Protocol of the Session on October 6, 2005

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD)

Dies hängt damit zusammen, dass es in Bayern trotz dieser Tabelle immer noch eine erheblich niedrigere Arbeitslosenquote als in Sachsen-Anhalt gibt.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Wir haben jetzt noch einmal von Herrn Finanzminister Paqué Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes gehört. Wir sind zum Beispiel besser als die Sachsen mit 7,3 % über die letzten drei Jahre, weil sie nur 7,2 % hatten. Die Überlegung, dass dies vielleicht ein Stück weit damit zu tun hat, dass wir einen bedeutend höheren Bevölkerungsrückgang haben als im Land Sachsen und dass natürlich nicht diejenigen abwandern, die ohnehin in den hochproduktiven Bereichen tätig sind, die wir hier in Sachsen-Anhalt durchaus haben, sondern dass das

eher andere Menschen sind, und dass durch die Abwanderung die Pro-Kopf-Produktion erhöht wird, steht eben nicht dabei; aber das muss man sehr wohl auch sagen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Heute habe ich wieder die Zahlen in Bezug auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes gehört; das fand ich richtig Klasse: Im ersten Halbjahr habe SachsenAnhalt im Vergleich mit den anderen Bundesländern durch seine 1,0 % Wachstum einen hervorragenden Platz eingenommen, während die anderen nur bei 0,1 % und die Sachsen bei minus 0,7 % lägen.

Ich habe einmal versucht, in dem Fortschrittsbericht die Zahlen zu lesen. Das ist der Fortschrittsbericht für das Jahr 2004. Darin habe ich die Zahl zu finden versucht, wie sich das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2004 in Sachsen-Anhalt und wie es sich in den anderen neuen Bundesländern entwickelt hat. Siehe da, diese Zahlen findet man nicht, in keiner Pressemeldung von Herrn Paqué und auch nicht in diesem Bericht.

Warum? - Wir hatten in Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern eine unterdurchschnittliche Entwicklung. Wir lagen bei 1,2 % und die anderen bei 1,5 %. Aber es ist klar, so kann man manches selektiv ausblenden. Das Beste war der Satz von Herrn Paqué, nachdem er das erste Halbjahr mit 1,0 % so hervorgehoben hatte, man solle sich natürlich nicht von temporären Entwicklungsschwankungen beeinflussen lassen. - Dann sollte man aber auch diese Zahl weglassen, Herr Paqué!

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD)

Wir haben es also mit folgender Situation zu tun: Auf der einen Seite empfinden wir in diesem Land eine gewisse Bedrohung, weil die Leute die Situation, die ohne Zweifel kompliziert ist, oftmals in einem noch schwärzeren Licht sehen, als sie sich tatsächlich darstellt. Auf der anderen Seite haben wir es mit einer Landesregierung zu tun - insbesondere vonseiten der FDP; da gibt es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Seiten -, die mit einer rosaroten Brille durch dieses Land läuft, bei der alles Klasse ist und nach deren Aussagen wir eigentlich schon an der Spitze stehen.

Haben Sie sich die Rede von Ihrem Kollegen Finanzminister einmal angehört? Himmelherrgott, Arm und Zwirn noch einmal, wozu brauchen wir überhaupt noch Geld von den anderen? Wir sind ja eigentlich schon die Allerbesten. Ich sage es ausdrücklich: Damit schaffen wir ein neues Problem in diesem Land.

Wir haben 240 000 Arbeitslose; darunter sind über 120 000 Langzeitarbeitslose. Sie schlagen die Zeitung auf und lesen eine Erfolgsmeldung nach der anderen, während sie aber in einer völlig anderen Realität leben. Wir haben es mit einem gefühlten Sachsen-Anhalt und mit einem realen Sachsen-Anhalt zu tun. Ich glaube nicht, dass wir die Menschen motivieren, indem wir ihnen eine Scheinrealität aufbauen, die in diesem Land nicht existiert.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Deshalb werden wir, um den Herausforderungen wirklich gerecht zu werden, in diesem Land sehr wohl eigene Ef

fizienzreserven erschließen müssen. Wir werden natürlich auch sagen müssen, dass wir einen stärkeren Staat brauchen als den, der mit den bisherigen öffentlichen Einnahmen zu realisieren ist.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Aha, einen stärkeren Staat!)

Beide Aufgaben müssen erfüllt werden und beide schließen einander nicht aus. Das wissen wir.

Ich will letztlich zur Haushaltspolitik insgesamt noch etwas sagen. Wissen Sie, ich habe mehrmals herzhaft gelacht, als ich den Fortschrittsbericht 2004 gelesen habe. Am besten sind immer solche Rechenmodelle, die von Folgendem ausgehen: Was hätten wir eigentlich für eine Verschuldung, wenn wir bestimmte Sonderfaktoren herausrechnen würden?

Diese Konjunktive sind in dem 76 Seiten starken Fortschrittsbericht 2004 öfter einmal enthalten. Am besten ist die Passage über die prozentuale Erhöhung der Schulden. Dort wird gesagt, man hätte die Schulden zwar um 9 % gesteigert, aber wenn man einige Sonderfaktoren, zum Beispiel die Arbeitszeitkonten der Lehrer, herausgerechnet hätte, dann hätte man unter 7 % gelegen - und weniger als 7 % ist schon wieder gut.

Dazu sage ich: Wissen Sie, während Sie das eine Sonderproblem, das der Lehrerarbeitszeitkonten, gelöst haben, haben Sie mit der Massenverbeamtung von Lehrern ein neues Sonderproblem geschaffen, nämlich das der Erhöhung der Pensionslasten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD)

Natürlich ist es so, dass wir im Land keine eigenfinanzierten Bauten mehr realisieren. Was tun wir? - Wir realisieren PPP-Modelle und Mietkaufmodelle. Wir realisieren Mietverträge über eine Laufzeit von 15 Jahren. Wissen Sie, volkswirtschaftlich ist das genau dasselbe, als würden wir Kredite aufnehmen und die Dinge neu bauen. Aber das schlägt natürlich nicht zu Buche. An dieser Stelle ist die Kameralistik tatsächlich ein Stück weit dazu angelegt, sich etwas in die Tasche zu lügen. Die Realitäten sind härter.

Diesbezüglich möchte ich lediglich auf eine Geschichte zu sprechen kommen: die Frage der Personalausgaben. Damit haben Sie, was Ihre Arithmetik anbelangt, wirklich ein Prachtstück vorgelegt.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte nur einen einzigen Zahlenvergleich bringen. Wir haben vor kurzem die Landesregierung gefragt - es ist also die Landesregierung, die diese Angaben gemacht hat -: Wie haben sich die Personal-Istausgaben, also nicht die geplanten, in den Jahren seit 1998 entwickelt? - Wir haben bei der Hauptgruppe 4 zweifellos eine hervorragende Entwicklung. Schauen wir uns dann aber die Summe der Ausgaben bei der Hauptgruppe 4 und die der Personalausgaben in den Landesbetrieben an, sehen wir plötzlich ein ganz anderes Bild.

Wenn man die Personalausgaben im Jahr 1998 rechnerisch einmal mit dem Wert 100 % ansetzt, dann ist den Jahren von 1998 bis 2001 eine Steigerung um 2,5 % realisiert worden - nach den Angaben der Landesregierung. Im Zeitraum von 2001 bis 2004 ist - nach den Angaben der Landesregierung - eine Steigerung um 5 % realisiert worden. Das ist nun einmal die Realität.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Das meine ich nicht einmal als Vorwurf. Aber wenn wir wissen, dass es so ist, dann muss man bei der öffentlichen Verbreitung solcher Angaben ganz genau überlegen, welchen Eindruck man damit erwecken will und wie die Realität aussieht. Ich sage: Zwischen Eindruck und Realität gibt es hier eine riesige Differenz.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Ich werde am Ende meiner Redezeit nicht sämtliche Vorstellungen zum Aufbau Ost bis zum Jahr 2020, dem Jahr des Endes des Solidarpakts II, die wir in den letzten Jahren entwickelt und propagiert haben, darlegen können; das möchte ich auch nicht. Das ist ein Thema, das man nicht in 20 Minuten abhandeln kann.

Ich würde aber alle an dieser Diskussion Beteiligten herzlich darum bitten, mit etwas mehr Realitätssinn und etwas weniger - ich sage es einmal so - politischer Auseinandersetzung an diese Dinge heranzugehen und in dieser extrem schwierigen Situation vielleicht ein Stück mehr Konsens zu suchen. Damit wäre diesem Land vielleicht mehr geholfen, als wenn wir Schlagabtausche erleben, wie sie der Kollege Paqué heute eingeleitet hat. - Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gallert. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird fortgesetzt und abgeschlossen mit dem Beitrag der FDP-Fraktion. Dazu erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Hüskens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, wende ich mich an Herrn Gallert. Ich biete Ihnen rasend gern an, Ihnen den Gesetzentwurf der FDP zu dem Steuerthema, also auch unsere Papiere dazu, zu geben. Dann können Sie sich einmal ansehen, wie die Logik funktionieren soll, dass wir in Deutschland auf der einen Seite niedrigere Steuern für den Einzelnen und auf der anderen Seite viel weniger Steuerschlupflöcher haben werden, als sie im Augenblick genutzt werden. Dann werden Sie feststellen, dass Herr Finanzminister Paqué überhaupt kein Problem damit hat, unseren Slogan „Weniger Steuern“ zu unterstützen, und dass er sich auch als Finanzminister für unser Bundesland keine Sorgen machen muss.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass wir uns in diesem Landtag darüber einig sind, dass es völlig unverantwortlich wäre, wenn wir uns einfach auf den Standpunkt stellen würden: Es wird schon alles gut, die Bevölkerungsentwicklung und das Wirtschaftswachstum werden sich von allein so entwickeln, dass wir in unserem Bundesland alles in den Griff bekommen.

Ich sage ganz offen: Das, was wir in den letzten Wochen als Beginn von Sondierungsgesprächen in Berlin gesehen haben, macht mich nicht wirklich optimistisch. Ich glaube nicht, dass Politiker wie Herr Schröder, denen es

ganz offensichtlich mehr um ihren Posten geht als um die Aufgaben, die zu erledigen sind,

(Zurufe von der SPD)

wirklich in der Lage sind, die Dinge so zu ordnen, dass sich auf Bundesebene zukünftig das tun wird, was erforderlich ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Es wäre ebenso unverantwortlich, wenn wir uns vormachen würden, dass uns die Solidargemeinschaft, die anderen Länder und der Bund, nach dem Jahr 2019 weiterhin mit öffentlichen Geldern versorgen wird, die über dem normalen Transferniveau des Länderfinanzausgleichs liegen.

Wir müssen also heute die Weichen stellen, damit wir auch ohne die Hilfen der Bundesregierung, ohne Sonderzuweisungen und ohne einen unverhofft einsetzenden exorbitanten Wirtschaftsaufschwung oder einen solchen Bevölkerungszuwachs zukünftig zumindest die Grundaufgaben der öffentlichen Verwaltung für unser Bundesland bewältigen können.

Lassen Sie mich eines ganz klar sagen, Herr Bullerjahn: Auch die Fusion mit anderen Ländern, die von der SPD als Möglichkeit gesehen wird, löst unsere Finanzprobleme heute nicht.

(Zustimmung bei der FDP, von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Kolze, CDU)

Die Finanzierung öffentlicher Aufgaben auf dem notwendigen Niveau ist für Sachsen-Anhalt dann möglich, wenn wir eine gut ausgestattete hoheitlich tätige Verwaltung haben, wenn wir eine gute Bildungs- und Forschungslandschaft auskömmlich finanzieren können und wenn wir dafür durch Aufgabenverzicht, durch Aufgabenverlagerung und durch die Privatisierung von Aufgaben finanzielle Ressourcen frei machen. Dies erfordert von uns aber, dass wir heute bei allen Ausgaben die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Auge haben und dass wir noch sorgfältiger als in den letzten drei Jahren und deutlich sorgfältiger als in den Jahren davor vorgehen.

Wir haben in den vergangenen Jahren im Bereich der Verwaltung zahlreiche Einsparpotenziale durch Aufgabenverzicht, durch Zusammenlegung von Strukturen und durch Tarifvereinbarungen möglich gemacht. Wir haben unpopuläre Entscheidungen getroffen und wir haben diese politisch auch durchgestanden, um Haushaltsmittel einzusparen. Dabei ist es uns - auch wenn das von Ihnen häufig kritisiert worden ist - immer wichtiger gewesen, dass diese Einsparungen langfristig zum Tragen kommen, als dass sie zu einer kurzzeitigen Deckung des einen oder anderen Haushalts beitrugen. Das hat uns immer Kritik von Ihrer Seite eingebracht, aber ich glaube, das ist der richtige Weg.

(Zustimmung bei der FDP und von Herrn Tullner, CDU)

Wir haben unsere Aufgaben in den letzten Jahren gemacht. Ich kann aber nicht sagen, dass etwa das Verhalten der SPD-Fraktion die erforderliche Entwicklung wirklich unterstützt hätte. Trotz ihrer Zukunftspapiere hat sich ihr Stimmverhalten in den Ausschüssen und im Parlament nach dem alten Strickmuster gerichtet.

(Herr Lienau, CDU: Ganz genau! So ist das!)