Protocol of the Session on October 7, 2005

Angesichts der ersten Erkenntnisse über die Änderung der von mir mehrfach zitierten Diversionsrichtlinien bin ich mir auch sicher, dass ein solcher „Warnschuss“ zu einer weiteren Reduzierung der Jugenddelinquenz führen wird.

Meine Damen und Herren! Wir unterstützen deshalb auch nachhaltig die Beschlüsse der Justizministerkonferenz zur Änderung des Jugendstrafrechts. Zwar glauben wir auch, dass das Jugendstrafrecht sich im Großen und Ganzen bewährt hat, was aber nicht ausschließt, dass dennoch Bedarf für punktuelle Veränderungen besteht. Insbesondere unterstützen wir die Forderung, im Jugend

gerichtsgesetz die Möglichkeit der Anordnung von Jugendarrest neben der Verurteilung zu einer Jugendstrafe und der Strafaussetzung zur Bewährung, den so genannten Warnschussarrest, zu schaffen.

Dies korrespondiert mit unserer Grundüberzeugung, dass die Strafe der Tat in möglichst kurzem zeitlichen Abstand folgen soll. Nur eine solche Strafe wird auch von den Jugendlichen als letzte Warnung verstanden. Alles andere würde von ihnen nicht ernst genommen bzw. als Freispruch betrachtet. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Wolpert, FDP, und von Minister Herrn Becker)

Vielen Dank, Herr Borgwardt. - Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Rothe. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat diese Aktuelle Debatte beantragt, um uns ins Bewusstsein zu rufen, dass der Jugendarrest eine wirksame Erziehungsmaßnahme für straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende ist. Zu dieser Erkenntnis kann man auch durch einen Blick in das Jugendgerichtsgesetz gelangen.

Bemerkenswert finde ich, dass die CDU das Thema nicht in allgemeiner Form zur Debatte stellt, sondern auf einen ganz konkreten Einzelfall abhebt, in dem eine jugendliche Täterin, die in Gardelegen straffällig geworden ist, in der vergangenen Woche vom Jugendgericht zu Jugendarrest verurteilt worden ist.

In der Begründung zu dem CDU-Antrag zur Durchführung einer Aktuellen Debatte heißt es zu diesem verhängten Jugendarrest:

„Gerade der oben geschilderte Fall zeigt, dass das Jugendstrafrecht auch auf ein solches intensives Instrument angewiesen ist. Hier hilft der Gedanke der Diversion nicht weiter.“

Inhaltlich teile ich diese Einschätzung. Wer wie im Gardelegener Fall einen Schlagring einsetzt, um einen anderen Menschen im Gesicht zu verletzen, zeichnet sich durch eine besondere Rohheit der Begehungsweise aus.

Aber es befremdet, meine Damen und Herren, eine solche Einzelfallbewertung unmittelbar nach einer richterlichen Einzelentscheidung in einer Landtagsdrucksache zu lesen. Der Landtag als Verfassungsorgan ist nicht berufen, unabhängigen Gerichten Zensuren zu erteilen, und seien es auch positive Zensuren.

(Frau Feußner, CDU: Das machen wir doch nicht!)

Herr Kollege Scharf, Sie als CDU-Fraktion haben in dieser Drucksache eine klare Bewertung einer gerichtlichen Einzelentscheidung vorgenommen, die wenige Tage alt ist. Ich halte das für einen ganz schlechten Stil. Ich bin gespannt, ob der Herr Justizminister sich dazu noch äußern wird, ob es die Aufgabe dieses Parlaments ist, solche Zensuren zu verteilen.

(Herr Scharf, CDU: Das ist eine bewusste Falsch- interpretation! - Frau Feußner, CDU: Das ist doch Quatsch! Das machen wir doch gar nicht! Das wollen wir doch gar nicht! - Herr Scharf, CDU: Es geht darum, dieses Instrument einmal ins Be- wusstsein der Öffentlichkeit zu heben!)

- In meinem Bewusstsein war es, seit ich den § 90 des Jugendgerichtsgesetzes das erste Mal gelesen hatte. Das ist schon eine Reihe von Jahren her, Herr Scharf.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Fragen Sie mal die Leute auf der Straße, wer das kennt! - Frau Feußner, CDU: Sie sind doch Jurist! Was soll denn das?)

Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten Sie die anderen auch teilhaben lassen an Ihrer Auseinandersetzung und das Ganze nicht mit Zwischenbemerkungen unterlegen.

Ich rede immer gern mit den CDU-Kollegen, Herr Präsident. - Die Richter in Sachsen-Anhalt bedürfen an dieser Stelle auch nicht der Rückendeckung durch den Landtag. Vielmehr setzen Politiker, die aus solchem Anlass eine Aktuelle Debatte beantragen, sich dem Verdacht aus, dass sie das Thema für parteipolitische Zwecke instrumentalisieren. Der bevorstehende Wahlkampf lässt weitere derartige Anträge leider erwarten.

Meine Damen und Herren! Von einer generellen Zunahme der Jugendkriminalität kann in Deutschland nicht gesprochen werden. Zwar hat sich im vergangenen Jahrzehnt in der polizeilichen Kriminalstatistik die Zahl der 14- bis 21-jährigen Tatverdächtigen pro 100 000 der Altersgruppe erhöht. Dies ist aber mit der gestiegenen Aufklärungsquote zu erklären. Wenn es der Polizei gelingt, pro 100 der ihr bekannt gewordenen Straftaten etwa ein Fünftel mehr Tatverdächtige zu ermitteln, dann ist das kein Beleg einer steigenden Kriminalitätsbelastung.

Das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat in diesem Jahr eine Repräsentativbefragung unter Jugendlichen aus mehreren Städten durchgeführt. Diese Forschungsdaten signalisieren im Vergleich zu einer entsprechenden Datenerhebung im Jahr 1998 ein Sinken der Jugendgewalt.

Allerdings gibt es Phänomene, die Anlass zur Besorgnis geben. Dazu gehören Fälle von Gewalt unter jungen Frauen, über die auch heute wieder in der Presse berichtet wird. Ich meine die Prügelattacke auf ein 15-jähriges Mädchen in Oschersleben, das in ein kaltes Gewässer getrieben wurde und dort ausharren musste, was schon für sich eine Körperverletzung darstellt. Die 19-jährige Haupttatverdächtige ist wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. In dem Zeitungsartikel von heute heißt es, die Staatsanwaltschaft werde sehr wohlwollend prüfen, ob wie in dem Gardelegener Fall vor wenigen Tagen ein Schnellverfahren durchgeführt wird.

Unabhängig von diesem konkreten Fall halte ich es für erstrebenswert, dass bei Heranwachsenden als Straftätern die Sanktion so bald wie möglich ausgesprochen und vollzogen wird.

(Zustimmung bei der CDU)

Ob dies möglich ist, bedarf immer einer Prüfung im Einzelfall.

(Frau Feußner, CDU: Ja! - Herr Gürth, CDU: Rich- tig!)

Wenn die Beweislage unsicher oder die Schuldfrage offen ist, dann gebührt Gründlichkeit der Vorrang vor Schnelligkeit,

(Frau Feußner, CDU: Ja!)

auch wenn Heranwachsende bei einer späteren Maßregelung oft kaum mehr zu beeindrucken sind.

Der Erziehungsgedanke darf nicht elementare Grundsätze des Rechtsstaats verdrängen.

(Herr Gürth, CDU: Sehr richtig! - Herr Tullner, CDU: Das stimmt!)

Meine Damen und Herren! Vergleicht man die Durchschnittsbelegung der Jugendarrestanstalten in den Bundesländern, lässt sich nicht feststellen, dass SachsenAnhalt den Jugendarrest zu wenig anwendet. Die geltende gesetzliche Regelung des Jugendarrestes halte ich für ausreichend. Die Anwendbarkeit des Jugendarrestes im Sinne eines „Warnschussarrestes“ auf alle möglichen Delikte auszuweiten, wie dies manche Unionspolitiker fordern, wäre eine Fehlentwicklung. Den Kollegen empfehle ich einen Blick in Studien über die Praxis des Arrestvollzugs und seine Folgen.

Die Möglichkeit, den Jugendlichen durch den Vollzug des Arrestes positiv zu beeindrucken, ist abzuwägen gegen das Risiko, ihn durch das Milieu, in das er noch stärker gerät, negativ zu prägen. Keinesfalls ist der Jugendarrest ein Allheilmittel und schon gar nicht Ersatz für die Diversion.

Meine Damen und Herren! Der Landtag hatte zuletzt am 8. Juli 2005 Gelegenheit, über das Jugendstrafrecht und die Jugenddelinquenz in Sachsen-Anhalt zu diskutieren. Auf die Ausführungen meiner Fraktionskollegin Petra Grimm-Benne in dieser Debatte nehme ich Bezug.

Dafür, dass Herr Borgwardt sich nicht auf die Rede von Herrn Stahlknecht bezogen hat, habe ich volles Verständnis. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Rothe. - Meine Damen und Herren! Zunächst haben wir die Freude, auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schulen Zeitz begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich Herrn Wolpert das Wort, um für die FDPFraktion zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass wir in diesem Haus über das Jugendstrafrecht diskutieren; heute speziell über den Sinn und Unsinn des Jugendarrests. Wer die Zeitungen gelesen hat, wird wohl erahnen, dass sich die FDP für die Beibehaltung des Jugendarrests als Erziehungsmittel aussprechen wird.

Vom Ansatz her sind wir wohl alle nicht weit auseinander. Auch der FDP wäre es am liebsten, wenn es keine Jugendstraftäter gäbe. Aber, meine Damen und Herren, es gibt sie. Ich bin davon überzeugt, dass es sie auch dann geben würde, wenn wir alle Chancen und Mittel nutzen würden, staatliche Fürsorgemaßnahmen vom Kindergarten über die Schule bis hin zum Jugendklub mit Prävention zu betreiben.

Dabei kann man sich darüber streiten, ob es überhaupt eine Pflicht des Staates zur Prävention gibt. Wenn ja, wie weit reicht die Pflicht und wo beginnt eigenverantwortliche Erziehung der Bürger? Das ist ein weites Feld

und die Grenze wird immer wieder neu zu ziehen sein. Die Frage bleibt aber, wie mit den jugendlichen Straftätern umzugehen ist.

Die FDP steht hierbei eindeutig zu dem Erziehungsgedanken, der im Jugendstrafrecht verankert ist. Erziehung muss vor Repressalien stehen. Strafe kann nur Ultima Ratio sein, wenn ich davon überzeugt bin, dass junge Menschen in ihrer Entwicklung noch formbar und beeinflussbar sind.

In der Diskussion über die Verschärfung des Jugendstrafrechts, die sich anlässlich verschiedener medienwirksamer Straftaten von Jugendlichen in den vergangenen Jahren wie ein roter Faden durch die Justizpolitik zieht, hat meine Fraktion stets klargestellt, dass die FDP eine generelle Verschärfung des Jugendstrafrechts ablehnt.

Der Arrest ist kein Strafmittel, sondern eine Erziehungsmaßnahme. Im Gegensatz zur Linkspartei.PDS - ohne Punkt zu sprechen, wenn ich das richtig sehe -

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Ja, richtig!)

- danke - sieht die FDP Jugendarrest als ein geeignetes Mittel an, um einem Jugendlichen eindringlich zu verdeutlichen, dass er für sein Handeln einstehen muss und welche Folgen die Begehung weiterer Taten haben kann.

In einer Zeit, in der die Anzahl von Straftaten Jugendlicher glücklicherweise abnimmt - das hat Herr Rothe schon ausgeführt -, die Straftaten aber leider immer brutaler werden, muss auch bei jugendlichen Tätern eine effektive Einflussnahme mit beeindruckender Wirkung möglich sein.

Gerade die verschiedenen Formen des Freizeitentzugs oder Dauerarrests, die je nach der erzieherischen Erforderlichkeit verhängt werden können, und die Zeitbegrenzung von mindestens zwei Tagen bis zu maximal vier Wochen ermöglichen abgestufte Entscheidungen des Jugendrichters, sodass die notwendige Abschreckungswirkung für den jugendlichen Täter individuell abgewogen werden kann. Außerdem ist die Handlungsform des Arrests auch im Privatleben etwa als Hausarrest bekannt und stellt bisweilen ein sehr effektives Erziehungsmittel dar. Ein Verbot des nächtlichen Discobesuches hat schon so manches Wunder bewirkt.

Meine Damen und Herren! Diese Aussagen werden niemanden überraschen. Es ist hinreichend bekannt, dass sich meine Fraktion zwar gegen eine generelle Verschärfung des Jugendstrafrechts, aber für den so genannten Warnschussarrest ausspricht. Wie wir schon früher festgestellt haben, können wir der Kritik, dass der Warnschussarrest dem Erziehungsgedanken zuwiderlaufe, nicht folgen.