Protocol of the Session on July 8, 2005

Somit treten wir in die Behandlung des Tagesordnungspunktes 27 ein:

Erste Beratung

Bürgerschaftliches Engagement stärken: Beitritt des Landes Sachsen-Anhalt zum Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/2249

Die Einbringerin dieses Antrages ist die Abgeordnete Frau Dr. Paschke. Bitte sehr, Frau Dr. Paschke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, der Antrag, über den jetzt beraten werden soll, passt gut in die politische Landschaft. Das hat sich schon an dem vorangegangenen Antrag gezeigt. Das hat sich auf ganz andere Weise aber auch daran gezeigt, dass die Freiwilligen-Agentur in Halle gestern ihren sechsten Geburtstag feiern konnte, dass gestern der Startschuss für den Freistil-Jugendwettbewerb gegeben wurde und dass vorgestern die Konferenz der Koalitionsfraktionen auf der Grundlage des Arbeitspapiers zum Ehrenamt durchgeführt wurde.

Der Antrag passt aber auch gut in die bundespolitische Landschaft. Anknüpfend an das Internationale Jahr der

Freiwilligen und an die Enquetekommission des Bundestages ist eine Vielzahl von Aktivitäten ausgelöst worden, unter anderem programmatische Aktivitäten, die insbesondere einen Beitrag zur Klärung der zukünftigen Rolle des Ehrenamtes leisteten. Des Weiteren sind strukturellorganisatorische Aktivitäten ausgelöst worden. So wurde unter anderem das heute zur Diskussion stehende - jetzt haben wir es wieder mit einem Netzwerk zu tun - Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement gegründet, das eine Geschäftsstelle in Berlin und mittlerweile 14 Mitarbeiter und 140 Akteure hat und das für sich in Anspruch nimmt, nicht hierarchisch zu sein.

Es hatte aber auch zur Folge, dass in mehreren Bundesländern, zum Beispiel in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen oder Rheinland-Pfalz, entsprechende Aktivitäten entfaltet wurden; beispielsweise wurden dort Landesnetzwerke zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements geschaffen, die alle Mitglied in dem Bundesnetzwerk sind.

Die Akteure selbst wurden sich ihres Platzes in der Gesellschaft stärker bewusst; immerhin ist das - so kann man es in dem Landesportal von Sachsen-Anhalt nachlesen - mittlerweile jede Dritte bzw. jeder Dritte in Sachsen-Anhalt.

Schließlich passt der Antrag auch in die europäische Landschaft. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Jahr 2005 wurde zum Europäischen Jahr der Demokratieerziehung ausgerufen. Im Kern geht es dabei um eine gezielte Förderung der Argumentationsfähigkeit von Jugendlichen in den Schulen.

Längst werden internationale Konferenzen und Aktionen speziell auf das bürgerschaftliche Engagement ausgerichtet. Führend ist dabei die Engagementförderung in den skandinavischen Ländern, insbesondere deshalb, weil man inzwischen erkannt hat, dass solche Leistungen wie die Evaluierung bürgerschaftlichen Engagements dort fast weltweit auf einem Spitzenniveau sind.

Die skandinavischen Länder, meine Damen und Herren, sind im Übrigen auch ein Beweis dafür, dass starke, sich umfassend für das Wohl des Gemeinwesens verantwortlich fühlende Wohlfahrtsstaaten der Vitalität der Bürgergesellschaft nicht entgegenstehen. Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements hat Hochkonjunktur, nicht nur in der Politik, in der Wissenschaft bzw. im dritten Sektor selbst, sondern auch in den Kirchen. Diese leisten auf diesem Gebiet einen unverzichtbaren Beitrag.

Haben wir es hier insgesamt mit einem Modetrend zu tun, der nach den Jahren der Hochkonjunktur wieder ins Schattendasein rückt? - Nein. Die Antwort, die inzwischen von allen Seiten kommt, lautet: Das bürgerschaftliche Engagement und dessen Förderung sind ein langfristiges strategisches Ziel in Richtung Zivilgesellschaft.

Wie jeder einzelne Akteur haben die Bundesländer ihre spezifischen Aufgaben. Das Civitas-Netzwerk, das hier schon in Rede stand, hat diese Länderaufgaben in zwölf Thesen zur Entwicklungsperspektive als Handlungsansätze formuliert. Die Ausgangsthese lautet:

„Die Länder als staatliche Ebene zwischen Bund und Kommunen haben eine besondere Bedeutung, weil vor allem die Länder in der Lage sind, die Ideen und Aktivitäten aus den Kommunen zu bündeln und zu verstetigen. Sie können und sollen“

- so ist es auch bei uns -

„selbständig Programme, Initiativen und Kampagnen entwickeln.“

Einige dieser Maßnahmen erwähnte ich eingangs. Wichtig ist es aber auch, die Evaluierung zu etablieren und die Lernnetzwerke zu koordinieren.

Die primäre Aufgabe der Landespolitik ist es aber, die lokale Ebene zu stärken. Auf der kommunalen Ebene agiert eine Vielzahl von Vereinen, Initiativen und Projekten. Es wurde schon angesprochen: Im kommunalen Bereich werden Zusammenhänge erlebt, erfahren und ausgetragen; dort können sie vermittelt und initiiert werden.

Diese Konzentration, meine Damen und Herren, auf die kommunale Ebene ist insgesamt in der Landespolitik, aber auch in den einzelnen Parteien noch zu stark unterbelichtet. Dieser Aspekt fehlt auch in dem Arbeitspapier der Koalitionsfraktionen zum Ehrenamt. Viele andere Punkte in diesem Papier könnte ich sofort unterschreiben.

Die Entwicklung geht jedoch eindeutig in Richtung einer Herausbildung von Bürgerkommunen. Hier müssen die Akteure vor Ort vor allem selbst aktiv werden. Hier bedarf es aber auch eines deutlichen Qualitätssprunges in den kommunalen Spitzenverbänden, wie das Papier der kommunalen Spitzenverbände und des Städte- und Gemeindebundes zum Thema „Kommunen 2020“ zeigt. Aus unserer Sicht wird das Problem Bürgerkommune darin eindeutig zu kurz abgehandelt. Hierzu bedarf es bestimmter Rahmenbedingungen und gezielter Impulse aus der Landesebene heraus. Die Engagementfreundlichkeit ist bei allen Reformprojekten zu berücksichtigen, so lautet eine Zielstellung in unserem Antrag.

Unter den Nrn. 2 und 3 des Antrages wird vor allem der Tatsache Rechnung getragen, dass der Länderaustausch für die Entwicklung bürgerschaftlichen Engagements gerade jetzt von großer Bedeutung ist, handelt es sich doch um ein relativ junges Handlungsfeld in der Landespolitik. Ein Blick auf die unterschiedlichen Aktivitäten der 16 Bundesländer zeigt, dass dies fruchtbringend ist.

Hierbei fällt auf, dass die im Bundesnetzwerk engagierten Länder eindeutig die Nase vorn haben. Sie haben die Nase in der Leitbildentwicklung vorn. Sie haben - da ist bundesweit Baden-Württemberg führend - die Nase auch deshalb vorn, weil sie anerkennen, dass bürgerschaftliches Engagement nicht nur eine Frage der einzelnen Ministerien, sondern eine Querschnittsaufgabe ist und deshalb interministeriell vernetzt werden muss.

Nicht zuletzt kann jedes Bundesland von den unterschiedlichen Formen der Anerkennungskultur, die in den einzelnen Bundesländern praktiziert werden, profitieren. Die Vielfalt ist wirklich groß. Man könnte einige Anerkennungsformen von uns einbringen oder übernehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Nr. 3 des Antrages wird der Beitritt Sachsen-Anhalts zum Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement beantragt. Ich habe bereits gesagt, dass darin mittlerweile 140 Akteure aktiv sind und dass seit der Gründung des Bundesnetzwerkes im Jahr 2001 eine hervorragende Arbeit geleistet wurde.

Das Bundesnetzwerk arbeitet in acht Arbeitsgruppen, die sich mit den wichtigsten Herausforderungen befassen, die die Förderung des bürgerschaftlichen Engage

ments stellt. So bearbeitet die Arbeitsgruppe „Rahmenbedingungen“ rechtliche Aspekte der Förderung. Darin wird diskutiert. Einige Bundesländer haben inzwischen zum Beispiel Rahmenvereinbarungen zum Schließen von Versicherungslücken abgeschlossen. Eine andere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Qualifizierung und Bildung.

Allein aus der Tatsache des so genannten neuen Ehrenamtes erwachsen ganz andere Herausforderungen als bei den inzwischen hoch organisierten Bereichen des so genannten traditionellen Ehrenamtes, zum Beispiel im Sport.

Wichtig ist es ferner, ein stärkeres Augenmerk auf den Bereich der kommunalen Ebene zu lenken. Das habe ich bereits ausgeführt. - Kurzum, es lohnt sich, aktiv zu werden, Erfahrungen einzubringen und von anderen zu profitieren.

Abschließend sei noch einmal betont, die Annahme des Antrags wäre nur ein kleiner Schritt auf dem Weg hin zu einer noch qualifizierteren Förderung des bürgerschaftlichen Engagements seitens der Landespolitik. Es ist nicht der erste und es kann auch nicht der letzte Schritt sein. Der vor Ihnen liegende Antrag soll dazu beitragen, den Partizipationsgedanken insbesondere auch in der Landespolitik noch weiter zu etablieren.

Meine Damen und Herren! Auf dem Landesportal von Sachsen-Anhalt ist ein Link zum Netzwerk Bürgerschaftliches Engagement zu finden. Es wäre schön, wenn man anklickt - dort steht dann „Mitstreiter“ - und Sachsen-Anhalt würde unter den beschließenden oder unter den kooperierenden Mitgliedern aufgeführt sein. - Danke sehr.

(Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Vizepräsidentin. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung Herr Staatsminister Robra um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Danke sehr, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Die Bedeutung des Ehrenamtes auch und gerade im Land Sachsen-Anhalt ist, so denke ich, völlig unstrittig. Darüber wird heute in diesem Hohen Hause auch nicht zum ersten Mal verhandelt.

Eines der eindrucksvollsten Beispiele für das ehrenamtliche Engagement im Land Sachsen-Anhalt ist der gerade erst zurückliegende Sachsen-Anhalt-Tag mit mehr als 20 000 Mitwirkenden und mit mehr als 1 100 Helferinnen und Helfern, die sich weit über das Obligatorische hinaus und ohne danach zu fragen, ob es einen finanziellen Ausgleich dafür gibt, persönlich eingebracht haben. Ich will von dieser Stelle aus allen Mitwirkenden aus Magdeburg und aus den Regionen, die ihre Bereiche vorgestellt haben, ausdrücklich danken.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Der zweite Freiwilligen-Survey, meine Damen und Herren, den die Bundesregierung erstellt hat, weist für die neuen Bundesländer - auch das sollte erwähnt werden - eine positive Entwicklung des ehrenamtlichen Engagements aus. Waren es im Jahr 1999 28 % der Bevölkerung ab 14 Jahren, so sind es im Jahr 2004 31 % der Bevölkerung, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich

engagieren. Die grundsätzliche Bereitschaft, mehr zu tun, ist deutlich gewachsen. Immer mehr Menschen engagieren sich in immer mehr Bereichen für ihre ureigensten Interessen.

Ich glaube, darüber gibt es keinen Dissens. Wir haben als Landesregierung auch in der Staatskanzlei eine interministerielle Koordinierung des Ehrenamtes. Wir sorgen dafür, dass in allen Ressorts vielleicht nicht alle Politikfelder - man sollte das nicht immer so hoch hängen -, aber eben doch viele Politikfelder, die dafür geeignet sind, auch unter dem Gesichtspunkt der Einbeziehung Ehrenamtlicher weiterentwickelt werden. Sie finden in den unterschiedlichsten Bereichen der Ressorts solche Bezüge zum Ehrenamt. Ich denke, die Menschen im Lande wissen das auch zu schätzen.

Nun fordert der Antrag der Fraktion der PDS im Kern - das macht auch die Überschrift hinreichend deutlich - den Beitritt des Landes Sachsen-Anhalt zum Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. Darauf kommt es den Antragstellern an.

Dazu will ich aus meiner Sicht sagen: Wenn das Sinn macht, werden wir uns dem nicht entziehen. Wir müssen nur im Moment zur Kenntnis nehmen, dass sieben Bundesländer Mitglied in diesem Netzwerk sind, neun weitere nicht. Unter den Mitgliedern ist kein neues Bundesland. Dafür mag es gute Gründe geben.

Wenn Sie sich anschauen, wie dieses Bundesnetzwerk organisiert ist - es hat ein umfangreiches Satzungspaket -, und wenn Sie dann feststellen, dass die Bundesländer im Koordinierungsausschuss, der aus 16 unterschiedlichen Organisationen besteht, am Ende wieder mit einer Stimme vertreten sind oder, wenn man so will, nur mit einer Stimme vertreten sind, dann heißt das für mich, dass an dieser Stelle schon wieder ein erheblicher Koordinierungsbedarf zwischen den Ländern auf diesem Feld besteht,

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

und das, wo wir uns ohnehin ständig an allen Ecken und Enden koordinieren. Das kommt am Ende dem ehrenamtlichen Engagement in den Ländern selbst nicht zugute.

Ich bin schon der Auffassung, dass wir die Entsendung von Beamten in Gremien dort vornehmen sollten, wo es sinnvoll ist, wo es das Anliegen als solches stärkt. Ob das bei diesem Bundesnetzwerk der Fall ist bzw. sein kann, das werden wir gemeinsam mit den anderen neuen Bundesländern, insbesondere gemeinsam mit Brandenburg, das sich derzeit mit der Frage befasst, klären.

Ich habe im Moment noch erhebliche Zweifel, dass das Bundesnetzwerk geeignet ist, die besondere Situation, die wir in den neuen Bundesländern in der Entwicklung des ehrenamtlichen Engagements haben, angemessen zu würdigen. Bei allem Respekt bindet es wiederum zu große Kräfte, den Damen und Herren in diesem bundesweit angelegten Zirkel immer wieder aufs Neue unsere besonderen Problemlagen zu verdeutlichen.

Ich denke, deshalb sollten wir uns wie bisher engagiert um die Sache hier im Lande kümmern. Damit dienen wir der Weiterentwicklung des Ehrenamts in Sachsen-Anhalt - das so wichtig ist - am allerbesten. - Danke sehr.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Paschke zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Dr. Paschke. - Die Mikrofone gehen nicht.

Wo nimmt Ihre interministerielle Koordinierungsgruppe die Anregungen her? Kommen diese ausschließlich aus unserem Bundesland? Welche Vernetzung mit anderen Bundesländern und Ideen haben Sie zum ständigen Arbeitsgremium hergestellt?