Protocol of the Session on October 6, 2005

Meine Damen und Herren! Wir müssen die neue Situation nach der Bundestagswahl nutzen, um hierüber schnell Klarheit zu schaffen. Das Ziel ist es, die Investitionsförderung für zukünftige Wachstumsbranchen über das Jahr 2006 hinaus sicher fortführen zu können. Nur über ein weiterhin hohes Wachstum im verarbeitenden Gewerbe können wir die hohe Arbeitslosigkeit im Lande Sachsen-Anhalt abbauen. Wirtschaftswachstum ist weiterhin unverzichtbar, meine Damen und Herren.

Die CDU-Fraktion bleibt dabei, dass wir jedoch Unternehmen nicht vorschreiben können, wo sie zu investieren haben. Wir sollten uns nicht anmaßen, die Wachstumskerne für alle Zukunft selbst vorherbestimmen zu

können. Hinzu kommt: Wenn wir strukturschwache Regionen jetzt vernachlässigen, werden wir später von den Folgekosten eingeholt werden. Diese Regionen würden uns die Pro-Kopf-Kosten für bestimmte, weitgehend einwohnerunabhängige Infrastrukturausgaben über den Kopf wachsen lassen.

Meine Damen und Herren! Insgesamt müssen die neuen Länder und damit auch Sachsen-Anhalt in den nächsten Monaten dafür sorgen, dass die Fortschreibung des Aufbaus Ost in dem neuen Regierungsprogramm der zukünftigen Bundesregierung den nötigen eigenen und hohen Stellenwert erhält. Diese Verhandlungen werden in unserem Sinne nur erfolgreich zu führen sein, wenn unsere eigenen Anstrengungen zur Konsolidierung der Landesfinanzen und der gewissenhaften Verwendung der Aufbau-Ost-Mittel glaubhaft dargestellt werden können. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scharf. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird fortgesetzt mit dem Beitrag der Fraktion der Linkspartei.PDS. Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Gallert das Wort. Bitte sehr, Herr Gallert.

(Oh! bei der CDU)

Das ist ja eine erhebliche Vorfreude in Ihren Reihen. - Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Besucher! Vielleicht werde ich mein Redekonzept vollständig umstellen. Zumindest die Rede von Herrn Scharf hat den Vorteil gehabt, dass sie sich ausdrücklich stärker auf das Thema zu konzentrieren versucht hat als die Rede des Finanzministers, der etwas darüber gesagt hat, was er in den letzten drei Jahren getan hat, und der relativ wenig bzw. gar nichts darüber gesagt hat, wie er die Herausforderungen meistern will. Deswegen wird es mir ein Leichtes sein, mich in vielen Dingen auf den Kollegen Scharf zu konzentrieren.

Herr Scharf, noch einmal zu den Dingen, die Sie von mir in der Zeitung lesen. Ich werde Ihnen die Broschüre zukommen lassen, sie hat 54 Seiten Text; fleißig wie Sie sind, werden Sie das alles erfassen. Darin steht etwas über Wirtschaftsförderung, über Städteumbau und über Kindertagesstätten. Darin steht unter anderem auch, was Kindertagesstätten mit Innovationsförderung zu tun haben. Die Broschüre werden Sie bekommen, und dann wird sich die eine oder andere Fragestellung, die Sie geäußert haben, erledigen. Überzeugen werde ich Sie nicht, aber darauf kommt es vielleicht auch nicht immer an.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Herr Scharf, CDU: Wenn es gut geschrieben ist!)

Ich werde an dieser Stelle auch etwas zum Populismus sagen und zu Versprechungen, die man gibt, die mit der Realität nichts zu tun haben und die man nicht einhalten kann. Ich werde zum Beispiel etwas zu den großen gelben Plakaten sagen, die die Partei des Finanzministers noch bis zum 18. September auch im Land SachsenAnhalt aufgestellt hat, auf denen „Steuern runter, Arbeit rauf“ stand und bei denen ich bis heute noch die Aufkleber des Finanzministers Paqué vermisse, der sagt: Außer meiner Position; Entschuldigung, ich bin nicht dafür.

Ich werde darüber reden, dass wir eine Woche vor der Bundestagswahl eine große Headline in der „Volksstimme“ hatten, in der der hiesige Verkehrsminister gefordert hat, dass man die Steuerlast auf Benzin und Diesel um 10 Cent pro Liter absenken solle, ohne zu wissen, wie er das bezahlen will.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Zurufe von Herrn Schwenke, CDU, und von Herrn Kur- ze, CDU)

Ja, ich werde über solche Versprechen reden, die davon ausgehen, dass man mit Wirtschaftswachstum in absehbarer Zeit im Land Sachsen-Anhalt die Massenarbeitslosigkeit beseitigen kann. Wenn wir über Versprechungen reden, die nicht einzuhalten sind, dann können wir das gerne tun, Herr Scharf, auch über Versprechungen Ihrer Partei.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zurück zu Minister Paqué. Er hat uns soeben in seiner Regierungserklärung den Aufbau Ost als finanzpolitische Herausforderung beschrieben und er hat die Heldentaten der Landesregierung dazu beschrieben und sie vor dem Hintergrund äußerst widriger Umstände besonders erstrahlen lassen. Mehrfach beklagte er dabei die Einbrüche bei den Steuern, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig sind - das ist völlig richtig, Herr Finanzminister -; aber, wie gesagt, vor zwei Wochen gab es die großen gelben Plakate mit der Aufschrift: „Steuern runter“.

Mensch, Herr Finanzminister, was würden Sie eigentlich im Land Sachsen-Anhalt machen, wenn die FDP jetzt wirklich an der Bundesregierung beteiligt wäre?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wen würden Sie dann eigentlich für die verfehlten Rahmenbedingungen in diesem Land Sachsen-Anhalt und für seine Finanzpolitik verantwortlich machen? Würden Sie aus der FDP austreten? Ihre Rede hat sich ein bisschen so angehört.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Jeder weiß, dass eine Steuersenkung eine zusätzliche Verknappung der öffentlichen Mittel, also auch der Mittel für den Aufbau Ost bedeutet. Ist das denn Ihre Absicht? Könnte es sein? Denn schließlich proklamieren Sie die Rückführung der Landesausgaben um 4 % - zu Ihren Berechnungsmodellen komme ich später noch einmal - als den großen Erfolg Ihrer Landesregierung.

Aber - das sage ich mit aller Deutlichkeit - wenn wir über den Aufbau Ost reden, dann reden wir über eine Konzentration, über eine Ansammlung von wirklich entscheidenden Problemen, die sich im ökonomischen, im sozialen und im kulturellen Bereich konzentrieren und in ihrer Dynamik aus dem Ruder zu laufen drohen.

Außerdem gibt es ein haushalterisches Problem. Hierbei weiß ich, dass ich mich von allen anderen Fraktionen in diesem Raum unterscheide. Ich sage ausdrücklich: Die sozialen und ökonomischen Probleme in den fünf neuen Bundesländern sind in ihrer Dimension, in ihrer politischen Bedeutung größer als die Haushaltsdefizite, über die wir uns zu Recht alle beklagen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Deswegen wird unser Ausgangspunkt für eine Entwicklung des Ostens auch immer diese soziale, ökono

mische und kulturelle Problemlage der Menschen in diesem Land sein und nicht das, was wir bei Bewahrung des Status quo möglicherweise an Finanzen zur Verfügung haben.

(Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Wir werden vielmehr die finanziellen Ressourcen einfordern, die wir in diesem Land dazu benötigen, um soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklungen voranzutreiben.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Kur- ze, CDU: Und woher? - Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Deswegen werden wir uns mittelfristig sehr wohl auf eine moderate, aber auf jeden Fall degressive Neuverschuldung einzustellen haben. Wir werden die dann noch weniger werdenden zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen für Zukunftsfähigkeit und Wertschöpfung, für Nachhaltigkeit und Innovation, für Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit. Dies ist von uns landespolitisch abverlangt. Selbst dann, wenn alle bundespolitischen Rahmenbedingungen erfüllt wären, die wir unter anderem mit unserem Steuerkonzept einfordern, wissen wir, dass wir hier im Land nicht umhinkommen, gewaltige Einschnitte zu realisieren, die in erster Linie aber dadurch zustanden kommen müssen, dass wir den Effizienzeinsatz der Mittel in unserem Land erhöhen.

Herr Scharf, wenn wir zum Beispiel davon sprechen, Förderungen darauf zu konzentrieren, innovative Produkte und neue Geschäftsfelder zu erschließen, dann sprechen wir hierbei im engeren Sinne von Wirtschaftsförderung und von der Erkenntnis, dass wir die Mittel für diese Wirtschaftsförderung nur noch degressiv zur Verfügung haben werden. Das ist übrigens keine völlig neue Erkenntnis. Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Herrn Böhmer dazu, in der er genau dasselbe eingefordert hat, ist erst ein paar Monate alt. Ich denke, das sind objektive Rahmenbedingungen, die wir für uns in Anspruch nehmen müssen bzw. auf die wir eingehen müssen.

Unser großes Problem - das ist nun einmal so - ist, dass wir eine wirkliche Gestaltung des Aufbaus Ost nicht als schlanken, neoliberal deregulierten Staat realisieren können. Wir brauchen für diesen Aufbau Ost einen aktiven, einen potenten und auch einen finanzstarken Staat. Dabei haben wir ein Problem. Ob nun die gelben Plakate mit der Aufschrift „Steuern runter“ oder Kirchhof, zumindest diese Parteien gehen sehr wohl davon aus, dass wir es in diesem Land mit einer weiteren Steuersenkung zu tun haben werden, welche uns genau diese Mittel nicht zur Verfügung stellt.

Ich bin fast zusammengezuckt, als Frau Fischer soeben noch einmal betont hat, dass wir in der Bundesrepublik eine Erhöhung der Steuerquote von 21,5 % auf 23 % benötigen. Das ist völlig richtig. Wir gehen sogar davon aus, dass wir diese Steuerquote in etwa auf 23,5 % erhöhen müssen - übrigens genau wie der SPD-Finanzsenator von Berlin.

Nun frage ich aber einmal: Wer hat in den letzten sieben Jahren eigentlich die Steuerquote von 23,5 % auf 21,5 % reduziert? - Das war Rot-Grün in Berlin,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

mit tätiger Zustimmung des Bundesrates, aber die Initiative hierzu ging von Herrn Eichel aus. Wenn jetzt die

Kollegen der SPD einschätzen, dass diese Entwicklung falsch gewesen ist - ein Blick auf die öffentlichen Haushalte beweist, dass sie falsch gewesen ist -, dann ist das eine erstaunliche Erkenntnis; diese werden wir dann auch würdigen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund zu der aktuellen Debatte um die Teilentschuldung des Landes Sachsen-Anhalt kommen. Wer sich die sozialen und ökonomischen Probleme in diesem Land und die Entwicklung der finanziellen Ressourcen bei einem politischen Status quo anschaut, kommt zweifellos irgendwann zu dem Punkt, dass beides nicht zusammengeht. Die Situation ist in Wahrheit noch viel schärfer. Wir können eben nicht 100-prozentig davon ausgehen, dass uns die Solidarpaktmittel bis zum Jahr 2019 weiter so zur Verfügung stehen werden, wie sie bisher geplant sind.

Erinnern wir uns einmal kurz an den Beginn dieses Jahres und an die Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Das gesamte politische Establishment in Berlin und im Westen dieser Bundesrepublik hat den Sündenbock erkannt: Das war der Osten, der die schönen Steuergelder des Westens, der alten Bundesländer vergeudet. Nun ist das politische Establishment in der Lage gewesen - zumindest sein cleverer Teil -, diese Diskussion bundespolitisch zur Bundestagswahl auszublenden. Dass es einen Kollegen aus Bayern gegeben hat, der das nicht geschafft hat, hat sich maßgeblich im Wahlergebnis niedergeschlagen.

Aber wie wird die Situation aussehen? Die Sondersituation Bundestagswahl ist vorbei und wir können wahrscheinlich davon ausgehen, dass sie sich in den nächsten drei Monaten nicht wiederholen wird; zumindest ist das in gewisser Weise meine Hoffnung. Anschließend haben wir zusammen mit der Landtagswahl in SachsenAnhalt zwei weitere Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass spätestens in den nächsten vier, fünf Wochen die gleichen Schlagzeilen wieder auftauchen werden: Der Osten verpulvert unsere Mittel. Der Osten gibt sie für konsumtive Ausgaben aus, die völlig unnütz sind.

Schon wieder werden wir uns in einer Situation befinden, in der wir defensiv das verteidigen müssen, was wir an diesen Mitteln brauchen und wofür wir diese Mittel einsetzen. Darauf müssen wir uns einstellen. Insofern sind die Zusagen auch der Koalition, sich gegen solche vereinfachten Darstellungen zu wehren, völlig richtig und sie werden Konsens in diesem Haus sein. Wenn wir das politische Kräfteverhältnis in dieser Bundesrepublik analysieren, müssen wir nur wissen, dass wir immer wieder in diese Defensivposition gedrängt werden.

Deswegen wird sich unsere finanzpolitische Situation nur stabilisieren und in der Tendenz verbessern - irgendwann wird man über Teilentschuldungsvarianten nachdenken müssen -, wenn wir die Situation der öffentlichen Hand, der öffentlichen Haushalte in der gesamten Bundesrepublik in den Griff bekommen. Dabei wird der extrem verschuldete Bund nur über Teilentschuldung reden können, wenn er die öffentlichen Mittel dafür zur Verfügung hat. Das geht nur über eine Erhöhung der Steuerquote, die in diesem Land angesagt und notwendig ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nun einige Worte zu der Darstellung der Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Dabei haben wir ein zweites strategisches Problem. Ich sage etwas zu den Zahlen, aber das eigentliche Problem sind nicht die Zahlen, sondern ist das Signal.

Unter der Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt gibt es sehr wohl ein erhebliches Maß an Zukunftsängsten sowie ein erhebliches Maß an Frustration, das nicht aus einer eingebildeten schlechten Lebenssituation entsteht, sondern aus der realen Lebenssituation. Dies gibt es tatsächlich und darüber darf man eigentlich in diesem Land nicht diskutieren.

Außerdem gibt es tatsächlich zusätzlich eine besondere Verschärfung dieser Situation in Sachsen-Anhalt. Wir haben mit dem Phänomen zu tun, dass Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, in Sachsen und in Thüringen sich in einer ähnlichen sozialökonomischen Situation befinden, ihre individuelle Lage aber trotzdem besser widerspiegeln, als es die Menschen in Sachsen-Anhalt tun. Das ist in gewisser Weise die RoteLaterne-Identität, die es in diesem Land gibt.

In diesem Zusammenhang will ich keine knappen Schuldzuweisungen vornehmen. Sehr problematisch ist, dass sich diese Situation so verdichten kann, dass es zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommt. Das heißt, diese sowohl empfundene als auch reale soziale Zwangslage und Drucksituation kann sehr wohl dazu führen, dass die Motivation von Menschen, sich in diesem Land zu engagieren, untergraben wird, womit wir uns tatsächlich in einer realen Spirale nach unten befänden.

Zu diesem Problem kommt ein weiteres hinzu. Das ist die Darstellung der Entwicklung in diesem Land. Wenn wir uns diesen Fortschrittsbericht anschauen, dann merken wir, dass wir offensichtlich von einem völlig anderen Land Sachsen-Anhalt reden. Dazu führe ich nur einmal einige Zahlenmodelle an.

In diesem Fortschrittsbericht wird dargestellt, wie sich die Arbeitslosenquote entwickelt. In dieser Tabelle sind wir, das Land mit der roten Laterne in der Arbeitslosigkeit, die Zweitbesten. Unsere Arbeitslosenquote hat sich nur um 0,5 % erhöht, während sie sich in Bayern um 25,3 % erhöht hat. Wenn man das liest, dann bekommt man den Eindruck, die Bayern kämen demnächst alle nach Sachsen-Anhalt. In der FDP-Fraktion stimmte es ja schon fast. Aber ansonsten ist es für dieses Land sehr untypisch.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD)