bei der Erstellung der Gesetzentwürfe stellen und diese Entscheidung obliegt nun Ihnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vor allen anderen inhaltlichen Ausführungen eines deutlich sagen: Jede unserer aktuellen Kreisstädte ist grundsätzlich geeignet, Kreisstadt eines neu zu bildenden Landkreises zu werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Dies macht die Entscheidung nicht leichter, sondern erheblich schwerer. Die Entscheidung für eine bestimmte Stadt stellt keine Nichtachtung der jeweiligen Alternative dar. Es geht nicht um Bevorzugung oder Zurücksetzung einer konkreten Kommune, sondern um eine aus der Sicht des Landes richtige Entscheidung.

Vor diesem Hintergrund kommt es elementar auf die Kriterien an, an denen die Kreissitzentscheidungen ausgerichtet werden sollen. Diese müssen sich der lokalen Kritik stellen. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kriterien zur Bestimmung des Kreissitzes eben aus diesem Grund klar und objektiv ausgewählt wurden. Es hätte die Auseinandersetzung vor Ort nur weiter angeheizt, wenn Begriffe, die unterschiedlich ausgelegt werden können, zum entscheidenden Kriterium erhoben worden wären. Jeder Bürgermeister hätte eine andere Begriffsauslegung als maßgeblich reklamiert, um die Definition zu seinem eigenen Vorteil auszulegen.

Auch die Anhörung zeigte, dass je nachdem, in welcher Situation sich die örtlichen Vertreter befanden, ganz unterschiedliche Kriterien für die Entscheidung über den Kreissitz als notwendig erachtet wurden. Teilweise wurden sogar dieselben Kriterien genannt, aber mit abweichenden Schlussfolgerungen versehen.

Ich erinnere daran, dass beispielsweise reklamiert wurde, dass bisher verwaltungsschwache ehemalige Kreisstädte zum Kreissitz des neuen Landkreises bestimmt werden sollten - sozusagen zum Ausgleich der bisherigen geminderten Verwaltungskraft. Andererseits wurde die Verwaltungskraft als Kriterium genannt, weil man der Ansicht war, dass verwaltungsstarke Gemeinden weiter gestärkt werden müssen. - An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass das bloße Kriterium häufig auch nicht weiterhilft. Wichtig ist vielmehr die Frage, welcher Zielsetzung die Kreissitzbestimmung folgen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Vorschlag will Bewährtes so weit wie möglich erhalten und eine leistungsstarke, wirtschaftliche Verwaltung sichern. Dazu dienen die zunächst aufgestellten Voraussetzungen, nämlich dass der neue Kreissitz schon bisher Sitz einer Kreisverwaltung gewesen sein muss und dass er im Gebiet des neuen Landkreises gelegen sein muss. Diese Kriterien werden, soweit es mir ersichtlich ist, auch von keiner Partei in Zweifel gezogen.

Zudem folgen wir den Zielsetzungen landesplanerischer Vorgaben über die Entwicklung der Orte. Dazu gehört auch die Wertung, dass große Kommunen weiterhin und vorrangig gestärkt werden sollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abschließend möchte ich darauf verweisen, dass die technische Entwicklung, gerade auch die modernen Kommunikationsmittel, die Bedeutung der Kreissitzentscheidung für die

Bevölkerung deutlich gemindert hat. Die verwaltungsmäßige Betreuung der Bevölkerung wird auf jeden Fall gesichert werden. Die Notwendigkeit des persönlichen Aufsuchens der Kreisverwaltung dürfte ein Ausnahmefall sein, insbesondere auch deswegen, weil viele Verwaltungsangelegenheiten nach unserer Gemeindeordnung in den Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften erledigt werden können, auch wenn sie in die Kompetenz des Landkreises oder anderer Behörden fallen.

Auch die wirtschaftliche Bedeutung der Kreissitzentscheidung wird meines Erachtens häufig überschätzt. Ich möchte in diesem Zusammenhang an das Beispiel der Stadt Gardelegen erinnern, die trotz des Verlustes des Kreissitzes eine positive wirtschaftliche Entwicklung genommen hat. An diesem Beispiel wird deutlich, dass wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht von dem örtlichen Vorhandensein eines Verwaltungssitzes abhängen. Entscheidend ist, wie die jeweilige Kommune die Erreichbarkeit und die sachliche Präsenz gegenüber Bürgern und ansiedlungswilligen Unternehmen ausgestaltet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns heute mit dieser Reform ein Gebäude vollenden, in dem sich die Menschen wohl fühlen können und das ihnen vertraut sein wird, weil es nicht überdimensioniert, sondern bedarfsgerecht gebaut worden ist. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister Jeziorsky. - Nunmehr sind die Fraktionen an der Reihe. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie haben uns beschrieben, wie sonnig in diesem goldenen Herbst gerade der heutige Tag ist.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie sprachen von der Vollendung eines Gebäudes und sind doch gerade mit dem Rohbau fertig. Das Eigentliche, die Funktionalreform, existiert noch nicht einmal als Bauskizze, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Die Reform der Gebietskörperschaften ist erst dann abgeschlossen, wenn klar ist, welche Aufgaben von den neuen Kreisen wahrgenommen werden sollen.

(Herr Scharf, CDU: Aber eins nach dem anderen! - Minister Herr Dr. Daehre: Aber die brauchen wir doch erst einmal, Herr Kollege! - Lachen bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

- Die CDU hat immer „eins nach dem anderen“ gesagt. „Erst muss klar sein,“ - sagten ihre Vertreter - „welche Aufgaben künftig wo wahrgenommen werden sollen, und dann legen wir die Kreisgröße fest und schneiden den Kreis zu.“

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Die Fraktion der Linkspartei.PDS hat zu dem Thema Funktionalreform zu Recht eine Debatte für den heutigen Nachmittag, gleich nach der Mittagspause, beantragt.

Ich wünsche dieser Debatte die gleiche Aufmerksamkeit, wie sie die Debatte über die Kreissitze genießt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Links- partei.PDS)

Denn erst an der Funktionalreform entscheidet sich der Erfolg oder der Misserfolg des Gesamtvorhabens.

Wir haben mit dem Landtagsbeschluss vom Januar 2002 eine Antwort zu den Kreisgrößen, die jetzt definiert werden, zu geben versucht. Daran erkennt man auch die Grenzen dieses Modells, weil eine substanzielle Funktionalreform nicht gelingt.

Aber lassen Sie mich zu der Kreissitzfrage kommen. Wir haben für die Kreissitzentscheidungen den so genannten Fraktionszwang aufgehoben, wie es in den anderen Fraktionen auch der Fall ist. Für die SPD sage ich: Die Kreise, für die jetzt Kreissitze festgelegt werden, sind nicht unsere Kreise. Wir hatten uns für fünf Regionalkreise entschieden.

(Zuruf von der CDU: Nee!)

Für vier dieser Kreise ist der Kreissitz klar: Dessau, Halle, Magdeburg und Stendal. Das heißt, es wäre nur eine Kreissitzentscheidung für die Harzregion zu treffen gewesen.

Mit der Verabschiedung des Kommunalneugliederungsgesetzes am 6. Oktober 2005 hat sich der Landtag mehrheitlich für elf Kreise entschieden. Wir haben mit Nein gestimmt. Für uns gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, auf die Kreissitzfrage zu antworten: vom Nein über die Enthaltung, wie sie bei Folgeregelungen üblich ist, bis zu dem Versuch, auf jede der elf Kreissitzentscheidungen Einfluss zu nehmen.

Die Freigabe der Abstimmung haben wir uns gründlich überlegt. Wir nehmen damit möglicherweise Einfluss auf Entscheidungen im Rahmen einer Reform, die wir so nicht wollten und auch weiterhin ablehnen.

Aber klar ist auch, dass Abgeordnete sich für ihre Region und für ihre Kreisstadt einsetzen, die nicht selten gleichzeitig ihre Heimatstadt ist, Herr Gürth.

(Herr Gürth, CDU: Stimmt!)

Das tue ich und das tun viele andere auch. Damit werden wir nicht zum Unterstützer einer verfehlten Kreisgebietsreform.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben bereits angekündigt, dass wir, falls wir nach der Landtagswahl die Möglichkeit haben sollten, im Raum Anhalt einen anderen Weg gehen werden.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Nein, wir gestalten aus legitimen lokalen Interessen heraus einen Willensbildungsprozess im Parlament mit, und wir nehmen die vielen Tausend Menschen ernst - Herr Schulz hatte darauf hingewiesen -, die vor Ort Unterschriften geleistet haben, die heute hier auf dem Domplatz demonstrieren und die die Debatte verfolgen. Diese Menschen haben ein Recht darauf, dass ihre Argumente hier im Parlament nicht nur gehört werden, sondern auch ernsthaft in den Abstimmungsprozess einbezogen werden.

Leider sind die von der Landesregierung vorgegebenen Kriterien für die Kreissitzfindung unzureichend. Willi Polte hat in der ersten Beratung am 7. Juli 2005 für die

SPD-Fraktion kritisiert, dass sich die Landesregierung auf einige wenige Kriterien beschränkt und diese in einer starren Weise zur Anwendung bringt. Wer als Mittelzentrum an ein Oberzentrum grenzt, ist k. o. - Das ist für mich übrigens nicht nachvollziehbar; wenn man Merseburg als Kreisstadt vorsieht, dann muss auch Schönebeck als Kreisstadt in Betracht kommen.

(Herr Gürth, CDU: Macht das jetzt wirklich Sinn?)

Wer raumordnerisch einen niedrigeren Rang hat, ist bei Ihnen k. o. Wer bei Gleichrangigkeit im System der zentralen Orte weniger Einwohner hat, ist k. o.